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Nightwish, Krieger   23.02.2008   Leipzig, Arena
von rls

Die Spannung vor diesem Gig war groß, ob Nightwish den Sängerinnenwechsel auch live meistern würden - "Dark Passion Play" als gewaltiges Studiostatement hatte ja bereits unterstrichen, daß Anette Olzon unabhängig von den nicht auf sie zugeschnittenen musikalischen Vorgaben sehr gute Arbeit abzuliefern in der Lage ist. Bevor die 6000 Anwesenden die Antwort auf die große Frage geben konnten, galt es zunächst, sich Krieger zu widmen. Die haben Kollege Ulf und seine Mitstreiter ja bereits ausführlich anhand ihres In Extremo-Supportgigs vor etwas mehr als einem Jahr beschrieben, und generell konnte man das Verdikt auch auf den Gig dieses Abends übertragen. Krieger brachten es jedenfalls fertig, deutsche Texte mit einem so ganz und gar nicht deutsch klingenden musikalischen Unterbau zu koppeln, wenngleich es auch in Deutschland etliche Bands gibt, die diesen mit einer deutlichen Blueskante ausgestatteten Hardrock spielen - Soul Doctor oder auch Cottonbomb seien als entfernte, aber erkennbare Anhaltspunkte genannt, wenngleich letztgenannte dahingehend anders strukturiert sind, indem sie dem Baß eine deutlich dominantere Rolle zuweisen als Krieger dem ihrigen; der grummelte in entfernten Tiefen umher, als würde gleichzeitig sagen wir mal Berlin bombardiert. Kriegers musikalisches Dominanzmerkmal bildeten eindeutig die Gitarren mit ihrem deutlichen slidigen bis bluesigen Einschlag, wobei die Tatsache, daß auch der Sänger ein solches Instrument umhängen hatte, nur vergleichsweise selten zu akustisch vernehmbaren Ergebnissen führte, da es zumindest in den Strophen fast durchgängig beim Hängen blieb. Dafür verstand man die Vocals des Sängers trotz einer gewissen Angerauhtheit gut und durfte sich über die eine oder andere tiefgründigere Zeile wie "Ich gehe in mich - und niemand ist da" so seine Gedanken machen. Aufgrund eines Titels wie "Heimat" und dem spärlichen Haarwuchs des Sängers die Band in eine bestimmte politische Ecke zu rücken wäre grundverkehrt und würde eher die Scheuklappen des Rückers demonstrieren. Zu erwähnen wäre noch der recht körperbetont spielende Schlagzeuger, der zumeist für einen geradlinigen Beat sorgte, aber auch vor Breaks und Wechseln keine Angst hatte, und das Signet der Band, denn diese Gestaltung des K kennt der DDR-sozialisierte Hörer in ähnlicher Form von den Läden namens Konsum, in denen er seine Waren des täglichen Bedarfs erwarb ...
Danach wären Pain an der Reihe gewesen, aber die Gestaltung nach dem Bühnenumbau und die lange Pause schufen irgendwie Verdachtsmomente - und tatsächlich: Ein ausgedehntes Orchesterintro (dramaturgisch allerdings nicht sonderlich geschickt, da zu wechselhaft und nicht stringent genug arrangiert) eröffnete den Nightwish-Set. Wo waren Pain? Überwiegend im Krankenhaus, so verrieten Anette und Marco während des Sets - sie waren am Vorabend in eine größere Schlägerei geraten und aus dieser arg lädiert hervorgegangen. Auf die Idee, mal bei der Bandcommunity Leipzig anzurufen und noch kurzfristig einen lokalen Support heranzuholen, war offensichtlich niemand gekommen - also auf in den Nightwish-Set: Daß der von "Dark Passion Play"-Material dominiert sein würde, konnte man ja bereits vorher an allen zur Verfügung stehenden Fingern abzählen, und so sollte es auch kommen. Sieben Songs des neuen Albums standen vier älteren Datums im regulären Set gegenüber (zwei weitere der letztgenannten Kategorie als Zugabe schraubten das Endergebnis noch auf 7:6), eröffnet wurde mit "Bye Bye Beautiful" und "Cadence Of Her Last Breath" (das ohne die Schellentrommel unter dem Refrain übrigens einen Tick an Reiz verlor), bevor "Dark Chest Of Wonders" die erste Prüfung für Anette bedeutete, wie sie mit Tarja-Material zurechtkommen würde. In den ersten beiden Songs hatte sie eine zwar äußerst wandlungsfähige, aber eben weit abseits der klassischen Ausdrucksweise liegende Stimme demonstriert, die in den Höhenlagen einen eigentümlich kantigen Gestus annahm, dort aber trotzdem stets eine hohe Klarheit transportierte. Gerüchte hatten besagt, sie könne die Tarja-Songs nicht singen - und richtig: Sie sang sie tatsächlich nicht in der originalen Form, da sie eben keine ausgebildete Sopranistin respektive Mezzosopranistin ist. Aber Nightwish hatten sich bewußt gegen eine Tarja-Kopie am Mikrofon entschieden, insofern muß diese künstlerische Entscheidung erstmal respektiert werden (wie man sie bewertet, ist eine andere Frage). "Dark Chest Of Wonders" stellte eine interessante "Prüfungsnummer" dar, gerade mit dem nach hinten heraus höher werdenden Refrain, der aufgrund eines Tonartwechsels nach dem Solo in seinen letzten Wiederholungen noch einmal weiter in die Höhe geht. Anette konnte ihre Stimme und deren Grenzen offensichtlich genau genug einschätzen, wo sie die originale Leadgesangslinie reproduzieren konnte und wo sie ausweichen mußte, meist im Terzabstand in eine der Backinglinien. Das hat Tarja live bisweilen selbst auch getan, insofern ist das keine verwerfliche Praxis (und allemal besser, als hilflos Töne zu treffen zu versuchen, die außerhalb der eigenen physiologischen Reichweite liegen, wie man es anderweitig bisweilen schmerzerzeugend vorgeführt bekommt), wenngleich es manchen Harmonien einen ungewohnten Touch verleiht. Die starke Beanspruchung, der Anettes Stimme auf dieser Tour ausgesetzt gewesen zu sein scheint und die sie bisher kaum gewohnt gewesen sein dürfte, konnte daran abgelesen werden, daß solche Terzausweichmanöver bisweilen auch im originären "Dark Passion Play"-Material festzustellen waren und zudem mit zunehmender Setdauer häufiger auftraten als gegen Anfang. Andererseits wiederum konnte Anette im balladesken Intro zu "Ever Dream" einen rauchig-tiefen Gestus unterbringen, der diesem Part neue wärmespendende Qualitäten verlieh, die Tarja niemals hätte transportieren können. "Wärmespendend" ist übrigens ein gutes Stichwort: Der fast immer etwas distanzierte Touch der Tarja-Besetzung war völlig verschwunden, und man hatte eine Diva durch einen Knuddelbär ersetzt ("Heavy Metal für Knuddelbären" lautete denn auch die Überschrift der Konzertrezension in der Leipziger Volkszeitung). Hätte jemand Tarja einen Teddy auf die Bühne geworfen? Wohl kaum - Anette bekam gleich mehrere davon und präsentierte sich in den Ansagen konsequent als das nette Mädel von nebenan, punktete zudem mit ein paar deutschen Ansagen (das hat Tarja selten bis nie getan, obwohl sie aus ihren Karlsruhe-Studientagen ein paar Sprachkenntnisse übrigbehalten haben müßte), verzichtete auf einen Kostümwechsel und kam so sympathisch herüber, daß sie vermutlich jeder zweite Anwesende hinterher noch zum Candle Light Dinner ausgeführt hätte. All das würde natürlich nichts nützen, wenn man mit ihr eine gesangliche Niete ans Mikro gestellt hätte - aber das ist sie wie beschrieben nicht, wenngleich ihre Liveentwicklung spannend abzuwarten bleibt. Zudem machte der Set ein Problem deutlich: Tarjas Stimme hatte sich von der Marcos in den Duettpassagen deutlich abgehoben, während die Überlappungen zwischen Marcos und Anettes Stimme deutlich umfangreicher sind, was manchem Duett einen kleinen Teil seiner Wirkung nimmt - in der Studiosituation fiel dieses Problem noch nicht weiter auf, unter Livesoundbedingungen aber durchaus. Apropos Sound: Er war etwas besser als der beim Gig anno 2004 an gleicher Stelle, wobei "besser" aber noch lange nicht "gut" bedeutet. Zwar verzichtete der Soundmensch darauf, Jukkas Drums alles andere niedermähen zu lassen, aber gewisse Unausgewogenheiten waren nicht zu verkennen, besonders was die Keyboards und die Orchestersamples angeht. Das führte zu einigen Wermutstropfen, beispielsweise im studioseitig zauberhaften Schlußteil der "The Poet And The Pendulum"-Suite (ja, auch die stand im Liveset - aber damit hatte man, nachdem auf der letzten Tour "Ghost Love Score" gespielt worden war, durchaus schon gerechnet), der ohne hörbare Holzbläserpassagen Teile seines Zaubers einbüßte und den Wegschwebecharakter auf nur noch geringem Level beließ. Schade drum! Nächster kleiner Wermutstropfen war die Auswahl der neuen Songs, denn "Whoever Brings The Night" und "Sahara" entpuppten sich auch live als guter, aber nicht weiter weltbewegender Orchestermetal, wohingegen etwa ein Meisterwerk wie "Master Passion Greed" in der Schublade verblieb. Dafür entfaltete das auf der CD ebenfalls gute, aber nicht herausragende "The Islander" live hervorragende Qualitäten im Subgenre "Folkballade" - eine Überraschung der positiven Sorte. Dazu trat an neuen Songs noch "Amaranth" (sehr gut!), an älteren noch "Dead To The World" (auch das hätte nicht zwingend in der Setlist bleiben müssen), bevor "Nemo" überraschend früh das Finale einläutete und auch der Zugabenteil mit "Wishmaster" und "Wish I Had An Angel" keine Überlänge mehr aufwies, so daß die Band nicht mal auf eine anderthalbe Stunde Spielzeit kam. Da hätte der Besucher gerade angesichts des Ausfalls von Pain mehr erwartet, und sei es, daß man (wenn Anettes Stimme nicht überbeansprucht hätte werden sollen) "Symphony Of Destruction" oder "High Hopes" wieder reaktiviert hätte, die ja auf der letzten großen Tour in Tarjas Umkleidepausen als Quartett gespielt worden waren. So tröpfelte die unerquickliche Kürze des Sets (von der Bruttospielzeit muß man ja auch noch Intro und Outro, beide nicht eben knapp dimensioniert, die nur durch eine Art wabernde Spacekulisse untermalte Umbaupause für die Akustikbackline von "The Islander" und Anettes ausgiebige Publikumskommunikation abziehen) einen weiteren Schluck Wermut in den Kelch eines nichtsdestotrotz interessanten Auftritts, der allerdings wieder nur einen Übergangsstatus abgebildet haben dürfte, wenngleich der weitere Weg noch nicht eindeutig vorgezeichnet ist.



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