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Nightwish, Battle Beast, Eklipse   01.05.2012   Leipzig, Arena
von rls

Der immer noch stetig wachsende Bekanntheitsgrad Nightwishs läßt sich erneut an den Leipziger Tourspielstätten ablesen: Zwar findet nach jahrelanger räumlicher Höherentwicklung schon das dritte Konzert in Reihe in der Arena statt, aber die macht einen volleren Eindruck als 2008. Mit dem ersten Arena-Konzert von 2004 allerdings teilt das 2012er das schwierige Zeitmanagement: Mußten damals Timo Rautiainen und sein Trio Niskalaukaus vor der planmäßigen Anstoßzeit auf die Bretter, die die Welt bedeuten, so hört der Rezensent durch die geöffneten Hallentore Eklipse schon eine halbe Stunde vorfristig beginnen. In der Halle angekommen, entpuppt sich das Quartett nicht etwa als Sonata-Arctica-Frühwerk-Coverband, und auch die melodicrockenden Schweden haben nicht etwa aus einem c ein k im Bandnamen gemacht. Diese Sonnenfinsternis hier spielt in Streichquartettbesetzung der klassischen Form, also zwei Violinen, Viola und Violoncello, und sie tut das in durchaus unterhaltsamer Weise. Neben dem reinen Musik- gibt es also auch einen Optikfaktor, der sich ganz neutral in einiger Bühnenbewegung und für den männlichen und heterosexuellen Teil der Besucher auch noch in Accessoires wie der Bekleidung (bzw. deren Umfang) manifestiert, wobei das rein weiblich besetzte Quartett (bei dem Wesen am Cello muß man allerdings zweimal hinschauen, da es auf die Ferne hin durchaus etwas wie eine Kreuzung aus Snowy Shaw und Billy Idol aussieht) auch noch so zusammengesetzt ist, daß es verschiedene Optikgeschmacksrichtungen der Herren der Schöpfung betont. Eklipse nun allerdings darauf zu reduzieren wäre unfair: Sie spielen tight, zwar wenig experimentierfreudig, aber wissend, was sie da tun, und sie treffen auch musikalisch offenbar durchaus den Nerv des wohlgesonnenen Publikums. Ein paar Scherze noch dazu, etwa in Form von plötzlich in Russisch gehaltenen Ansagen (obwohl die Truppe eine deutsche Homebase haben dürfte), dazu ein klarer Sound, der sich in den meisten Fällen auf die vier Streichinstrumente beschränkt und nur gelegentlich noch Samples dazugibt - fertig sind durchaus unterhaltsame schätzungsweise 20 Minuten, die mit einem schon fast klassisch zu nennenden Effekt enden: Ein Mitglied nach dem anderen hört auf zu spielen, verbeugt sich und geht von der Bühne, bis zum Schluß nur noch die Cellistin übrigbleibt und das Stück zu Ende bringt.
Die Umbaupause danach ist die kürzeste, die der Rezensent je auf einem Rockkonzert erlebt hat: Keine fünf Minuten sind vergangen, da entern - auch noch vor der eigentlichen Anstoßzeit 20 Uhr - Battle Beast die Bühne: auch sie Finnen, auch sie mit einer Sängerin, aber doch deutlich von Nightwish unterschieden, sondern eher in der Sinergy-Schublade anzusiedeln. Heißt: Es gibt klassischen Metal mit Keyboardunterstützung - den daraus resultierenden Untrueness-Faktor versucht das Sextett dann mit besonders pathetisch-metallischen Texten zu kompensieren. Das kommt beim Publikum so gut an, daß die Sängerin zu einigen Mitsingspielchen auffordern kann, wenngleich Refrains wie "Show Me How To Die" bei näherer Betrachtung eigentlich ein genügend hohes Fremdschämpotential entfalten, um sie zumindest auf der Straße nicht lauthals mitzuträllern. Dafür punkten Battle Beast mit zwei enorm spielfreudigen, bestens aufeinander eingespielten Gitarristen, die die basischen Songs mit interessanten Leads anreichern, und nachdem ab Song 3, "Cyberspace", der Soundmensch auch den Keyboarder so laut gedreht hat, daß man ihn spielen hört, zeigt sich, daß auch dieser Mann durchaus gute spielerische Einfälle hat. Eine solide Rhythmusgruppe mit hohem Showwert kommt noch dazu, aber auch die Gitarristen posen, was das Zeug hält, und der Keyboarder bangt trotz seiner kurzen Haare fleißig. Soweit, so gut - aber da ist noch die Sängerin. Sie kann singen, keine Frage - nur müßte sie das öfter mal zeigen und vor allem Tontreffsicherheit üben. Beispiel "Armageddon Clan": Die beiden Gitarristen und der Keyboarder singen saubere Backings, aber die Töne der Sängerin stehen dazu in einem gewissen Mißverhältnis. Und wer den Refrain von "Show Me How To Die" im Ohr hat (das dürften nicht wenige im Publikum sein, da der Song gerade kurze Zeit vorher auf einem Sampler im Nuclear-Blast-Katalog enthalten war), entdeckt auch dort einen gewissen Unterschied des Tons, auf den die Sängerin am Refrainende gerne kommen würde, zu dem, den sie in Leipzig erreicht. Freilich stört das die meisten Zuhörer offensichtlich nicht, außerdem scheint nicht nur "Show Me How To Die" (das zudem als Single ausgekoppelt worden war), sondern auch generell das Debütalbum "Steel", das logischerweise den Set im Alleingang stellt, durchaus bekannt zu sein, so daß die Band sehr positive Reaktionen einfahren kann. Wenn man an den genannten Punkten noch arbeitet, hat diese Band durchaus das Zeug zu mehr.
Setlist Battle Beast:
Justice And Metal
Armageddon Clan
Cyberspace
Steel
Iron Hand
Victory
Enter The Metal World
Show Me How To Die

Auch die folgende Umbaupause hält sich ausdehnungstechnisch noch in Grenzen, obwohl doch einiges zu erledigen ist, wie man hinter dem aufgezogenen Vorhang ahnt. Der dient dann beim Nightwish-Intro "Taikatalvi" noch als Projektionsfläche für den alternden Protagonisten, der gegen Ende allerdings seine Sitzgelegenheit von sich stößt, wonach in Analogie zur Dramaturgie auf der neuen "Imaginaerum"-CD "Storytime" mit seinem markanten Drumrhythmus losbricht - allerdings immer noch auf verdeckter Bühne gespielt, und erst im Laufe dieses Songs birst der Vorhang, den Blick auf das gleichermaßen klassische wie originelle Bühnenbild freigebend. Tuomas Holopainens Keyboardburg steht wie immer links, die beiden Saitenartisten haben ihre mehr oder weniger festen Plätze (wobei Emppu Vuorinen wie meistens für die meiste Bewegung auf der Bühne sorgt), zwischen denen sich Anette Olzon aufhält, und der Drumriser ist diesmal nicht so hoch wie sonst - oder wirkt er nur so? Schließlich gibt es da oben über den Köpfen das markanteste Bühnenelement, nämlich eine riesige Projektionsfläche, die wechselnde optische Effekte gegenständlicher oder auch ungegenständlicher Art einblendet und vom Grundsatz her den Besucher in der "Imaginaerum"-Welt willkommen heißt, denn das "Standbild" ist einer Zirkus-Eingangspforte nachempfunden, nimmt also Stilelemente des Albumcovers her, wandelt diese farblich allerdings stark ab. Das paßt zum Material des neuen Albums prima, denn dessen Buntheit wird dadurch auch optisch unterstrichen. Daß selbiges Material das Gros des Sets stellen würde, war spätestens bei der Enthüllung dieses Pfortenbildes abzusehen - aber daß der Fünfer das Album nahezu komplett durchspielen und auch vor den gewagt anmutenden Stilausreißern nicht zurückschrecken würde, geht je nach Herangehensweise des Hörers als großer Trumpf oder als Enttäuschung durch. Das Publikum neigt überdeutlich zur ersten Variante, und auch der Rezensent, der "Imaginaerum" über weite Strecken sehr schätzt, ist ausgesprochen zufrieden, zumal die Band genug Gespür bewiesen hat, mit "Turn Loose The Mermaids" einen der beiden schwächeren Songs außen vor zu lassen (daß der andere, "The Crow, The Owl And The Dove", in der Setlist auftauchen würde, bemißt sich aus dem Umstand, daß er als Single ausgekoppelt worden war). Ansonsten fehlen vom neuen Material nur das "Arabesque"-Instrumental und das massive "Rest Calm", der Rest wird gespielt - und den Zugabenblock, von Sibelius' "Finlandia"-Adaption mal abgesehen, ebenfalls ausschließlich mit Material des aktuellen Albums zu bestreiten muß sich eine Band auch erstmal trauen. Nightwish wagen das Experiment und gewinnen, auch dank des Kunstgriffs, die Rezitation in "Song Of Myself" akustisch wegzulassen und die Worte statt dessen als Laufschrift auf der Projektionsfläche abzubilden. Und die Kombination aus "Last Ride Of The Day" und dem als Outro (in voller Länge!) vom Band kommenden "Imaginaerum"-Instrumental könnte sich durchaus als Standardkonstruktion etablieren, wobei der Kunstgriff mit dem Outro von der Anhängerschaft noch gespalten aufgenommen wird: Viele sehen es als Soundtrack zum Verlassen der Halle, etliche aber bleiben da und hören es sich bewußt bis zum Schluß an, auch wenn die Bandmitglieder die Bühne schon etwa nach der halben Spielzeit verlassen haben. Der Anteil letztgenannter wird sich sicherlich im Laufe der Zeit noch erhöhen - bei Manowar und der Münchener Freiheit war das schließlich auch ein längerer Prozeß. Die innere Konzertdramaturgie läßt jedenfalls kaum etwas zu wünschen übrig, und der Rezensent ist der Band hochgradig dankbar, daß sie "Scaretale" schon zu einem relativ frühen Zeitpunkt spielt, als die konditionelle Lage noch ein relativ intensives Tanzbeinschwingen zuläßt. "Slow, Love, Slow" wiederum lädt überdeutlich zu anderweitigen Aktivitäten ein, wenn man denn ein geliebtes Wesen an seiner Seite hat - und beide Extrempunkte setzen einen prima Rahmen um den Set, der ansonsten noch vier Überraschungen birgt. Die erste: "Come Cover Me" wird ausgegraben und mit Duettarrangement von Marco und Anette dargeboten - und entpuppt sich als die einzige Stelle der Songs aus der Tarja-Ära, die mit Anettes Stimme nicht funktionieren will, obwohl ja die inhaltliche Konstellation förmlich nach einer solchen Duettkonstellation schreit (für alle anderen alten Songs hat Anette eine brauchbare Strategie gefunden, wo sie welche der vielen Originalstimmen zum Einsatz bringt). Die zweite: "Nemo" erklingt eingerahmt von "The Islander" und "Last Of The Wilds" - und übernimmt stilistisch die Herangehensweise des erstgenannten Songs, wird also als Folkballade dargeboten. Und das funktioniert! Die dritte: In etwa der Hälfte des Sets agieren Nightwish nicht als Quintett, sondern als Sextett - sie haben sich einen namenlos bleibenden Multiinstrumentalisten dazugeholt, der alle möglichen Blasinstrumente von der Flöte bis zum Dudelsack und darüber hinaus auch noch mancherlei Streich- und Zupfinstrument beherrscht. Dieses Liveinstrumentarium verschafft dem Ganzen noch mehr Ausdruckskraft, pflegt aber bisweilen den Soundmenschen vor zusätzliche Herausforderungen zu stellen. Nicht so hier, und das wäre die vierte Überraschung: Der Sound ist glasklar, von kleinen Verwaschungen gegen Ende des Hauptsets (die alte Soundmenschkrankheit, gegen Ende die Regler zu weit nach oben zu reißen ...) einmal abgesehen. So kann man alle Details prima nachvollziehen und wünscht sich in zurückreichenden Gedanken ein derartiges Klangbild auch bei den Gigs an gleicher Stelle anno 2004 und 2008. Zudem bieten Nightwish nach dem unerquicklich kurzen 2008er Set diesmal neben Klasse auch noch Masse und kommen somit gefährlich nahe an so etwas wie den perfekten Orchestermetalgig heran. Aber man muß sich ja für die nächste Tour noch Steigerungsmöglichkeiten offenlassen, und seien sie auch noch so gering ... Trotzdem natürlich beste Unterhaltung von fünf bzw. sechs Könnern!

Setlist Nightwish:
Taikatalvi
Storytime
Wish I Had An Angel
Amaranth
Scaretale
Slow, Love, Slow
I Want My Tears Back
Come Cover Me
The Crow, The Owl And The Dove
The Islander
Nemo
Last Of The Wilds
Planet Hell
Ghost River
Dead To The World
Over The Hills And Far Away
---
Finlandia
Song Of Myself
Last Ride Of The Day
Imaginaerum



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