www.Crossover-agm.de SONATA ARCTICA: Silence
von rls

SONATA ARCTICA: Silence   (Century Media Records)

Ja! Jaa! Jaaa! Sonata Arctica haben ein Kunststück fertiggebracht, an dem HammerFall und Nightwish gescheitert sind: Sie lassen einem durch eine unbändige Frische bestechenden Frühwerk (bei Nightwish das zweite, sonst das Debüt) einen Nachfolger hinterhersausen, der nahezu den gleichen Frischegrad aufweist. Gingen HammerFall mit "Legacy Of Kings" viel zu sehr auf Nummer sicher (erst "Renegade" schritt wieder etwas forscher zur Tat), fuhren Nightwish den opulenten Bombast, der "Oceanborn" wie einen Wasserfall auf den Hörer herabprasseln ließ, auf ein verhältnismäßig bescheidenes "Wishmaster"-Rinnsal zurück, so musizieren Sonata Arctica weiter so von der Leber weg, daß es eine wahre Freude ist. Dem melodischen Inferno des schnellen Openers wird diesmal ein reichlich einminütiges Intro vorangestellt, das mit immer schneller werdendem Knistern nahtlos in den besagten Opener "Weballergy" übergeht, in dem sich Gitarre und Keyboard in einer Geschwindigkeit duellieren, wie sie vor 30 Jahren noch als Hexerei angesehen und deshalb nicht mal vom legendären Duo Blackmore/Lord praktiziert worden wäre. Dazu Tony Kakkos Gesang, dem etwas die absolut hohen Spitzen genommen wurden und der etwas abwechslungsreicher ausgefallen ist, aber immer noch jeden Kopfstimmenhasser zum Sprung von der Göltzschtalbrücke treibt, und Tommy Portimos Schlagzeug, das in puncto Taktzahl jeden Vergleich gegen ein Auslandsgespräch gewinnt - fertig ist die Analogie zum "Blank File" des "Ecliptica"-Debüts, dem mit "Wolf & Raven" noch eine weitere folgen soll. Letztgenannter Song macht ein neugewonnenens Händchen Sonata Arcticas besonders deutlich - die Liebe zum witzig ausgearbeiteten Detaileinfall. Da verwandelt sich Tony für ein, zwei Wörter mal eben vom Eunuchen in einen finsteren Grunzer, da leitet gar ein winziger Elektropart ins furiose Solo über - man stolpert drüber und freut sich über den gelungenen Gag, der vielleicht an einigen Stellen gar keiner ist, weil er möglicherweise zum Konzept des jeweiligen Textes gehört. Im Vergleich mit "Ecliptica" haben die Keyboards etwas an Dominanz (auch soundlich übrigens) zugenommen - kein Wunder, denn was die Neuerwerbung Mikko Harkin auf den Tasten kann, bereichert "Silence" ungemein, obwohl auch Tony, der bisher neben dem Frontmikro auch die Keyboardarbeit abdeckte, beileibe kein schlechter Vertreter seines Faches ist. Mit "Land Of The Free" oder "False News Travel Fast" schüttelt er sich dafür weitere Lehrstücke des melodischen Speed Metal aus dem Ärmel, reichert diese mit ein paar eingängigen Midtempopassagen an und läßt somit dem Hörer keine Zeit für Langeweile. Daß mit "San Sebastian" einer der neuen Songs der "Successor"-Mini-CD nochmals verarbeitet würde, war abzusehen, aber wenigstens wurde der Song neu eingespielt und soundlich den anderen 12 Tracks angepaßt. Die "Dana"-Saga erfährt auf "Silence" ohrenscheinlich keine Fortsetzung, aber natürlich vergessen die fünf Finnen nicht, auch mal auf die Tränendrüsen des Publikums zu drücken - "Last Drop Falls" und "Tallulah" verleiten zum Zücken des Taschentuchs und stellen nüchtern betrachtet ausgezeichnet ausgearbeitete Halbballaden dar. Klar, originell sind Sonata Arctica nach wie vor wenig bis nicht - fast alle Stilmittel haben ihre "großen Brüder" Stratovarius ebenfalls schon verarbeitet, und in Italien geht die halbe Metalszene grundähnlich zu Werke -, aber erstens pausieren Tolkki & Co. derzeit, zweitens schaffen es Sonata Arctica (noch?), nicht auf einem kompositorischen Standardlevel einzurosten, und drittens gehen sie durchschnittlich ein ganzes Stück schneller zur Arbeit als die finnisch-schwedisch-deutsche Kollaboration. Ein barockes Spitzeninstrumental wie das 1:32 min kurze "Revontulet" (was für ein Cembalosound und was für eine Gitarrenarbeit!) hat man von Stratovarius jedenfalls schon länger nicht mehr zu hören bekommen. Das absolute Glanzlicht steht allerdings in Gestalt von "The Power Of One" ganz am Albumende, denn in dessen über zehn Minuten ziehen die Finnen alle Register (inclusive eines interessanten Tonartwechselschemas in der Songmitte) und verarbeiten sie zu einem epischen Track, der sich in mehreren Spitzkehren durchs Gebirge schraubt, schließlich mit einer Narration den Bogen zum Intro zurück spannend. Dieser Aufbau legt einen konzeptualen Zusammenhang der 13 Songs nahe, aber mangels vorliegenden Textgutes kann ich das weder bestätigen noch dementieren, obwohl auch "Land Of The Free" und das ein ebensolches Land als Ziel postulierende "The Power Of One" ausgezeichnet zusammenpassen würden. Nur das etwas zu simpel gestrickte "Sing In Silence" und das völlig an mir vorbeigehende "Black Sheep" (in den vergangenen zwei Wochen sind in den Alpen etliche schwarze Schafe an mir vorbeigegangen, aber das ist eine andere Geschichte) können das sich in meinen Ohren aufbauende Glanzbild nicht bereichern, aber angesichts der Masse des Klassematerials kann man das verschmerzen, und da sei selbst der zweifelhafte Mini-CD-Release "Successor" verziehen (obwohl für diesen wohl eher die Plattenfirma federführend war und nicht die Band selbst). Die treffend paradox betitelte "Silence"-CD ist also zur Vertreibung der titelgebenden Situation im Haushalt des Freundes melodischen Speed Metals allerbestens geeignet.
 




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