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HAARUS LONGUS SATANAS? - Teil 8: NEUES AUS OBSKURISTAN
von rls

Bevor wir uns in den nächsten Teilen von "Haarus Longus Satanas?" wieder einmal mit realen Erscheinungen in der finsteren Ecke der Rockmusik auseinandersetzen, soll es heute noch ein paar ganz besondere Schmankerl geben. Ich habe ein paar Bücher ausgegraben, in denen - aus unterschiedlichen Gründen - Denkrichtungen zutage treten, die aufgrund ihrer Spezifität keine Bäumersche Massenpublizität erlangt haben, aber in besagten Spezialistenkreisen gerne als Argumentationshilfen herangezogen werden. Mitunter greift dann auch ein Massenautor auf diese Schienen zurück, wenn sie in sein Konzept passen, und damit erscheint es nötig, auch einmal ein Licht auf diese Publikationen zu werfen.

Mindestens vier Auflagen (bis 1994) erlebte ein Buch namens "Kriminalisierung von Kindern und Jugendlichen durch Medien. Wirkungen gewalttätiger, sexueller, pornographischer und satanischer Darstellungen", das auch noch im renommierten Nomos-Verlag zu Baden-Baden erschien und von einem Menschen stammt, der allein aufgrund seiner gesellschaftlichen Position in weiten Kreisen als Experte gelten dürfte: Werner Glogauer ist Professor für Schulpädagogik und allgemeine Didaktik an der Universität Augsburg. Bei der Lektüre stellt sich aber schnell heraus, daß Glogauer nicht nur mit meterdicken Scheuklappen ans Werk geht, sondern aus einer derart konservativen Position heraus argumentiert, daß die CSU im Vergleich wie eine linksfortschrittliche Partei wirkt. Sein idealer weiblicher Jugendlicher, so ergibt es sich aus S. 37, ist ein "rechtschaffenes Klostermädchen", und so verwundert es nicht, daß das ganze Buch eine extrem konservative Darstellung respektive Auswertung des Medienkonsums von Jugendlichen beinhaltet, bei der Glogauer völlig außer acht läßt, daß selbst dem durchschnittlichen Teenie eine Handvoll selbständiges Denkvermögen zugebilligt werden kann. Neben Filmmedien, Computerspielen usw. kommt der Autor natürlich auch nicht am Heavy Metal vorbei und liefert somit auf S. 48 ff. ein Kapitel namens "Vom Hardrock/Heavy Metal zum Black Metal, Speed Metal, Death Metal ..." ab. Glogauer, der übrigens der Erfinder der Termini "Hochgeschwindigkeitsblech" gemeint ist Speed Metal) und "Todesblei" (soll Death Metal bedeuten und wurde inzwischen von der Szene in ironischer Weise aufgegriffen - eine Schweizer Band hat diese Bezeichnung gar als Bandname übernommen) ist, leidet wie viele seiner Kollegen an den Untugenden, fachliche Fehler en masse einzubauen (Frankie Goes To Hollywood sind mitnichten Hardrocker, und die Scorpions hatten selbst zu ihren härtesten Zeiten Anfang der 80er Jahre mit Speed Metal ungefähr soviel am Hut wie der Papst mit Kondomen) und sehr gerne Quellenangaben zu "vergessen". Damit wird unnachprüfbar, was denn nun hinter der alle metallischen Klischees ausfüllenden Band Back In Control (S. 49) steckt, und außerdem kommt es zu Äußerungen im Stile von "Ein Song aus der letzten Zeit hat den Titel 'Gräßliche Heavy Metal Verwüstung'", die auch nicht gerade zur Durchschaubarkeit des Gelesenen beitragen. Und obwohl Glogauer positiverweise feststellt (S. 49), es gäbe "... auch Heavy Metal Musik, die nur den Heavy Rhythmus und nicht die jugendgefährdenden Ausprägungen hat und von der wohl keine negativen Wirkungen auf Jugendliche ausgehen", erweist er sich auf der gleichen Seite als Meister der Verallgemeinerung: "Was ihre brutalen Namen versprechen, halten die extremen Rocker in ihren Darstellungen, insbesondere in den Texten, die eine Steigerung an Gewalttaten, ausschweifendem Sex und Verachtung sittlich-religiöser Werte, Aufforderungen und Anleitungen zum Drogenkonsum und satanischen Praktiken, zu Mord und Selbstmord bringen."
Ohne jegliche Hintergrundinformationen oder Belege stehen die Äußerungen zu unterschwelligen Botschaften auf S. 55f. in der Landschaft herum - man bekommt lediglich mitgeteilt, daß im Prozeß gegen Ozzy Osbourne (zwei Jugendliche hatten den als Warnung vor Drogen und Alkohol gedachten Song "Suicide Solution" mißverstanden und Selbstmord begangen) vorgebracht worden sei, daß der Song unterschwelliges Murmeln, revers-masking-processes und anderthalbmal so schnell eingesungene Passagen enthielte. Was Glogauer nicht erwähnt: Osbourne wurde freigesprochen. Die revers-masking-processes waren offenbar nicht zu beweisen ...
Die folgende Studie über psychisch geschädigte Metalfans in den USA wertet Glogauer in geschickter Weise aus, indem er Zahlen über Schädigungen angibt und dies mit Einzelfällen aus der Studie zu untermauern versucht. Er scheitert allerdings an seiner Ungenauigkeit, denn aus seinen Ausführungen geht keinesfalls eindeutig hervor, daß die Ursache für Gewalttätigkeiten, Diebstähle und extreme sexuelle Aktivitäten im Heavy Metal liegt - alle exemplarisierten Einzelfälle und ein Großteil der in der Statistik Erfaßten konsumieren nämlich z.B. harte Drogen ... Apropos Drogen (S. 59): "Übermäßiger Konsum von Pop- und Rockmusik ist bei vielen Jugendlichen auch mit Alkoholkonsum verbunden, auf Rockkonzerten ist das üblich." In diesem Punkte sollte Glogauer allerdings erstmal den Balken aus seinem eigenen Auge nehmen, bevor er sich über den Schmutz vor fremden Türen aufregt. Kollektivbesäufnisse zu volkstümlicher Musik sind nämlich gerade in Bayern gang und gäbe, und wie man aus der Erinnerung an Franz Josef Strauß weiß, wird in solchen Fällen gern mit mehrerlei Maß gemessen. Daß Glogauer nicht viel über das Sujet Heavy Metal weiß, belegt die Tatsache, daß er seine Thesen zu den Auswirkungen von Diskos ins Metal-Kapitel integriert, obwohl sie angesichts der Verschiedenheit der Sujets dort zumindest etwas unglücklich plaziert sind.
Die Fallstudien im Kapitel 3 befassen sich fast ausschließlich mit Verbrechen, die aufgrund der Beeinflussung durch Filme zustandegekommen sein sollen. Ich picke mir hier lediglich die rockmusikalisch interessanten Exempel heraus, die bis auf Ausnahmen ohne jegliche Quellenangaben daherkommen, so daß der interessierte Leser nicht nachprüfen kann, wie die Justiz in den Einzelfällen argumentiert hat und welche Hintergründe Glogauer (vielleicht bewußt?) verschweigt. Ich möchte mit den folgenden Ausführungen keinesfalls die Verbrechen verharmlosen oder gar zu entschuldigen versuchen, sondern lediglich ihre Mehrdimensionalität klarmachen.
Den ersten Fall haben wir auf S. 101: Ein 17jähriger Gymnasiast erstach seine Mutter, nachdem er "Rock und Beat" gehört hatte. Die soziologischen Hintergründe werden nur kurz angerissen, so daß hier vieles im Dunkeln bleibt. Etwas heller beleuchtet wird der Raubmord zweier Jugendlicher an zwei Frauen (beide litten in Alkoholikerhaushalten unter prügelnden Vätern, waren Antisemiten und RAF-Anhänger, erfährt man auf S. 107). Die Täter hatten Logos von AC/DC und Kiss auf einen Schrank gesprüht, was Glogauer zu der Feststellung veranlaßt: "Der schädliche Einfluß dieser Bands auf sehr viele Jugendliche ist durch Untersuchungen nachgewiesen." Wo sind diese Untersuchungen, bitte?
Mit einer extrem wirren Kollektion soziologischer Einflußfaktoren kommt auf S. 118 der Mord eines 16jährigen angeblichen Metallers an einem Gleichaltrigen, den er als Zombie betrachtete, dahergepaddelt. Auf S. 128 ist von fünf Jugendlichen die Rede, die sich in einer Clique namens "Multilators" (soll wahrscheinlich "Mutilators" heißen) zusammengetan haben und unter Alkoholeinfluß Kreuze, Totenköpfe und ähnliche Utensilien von Friedhöfen klauten. Solche Fälle gibt es in geringer Stückzahl leider immer wieder, aber da stecken keinesfalls immer Metaller dahinter (man unterschätze nie die Anzahl gelangweilter Großstadt-Normalos).
Den bekannten Mord von Sondershausen aus dem Jahre 1993 beleuchtet Glogauer zwar faktenreich, aber in einer einem Boulevardblatt alle Ehre machenden Sensationsschreibe. Zu diesem Fall gibt es bedeutend stimmigere Analysen, die in ihrer Differenziertheit auch deutlicher machen, daß man im Gegensatz zu den üblicherweise an den Pranger gestellten Bands / Songs / Fans die Clique um Absurd wirklich nicht verharmlosen darf, da die Typen nicht ungefährlich sind (und nebenbei gesagt vom Löwenanteil der Metalszene vehement abgelehnt werden). Mehr über diese Thematik im folgenden Teil dieser Artikelserie.
Auf S. 142 geht es um "Todeslieder des Heavy Metal und Suizid als Folge". Dabei bringt Glogauer das Kunststück fertig, ein einziges Exempel so hinzustellen, als sei es allgemeingültig. Interessant nicht nur in diesem Fall, sondern u.a. auch in o.g. Prozeß gegen Ozzy Osbourne: Die Erziehungsberechtigten der Selbstmörder begannen erst, sich um ihre Sprößlinge zu kümmern, als die Kinder schon in den Brunnen gefallen waren. Dazu paßt dann auch die Darstellung der Prozesse gegen Medien auf S. 159 ff. - interessanterweise alle nur aus den USA, dem Land der unbegrenzten juristischen Möglichkeiten.
Eine kompetente Abhandlung von durch Medien induzierter Kriminalität täte der Öffentlichkeit durchaus gut - Glogauers Buch ist leider (trotz einiger guter Ansätze) genau das Gegenteil geworden. Das meinte offenbar auch ein Mensch, der das Buch vor mir in der Deutschen Bücherei Leipzig benutzte und sich soziologisch wohl etwas auskannte: Er strich zweifelhafte Deutungen an, markierte Formfehler Glogauers und schrieb einige interessante und wertvolle Randbemerkungen. Danke, Mr. Unbekannt!

Der Sonderstatus von Walter Kohli beruht auf einer völlig anderen Tatsache: Sein Buch "Pop-Musik und christliche Lebenshaltung. Die grösste musikalische Revolution des 20. Jahrhunderts" dürfte anno 1979 der Vorreiter der Welle fundamentalchristlicher Rockmusik-Warnschriften der 80er Jahre gewesen sein; drei Jahre später erschien die zweite Auflage im Verlag "Haus der Bibel" zu Zürich, Basel und Genf, bei der der Terminus "Pop-Musik" im Titel durch "Rock-Musik" ersetzt worden war. Kohli fällt zunächst positiv auf, indem er Zitate auch belegt, weiß aber auch mit relativ obskuren Gedankenkonstruktionen zu glänzen (die Aufklärung war z.B. weder der Beginn der Untergrabung der christlichen Lebenshaltung - diese begann schon weit früher -, noch traten ihre Früchte erst in der Jugend nach dem 2. Weltkrieg zutage, und die Behauptung von S. 13, die Eltern "kennen den Rock und Pop gar nicht", stimmte schon 1979 nicht, denn die damalige Elterngeneration war auch schon mit Elvis Presley aufgewachsen). Immerhin stellt Kohli auf S. 18 teilweise korrekt fest, die Rockmusik sei "ein KRANKHEITSSYMPTOM, das den ernsten Zustand der Welt anzeigt" (diese Aussage bekommt ihre richtige Dimension indes erst dann, wenn man sie aus Kohlis religiösem Zusammenhang befreit), und auch seine Aussage von S. 19, im "... Bereich der etablierten Kultur, ... in der Geschäftswelt und in politischen Kreisen könnte man grundsätzlich die gleichen Problemkreise aufdecken", ist prinzipiell richtig.
Mit dem Kapitel "Was ist Rock- und Pop-Musik?" stellt Kohli aber unter Beweis, daß er von der Musik selbst nicht allzuviel versteht. Die Definition von Rock-Musik aus dem von mir (Vorsicht, Ironie) so heißgeliebten Rock-Lexikon zu übernehmen, ist ein Sakrileg sondersgleichen (Liebe Rocklexikon-Autoren: Auch schon früher konnte man Rockmusik singen, ohne gleich in "extreme Stimmlagen" ausweichen zu müssen. Ian Gillans "Child In Time" ist hier nicht unbedingt der geeignete Maßstab!), und die Definition von Popmusik aus einem 1974er Werk von Dörte Hartwich war schon 1979 nicht mehr zeitgemäß; inwiefern Popmusik anno 1974 mit dem Attribut "progressiv" richtig belegt worden ist, darüber ließe sich trefflich streiten, aber das wollen wir hier nicht tun.
Kapitel 3 ist nicht wesentlich fundierter ausgefallen. Es handelt sich um eine völlig unstrukturierte Ansammlung von historischen Fakten über die Rockmusik aus den 60er Jahren, von denen einige im Gegensatz zur Kapitelüberschrift nicht mal aus den 60ern stammen, sowie christlichen Fragen, die in diesem Kontext aber völlig deplaziert sind. Irgendwo schieben sich dann auch noch die mittlerweile bekannten Exzeßbeschreibungen dazwischen (wobei man Kohli zugutehalten muß, daß er die damals noch von niemandem unreflektiert in dieser Sammlung abschreiben konnte), und die psychologischen Darlegungen waren schon 1974, als sie entstanden, ungenau, denn Rockmusik hob auch damals keinesfalls die normale Bewußtseinsebene bei allen Jugendlichen auf, sondern allenfalls bei einigen, und bei denen waren meist auch noch Drogen im Spiel.
Im gleichen Kapitel stellt Kohli vier Testfragen, deren Antworten einige Seiten später folgen und die so ausfallen, wie man es aus dem bisher Gelesenen erwartet. Ich möchte hier nur die letzte anführen: Könnte ein bibelgläubiger Christ eine Rockband gründen und leiten und die gleiche Musik schreiben und spielen? Kohlis Antwort ist ein klares Nein - die Zeit hat gezeigt, daß dies unrichtig ist. Ein Blick auf die Kohorten an christlichen Rock- und Metalbands genügt.
Auf S. 47 ff. beschäftigt sich Kohli mit den Ausdrucksmitteln von Rockmusik. Nazareths "No Mean City"-Plattencover, es zeigt einen reichlich abgehalfterten Samurai-Krieger in einer endzeitlichen Landschaft, bekommt den Satz "Das Bild erfreut oder erhebt nicht, im Gegenteil ..." hinterhergeworfen (das soll und will es aber auch gar nicht). Auf S. 54 geht es um Zeitschriften, deren Inhalt "fast ausnahmslos einen sehr schlechten Einfluss auf die jungen Leute ausübt" - dann zählt Kohli allerdings u.a. Frageecken, Anzeigen für Brieffreundschaften und Kreuzworträtsel auf! Sein Resümee (S. 55): "Grundsätzlich stehen den Christen die gleichen Mittel für die Predigt des Evangeliums zur Verfügung. Aber weil Filme, Fernsehsendungen und vierfarbige Zeitschriften so kostspielig sind, werden die Gläubigen in ihrer Minderzahl nie mit der Welt konkurrieren können." Schon mal von Jehovas Zeugen gehört, Herr Kohli? Wie schaffen die das eigentlich? Und was macht die katholische Kirche mit den Einnahmen aus dem Weltbild-Konzern?
Die Gegenüberstellung von Merkmalen der Rock-Kultur (welche übrigens auch nicht so allgemeingültig sind, wie Kohli sie hinstellt) und der christlichen Lebenshaltung auf S. 57 ff. scheitert nicht selten daran, daß letztgenannte heutzutage nicht selten irreal ist. "Macht und Manipulation" in der Rockkultur wird z.B. "Gott ist der Herr; Freiheit und Verantwortungsbewußtsein bei Christen in leitender Stellung" entgegengehalten, was angesichts einer gewissen Partei mit einem großen C fast wie Hohn anmutet. Drogen und ähnlichen Mitteln setzt Kohli auf christlicher Seite "seelische und körperliche Gesundheit" entgegen. Wie man nur durch den Glauben zu letzterer gelangt, ist mir allerdings schleierhaft. Immerhin findet Kohli auf S. 67 tatsächlich auch positive Elemente in der Rockmusik - aber ihr Fundament bleibt trotzdem "finster und satanisch". Das wird sich in den 80er Jahren auch nicht ändern, denn da ortet er in seiner Vorausschau (S. 73 ff.) die Disco-Welle (deren Einstellungen übrigens nicht selten mit der Rockmusik konträr gehen) und den Punk-Rock (der um diese Zeit für einen Schweizer Hinterwäldler sowas wie die Hölle auf Erden sein mußte, obwohl er 1979, erst recht 1982 schon wieder zusammengebrochen war, es sei denn, man betrachtet wie Kohli Kiss als Punkrocker).
Mittlerweile sind wir schon bei Kapitel 8 angelangt, in dem Kohli Empfehlungen gibt, wie denn eine "schöpfungsgemässe Musik des Friedens" zu klingen habe, und aus dem Banol (siehe "Haarus ..."-Teil 4) einiges abgeschrieben zu haben scheint. Hat man sich durch die Erläuterungen zum geistlichen Wesen einzelner Tätigkeiten gerungen (Zitat von S. 97: "Geschirrwaschen ist also nicht zwangsläufig weniger geistlich als Bibellesen. Bibellesen anstelle des nötigen Geschirrwaschens ist ungeistlich."), tritt eine recht ausgefeilte Konstruktion dieser Musik des Friedens zutage, die man aus einer konsequenten dogmatisch-christlichen Sichtweise heraus sogar nachvollziehen kann. Unglücklicherweise sind zahlreiche Merkmale, die Kohlis Musik des Friedens haben soll, auch in der Rockmusik vorhanden (Exempel von S. 99: "Kunst und Musik des Friedens tragen grundsätzlich zum Wohlbefinden und zur Ruhe des Menschen bei"), so daß z.B. auch folgende Argumentation ihren Sinn verliert (S. 108): "In vielen Rock-Stücken und -Konzerten findet keine Rückführung zum musikalischen Frieden hin statt, was unter anderem dadurch zum Ausdruck kommt, dass viele Stücke auf den Platten nicht mit einem Schlussakkord aufhören, sondern immer leiser werdend dem Hörer entschwinden und ihn ohne Schlusspunkt dem Eindruck der Musik überlassen." Erstens ist das mit dem fehlenden Schlußakkord heute keineswegs mehr so ausgeprägt, zweitens wäre auch ein Schlußakkord nicht von Nutzen, wenn er genauso "satanisch" wie der Rest der Musik ist, und drittens ist eine Rückführung ja auch nicht vonnöten, wenn das betreffende Stück schon (nach unserer Definition) Musik des Friedens darstellt.
Auf S. 110 nähert sich Kohli Walter Ulbricht, wenn er über Melodie und Harmonie in der Rock-Musik doziert und dabei zu einem Urteil der "Monotonie" (im Yeah, Yeah, Yeah, genau) kommt - gut, der damalige Punk mag wirklich melodiös etwas limitiert gewesen sein, aber 1979 gab es auch Bands wie Rush, Foreigner oder Saxon, die mit Melodien und Harmonien arbeiteten, die zu Klassikern werden sollten und an Schönheit kaum zu überbieten waren. Apropos Schönheit: Kohlis Urteil von S. 113, "beim Schönheitsideal in der europäischen Musik des 17.-19. Jahrhunderts einerseits und dem Ausdruckswillen der Rock-Musik andererseits handelt es sich um zwei getrennte Welten", kann auch nicht unwidersprochen bleiben, denn Deep Purple schufen schon 1969 das bahnbrechende "Concerto For Group And Orchestra", bei dem Händel und Bach vor Vergnügen im Grabe rotiert haben dürften, ELPs formadible Mussorgski-Bearbeitung "Pictures Of An Exhibition" existierte auch schon, und allein die heutige Zahl an neoklassischen Metalbands ist unübersehbar hoch. Aus seinen Ausführungen kommt Kohli auf S. 119 zum logischen Schluß, daß z.B. harter Punkrock keine Musik des Friedens sei und demnach auch nicht durch Unterlegung mit geistlichen Texten "gerettet" werden könne. Wie bereits ausgeführt: Kohorten christlicher Bands sehen das anders.
Aber wie kann ich denn nun ein Musikstück beurteilen? Kohli nennt auf S. 119 ff. vier Kriterien: technische Leistung, Integrität, intellektueller Inhalt / Weltanschauung sowie die Kombination Botschaft und passendes Medium. Leider macht er daraus die weltfremde, an der Realität völlig vorbeigehende Deutung "Wenn die vier Beurteilungskriterien überzeugend sind ... wird der Neuheide des 20. Jahrhunderts in jedem Falle abgeholt (meint: zur Gemeinde zurückgeführt - Anm. rls) werden" (S. 131). Zwar trifft die Kritik von S. 125, daß sich auch viel zu viele Christen vom "Stardenken" anstecken ließen und "Starprediger", "Starevangelisten" oder "christliche Musikstars" verehren, ins Schwarze, aber um diese zu entdecken, muß man sich erstmal durch einen Absatz namens "Ist Musik neutral?" kämpfen, der leider einige Inkorrektheiten enthält. Kohli verneint besagte Frage, setzt aber erst beim Interpreten an und vernachlässigt den Komponisten. Der wird zwar später auch behandelt, aber hier scheitert Kohli an der Tatsache, daß der Komponist zwar musikalische Botschaften einbauen kann, diese aber weder beim Interpreten noch beim Rezipienten originalgetreu dupliziert werden können (von seltenen Ausnahmen abgesehen) und damit auch eventuelle Wirkungen verwischt werden. Aufgrund von Kohlis Denkstrukturen überrascht dann ein Urteil wie "Das Stück 'Saved' (aus Dylans christlicher Phase stammend und textlich auch mit eindeutiger diesbezüglicher Botschaft - Anm. rls) ist viel zu rockig, um Musik des Friedens sein zu können" (S. 137) nicht mehr, ebensowenig das Schlußurteil von S. 139: "Weil die typischen Elemente der Rock-Musik (Rhythmus, Monotonie, Lautstärke, ungeordnete, extatische Ausdrucksformen) der Schöpfungsordnung Gottes widersprechen (... und weil diese Musik oft rauschartig und hypnotisch wirkt und in Trance und zerstörerische Ekstase versetzt ...), kann es keine christliche Rock-Musik geben." Ich frage mich langsam, warum nach den Lord'sPartys nie jemand ein Massaker anrichtet ...
Kohli begeht (neben zahlreichen anderen) den Fehler, Rockmusik und ihre Begleitumstände permanent gleichzusetzen, was zahllose Autoren nach ihm gleichermaßen getan haben. Daß es gerade im Heavy Metal große Massen kritischer Hörer (und Bands!) gibt, kann nach Betrachtung der heutigen Situation eigentlich von niemandem mehr bestritten werden, aber auch schon 1979 hätte Kohli mit etwas mehr Hintergrundwissen und Einfühlungsvermögen zu differenzierteren Urteilen kommen können. Somit behält die Schlußpolemik ihre Berechtigung: Kohli stellt auf S. 94 fest, wir alle hätten "der Versuchung schon nachgegeben und Böses getan." Das ist richtig. Einige haben zum Beispiel Bücher geschrieben, in denen sie die Wahrheit mitunter etwas verdrehen.

Die Abhandlung des nun folgenden Buches hatte ich schon in Teil 6 dieser Artikelserie angekündigt: "Die unhörbare Suggestion. Forschungsergebnisse zur Beeinflussung des Menschen durch Rockmusik und subliminale Kassetten" von Heinz Buddemeier und Jürgen Strube, erschienen 1989 im Stuttgarter Verlag Urachhaus. Nun handelt es sich dabei um eine Darlegung aus anthroposophischer Sicht, und eigentlich wollte ich es auch nach anthroposophischen Gesichtspunkten behandeln. Ich stellte allerdings schnell fest, daß das Scherzwort, Rudolf Steiner habe nicht nur alles gewußt, sondern das sei auch noch alles aufgeschrieben worden, voll ins Schwarze trifft, denn allein Steiners Äußerungen über Musik sind so umfangreich, daß man sich Jahre damit befassen könnte, ohne ein Ende ausfindig zu machen. Da ich diese Zeit nicht hatte, beschränke ich mich im folgenden darauf, genanntes Buch nach allgemeinen musik- oder medientheoretischen Standpunkten zu zerpflücken (wer tiefer gehen möchte, dem sei der Sammelband "Vom Wesen des Musikalischen" von Ernst Hagemann empfohlen, erschienen 1974 im Verlag Die Kommenden zu Freiburg im Breisgau, der einige wichtige Aussagen Steiners zu diesem Sujet bündelt).
Buddemeier ist übrigens Professor für Medienwissenschaft an der Universität Bremen (und war in den 50er und 60er Jahren selbst Anhänger von Bill Haley oder den Stones, bevor er in den 70ern Anthroposoph wurde), Strube studierter Elektrotechniker mit Erfahrungen aus der Raumfahrtindustrie und der Mikrowellentechnik. Beide führten von 1987 bis 1989 eine (methodologisch unangreifbare) Untersuchung über subliminale Kassetten durch, deren Ergebnisse im zweiten Teil dieses Buches dargelegt werden und mit unserem Thema nicht sonderlich viel zu tun haben. In geschickter Weise mit diesen verflochten sind allerdings Buddemeiers Thesen über die Rockmusik, wodurch der Eindruck erweckt wird, auch diese seien aus einer wissenschaftlichen Untersuchung hervorgegangen, was aber nicht der Fall ist. Den Beweis etwaiger Gleichwirkungen von Rockmusik und subliminalen Kassetten (das sind diese Dinger aus Esoterikverlagen, wo ein motivierender Text so durch Musik überlagert wird, daß man ihn bewußt nicht hört, er aber angeblich vom Unterbewußtsein aufgenommen wird und dort die gewünschte positive Veränderung bewirkt - nach Meinung zahlreicher in dieser Artikelserie schon "gewürdigter" Autoren wirkt Rockmusik bzw. in ihr versteckte Botschaften analog, nur eben in negativer Richtung) können auch Buddemeier und Strube nicht erbringen, jedenfalls nicht nach logisch nachvollziehbaren und nachprüfbaren Kriterien (anthroposophische Argumentation zeichnet sich wie auch viele andere religiöse Denkschienen mitunter durch Nichtnachprüfbarkeit aus). Dafür glänzt Buddemeier schon im Vorwort mit medientheoretisch reichlich wirren Thesen, etwa wenn er auf S. 7f. behauptet, ein reines Medium der zweiten Stufe übersinnlicher Erkenntnis (Audio-Medium) sei bei seiner technischen Realisation (also der Wiedergabe durch Lautsprecher etc.) geistig schädlicher als ein reines Medium der ersten Stufe übersinnlicher Erkenntnis (Bildmedium) - wenn das wirklich so ist, dann ist Buddemeiers Beispiel aber Unsinn, denn er sieht das Radio als Audio-Medium (stimmt), aber das Fernsehen als reines Bildmedium! (Zu Ihrer Information, Herr Prof. Buddemeier: Fernsehen ist ein Konglomerat aus Bild- und Audio-Medium, also sowohl eins der ersten als auch der zweiten Stufe, und im Gegensatz zur einmaligen Schädigung durchs Radio wird man beim Fernsehen dann gleich zweimal geschädigt. Falls Ihr Fernseher keinen Ton ausgibt, stellen Sie bitte einfach den Tonstummschaltungsknopf auf OFF. Danke.)
Man merkt, es ist gar nicht so einfach, den Buddemeierschen Argumentationen zu folgen, ohne anthroposophisch vorgebildet zu sein. Deshalb beschränke ich mich in Kapitel 1 namens "Bewußtseinslähmende Musik mit negativen Inhalten. Rock, Beat, Pop und verwandte Medien" auf die deutlichsten Anzeichen, daß Buddemeier aus seiner Stones-Zeit tatsächlich eine partielle Bewußtseinslähmung davongetragen haben muß. Das geht schon auf S. 13 mit der Behauptung los, Musik erzeuge "tranceartige Zustände, die Bewußtsein und Urteilsvermögen schwächen. In dieser Verfassung nimmt der Zuhörer vorbehaltlos negative Inhalte an", was auch nach hundertmaliger Wiederholung nicht verallgemeinerbarer wird. Buddemeiers Exempel dafür ist, daß bei Konzerten mitunter Ansagen beklatscht werden, die unter anderen Umständen abgelehnt würden - das liegt aber nicht an der Musik, sondern am Kult um den Star, der da auf der Bühne steht. Die sattsam bekannten Ausschweifungen, die es in der Geschichte der Rockmusik gegeben hat, zählt Buddemeier selbstverständlich auch genüßlich auf (S. 14 ff.), und das erste Märchen über Backward Masking läßt auch nicht lange auf sich warten (S. 15). Zwei Aussagen auf S. 17 bzw. 19 lassen den Schluß zu, daß Buddemeier starke stilistische Vorbehalte gegenüber Rockmusik hat: "Auf eine Gestaltung dessen, was vermittelt werden soll, kommt es kaum an", heißt es da, und es ist die Rede von "Rhythmus, dessen Monotonie ... kaum zu ertragen ist", außerdem wird "jeder geistige Anspruch ... vermieden". Auch das ist seit Walter Ulbricht nicht wahrer geworden. Interessieren würden mich dagegen mal die genannten Untersuchungen über den angeblichen Einsatz von Infra- und Ultraschall in der Rockmusik - dummerweise war Heft 10/88 der Zeitschrift Erziehungskunst, auf das man von Buddemeier verwiesen wird, nicht in der Deutschen Bücherei Leipzig vorhanden.
Buddemeier hat Bäumers "Wir wollen nur deine Seele" gelesen und urteilt es auf S. 29 gemäß anthroposophischer Denkweise ab (danach ist z.B. die Beschäftigung mit dem Okkulten keineswegs das Sakrileg, welches es nach Bäumer darstellt), übernimmt aber dennoch passende Passagen aus dem Buch, etwa die Geschichte von der Black Sabbath-LP "Reflection" (man lese dazu in Teil 4 dieser Artikelserie nach). Übrigens soll Ozzy mal gesagt haben, es sei ihm nur unter Drogen möglich, Musik zu schreiben - das mag 1978, als er das sagte, vielleicht auch gestimmt haben, kann aber keinesfalls so verallgemeinert werden. Sehr weit verrennt sich Buddemeier auf S. 23: "Die Betrachtung der Musiker und ihrer Absichten ergibt: Sie wollen Menschen beherrschen ... Diese Tatsache rückt die Musik, um die es hier geht, in unübersehbare Nähe zum Faschismus." Die passende Antwort darauf gab Steve Lawhead schon 1983 (nachzulesen ebenfalls in "Haarus ..."-Teil 4). Wer sich schließlich in höhere Denksphären begeben will, dem sei eine Auseinandersetzung mit S. 26 ff. ans Herz gelegt, wo Buddemeier "beweist", daß maschinell erzeugte Musik von Geistwesen kommen muß, die dem Menschen nicht wohlgesonnen sind. Die anderen "offenbaren sich nur in Musik, an deren Hervorbringung sich der Mensch mit seinen Schöpferkräften beteiligt hat." Viel Spaß beim Philosophieren! Wer danach immer noch Lust dazu hat, kann sich auch mit den Bedingungen zur Höherentwicklung des Geistes, postuliert natürlich von Steiner und zu finden auf S. 33 ff., befassen. Uns soll hier der Schlußsatz dieser Höherentwicklung genügen (S. 36): "Dieser höhere Mensch soll nach und nach die Herrschaft über den Gang des Lebens gewinnen." Da gehört aber die Herrschaft über andere Menschen zwangsläufig dazu. Hatte Buddemeier das nicht eben als beinahe faschistisch geoutet? War Steiner demnach Präfaschist? Hat die SA vielleicht gar beim Wiederaufbau des Goetheanums Dornach geholfen? Fragen über Fragen ...
Werden wir wieder ernst: Mitautor Strube verspricht uns in Kapitel 2 "Besonderheiten einiger Rockplatten und Rockgruppen". Zunächst zählt er haufenweise Backward Maskings auf, dabei reale technische und angebliche phonetische bunt durcheinander, und gibt zum Nachprüfen den ebenso alten wie unpraktikablen Tip des Plattenspielerrückwärtsdrehens (zu diesem Themenkreis lese man in "Haarus ... - Teil 3" nach). Folgerichtig kommt er auch zum Ergebnis, daß sich "keine glatte und eindeutige Bestätigung der in den zitierten Schriften genannten Rückwärtseinspielungen, allerdings auch keine Verneinung" ergab. Wie will man letztgenannte aber praktisch beweisen? Vielleicht mit Lautumkehrung? Strube hält richtig fest, daß beim Rückwärtsabspielen des Wortes Natas der Terminus Satan deutlich zu verstehen ist. Er übersieht indes, daß das nur in der deutschen Sprache funktioniert, in der englischen aber nicht, da dort die beiden a-Vokale mit unterschiedlichen Lauten gesprochen werden. Fast alle Backward Maskings sollen allerdings in englischen Texten enthalten sein.
Schlußendlich sei noch kurz auf Strubes Tabellen eingegangen, wo er weitere Daten aus der Rockmusik zusammenträgt. Da zählt er "selbsterklärende Titel und Texte von Rockplatten" auf, ohne sich überhaupt die Mühe zu machen, nachzuschauen, was hinter ihnen steckt (so selbsterklärend sind nämlich nicht allzuviele), wiederholt seine Backward Masking-Aufzählung nochmals, ergänzt durch einige weitere Songs, die angeblich verfremdete und damit unverständliche Botschaften enthielten, wodurch ein völliges Chaos entsteht, nennt danach einige Bandnamen, die seiner Meinung nach ebenfalls selbsterklärend sind, und füllt schließlich dreieinhalb Seiten mit Texten. Diese wurden "von Schülern während einer Unterrichtsbesprechung aufgeschrieben, sie kannten diese Texte auswendig. Soweit der Originaltext in englischer Sprache war, übersetzten ihn die Schüler. Irrtümer und Fehler sind möglich." Letztgenannter Satz hat auch seine vollste Daseinsberechtigung, denn die Anzahl der Fehler und Irrtümer macht diese Zusammenstellung völlig nutzlos, zumal mitunter nicht einmal Platten- und Songtitel angegeben werden, um dem Leser wenigstens die Möglichkeit zu geben, selbst nachzuhören bzw. -lesen.
Bleibt die Erkenntnis, daß auch diese anthroposophischen Autoren sich nahtlos in die Reihe der Bäumers und Banols einreihen lassen (was keine Aussage bezüglich der anthroposophischen Qualität ihrer Aussagen implizieren soll, denn dazu kenne ich mich in diesem Areal zu wenig aus). Jedenfalls kenne ich Steiner-Anhänger, die selbst mit Genuß Rockmusik hören, und es gibt auch welche, die selbst solche machen. Die Meinungen über Rockmusik gehen also auch in dieser geistigen Richtung weit auseinander.
 

Hier geht's zu "Haarus Longus Satanas? - Teil 9".



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