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Rock Hard Festival 2011   10.-12.06.2011   Gelsenkirchen, Amphitheater
von Christian

Keine Presse-Freikarte bekommen. Normalerweise gibt's dafür nur 'ne handschriftliche Abschrift der Running Order. Aber wir woll'n mal nich so sein :-)

Freitag, 10. Juni

Mit CONTRADICTION beginnt das Festival mit einem Donnerschlag und einer sympathischen Thrash-Granate. Aber was ist das - wo ist der sonst fürs Rock Hard Festival typische, transparente und angenehme Sound? Es ballert im Bassbereich ohne Ende, ein paar Höhen hört man auch noch, das war's! Die Musiker mühen sich redlich, aber man hört nichts von der Gitarrenarbeit.
PROCESSION sind die Doom-Band des Festes. Es wurde der Festival-Crew im Vorfeld angekündigt, wegen der Diskrepanz zwischen Nachmittagssonne und Musik den Bereich vor der Bühne mit einer großen schwarzen Plane überspannen zu wollen. Eine Plaste-Nacht quasi. Die Rock-Hard-Leute haben sich schon den Kopf zerbrochen, wie das Ding sicher am Bühnendach zu befestigen sei, bis sich vereinfachend herausstellte, daß das ein Scherz war. Die Mugge ist dann auch die erste kleine Überraschung. Lebendiger als auf CD, wo's teilweise etwas eintönig wirkt. Man wird angenehm an Candlemass erinnert, besonders an deren ersten Sänger Johan Langquist. Der gut hörbare Frontgesang erinnert weiterhin - ebenfalls im Gegensatz zur Tonkonserve - mehrmals sehr deutlich an Mike Patton. Leider hört man von den Mitmusikern wegen des ballernden Basses und Sub-Basses immer noch kaum etwas.
Mit POSTMORTEM kommt als schöner Gegensatz wieder die Keule aus dem Sack. Leider hört man von der Musik noch immer nur Mulm. Dafür ist der Frontgesang hervorragend zu hören. Und was Matthias Rütz hier am Mikrofon abliefert, ist unglaublich. Der Mann bestreitet den klanglichen Umständen geschuldet quasi ein Solokonzert am Mikrofon - und kann diese Rolle ausfüllen! Unfassbar, welche Melodik man nahezu ohne Melodien abliefern kann, nur mit verschiedensten Grunzern. Am Ende bleibt trotz Soundmatsches der Eindruck eines herausragenden Death Metal-Konzertes.
Immer noch in der Sonne verbreiten PRIMORDIAL die erste echte Finsternis in Tönen. Sänger Alan Nemtheanga "hochdekoriert" in beeindruckender Körperbemalung - eingeweißt und dann mit Rot und Schwarz von Kopf über Gesicht bis übers weiße Hemd überströmt - erinnert mich in dieser Farbdekoration stark an ein Willi-Sitte-Bild, dessen Namen ich nicht mehr weiß. Jedenfalls an Kunst. Und mit Alans Ausstrahlung und der hypnotischen Musik verbreiten Primordial trotz des unpassenden Sonnenlichtes ihre melancholische und leidenschaftliche Botschaft und reißen die Anwesenden mit. Selbst bei mir, dem die Musik der Band sich nicht erschließt, kommt etwas an, und das will was heißen. Man kann sich dieser geballten Emotion nur schwer entziehen. Obwohl ich geneigt bin, mich von solchen Details wie folgenden ablenken zu lassen: In Verzückung legt Alan Nemtheanga beim Spiel seinem Bassisten den Arm um den Hals und drückt dessen Stirn an seine. Das hat zunächst unbemerkt zur Folge, daß der finster weiterspielende Bassist nun einen großen weißen Schminke-Klecks mitten auf der Stirn hat. Erst etliche Songs später kuckt Alan mal wieder seinen Bassisten an und bemerkt das Problem. Er schafft es aber auf die Schnelle nicht, das Malheur wegzurubbeln. Aber das nur am Rande, hihi. Der Abschlusstrack "Empire Falls" mobilisiert nochmal jede einzelne Faser der zahlreich versammelten Fans und jede halbwegs emotionsbereite Faser der darum herum mit verschränkten Armen Stehenden. So. Sogar ich bin somit überzeugt.
Auf ENSLAVED hatte ich mich so gefreut. Aber - oh Graus - der Sound ist immer noch unterirdisch, und man hört fast nichts von der vielschichtigen Musik. Nur Bass-Geballer. Wir probieren verschiedene Standorte aus - auf den Terrassen neben dem Mischpult, unten mittig vor der Bühne, links, rechts, jedoch erst direkt vor einem Boxenturm und mit zugestopften Ohren kann man die Gitarren herausfiltern. Es ist eine Darbietung von der Art, wo einem die Musikanten einfach sofort sympathisch sind. Und das trägt wohl nicht unerheblich dazu bei, daß Enslaved begeistern, obwohl viel von der virtuosen Mühe sichtbar aber unhörbar bleibt. Umso mehr Respekt vor der entfachten Begeisterung!
Den ersten Abend beschließen TRIPTYKON mit in Musik gegossener, reinster Finsternis. Den Reigen eröffnet "Procreation Of The Wicked" von Celtic Frost von 1985. Und dabei bleibt es nicht. Wie erhofft beschränkt sich Thomas Gabriel Fischer nicht auf die Veröffentlichungen seiner neuen Band, sondern durchpflügt seine stilprägende Musikgeschichte. Sogar 2 Uralt-Songs, die noch nie live gespielt wurden, kommen zum Zuge. Tom entschuldigt sich in aller Form dafür, daß seine ehemalige Band Celtic Frost zweimal absagen musste, nachdem sie aufs Rock Hard Festival eingeladen worden war. Und bedankt sich dafür, trotzdem wieder eingeladen worden zu sein. Die Soundproblematik besteht immer noch, stört aber bei Triptykon nicht so sehr wie bei Enslaved, weil der Bandsound ohnehin eher - naja - pumpend ist. Tom ist tiefschwarzer Blickfang, neben der bildhübschen Bandmitgründerin und Bassistin Vanja Slajh. Die eher zierliche aber große Person haut mit einer beeindruckenden Aggression und Kraft in die tiefen Saiten. Das hat nicht unwesentlichen Anteil am Gesamteindruck. Diese Musik ist laaangsam und hat tödlichen Groove, Finsternis, Tiefe, und Wummms. Das kann keine Band der Welt reproduzieren. Sieben Millimeter Gänsehaut (kannze ne Jacke dran aufhäng').
Wegen der Sperrzeit muss 23 Uhr Schluss sein mit Live-Musik. Wer nicht ins Bett will, geht ins Metal-Party-Zelt, wo äußerst geschmackvolle Musikmixe aus der Konserve aufgelegt werden und gefeiert wird, bisses nich mehr geht. Hicks.

Samstag, 11. Juni

Es wird aus dem Zelt gekrabbelt mit dem festen Vorsatz, diesmal keine Band zu verpassen. Also Kondition planen! DREAMSHADE sind irgendwie anständig aber nicht umwerfend. Die überdeutliche Göteborg-Schule find ich inzwischen zu langweilig, und eine leichte Hardcore-Affinität stört mich auch. Aber vielleicht bin ich zu alt für sowas, und das ist sowieso Geschmackssache. Die ersten Wenigen vor der Bühne finden's gut.
Geswedet wird ein schon größeres Publikum dann von IN SOLITUDE. Die eigentlich großartige Musik, deren Gitarren tatsächlich immer wieder an Mercyful Fate erinnern, zündet nur aus zwei Gründen nicht wie eine Bombe: Die Songs sind doch großenteils etwas zu sperrig, um Headbanger die grad vom Frühstück kommen und die Band nicht kennen rumzukriegen. Zweitens - immer noch der furchtbare Sound. Es grummelt undifferenziert unten rum. Den Gesang kann man isolieren und hören, aber die Gitarrenarbeit geht unter im Basswummern. Wiederum schade.
DISBELIEF verpasse ich leider. Irgendwie ist in meinem Alter doch nicht mehr der Geist der alleinige Herr des Körpers.
Und nun EPICA. Ich kenne die Band bisher nur von Tonkonserve und habe Respekt, aber nicht Begeisterung. Und nun live - das ist der Hammer! Das ist kein Tralala-Nightwish-Abklatsch sondern eine tight und verdammt heavy rockende Prog-Band! Der Sound ist etwas besser, wenngleich die komplette Tonwende erst bei der nächsten Band folgen soll. Aber man bekommt schon einiges mit. Die Heavy-Fraktion der Band mit harten Riffs und Growls überzeugt auch das Disbelief-Publikum, und den Rest kriegt Sängerin Simone Simons mit unglaublichem Charme spielend rum. Wenn man Nightwish mit Tarja und Within Temptation mit Sharon gesehen hat - in diese Schublade werden Epica manchmal gesteckt, obwohl sie da nicht hingehören -, dann denkt man jetzt zwangsläufig: Na huch, so geht's ja auch! Da steht keine Gothic-Kasper-Prinzessin in Accessoire-überladenem Weihnachtsbaumkostüm sondern eine wunderschöne Frau in einem schlichten schwarzen Kleid und ROCKT! Und singt wie eine junge Göttin. Und strahlt ehrliche Natürlichkeit aus. Und ich hör jetzt lieber auf und kehre zur Musik zurück. Auf ganzer Linie überzeugend, und ich bin mir sicher, daß gerade durch die Platzierung an genau dieser Stelle auf dem Rock Hard Festival etliche Vorurteile umgeschmissen wurden und die Band viele Hartmusikfans dazu bringen konnte, sich doch mal mit dem Epica-Schaffenswerk zu befassen. Ausrufezeichen!
Im Gelände passiert etwas. Es macht sich eine spürbare Unruhe breit. Überall auf dem Zeltplatz kommt selbst in die Fraktionen wie auf ein unsichtbares Zeichen hin Bewegung, die bisher regungslos Bierdosen vernichteten. Überall werden flott Sachen zusammengepackt und zum Aufbruch geblasen. Aus allen Richtungen strömen die Gestalten zum Eingang. Eine kribbelnd fühlbare Erwartungshaltung liegt in der Luft und summt und grummelt. Schlagartig ist es vor der Bühne und auf den Rängen voll. Das kann nur eins heißen: Der erste Soundtrack des Tages, der zu Sonnenschein und Bier passt, kommt aus Schweden und heißt BULLET! Und endlich passiert auch etwas oben am Mischpult. Entweder haben die Bullets ihren eigenen Mixer mit, oder der Rock Hard-Tonmann ist mal aus seinem Zelt rausgegangen und hat in anderen Bereichen des Geländes ein Ohr riskiert. Endlich ist der Sound so traumhaft, wie man ihn von diesem Festival kennt. Nicht zu laut, transparent, trotzdem druckvoll. Und mit der schwindenden Sorge, das restliche Fest würde im Basswumms versinken, steigt der Ohrenschmaus und sämtliche restliche Freude. Daß Bullet live eine Macht und ein Riesenspaß sind, muß, glaub ich, nicht mehr erwähnt werden? Auch der Gesang, der in Tonkonserve eher lustig, eher hä?, oder sogar nervig wirken mag, passt live wie der Arsch auf den Eimer. Hier merkt man, wie das eigentlich gemeint ist. Diese hochwertigen Herren bestehen aus nichts anderem als Rock'n'Roll und das ist schön. Wie immer (?) wird das Konzert beschlossen mit dem Umdrehen der beiden Gitarren und des Basses, damit das Publikum auf den Rückseiten der Klampfen die aufgeklebten Worte zum Abschlusssong lesen kann - "Bite", "The" und "Bullet". Eimfrei. (Klammerbemerkung: Die Bullet-Saitenfraktion ist später am Abend im Metal-Party-Zelt anzutreffen, und zwar lattenstramm, voll wie lauter Haubitzen, umringt von einer Schar kleiner Mädels, die ihnen Bier ausgibt. Sch sache dadorzu nüscht. [Für die Maus-Fans: Das war Thüringisch.])
MORGOTH verpasse ich leider wiederum. Der Schwerpunkt des Konzertes der reformierten Band soll auf dem 1991er Klassiker-Album "Cursed" liegen. Ich gehöre zu der verschwindend kleinen Schar, die die Band auf den späteren beiden (ja beiden) Alben besser fand. Also haben sich hier zwei Lager verpasst, die das nicht schlimm finden. Die nach dem Konzert aus dem Gelände entgegenkommenden Headbängers sind auf Nachfrage hin alle glücklich beseelt vom Morgoth-Konzert, dann muss das wohl gut gewesen sein.
Noch immer im hellsten Tageslicht steigt die vorletzte Band des Tages auf die Bühne. Und AMORPHIS sind wie immer. Ein Garant für eine packende Live-Show mit Tonnen von Klassikern im Gepäck. Die Setlist spannt sich über fast alle Alben und zeigt der Meute, wie lange und wie viel diese Band schon wichtige Musik liefert. (Nicht-mehr-ganz-)Neu-Sänger Tomi Joutsen kann ja auch alles singen, von packenden emotionalen clean gesungenen Parts bis zu den finstersten Growls. Vom Durchstarter und Sozusagenwirklichbeginner "Tales From The Thousand Lakes" kommt diesmal nicht "Black Winter Day", sondern herzlich willkommen "The Castaway". Super! Die schöne Bühnendeko ist an das Design des neuen Albums "The Beginning Of Times" angelehnt. Die neuen Songs zünden irgendwie noch nicht so richtig. Das neue Material ist (mit inzwischen Abstand betrachtet) jedoch ein echter Nachbrenner. Gib ihm Zeit und es nimmt Dich mit. Ein Über-Über-Song wie "Sky Is Mine" fehlt dem neuen Album leider, aber Langzeitwirkung wird es haben.
Die Ansage zu ICED EARTH ist bereits bei Entstehung legendär. Götz Kühnemund vom Rock Hard erzählt rückblickend, wie es war, als 2008 Iced Earth auf dem Rock Hard Festival mit dem damals gerade zur Band zurückgekehrten Matt Barlow kurz vor ihrem Auftritt standen. Matt war unsicher, wie oder ob die Fans ihn akzeptieren würden. Immerhin waren die Fußstapfen von Tim Ripper Owens zu füllen, und um die Personalprobleme gab es auch einiges seltsames Hin und Her, was von Fans sehr wohl verfolgt wird. Götz jedenfalls beschreibt die emotionale Anspannung so: "... damals stand Matt vor dem Konzert am Bühnenrand und hatte Tränen in den Augen, mir ging's ähnlich, ich stand daneben und hatte einen Kloß im (!) Magen."
Wer Götz kennt, weiß, daß er jüngst sichtbar abgenommen hat. Aber den Kloß im Magen nimmt man ihm trotzdem ab. Das Konzert war damals jedenfalls furios und alle Begründen unbedenkdet.
Zurück zur Gegenwart. Ich Schreiberling habe Iced Earth zum ersten Mal 1992 im Vorprogramm von Blind Guardian gesehen. Und danach noch etliche Male. Und, ihr geduldigen Leser, die ihr bis hierhin durchgehalten habt (ich bin sowieso der festen und unerschütterlichen Überzeugung, daß bis hierhin niemand außer Chefredakteur Roland liest, also Roland, höre Roland!) (Ja, bitte? - Anm. rls). Rock Hard Festival 2011 ist das beste Iced Earth-Konzert, welches meine grauen Ohren je sehen durften. Matt Barlow nimmt ausdrücklich seinen Abschied, aber man merkt der Band nichts davon an. Früher war eher ernst gemeintes Heavy Metal-Entertainment an der Tagesordnung. Jetzt machen die sogar Faxen miteinander, stellen sich in einer Reihe auf und schaukeln anmutig albern mit den Beinen und sowas. Die haben ganz offensichtlich dermaßen Spaß miteinander, daß man sich fragt - wieso nicht? Wieso auseinandergehen? Naja, geht uns nix an. Matt singt absolut unglaublich. Er meistert spielend alle möglichen höchsten Schreie, als ob er es darauf anlegt, seinen mächtigen Vorgänger und Kurzzeitvertreter live in den Schatten zu stellen. Dieser Eindruck drängt sich auf. Nach meiner Erinnerung hat er früher nicht so viel ganz oben geschrien - aber er macht das absolut unglaublich. Kann man das beim (zwischenzeitlich ausgeübten) Polizeidienst auf Streife im Auto üben? Dabei hat Matt Barlow etwas ganz Spezielles, was kein anderer Sänger ersetzen kann. Über das ganze Spektrum klingt sein Gesang weich und immer ganz schlimm melancholisch. Das ist die Klangfarbe, die alle Iced Earth-Alben mit ihm seit "Burnt Offerings" geprägt hat. Und als Riesen-Super-Überhammer kommt auch noch vom besten Iced Earth-Album aller Zeiten ("Night Of The Stormrider") der überragende und als Vorlage für viele spätere Iced Earth-Musik dienende Wahnsinnssong, kommt tatsächlich, ihr glaubt es kaum, sie spielen es, und Matt und Jon Schaffer bringen es im Wechselgesang, und Matt singt es übergöttisch schön, kommt, bringen sie, spielen sie tatsächlich, ich schmelze die Betonstufen herunter mit diesmal acht Millimetern Gänsehaut (kannze zwei Jacken dran aufhäng'), erklingt "TRAVEL IN STYGIAN". Mein armes Emotionskostüm. Ich heul schon wieder beim Eintippen dieser Buchstaben. (Danke für den Anreiz, diese Scheibe gleich mal wieder in den Player zu werfen. No remorse, it's too late. - Anm. rls)

Sonntag, 12. Juni
Heute Nacht lass ich das Metal-Zelt weg, huiuiui. Bestimmt. Oder naja, mal sehen. Meine Güte, was ist das denn für ein Feuerwerk? Die drei Herren von VANDERBUYST fetzen einem um die Mittagsstund gleich die Löffel vom Stamm! So geht Rock'n'Roll, so und nicht anders. In der Mitte des Sets werden noch zwei dralle Gewaltblondinen als Backgroundsängerinnen auf die Bühne gestellt. Jemand sagt: "Sieht aus wie Vorstadtfriseusen." Aber die beiden haben sichtlich ehrlichen Spaß an der Mugge und gehen voll mit. Und sollte jemand einen beabsichtigten reinen Deko-Effekt unterstellen - das haben Vanderbuyst ja nun wirklich nicht nötig. Die ausgeschlafene und ausgenüchterte Meute wird spielend mitgerissen. Die Band ist einer der Hauptgewinne des Festivals! Die zwei Blondinen kann man später immer noch im Hintergrund am Bühnenrand mitrockend beobachten.
Leider verpasse ich trotz aller guten Vorsätze ENFORCER beim Bierholen.
ATLANTEAN KODEX starten zwar mit ihrem Debüt wie eine Rakete, aber mir bleibt nur zu sagen - gute Musikanten, die Musik ist für Vorhernichtkenner und Live-Einsteiger auf Dauer jedoch ganz schön schwierig, weil zu kompliziert. Die Melodien kann ich irgendwie beim ersten Hör nicht gleich nachvollziehen. Offensichtlich ist der einzige mir bekannte Song "Atlantean Kodex" eine Ausnahme. Ich komm heute da nicht rein.
Von METAL INQUISITOR hatte ich eigentlich nicht sooo viel erwartet. Aber denkste! Kein angestaubter Retro-Kram, sondern einfach purer Heavy Metal, der Spaß macht. Und die Begeisterung springt von der Bühne ins Publikum, von dort zurück, und schaukelt sich in ungeahnte Höhen. Exakt so muss das aussehen, wenn eine Heavy Metal-Band auf ein Heavy Metal-Publikum trifft. Sänger El Rojo ruft abschließend der feiernden Meute die ohnehin nicht zu übersehende Überwältigung der Band zu und meint, daß genau das die Momente sind, an die die Jungs denken werden, wenn sie am Dienstag wieder dem tristen Job nachgehen müssen. Und damit sprechen sie hier wohl allen aus den Herzen. Die Musiker sind übrigens ganz normale echte Metalfans und die übrige Zeit im Publikum VOR der Bühne anzutreffen, die anderen Bands genießend.
ANACRUSIS sind auch kompliziert. Im Gegensatz zu Atlantean Kodex knallt's hier aber mehr. Und es ist schön, daß der Sound endlich hinhaut und den Freitag vergessen macht. Beeindruckend, welch beklemmende und irgendwie spacige Atmosphäre die Band nur mit den richtigen ("Techno"-) Gitarrengriffen und -sounds und ohne Keyboards verbreitet. Der sehr spezielle, komplexe, aber packende, in den richtigen Momenten brutale und groovige Thrash-Speed-Prog-Mix wird vom Publikum zu Recht begeistert abgefeiert. Die 15 Jahre aufgelöste Band ist in beeindruckender Form zurück, braucht sich vor den Tausenden jungen Technikkünstlern nicht im geringsten zu fürchten und zeigt allen, wer's erfunden hat (neben Voivod und Coroner und wenigen weiteren Kollegen). Man summt beim Bierholweg unwillkürlich vor sich hin "Ei päint ä picktschääääär".
Eine besondere Vorfreude erfüllt viele Anwesende seit der relativ späten Verpflichtung von VICIOUS RUMORS fürs Festival-Billing. Seit Carl Alberts Tod wird mit jedem Album angekündigt, daß sich die Band endlich wieder mit neuem und diesmal stabilem und schlagkräftigem Line-Up, mit neuem und großartigem Sänger und einem grandiosen neuen Album zurückmeldet. So auch diesmal wieder. Richtig schlecht war eigentlich keins der auf diese Art veröffentlichten Werke. Ob diesmal die Lorbeeren wirklich welche sind, wird der Test der Zeit zeigen. Korrekt ist, daß die Band, so wie sie jetzt ist, live eine mitreißende Hochform präsentiert. Bandkopf Geoff Thorpe ist sichtlich ermutigt vom Rock Hard-Publikum, welches eine Band, die seit 1979 Heavy Metal-Geschichte geschrieben und mitgeprägt hat, angemessen würdigt. Seine Ansage - die Scorpions hören auf, Judas Priest hören auf, aber wir sind immer noch für euch da - ist keine Anmaßung im Vergleich mit den sehr viel erfolgreicheren Kollegen, sondern ein ehrlicher Herzensausbruch aus der Freude heraus, daß es so viele Leute gibt, die den beispiellos zähen Durchhaltewillen der Band feiern. Sänger Brian Allen kann tatsächlich überzeugen, selbst wenn auch er nicht die einmaligen Schwingungen (heute sagt man wohl vibes) des Carl Albert ersetzen kann. Hoffentlich ist diese Besetzung endlich mal mit Stabilität gesegnet.
Die Mischung des Billings und der Spannungsbogen sind wirklich hervorragend. Eine weitere absolute Institution kommt mit OVERKILL. Quatsch, ich hab Bier im Blut, ich gebs ja zu, und die Gefühle überwältigen mich. WER heißt hier "the big four"! Wasn Scheiß! Hiiier kommt the big ONE! We wanted the best and we got the best! Für mich sind Overkill die perfekte Schnittmenge aus Thrash, Power Metal, Rock'n'Roll, Punk. Das beschreibt's ganz gut. Perfekte Performance wie immer, perfekter Sound, perfekte Querschnitts-Setlist. Natürlich mit "Fuck You", natürlich auch mit "Rotten To The Core". Und im zeitlich streng begrenzten Set ist trotzdem Platz für - ihr erratet es nicht! - "Skullcrusher"!! Möglicherweise ist die Setlist dabei ein klitzekleines bißchen inspiriert vom deutschen Fanclub Skullcrushers, der aus seiner Anwesenheit gar kein Hehl macht. Jedenfalls ist es herrlich, dieses Ding live zu hören. Und es bringt eine wieder ganz andere Farbe in den Set. Doomiger geht's ja nimmer. Overkill sind ein echter Festivalfastabschlussknallerhöhepunkt.
In den Umbaupausen der Bands läuft seit drei Tagen wie immer auf der Biergartenbühne der Karaokewettbewerb. Die Vollprofiband ROKKEN spielt alle möglichen Metal-Klassiker, und jeder, der Lust hat (und sich anmeldet), kann eins singen. Es geht um Spaß, und entsprechend reicht das Spektrum auch von womöglichen Profis (tolle Version von Manowars "Hail And Kill" zum Beispiel) bis hin zu Menschen, denen man nicht mehr zutraut, ihre Bierflasche festhalten zu können und die sich auch nicht gekämmt haben. Wie immer dürfen die Besten auf die Hauptbühne. Rokken-Sängerin Stephanie Crutchfield macht eine interessante Ansage: "Wie immer dürfen die zwei Besten auf die Hauptbühne!" (Nach meiner trüben Erinnerung war's im Vorjahr nur einer, davor drei. Aber das ist vielleicht ein rein mathematisches Verständnisproblem.) Die beiden Gewinner jedenfalls: Nummer eins ist Mara Albracht, die einige ihrer Qualitäten bereits als Fotomodell und Rock Hard-Cover-Zierde sowie CD-Covermotivgirl der CD "Die dicksten Dinger des Jahres" (nick nick, say no more!) öffentlich machte. Iced Earths "Watching Over Me" singt sie zusammen mit einer Freundin. Rein gesanglich ist das jetzt nicht so umwerfend wie manch anderes Karaokegehörtes (siehe Manowar), aber auf alle Fälle sympathisch wegen der ehrlichen dicken fetten Freude und auch schön anzusehen. Nummer zwei ist Paul. Paul singt Iron Maidens "Fear Of The Dark", und Paul ist echter Fan. Paul hat alle Bewegungen, Gesten, Animatizasionen von Bruce Dickinson auswendig gelernt. Götz Kühnemund vom Rock Hard fragt Paul: "Du bist Iron Maiden-Fan. Seit wann?" "Schon immer!" "Und wie lange ist das?" "Zwölf Jahre."
Ja, liebe Leser. Paul ist zwölf Jahre alt. Und supportet DOWN wirklich würdig und mit überschäumendem Publikum. Herrlich!
Und dann kommt der Sonntags-Headliner. Phil Anselmo stakst auf die Bühne - meine Güte, das ist ein Riese - in Shorts und mit rasiertem Schädel. Und entschuldigt sich gleich zu Beginn für kaputte Stimme, aber die Band wollte das Konzert auf keinen Fall absagen. Vier Jahre hatte man beim Rock Hard bereits versucht, Down zu bekommen. Phil ersetzt zwangsläufig viele melodische Gesangsparts mit Gebrüll, was den Gesamteindruck zusammen mit seiner Optik und Gestik Richtung Hardcore drängt. Insbesondere das unflätige Herumgekloppe mit dem Mikrofon dürfte so fünf bis acht Tonleuten den kompletten Rest ihrer Nerven geraubt haben, wenn nicht gar Schäden an der Technik gemacht. Aber trotz zunächst eher innerlicher Ablehnung des Ganzen braucht es nur Song um Song der Kapelle, um selbst den widerporstigen Rezensenten in den Sack zu stecken. Supergroup tralala. Völlig egal. Phil Anselmo ist tatsächlich ein völlig einzigartiger Frontmann. Und inmitten der großartigen Band ist mindestens Kirk Windstein, dem von Phil öfters mal die Glatze gekrault wird und der ja hauptamtlich selber Frontmann ist, ein Riesen-Sympathiepluspunkt. Phil labert zwar unendlich viel. Aber keinen Scheiß. Auch Dimebag wird gedacht. Und letztendlich wirklich und wahrhaftig überzeugend ist die Mugge, die Energie, die Spielfreude und der sichtbare Spaß, den diese zusammengewürfelte Truppe miteinander hat. Völlig subjektiv betrachtet kommt das Ganze nicht an die Darbietungen von Iced Earth, Overkill, Vanderbuyst und Triptykon heran, aber glücklicherweise dürfen Rezensenten ja auch subjektiv sein.

Und drumherum? Der Chinanudelstand war deutlich schlechter als der, der sonst hier stand. Der Pizzastand auch. Wo ist Pizza Mario?? Erstmalig gab es Regen, da besteht noch Nachbesserungsbedarf. Hat ja sonst schließlich auch geklappt. Sonst alles schön wie immer. Danke an das Rock Hard-Team!



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