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HAARUS LONGUS SATANAS? - Teil 6: NEVERENDING LOVE ...
von rls

Und nun wieder auf ins Getümmel! Ich bin wieder über ein paar Schmankerl gestolpert, die den Geist der "Rockmusik = Satanismus"-Bewegung in Buchform unters Volk tragen. Fangen wir gleich mit Ulrich Bäumer an, der außer seinem "Klassiker" "Wir wollen nur deine Seele" noch ein weiteres Buch geschrieben hat, das immerhin ein Stückchen besser ist: "Rock - Musikrevolution des 20. Jahrhunderts. Eine kritische Analyse" heißt es und erschien 1988 beim Christliche Literaturverbreitung e.V. in Bielefeld. Was Bäumer mit diesem Buch bezweckt, steht in notdürftig verschlüsselter Form schon im Vorwort auf S. 8: "Stattdessen wurde versucht, den ausufernden Strom an Daten, Fakten und Ereignissen zu bändigen und weitgehend nur das zu bieten, was zum Verständnis der wichtigsten Dinge und Zusammenhänge erforderlich schien. Hier gilt das Motto: Weniges verstehen ist besser als vieles wissen." Mit anderen Worten: Bäumer will eine schwarzweiß gefärbte Halbbildung beim Leser erzeugen (diese ist, das wußte schon Lenin, bekanntermaßen die gefährlichste Form der Bildung). Daß niemand mehr alles über die Rockszene wissen kann, bestreitet ja keiner (das war 1988 auch schon so und ist heute erst recht der Fall), aber daraus die Bäumersche Schlußfolgerung zu ziehen, ist schon ein starkes Stück und verhilft dem Buch nicht gerade zum Prädikat "Zwecks Meinungsbildung wertvoll", das es laut Bäumer aber anstrebt. Der nächste Hammer steht gleich auf S. 9: "Sorgfältiges, gewissenhaftes Arbeiten, Sachlichkeit und faire Argumentation waren beim Schreiben dieses Buches besonderes Gebot." Das trifft allenfalls im Vergleich mit "Wir wollen nur deine Seele" zu, das alle diese Eigenschaften in noch weit geringerem Maße aufwies als "Rock ...", aber spätestens der Unterton in Kapitel 1 macht die "faire Argumentation" zunichte. Besagtes Kapitel beleuchtet die Anfangsjahre des Rock'n'Roll und stellt eine halbwegs brauchbare Sammlung all der Vorurteile dar, die man damals der neuen Musik entgegenbrachte - dummerweise mit besagtem Unterton, der assoziiert, daß der Autor mit den Vorurteilen (von denen viele noch heute lebendig sind) sympathisiert, obwohl er das natürlich nicht wörtlich so hinschreibt.
Kapitel 2 ist eine fünfseitige Kürzestabhandlung über Bob Dylan und die Folk-Protestlerbewegung Anfang der 60er Jahre und paßt soweit auch ins Konzept des Buches, die Geschichte der Rockmusik zumindest bis zur totalen Auffächerung in den 70ern chronologisch abzuhandeln - aber dann stellt sich heraus, daß drei dieser fünf Seiten sich mit Dylans christlich geprägter Phase Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre befassen, was uns zur Erkenntnis verhilft, daß es dem Autor mit seinem auch im Vorwort postulierten Konzept doch nicht so wichtig ist, sondern daß er es nur nicht schafft, seine religiöse Herangehensweise (woran ja prinzipiell nix zu mäkeln ist, aber an der Bäumerschen Ausprägung dieser Herangehensweise dann schon) komplett zu verbergen. In Kapitel 3 geht's um die wohl größten Rockbands der 60er Jahre, die Beatles und die Stones. Mit neuen Erkenntnissen kann Bäumer hier nicht aufwarten (auch nicht mit solchen, die 1988 neu waren), also konzentriert er sich lieber auf die Auswüchse und Exzesse im Umfeld der beiden Bands, die nicht im BILD-, aber zumindest im Morgenpost-Stil ausgeschlachtet werden. Ungefähr im selben Stil ist das letzte angeblich chronologische Kapitel gehalten, in dem die Flower Power-Bewegung, Jimi Hendrix, Janis Joplin, Woodstock und Altamont die tragenden Säulen sind.
"Verschiedene Strömungen und Tendenzen im Bereich des Rock in kritischen Einzeldarstellungen" werden uns für die Kapitel 5-12 versprochen. Mal sehen, was es damit auf sich hat. Kapitel 5 ist "Rock in der Krise?" überschrieben und stellt die Frage, welchen Sinn der Rock in den 70er Jahren noch hatte. Schon die Feststellung auf S. 39, "fortan sollte sich keine herrschende Richtung mehr in der Rockmusik abzeichnen", ist ungenau. Im musikalischen Sinne mag das ja stimmen (im Vergleich mit dem heutigen Subgenredschungel war's in den 70ern zwar noch schön übersichtlich, aber die große Auffächerung nahm in den 70ern ihren Anfang, da irrt Bäumer nicht), aber die Grundhaltung des Extremeauslotens blieb bis heute weitgehend erhalten (wobei immer wieder viele auf bestimmten Levels stehenbleiben). Und der Feststellung von Bill Graham, Rock habe "... aufgehört, Heranwachsenden Weltanschauung und Lebenshilfe zu vermitteln. Er ist nur noch Entertainment" (S. 39), muß ebenfalls widersprochen werden. Das trifft allenfalls für die großen Bands (mit denen Graham ja tagaus, tagein arbeitete) zu, deren Auftreten (egal ob beim Gig oder sonstwo in der Öffentlichkeit) wirklich nur noch Entertainment war (wobei selbst dieses mitunter noch für die ersten beiden Punkte verantwortlich zeichnen kann), aber im Underground sah und sieht das ganz anders aus (okay, den gab's in den Siebzigern noch nicht in dem Maße). Vor diesem gedanklichen Hintergrund kommen dann auch einseitige Interpretationen wie die von Alice Coopers Horror-Bühnenshow (S. 42) (hinter der streckenweise auch Sozialkritik steckte) zustande. Auf S. 44 ff. prangert Bäumer die Marketingstrategien in der Rockszene an. Schön und gut, da ist viel Müll dabei, aber man muß sich mal vor Augen führen, was eine Majorplattenfirma heutzutage darstellt: ein nach betriebswirtschaftlichen Richtlinien arbeitendes Unternehmen, nichts anderes. Von daher ist erstens aus dieser Ecke nichts an Kampagnen zu erwarten, die sich im wesentlichen von Joghurt oder Lebensversicherungen unterscheiden, und zweitens können die Musiker dafür in der Regel nix.
"Die Rockszene - eine Drogenszene?" steht über Kapitel 6. Die genannten Beispiele gipfeln in folgendem Satz: "Fleetwood Mac, die zu den Spitzenverdienern im Rock gehören, konsumierten um 1980 pro Tournee für 35 000 Mark Heroin" (S. 49, übrigens ohne Quellenangabe). Hört sich nach mächtig viel an, nicht wahr? Nehmen wir das Ganze mal auseinander und dividieren diese Summe zunächst mal durch fünf Bandmitglieder (ich glaube, die waren damals sogar noch mehr, aber lassen wir's mal bei fünf, wobei wir Roadies und sonstiges Begleitpersonal auch noch außen vor lassen). Bleiben 7000 Mark für jeden. Angenommen, eine Tournee dauert ein halbes Jahr (für eine Welttour eher zuwenig als zuviel angesetzt), also 180 Tage, kommt man pro Tag auf nicht einmal 40 Mark, und dafür bekommt man nicht allzuviel Heroin (wenn's qualitativ halbwegs was taugen soll). So weit her kann's mit der Sucht also nicht sein (daß Fleetwood Mac trotzdem permanent high waren, lag an der Kombination mit Alkohol und vielleicht noch dem einen oder anderen weiteren Rauschmittelchen). Ansonsten fällt in dem Kapitel auf, daß fast alle angeführten Beispiele aus den 70er Jahren stammen. Mal abgesehen vielleicht vom Haschisch pendelte sich der Gebrauch illegaler Drogen in der Rockszene allerdings schon in den 80er Jahren auf einem Level ein, das sich von dem der übrigen vergleichbaren Bevölkerung kaum unterscheidet, das Konsumlevel der neuzeitlichen Technoszene (bedingt durch die synthetischen Drogen) gar weit unterschreitet.
Kurz abhandeln können wir Kapitel 7, wo's laut Überschrift um "Rockmusik und Sexualität" gehen soll. Die Hälfte der Seiten wird indes von einer Betrachtung des Verhältnisses der christlichen Lehre zur Sexualität gefüllt, die in jedes erzkatholische Aufklärungsbuch passen würde, mit Rockmusik aber nichts zu tun hat. Der Rest beschränkt sich auf eine Aufzählung sattsam bekannter sexueller Ausschweifungen in der Rockszene (jaja, das bekannte Statement von Gene Simmons, in dem er sich mit seinem bisher vierstelligen Frauenverbrauch brüstet, fehlt auch nicht).
Brauchbarer ist da schon Kapitel 8, "Im Disco-Fieber" überschrieben. Amanda Lear sammelt auf S. 69 Sympathiepunkte bei mir, indem sie feststellt: "Disco ist die niedrigste Musikform, aber der schnellste Weg zum Ruhm." (Man muß der Gerechtigkeit halber zwar anmerken, daß erstens die Endsiebziger- und Achtziger-Discomucke im Vergleich mit dem heutigen Dancefloor-Material noch geradezu beethovenesk wirkt und es zweitens auch heute gar nicht so einfach ist, sich einen eingängigen Tanztempelhit zusammenzuklauen bzw. ein Klasseoriginal tanzflächentauglich zu entseelen [Gruß an Oli P. - Gröni sollte Dir für die künstlerische Verhunzung von "Flugzeuge im Bauch" mal ordentlich in den Hintern treten, aber das wird er wegen der willkommenen Einnahmequelle ja wohl kaum tun], aber die das ökonomische Prinzip verletzende Methode, mit minimalem Aufwand maximale Erfolge zu erzielen, klappt im Sektor Discomucke wirklich am besten.) Ansonsten hat Bäumer hier einige Phänomene rund um die Disco-Bewegung (die ja selbst auch ein Phänomen darstellt) gesammelt und diese über weite Strecken vernünftig betrachtet. Die eine oder andere Fallgrube hat er aber auch hier nicht umrunden können. So ist sein Analyseversuch, warum so viele Jugendliche auf der Heimfahrt von der Disco schwer verunglücken, völlig sinnlos, da der Aspekt Alkohol nicht mal am Rande erwähnt wird ...
Gleich zu Beginn von Kapitel 9, "Berauscht durch Schallwellen" betitelt, läßt Bäumer einen Experten scheitern, indem er Prof. Gerhart Harrer zweimal zitiert, und zwar so, daß sich ein Widerspruch ergibt. Zu den physiologischen Wirkungen des Musikhörens heißt es zum einen: "Außerdem lassen sich die Ergebnisse - bei Einhaltung entsprechender Zeiträume zwischen den Untersuchungen - mit zum Teil fotographischer Treue immer wieder reproduzieren." Ein paar Zeilen später steht das Gegenteil: "Außerdem fand Professor Harrer ... heraus, daß die aktuelle Einstellung des Zuhörers zur Musik von entscheidender Bedeutung für die Wirkung der dargebotenen Musikstücke ist." Ich persönlich tendiere zur zweiten Alternative ... Übrigens ist Wagners Musik höchst gefährlich: An einer besonders emotionsgeladenen Stelle von "Tristan" seien schon drei Dirigenten zusammengebrochen (S. 77), stellt Bäumer fest. Warum nicht gleich verbieten? Spaß beiseite. Der Vergleich eines Rockgigs mit einem Schamanenritual klingt zwar auch erst lustig (obwohl Bäumer nur die seiner Meinung nach vorhandenen Parallelen aufzählt, ohne wilde Spekulationen anzuhängen), ist aber genauso sinnvoll wie der Vergleich des Gigs mit Goebbels' Parteitagsreden (vgl. dazu "Haarus Longus Satanas? Teil 4"). Unter den psychosomatischen Lärmschädigungen auf S. 81 f. ist auch das High-Werden durch Lärm aufgeführt - das ist mir merkwürdigerweise noch nie passiert, obwohl ich mittlerweile schon dreimal bei Manowar-Gigs war (jaja, auch bei dem, wo der Lautstärkerekord fürs Guinness-Buch der Rekorde markiert wurde). Und das Phänomen der Lärmschwerhörigkeit (S. 82 ff.) ist auch nicht unbekannt - deswegen tragen viele Musiker und Konzertbesucher ja einen Gehörschutz.
Richtig interessant wird's in Kapitel 10, denn da geht's um "Rock auf Teufel komm raus" (jetzt weiß ich auch, wo Bob & Gretchen Passantino den Titel ihres 1992er Spätwerkes zum Thema geklaut haben), und das Kapitel wimmelt erwartungsgemäß von Ungereimtheiten. Hardrock bzw. Heavy Metal über Überlautstärke zu definieren, wie dies auf S. 91 geschieht, heißt, daß in jeder Disco heutzutage nur Metal gespielt wird. Da ist dann wohl auch Musik von Black Sabbath dabei, denn deren "... Erfolge lösten für kurze Zeit einen schwarzen Rock-Boom aus, in dessen Sog sich Bands wie 'Black Widow' ... vergeblich zu profilieren versuchten." (S. 92) Also, als "schwarzen Rock-Boom" kann man die paar Bands Anfang/Mitte der 70er wirklich nicht bezeichnen, und Black Widow waren keinesfalls Epigonen von Black Sabbath, sondern eine Art Parallelentwicklung (die sich 1972 allerdings wieder auflöste, hauptsächlich übrigens wegen Erfolgsmangel, da die Alben Nr. 2 und 3 nur noch unter ferner liefen rangierten). Großer Schritt in die 80er Jahre (S. 93): "Mehr als bedenklich war es aber nun, als sich ein nicht unerheblicher Teil dieser Bands in enger Anlehnung an die frühen 'Black Sabbath' mit einer Aura des Bösen zu umgeben begann." Erstens muß hier Bernhard Wenischs Terminus "Protestsatanismus" zum Tragen kommen, und zweitens besaßen Black Sabbath gerade in den 80ern nicht den Vorbildcharakter, den sie musikalisch in den 90ern haben sollten. In dem Stil geht's weiter: Auf S. 94 setzt Bäumer Mercyful Fate und Venom aussagetechnisch gleich, obwohl beide Acts völlig unterschiedliche Konzepte verfolgten. Einen Artikel über "Deathrock", zu finden auf S. 95 f., übernahm Bäumer aus dem "Stern", dessen Schreiberlinge sich noch nie durch metallisches Fachwissen auszeichneten - folgerichtig ist dieser Artikel noch bedeutend hanebüchener und fehlerdurchsetzter als Bäumers restliche Produktion. Die 08/15-Darstellung des Satanismus (S. 97 ff., ganze zwei Seiten für dieses hochkomplexe Thema!) ist aber auch nicht wesentlich besser, und die Erklärungsversuche auf S. 101 ff., warum gerade Heavy Metal so satanisch sei, sind an Konfusion fast nicht zu überbieten. Daß die Hypothese, harte Musik habe kathartischen Charakter, widerlegt sei, wie Bäumer auf S. 104 behauptet, stimmt schlicht und einfach auch nicht - Roccor kommt z.B. in beiden ihrer Bücher (siehe Rezis hier und hier) nicht zu diesem Ergebnis, sondern bestärkt besagte Wirkung sogar noch. Die gut gemeinte und mit einer Ausnahme auch gut umgesetzte Abhandlung über die Identifizierung von Jugendlichen mit Idolen schließt dieses Kapitel ab. Dummerweise zieht die Ausnahme die gesamte Argumentation ins Lächerliche: Air-Guitar-Spielen sei schädlich (S. 105) ...
Das nächste Kapitel entfernt sich inhaltlich wie qualitativ nicht wesentlich vom eben behandelten. Jetzt wandeln wir "Auf den Spuren des Unheimlichen", und das sollten wir, wenn uns dieses Areal interessiert, besser mit entsprechender Spezialliteratur tun, denn das, was Bäumer hier rüberbringt, ist zwar teilweise nicht falsch, führt aber nicht mal zu Halb-, sondern allenfalls zu Viertelbildung. Diverser Unsinn findet sich indes auch hier: Die "Beweise", daß der Erfolg von Led Zeppelin nur aufgrund Jimmy Pages Interesse am Okkulten zustande kommen konnte (S. 110ff.), stammen aus der "Physical Graffitti"- und "Presence"-Zeit (als die Band schon ein paar Millionen Platten verkauft hatte). Mitunter ist einfach Pech im Spiel: "Blackmore machte mit seiner Gruppe 'Rainbow' Plattenaufnahmen in einem Schloß, in dem ein Dämon spuken soll, der sich als Diener des 4000 Jahre alten Gottes Baal ausgibt." Dumm nur, daß es diesen in dieser Form nicht gab, sondern daß es sich um eine semitische Sammelbezeichnung für Naturgeister handelt, die die aus Ägypten eingewanderten Israeliten von den Kanaanitern übernahmen (wer sich dafür interessiert, der suche in einer Bibliothek oder in Opas Bücherschrank nach der "Kulturgeschichte Israels" von Alfred Bertholet - zwar schon von 1919 und hier und da demnach überholt, aber im großen und ganzen immer noch richtig -, wo sich auch die Entstehung der Termini bzw. Figuren Satan, Luzifer, Beelzebub und einigen anderen nachlesen läßt).
Noch einmal steigert sich die Irreführung, und zwar am Beginn von Kapitel 12, welches "Manipuliert durch geheime Botschaften?" heißt. Auf der ELO-Platte "Face The Music" ist nämlich wirklich ein (technisches) Backward Masking enthalten, Queens "Another One Bites The Dust", Black Oak Arkansas' "When Electricity Came To Arkansas" und Led Zeppelins "Stairway To Heaven" sind indes BM-freie Zone. Auf den folgenden Seiten werden wir indes Zeuge einer erstaunlichen Sinneswandlung von Bäumer, der in "Wir wollen nur deine Seele" eifriger BM-Prophet war, jetzt und hier aber eine weitenteils richtige, nachvollziehbare und auch wissenschaftlich recht saubere Darstellung der Unwirksamkeit von Backward Masking abliefert und dabei mit Buschmann und Rockwell abrechnet. Eine klassische Wandlung eines Saulus also, der aufgrund seiner sonstigen Ungenauigkeiten allerdings beim Raulus stehenbleibt und es nicht bis zum Paulus schafft. So passen die letzten Abschnitte, die sich mit dem Verhältnis eines Christen zum Satan befassen, inhaltlich gar nicht in dieses Kapitel.
"Orientierungshilfen zur Beurteilung von Rockmusik" werden uns in Kapitel 13 versprochen. Hier führt sich Bäumer selbst ad absurdum, indem er schreibt, es sei "... ein Unding und fern jeder sachlich sauberer Argumentation, wenn man - wie das leider immer wieder geschehen ist - eine Handvoll Bands als 'weltanschauliche Visitenkarte' aller Rockmusiker herbeizitieren und deren zweifelhafte Lebensstile und Songtexte als die Botschaft der Rockmusik hinstellen will." Genau davon hat sich Bäumer aber auch in diesem Buch nicht befreien können, obwohl die Erkenntnis allein schon löblich ist. Auch in den einzelnen Entscheidungsfeldern, die er anführt, globalisiert er nicht selten Erfahrungen, Meinungen und Erkenntnisse, die jedes Individuum selbst generieren muß, und scheitert im ersten (und damit für ihn wohl wichtigsten) Entscheidungsfeld, den transportierten Inhalten, daran, selbige ausschließlich in den Texten zu suchen. Ansonsten aber kann man sowohl dieses Kapitel als auch das letzte namens "Auf der Suche nach Alternativen" positiv bewerten. Im letzteren stellt Bäumer fest, daß es beurteilungstechnisch keine Patentlösungen gäbe, und handelt die moderne christliche Musik lesbar ab (hier und da stolpert er allerdings auch jetzt noch - warum darf christliche Musik eigentlich nicht ekstatisch sein [S. 196]?). Klasse ist die Schlußerkenntnis: "Da wir hier viel von der Verantwortung eines Christen zum 'Prüfen' gelesen haben und wissen, daß Buchautoren nicht vollkommen sind, sollten wir auch dieses Buch davon nicht ausnehmen: 'Prüft aber alles, das Gute haltet fest!' (1. Thess. 5, 21)". Genau das hoffe ich hiermit getan zu haben. Viel Gutes zum Festhalten blieb zwar nicht, aber wenigstens etwas ...

Zur Abwechslung jetzt mal was Fundierteres: Das Ehepaar Monika und Michael Höhn (er Pfarrer, was war sie gleich noch?) blickt bereits auf eine ganze Reihe von Buchveröffentlichungen zu verschiedenen Themenkreisen zurück. 1989 gesellte sich "Kontakte ins Jenseits? Über die Faszination des Okkulten" dazu, verlegt im Weltkreis Pahl-Rugenstein zu Köln. Außer den Connections des Bösen zur Musik gibt es noch Abhandlungen zu einer Reihe anderer Themen. Im "Fallbeispiele" überschriebenen ersten Teil des Buches etwa nehmen sich die Höhns eine Reihe okkulter Spielereien vor (also Gläserrücken, das Pendel usw.), illustrieren diese zuerst beispielhaft und nehmen sie dann auf nachvollziehbare, wissenschaftlich angehauchte Weise auseinander (jedenfalls entstand letztgenannter Eindruck bei der Lektüre in mir - ich will diesen Teil nicht auf Unrichtigkeiten abklopfen, da mir das nötige Hintergrundwissen größtenteils fehlt). Zumindest ab und an stolpern aber auch die Höhns über einen Fallstrick. Exempel gefällig? S. 57: "Auffällig ist, daß Satanismus nur in Kulturen auftaucht, die christlich geprägt sind; in anderen Religionen ist Satanismus nicht bekannt. Wahrscheinlich handelt es sich bei dieser 'Spielart' der Religion um eine Verdrehung aller christlich geprägten Werte: Nächstenliebe wird zum Nächstenhaß." Da spricht dann doch der Pfarrer durch den Text. Mein Kommentar: Erstens kann es in all den Religionen keinen Satanismus geben, die in ihrer Götterwelt keine dem semitischen Satan entsprechende Figur haben. Zweitens ist die Frage, ob eine Figur dem semitischen Satan entspricht oder nicht (bzw. inwieweit sie das tut), in vielen Fällen nicht eindeutig zu klären. (So fanden z.B. die ersten christlichen Missionare, die in Südamerika landeten, unter den Eingeborenen ein weit verbreitetes Religions- und Mythensystem, das dem der vier Evangelienschreiber frappierend ähnelte und in dem ein gewisser Jurupari genau den Platz von Jesus einnahm - sie übersetzten den Namen des höchsten Wesens Tupan einfach mit Gott, machten aus Jurupari indes unerklärlicherweise eine teuflische Figur.) Drittens ist es keinesfalls undenkbar, daß ein Volk eine Gottheit anbetet, die im Göttersystem eines anderen Volkes eine teuflische Rolle spielt (womit quasi eine Art Satanismus zustandekommt). Viertens schließlich muß man auch die gesellschaftliche Situation im Auge behalten. Ein Versuch, z.B. im Iran einen "Scheitanismus" einzuführen und öffentlich darüber zu sprechen, dürfte keine positiven gesundheitlichen Folgen haben. Hier und da verfallen die Autoren auch in alte Banol-Tugenden, indem sie wilde, quellentechnisch unbelegte Thesen in den Raum stellen. Auch hier ein Beispiel, diesmal von S. 59: "'Black Sabbath' unterhielt als eine der ersten Heavy-Metal-Bands Kontakt zu der ... First Church Of Satan." Das ist mir ganz neu.
Apropos Banol: Der bekommt auf S. 65 f. sein verdientes Fett weg, indem er als Paradebeispiel für den sogenannten "Wahnsatanismus" (also die Einstellung, hinter jedem der eigenen Person nicht ins Konzept passenden bzw. unverständlichen Phänomen müsse der Satan stecken) herangezogen wird. Textauszug: "Derartige Bücher tragen in erheblicher Weise dazu bei, Leser durch aufgebauschte Fehlinformationen zum Thema Satanismus zu verunsichern." Schön ausgedrückt!
Langsam nähern wir uns dem für unsere Zwecke interessantesten Teil des Buches. Doch zuvor gibt's noch ein Kapitel namens "Hakenkreuz und Runenzauber - Anmerkungen zu den Beziehungen zwischen Okkultismus und Faschismus". Prinzipiell ist das kein schlechtes Kapitel (auch wenn ich dieses Thema für in diesem Rahmen nicht ganz ausreichend abhandelbar halte, aber wer sich näher dafür interessiert, wird eh zu Spezialliteratur greifen), aber Runen sind von ihrer Grundidee her keine okkulten Zeichen (obwohl man sie sicher u.a. auch zu diesem Zweck gebrauchen kann, was auch, nicht nur im Dritten Reich, geschehen ist, aber das geht mit stinknormalen lateinischen Buchstaben oder chinesischen Schriftzeichen ebensogut). Und damit gehen wir zu "Spielt der Teufel E-Gitarre? Über die Einflüsse des Satanismus in der Musik" über. Das Kapitel beginnt mit einem längeren Lawhead-Zitat, den ich in "Haarus ... Teil 4" schon gelobt habe. Dann geht's weiter mit den O-Tönen: Auch der Artikel aus dem Materialdienst der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen vom 1.12.1986 (wo übrigens auch der von Groh gestanden haben müßte - vgl. "Haarus ... Teil 3") urteilt einigermaßen abwägend und gerecht, wenn man mal die eingeflochtenen Zitate aus der Feder meines ganz speziellen "Freundes" Siegfried Schmidt-Joos (entnommen sowohl dem "Rock-Lexikon" als auch "Rock Session 1" ignoriert. Weiter geht's mit einem Beitrag von Marcus von Harlessem, der aus der Sicht eines Heavy Metal-Fans argumentiert und sich nicht zu wilden Schimpftiraden gegen die bösen Banols dieser Welt hinreißen läßt, sondern den Hirngespinsten Fakten entgegensetzt, die bis auf Marginalien auch der Wahrheit entsprechen (Hauptmarginalie: Voi Vod sind mitnichten Gewalt- und Satanismusprediger, sondern vielmehr Endzeitphilosophen). Der letzte Teil des Kapitels, ein dem Metal Hammer 1/88 entnommener Kommentar zum Thema Heavy Metal und Faschismus, paßt nicht so richtig ins Sujet desselben, ist aber prinzipiell auch nicht verkehrt, wenn man mal davon absieht, daß die angeprangerten Carnivore mit den durch einen Song namens "Jesus Hitler" gezogenen Parallelen gar nicht so unrecht haben, denn in puncto Radikalität standen sich beide in nichts nach (wohl aber in der Wahl der Mittel - dies nur, um einen empörten Aufschrei zu vermeiden, aber über das Thema müßte ich ein ganzes Buch schreiben, und selbst dann würden mich viele nicht verstehen). Die eigene Meinung der Höhns über die Schwärzung der Rockmusik kommt nur sehr selten zum Tragen, aber alleine schon die Zusammenstellung der Statements verdeutlicht, daß wir es hier nicht mit Banolinskis zu tun haben.
Da der Rest des Buches in musikalischer Hinsicht unergiebig ist, sei er nur kurz abgehandelt. Im "Forum der Betroffenen" gibt's O-Töne Jugendlicher, einen Kurzbericht über die kommerzielle Ausschlachtung des Esoterik-Trends, Einzelstatements von Sekten- und Weltanschauungsbeauftragten (Spektrum von hanebüchen bis wirklich wissend), Lehrern, Pfarrern, Politikern und diversen Fachleuten. Das Ganze ist recht sachlich-informativ gehalten. Für unseren Zweck interessant ist davon nur noch die Aussage zweier Friseusenlehrlinge (16 bzw. 17), die Heavy Metal hören und in ihrem Freundeskreis Leute haben, die den Protest- oder Pseudosatanismus im Metal wirklich ernst nehmen. Es klingt durch, daß die beiden unter einem leichten Gruppendruck stehen, aber das eigene Denken nicht ausgeschaltet haben. Weniger schön ist, daß es besagte Ernstnehmer überhaupt gibt (die sind auch heute noch nicht ausgestorben), aber hätten sie nicht den Metal, um extrem sein zu können, würden sie dies auf andere Art und Weise sein (nur so viel zum Argument, das wären ohne Metal ganz normale Jugendliche geworden ...). Als Einstieg in eine Reihe interessanter Themen sowie als kleines Handbuch zur Entlarvung pseudookkulter Tricks ist das Buch der Höhns (unter Beachtung der Fallstricke) geeignet, und mehr will es wohl auch nicht sein.

Eigentlich sollte jetzt noch die Abhandlung eines dritten Buches folgen: "Die unhörbare Suggestion. Forschungsergebnisse zur Beeinflussung des Menschen durch Rockmusik und subliminale Kassetten" aus der Feder von Heinz Buddemeier und Jürgen Strube, erschienen 1989 im Stuttgarter Verlag Urachhaus. Beim Lesen des Vorworts stellte ich allerdings fest, daß es sich hier um eine Abhandlung aus anthroposophischer Sicht handelt. Nun bin ich anthroposophisch zwar nicht gänzlich unwissend, aber alles andere als ein Experte bezüglich der Lehre Rudolf Steiners, und da ich das Gefühl hatte, mit meinem momentanen Wissensstand nicht adäquat über dieses Buch urteilen zu können, muß ich die Abhandlung noch einmal verschieben (ein Steiner-Crashkurs wäre vor Redaktionsschluß nicht mehr in die Reihe zu biegen gewesen). Verzichten möchte ich auf die Abhandlung indes nicht, da mir beim bloßen Querlesen schon einige schiefe Positionen ins Auge fielen. Vielleicht das nächster Zeit, wie Ritchie Blackmore es so schön ausdrückte ...
 

Hier geht's zu "Haarus Longus Satanas? - Teil 7".



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