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Cottonbomb, Dolly's Meat   01.12.2007   Chemnitz, Atomino
von rls

Zur "Platten Erschein Feier" ihres Drittlings hatten Cottonbomb geladen - aber bis es soweit war, hatte der Rezensent ein Erlebnis der dritten Art: Die Location "Atomino" mitgeteilt bekommen habend, parkte er in der Promenadenstraße, lief die hundert Meter bis zur Schloßstraße - und stand plötzlich vor einer mit Bauzaun umgrenzten leeren Fläche. Das Atomino, der ganze ehemalige Hauskomplex - weg. In solchen Situationen beginnt man irgendwie an sich zu zweifeln. Ein Anruf bei Miriam Arnold, ihres Zeichens Ehefrau von Whirlwind-Häuptling Tobias, brachte Klarheit: Irgendwann zwischen dem letzten Gig, den der Rezensent im Atomino erlebt hatte (das war im Mai 2006 gewesen), und dem besagten Abend war der Club am alten Standort geschlossen worden (woraufhin dann der ganze ehemalige Hauskomplex der Abrißbirne zum Opfer fiel) und befindet sich nunmehr in einem Seitenflügel des Hauptpostgebäudes im Chemnitzer Zentrum. Statt semimorbidem altem Fabrikcharme gibt es nun also niedliche DDR-Verwaltungsgebäuderomantik, und die neuen Räumlichkeiten sind nicht mehr ganz so verwinkelt wie die früheren. Ob auch die im Vergleich mit den beiden Gigs, die der Rezensent im alten Atomino miterlebt hat, deutlich verbesserten Soundverhältnisse zumindest partiell raumbedingte Ursachen haben, erfordert gelegentlich weitere Proben aufs Exempel.
Daß die verbriefte Anstoßzeit 21 Uhr theoretischen Charakter tragen würde, war abzusehen, der in Zeitnot befindliche Rezensent befand sich sowieso erst kurz vor 22 Uhr am alten Standort, und bis er zum neuen gelangt war, vergingen abermals 20 Minuten - trotzdem kam er noch zehn Minuten vor realem Beginn des Sets von Dolly's Meat an. Diese Truppe machte es dem Unkundigen zunächst doppelt schwer. Einerseits läßt sich der Bandname nicht eindeutig kategorisieren (von der weinerlich-fortschrittsängstlichen Hamburger Schule bis zum wüsten Grindcore mit zerhacktem Schaf auf dem Cover wäre durchaus alles denkbar), zum anderen eröffnete die Band ihren Set mit dem Beatles-Cover "Come Together" in einer Art "Pink Floyd und Opeth spielen Grunge"-Version, versehen mit überwiegend schleichend-entspanntem Beat, bevor der zweite Song "Coco L'orange" knochentrockenen und schnellen (Hard)Rock alter bis sehr alter Schule darstellte. Letztlich fuhren Dolly's Meat eher auf letztgenannter Schiene weiter, ergänzten diese aber mit Rhythmuswechseln, die man sonst aus dem Proglager gewöhnt ist, und diversen anderen Zutaten. Wunderlich war auch das Wachstum der Band. Man eröffnete als Quartett, mitten im ersten Song kam ein fünftes Mitglied auf die Bühne, das die dritte Gitarre übernahm (allerdings nicht in allen Songs mitwirkte), und in einigen Songs wuchs die Band gar zum Sextett, indem man noch einen Mundharmonikaspieler hinzuzog, der sich in keinem Schaubergwerk bücken müßte, akustisch bisweilen allerdings nur breiig oder gar nicht zu vernehmen war, was einer der wenigen Wermutstropfen eines sonst guten Soundbildes darstellte - daß nicht alle Soundwälle, die die drei Gitarren bisweilen aufbauten, detailstrukturiert durchhörbar waren, dürfte kein Soundproblem, sondern Absicht gewesen sein. Der Beat sollte über weite Strecken recht flott bleiben, aber genügend Variationsbreite war stets gewährleistet, und die drei Gitarristen sorgen ebenfalls für genügend einfallsreiche Licks, wobei der dritte nicht selten einen Sound fuhr, der mit dem Effekt eines Fernorchesters im Sinfoniekonzertsaal oder Opernhaus vergleichbar wäre. Dazu trat ein äußerst vielschichtiger Leadgesang des ersten Gitarristen, der nicht mal vor sehr hohen powermetalkompatiblen Passagen haltmachte. So ergab sich ein interessantes und trotz der Abwechslung "rundes" Gesamtbild, das mit keiner Band so richtig vergleichbar ist, weshalb nur ein paar ganz grobe Orientierungspunkte hingeworfen werden sollen: The Who, Lynyrd Skynyrd, Rush, Heaven's Cry (wegen des bisweilen wohl ähnlich strukturierten Einsatzes der drei Gitarren, obwohl ich die Truppe noch nicht live gesehen habe), Led Zeppelin (von denen man sich besonders gitarrenseitig im Setcloser "Captain Z" hat inspirieren lassen) ...
Setlist Dolly's Meat:
Come Together
Coco L'orange
Face The Devil
Let's Celebrate The End Of The World
Patina
Set The Night
Bloodrush
Captain Z

Cottonbomb hatten ihren Set gegenüber dem "5 Jahre Whirlwind Records"-Auftritt sechs Wochen zuvor reihenfolgetechnisch völlig umgekrempelt, aber fast alle damaligen Songs auch ins neue Set integriert und noch ein paar Ergänzungen vorgenommen. Zwei davon waren instrumentaler Natur: Blechblasinstrumente hat man in der Band ja schon immer geliebt, und im Gegensatz zur Tuba, die anno 2005 bisweilen zum Einsatz gekommen war, hatte die von Keyboarder Steffen geblasene Trompete den eindeutigen Vorteil, daß man sie im Gesamtsound auch hören konnte (die Tuba war damals aufgrund von Frequenzüberlagerungen mit dem Baß völlig untergegangen, die Trompete hatte sich von der Klangfarbe her indes nur mit dem Leadgesang zu duellieren); als weiteren instrumentalen Gast beschäftigten Cottonbomb in der letzten Zugabe "1967" dann auch den Mundharmonikaspieler von Dolly's Meat noch einmal, wobei gerade dieser Song durch den ausgedehnten, in bester Siebziger-Manier hin- und herfliegend improvisierten Mittelteil deutlich an Reiz gewann. Überhaupt ließ sich ein Fazit ziehen: Der Set machte an diesem Abend den Eindruck, als sei der episch-ausladende Faktor deutlich erhöht worden (und das trotz der umarrangierten Version von "What Will Remain", der irgendwie der Hymnengehalt des Refrains etwas abhandengekommen ist); inwieweit dieser Eindruck eine Bestätigung im Studiomaterial der dritten Scheibe finden wird, kann zum Zeitpunkt der Niederschrift dieser Rezension noch nicht gesagt werden. Die Eigendefinition des Bandsounds hat sich übrigens von "Bluescore" zu "Alternative Blues Desaster" gewandelt, und dieser Wandel hat durchaus seine musikalische Berechtigung, nachdem die stilistische Ausrichtung der dritten Scheibe ja mit Spannung erwartet werden durfte. Nach dem Liveeindruck zu urteilen steht sie zwischen den ersten beiden Alben, allerdings etwas weiter außerhalb, was beispielsweise den erwähnten Epikfaktor abgeht. "Core" ist nicht mehr so sehr viel im Sound, wenngleich Carstens Baß diesmal wieder richtig schön von unten heraus knarzte und bedarfsweise viel Druck machte (auch Baßsoli sind dank ihrer heutigen Seltenheit immer wieder ein gern gehörtes Liveelement, sofern sie keine 10 Minuten dauern wie bei Manowar :-)). Der Sound blieb in der ersten Sethälfte sehr schön klar, danach begannen Steffens Keyboards mehr und mehr unterzugehen, während Martins Frontmikro diesmal laut genug eingestellt war, um auch die gewohnt abwegigen Ansagen akustisch wahrnehmen zu können. Im etwa 200köpfigen Publikum befand sich ein überraschend hoher Anteil von teilweise recht knusprigen Vertreterinnen des weiblichen Geschlechtes (deren knusprigste bereits vor sechs Wochen beim Whirlwind-Jubiläumsgig als diese Eigenschaft verkörpernd identifiziert werden konnte). Machen Cottonbomb Mädchenmusik? Wer weiß. Jedenfalls fanden sich im rockenden Riffing nicht selten Anklänge an klassisches bluesiges Liedgut (oder dessen Epigonen - da glaubte man doch sogar den "Schwamm-drüber-Blues" eines gewissen Herrn Waalkes rifftechnisch wiederzuerkennen), man coverte gekonnt den "Roadhouse Blues" der Türen, Martin brüllte mittlerweile gar nicht mehr (wenn dieses stimmliche Kontrastprogramm dennoch nötig wurde, überließ er es seinen instrumentalen Mitstreitern, die beinahe allesamt mit einem Mikro ausgestattet waren), Steffen wirbelte sein Keyboard auch dann durch die Lüfte, wenn man es kaum oder gar nicht hörte, und das Publikum machte eine erstaunliche Wandlung durch: Bis fast zum Ende des regulären Sets beschränkte sich seine Aktivität auf lautes Applaudieren zwischen den Songs, während in den letzten Minuten und im Zugabenteil die vordere Hallenhälfte einen sich immer weiter intensivierenden Moshpit bildete - wohl auch deshalb verlängerten Cottonbomb den ursprünglich zweisongig geplanten Zugabenteil noch um einen Song. Und ob nun "Bluescore" oder "Alternative Blues Desaster": Cottonbomb sind und bleiben ein interessanter Farbtupfer in der zur Monochromität neigenden Musikwelt unserer Tage - auf Konserve, aber besonders auch live. Hingehen lohnt sich!

Setlist Cottonbomb (partiell mit Kurztiteln):
Mind
What Will Remain
4 o'clock
Blackman
River
Horse
Metallblues
Someday
Emoblues
Short Story 'bout Women
Keller
Fly
Beauty
Boogie
-----
Roadhouse Blues
Fire
1967



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