www.Crossover-agm.de HELLOWEEN: 7 Sinners
von rls

HELLOWEEN: 7 Sinners   (Dragnet/Sony)

Labelwechsel haben selten neue Helloween-Alben von Weltrang hervorgebracht, sondern meist eher umstrittene Werke - man erinnere sich an "Pink Bubbles Go Ape" oder "The Dark Ride". Nun kommt Helloweens Debüt bei Sony heraus, erinnert optisch fast ein wenig an "The Dark Ride" (die Bookletgestaltung in einer "Saw"-Ästhetik ist und bleibt pure Geschmackssache) und stellt sich in der Schlußbetrachtung dann auch musikalisch als zumindest etwas zwiespältige Sache heraus, die dem exzellenten Vorgänger "Gambling With The Devil" trotz mancherlei starker Songs nicht das Wasser reichen kann. Die Problemfälle gehen gleich mit "Where The Sinners Go" los, einem düsteren, alternativ angehauchten Song, der an einige der Problemfälle des "The Dark Ride"-Albums erinnert und den man vielleicht von einer Postrockband, die plötzlich den Traditionsmetal zu entdecken beginnt, erwarten würde, aber nicht von Helloween. Vielleicht wächst der Song mit einer zweistelligen Durchlaufzahl auch noch, zumal er einen merkfähigen Refrain besitzt und man sich auch über das Judas Priest-Zitat (aus "Sinner", woher sonst?) freut. Aber er hat auch ein Problem, das sich in seinem Nachfolger "Are You Metal?" noch deutlicher manifestiert: Er wirkt mit seinen zahlreichen Effekten, die Gastkeyboarder Matthias Ulmer eingeworfen hat, überladen. Natürlich erwartet niemand von Helloween eine ähnlich puristische Herangehensweise wie von den Brüdern Gamma Ray, die ihr "To The Metal!" ja als konsequente traditionsmetallische Hymne inszeniert hatten. Aber hier zischelt und dudelt im Hintergrund einfach viel zu viel mit, und die kurzen Blasteinlagen von Drummer Dani Löble hinterlassen auch ein eher gewollt-konstruiertes Feeling, als daß man sie als organischen Bestandteil des Songs zu begreifen in der Lage wäre. Handelt es sich möglicherweise um ein komponistenbezogenes Problem bei Andi Deris, der diese beiden Songs verfaßt hat? Nein, stellt man nach dem dritten Song "Who Is Mr. Madman?" fest. Der stammt aus der Feder von Sascha Gerstner, reproduziert den "Gag" von "Gambling With The Devil", Gastsprecher Biff Byford in eine völlig unbedeutende Rolle zu drängen, und wäre eigentlich ein richtig geiler Melodic Speed-Song - wenn, ja wenn da nicht wieder Ulmer im Hintergrund tuckern würde und sich in zwei Breaks auch unvorteilhaft in den Vordergrund schiebt. Da müssen halt doch die Altmeister wieder ran: Michael Weikath bat sich für "Raise The Noise" auch eine nonmetallische Zutat aus - aber die wurde perfekt eingepaßt: Eberhard Hahns Flötensolo macht den Song fast zu einer Metalversion alter Jethro Tull-Klassiker. Und Markus Großkopf war schon immer für etwas abseitigere Kompositionen bekannt, was "World Of Fantasy" ein weiteres Mal unterstreicht: Hier ist quasi Melodic Rock entstanden, der nur durch die deutlich fetteren Gitarren im Melodic Metal-Lager landet und der auch keyboarddurchsetzt ist - aber wohldosiert und an den richtigen Stellen, vom Intro abgesehen, das ein weiteres Beispiel für Orientierungslosigkeit befürchten läßt (Synthiegetucker und ein fast numetallischer Gitarrenaufschrei treffen aufeinander, bevor sich der hochklassige Hauptteil zu entspinnen beginnt). Aber der zarte Teppich hinter dem Refrain erfüllt seinen Zweck ebenso wie die gelegentlichen Glockensamples - geht doch! Und selbst die plötzliche Tempoverschärfung im Solo wirkt nicht wie ein Fremdkörper. Das tut die in der nächsten Deris-Komposition "Long Live The King" (kein Rainbow-Cover also), dort im Intro und im Refrain plaziert, auch nicht, aber ein paar Tempoverschleifungen mittels schräger Drumfiguren lassen dann eben nicht aufhorchen, sondern eher abwinken, was die hübschen Maiden-Zitate nicht ganz kompensieren können. Das ist aber noch gar nichts gegen den Balladenversuch "The Smile Of The Sun" (auch von Deris), der so lange klasse bleibt, wie er eben das balladeske Territorium beackert, und genau dann scheitert, als er das Areal verläßt. Der mit einem zu aufdringlichen Orchester unterlegte Refrain bereitet für diesen Fehltritt schon den Boden, und der harte zerrissene Mittelteil zerstört die aufgebaute Stimmung dann im Handumdrehen wieder, ohne aber eine "Ersatzstimmung" zu liefern, wonach die balladesken Elemente wiederkehren, aber erneut von einem Kunstorchester zugekleistert werden. Selten hatte der Slogan "Weniger ist mehr" eine größere Berechtigung als hier. Gerstners "You Stupid Mankind" versucht allerdings im Anschluß einen Spagat zwischen einzelnen Traditionselementen und modernem Metal, scheitert indes ähnlich deutlich wie die ähnlichen Versuche auf "The Dark Ride", bei dem Gerstner noch nicht zur Band gehörte. Gute Ideen gibt's auch hier etliche, aber speziell Löbles Drumvariationen wirken einmal mehr übermotiviert, und daß das kellertiefe Riffing nur bedingt zu Helloween paßt, hatte man auf dem mehrfach erwähnten Dunkelrittalbum schon mehrfach deutlich demonstriert bekommen. Kann die alte Garde da nochmal gegensteuern? Sie versucht es zumindest. Großkopf bringt mit "If A Mountain Could Talk" das Kunststück fertig, wenige moderne Anflüge mit Elementen der alten Keeper-Helloween und erstaunlicherweise ein paar Stilmitteln des Italometal (höre den sprudelnden Leadgitarrensound!) so zu koppeln, daß ein über weite Strecken richtig starker Song dabei rauskommt, der eigentlich wegweisend für den neuen Anspruch von Helloween sein könnte und nur im Übergang zum letzten Refrain ein paar kleine überflüssige Windungen aufweist. Da will Weikath nicht nachstehen: "The Sage The Fool The Sinner" entpuppt sich als traditionsorientiertester und unterm Strich auch bester Song des einstündigen Albums. Auch wenn es die wieder mal sehr tiefen Gitarren im Intro nicht erwarten lassen, so entspinnt sich hier doch klassischer Melodic Metal mit einem großen Refrain, nicht zu vielen Bocksprüngen und geradezu als typisch zu deklarierender Gitarrenarbeit im Hauptsolo, die auch nicht davor zurückschreckt, mal einfach nur die Refrainmelodie durchzuspielen - ein wohltuender Kontrapunkt zur in vielen Momenten des Albums spürbaren Ambitioniertheit, die zu oft den Eindruck von Überambitioniertheit hinterläßt. Nicht daß man nun immer wieder das Gleiche in anderer Verpackung hören wollen würde, aber es kommt auf die Dosis der Neuerung an, und die ist auf "7 Sinners" hier und da zu hoch. Paradebeispiel: Gerstners "My Sacrifice" wäre im Repertoire von Soilwork hervorragend aufgehoben, aber bei Helloween wirkt es trotz eines urtypischen Refrains als Fremdkörper, und die Drumverschiebungen unter der Bridge erzeugen wieder mal Herzrhythmusstörungen. Der Abschluß des Albums gehört noch einmal Deris in Gestalt des knapp achtminütigen Epos "Far In The Future", eingeleitet durch das düstere Intro "Not Yet Today". Hier paßt die Neuererattitüde interessanterweise besser, denn der Song als solcher entpuppt sich nicht als aufgepeppter Normalmetal, sondern ist von der Grundkonzeption her vielschichtiger und titelgemäß auch zukunftsorientierter, allerdings ohne nun in ganz seltsame Sphären abzudriften. Wenn Helloween sich als moderne Metalband positionieren wollen, dann bitte so, aber nicht wie auf weiten Teilen des restlichen Albums, von denen zumindest einige live, wenn man auf die Samples verzichtet, noch einen grundsätzlichen Unterhaltungswert besitzen dürften, aber in der vorliegenden Konservenfassung nicht richtig überzeugen können. Und der Rezensent dürfte nicht nur für sich selber sprechen, wenn er zum Ausdruck bringt, daß ihm die ihrer traditionellen Stärken bewußten Helloween lieber sind als die orientierungslos experimentierenden, was nicht heißt, daß man ausschließlich bewährte Muster wiederkäuen sollte, wenngleich auch das in gewissem Maße seinen Reiz hat. Auf das Mischungsverhältnis kommt es eben an, und das stimmt bei "7 Sinners" leider nicht so ganz.
Kontakt: www.helloween.org, www.sonymusic.de

Tracklist:
Where The Sinners Go
Are You Metal?
Who Is Mr. Madman?
Rise The Noise
World Of Fantasy
Long Live The King
The Smile Of The Sun
You Stupid Mankind
If A Mountain Could Talk
The Sage The Fool The Sinner
My Sacrifice
Not Yet Today
Far In The Future
 




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