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HAARUS LONGUS SATANAS? - Teil 4: DIE SUCHE GEHT WEITER
von rls

Ein CrossOver-Leserbriefschreiber wollte ein paar positive Literaturbeispiele besprochen haben. Gemach, gemach: Auch die kommen sicher noch dran, und bei den Buchrezensionen der Ausgabe, in der der Originalartikel erschien, fand sich ein fast ganz druckfrisches. Für diese Folge von "Haarus Longus Satanas?" hatte ich mir indes vorgenommen, auf vier weitere haarsträubende literarische Werke einzugehen. Völlig überraschend stellte sich indes eines der vier als streckenweise richtig gut heraus - darüber, warum Steve Lawheads "Schaf im Wolfspelz" eigentlich auf meiner "Giftschrank-Leseliste" gelandet war und warum es dort aber gar nicht hingehört, lese man im betreffenden Kapitel nach. Und durchgängig schlecht ist auch Günther Klempnauers "Ich will raus" nicht.

Einsteigen wollen wir indessen mit dem einzigen der vier Werke, das im 1998er Frühjahrskatalog des Buchgroßhändlers Koch, Neff & Oetinger noch aufgeführt ist und für alle Unverbesserlichen oder sonstigen Interessierten noch via Buchhandel erhältlich sein dürfte (ich kann aber jedem nur vom Kauf dieses Buches abraten - erstens hat das Ding bestimmt Risiken und Nebenwirkungen, und zweitens ist der fällige Zwanzigmarkschein via Spende an CrossOver sinnvoller anzulegen): "Die okkulte Seite des Rock" von Fernando Salazar Banol, erschienen 1993 im F. Hirthammer Verlag (was für ein passender Name!) zu München, und zwar bereits in der 2. Auflage, angeblich überarbeitet und erweitert. Nur gut, daß nicht von "2., verbesserter Auflage" die Rede war, denn daß die erste noch schlechter gewesen sein kann als die mir vorgelegen habende zweite, vermag ich kaum zu glauben - übler geht’s eigentlich kaum noch. Eine "... objektive Art und solide Beweisführung und ... eine klare und zusammenfassende Darstellungsweise ..." wird uns auf S. 10 versprochen. Ich frage mich, welches Buch damit gemeint gewesen ist - dieses hier bestimmt nicht, denn hier werden elementarste Grundsätze wissenschaftlichen Arbeitens außer acht gelassen. Quellenangaben von Zitaten gibt es durch die Bank weg extrem spärlich, statt dessen liest man Sachen im Stil von "Ein Journalist fragte: 'Ist das so?' Ein Musiker von Gruppe XY antwortete: 'Nein.'", von denen ein guter Teil entweder aus dem Zusammenhang gerissen oder schlicht und einfach erfunden worden sein dürfte. Die Bildunterschriften haben mit den darüberstehenden Bildern grundsätzlich gar nichts zu tun (Beispiel: Auf S. 20 sind acht tätowierte Leute abgebildet - die Bildunterzeile heißt "Wie beeinflußt der Rock die Psyche eines empfindsamen Hörers?").
Den Vogel schießt jedoch die Zusammenstellung des Materials ab: Der Terminus "chaotisch" ist noch nicht stark genug für eine Beschreibung des Banolschen Ordnungsprinzips. Nehmen wir als Exempel mal das Kapitel "Der satanische Rock" auf S. 54 ff. her: Die Absätze sind rein willkürlich abgesetzt und könnten streckenweise problemlos ausgetauscht werden, ohne daß sich ein anderer Informationsbogen ergeben würde, da die einzelnen Sätze mitunter völlig zusammenhanglos nacheinander stehen. Noch schlimmer wird es auf S. 74 ff.: Die Kapitelüberschrift heißt "Der Rock dient den niederen Instinkten" - im ganzen Kapitel geht es aber nur in einem Absatz um "... die freie Liebe, die Homosexualität, die Droge und den Satanskult ...", deren psychologische Grundlagen man notfalls als niedere Instinkte eingruppieren könnte. Ich habe verzweifelt überlegt, ob ich schon einmal ein derart unlogisch aufgebautes Sach- oder Fachbuch gelesen habe - mir fiel keins ein; selbst Alfred Rosenbergs Versuch, in Gestalt des "Mythus des 20. Jahrhunderts" den Nationalsozialismus theoretisch zu begründen, ist gegen Banol ein wissenschaftlich-logisches Meisterwerk.
Damit die Abschreckung komplett wird, kann ich mir nicht verkneifen, Banol (erwähnte ich eigentlich schon, daß die Schriftgröße auch für Schwerst-Sehbehinderte noch problemloses Lesen ermöglicht, die Seitenzahl dadurch aber verdoppelt wird?) auch inhaltlich zu zerpflücken. Es geht schon mit dem Cover los, das ein Foto dreier junger Engländer zeigt. Einer davon trägt ein T-Shirt mit dem Logo der englischen Band Terrorvision - diese Inschrift wird als "Vision blutiger Terror" übersetzt. Noch kultiger ist's beim zweiten, der auf seinem T-Shirt "I eat pussy" stehen hat - die Übersetzung hiervon lautet wörtlich "Ich esse Katze" (es ist übrigens kein Chinese).
Wer Banol eigentlich ist, wird uns auf den nächsten Seiten klargemacht: Dieser ehemalige fanatische Rock-Anhänger und Organisator mehrerer Rockfestivals gilt heute als "Pionier der Biomusik", wie der spanische New Age-Komponist Guillermo Cazenave in seinem Vorwort feststellt. Daß Banol dennoch kein Experte in Naturwissenschaften geworden ist, zeigt seine physikalische Meisterleistung auf S. 21: "Farbe, Klang, Licht und Wärme ..." - dies alles sind nach Banol Schwingungen. Ob er gemerkt hat, was der Unterschied zwischen Farbe und Licht ist? Anzuzweifeln, denn die physikalischen Meisterleistungen gehen auf S. 24 noch weiter: "Konkret können wir feststellen, daß die moderne Musik ... in unserem Inneren bestimmte Atome des geheimen Feindes aktiviert." Soso. Atome des geheimen Feindes also. Kann man die auch so spalten wie das Bieratom, Herr Einstein Junior?
Zurück zur Musik: Vier Kategorien gibt es nach Banol: Musik für das Bewußtsein (da fällt z.B. Beethoven drunter; sämtliche andere Musik scheint also nicht fürs Bewußtsein dazusein), körperorientierte Musik (z.B. buddhistische Zen-Musik), Musik der Persönlichkeit (Gesellschaftstänze und Balladen) und schließlich die Musik des Ego, welche "... uns psychologisch vergiftet." Letztgenannte führt zu einem sehr niedrigen Schwingungszustand (dieser Vorgang wird von Banol Involution genannt - der Begriff Involution bezeichnet eigentlich die Herausbildung anormaler Zellformen bei Bakterien unter extremen Lebensbedingungen), und durch "... diese involutive Musik gerät das Individuum Stück um Stück, ohne es wahrzunehmen, in immer niedrigere psychische Schwingungszustände, die ihrerseits nach noch degenerierterer Musik verlangen und darüber hinaus dazu führen, daß die klassische Musik unerträglich wird." Banol stellt auch gleich noch vier Involutionsstufen auf: Auf der harmlosesten tummelt sich zum Beispiel Salsa, während der Heavy Metal natürlich das negative Ende der Skala bildet. Daß gerade viele Metaller nebenbei auch noch bevorzugt Klassik hören (die damit wohl kaum als unerträglich empfunden wird), ist Banol offenbar entgangen.
Daß ein Kapitel über Backward Masking nicht fehlen darf, war logisch, und so gibt es dieses ab S. 29. Hochinteressant ist der Hinweis des Herausgebers der deutschen Ausgabe auf S. 31: "Als die Rückwärtseinspielungen in der Öffentlichkeit bekannt wurden, ließen die Hersteller sie bei weiteren Produktionen teilweise weg. So fand ein Fernsehredakteur von vier in diesem Buch genannten Titeln bei dreien Rückwärtseinspielungen, ein anderer keine einzige." Ausgesprochen elegant aus der Heimann-Widerlegung (man folge dem Link) herauszuwinden versucht! Ein simpler, auf mehrere Tonträger ein und desselben Titels, aber unterschiedlicher Auflagen ausgedehnter Heimann-Test dürfte aber die Widerlegung dieses völlig aus der Luft gegriffenen Argumentes bringen. Nach einer Behauptung auf S. 43 geht’s indes noch einfacher: Wilson Bryan Key (auch der wurde in "Haarus ...?" - Teil 3 schon gewürdigt) soll gesagt haben, die unterschwelligen Botschaften würden bei erhöhter Lautstärke hörbar! Wo sind sie? Her damit!
Richtig bio-logisch wird Banol auf S. 45 ff.: Er beschreibt ein (natürlich auch nicht belegtes) Experiment, bei dem Pflanzen unter sonst gleichen Wachstumsbedingungen unterschiedlicher Musik ausgesetzt wurden. Bach, Brahms und Schubert führten zu sehr stark verbessertem Wachstum, Jazz ebenfalls, aber in geringerem Maße, orientalische Musik a la Ravi Shankar "verwirrte" die Pflanzen angeblich, die "schrillen Gitarren und Synthesizer" von Led Zeppelin und Jimi Hendrix töteten sie gar ganz ab, während bei Yes (die übrigens bedeutend schrillere Gitarren und Synthesizer verwenden als Led Zep) gar nichts passierte. Irgendwie weigern sich meine Pflanzen aber, analog zu reagieren, obwohl sie seit Jahren mit viel Metal (darunter auch öfters Led Zeppelin und Yes), aber sehr wenig Brahms und gar keinem Schubert beschallt werden: Der Ritterstern neben meiner rechten Box ist mein blühfreudigster überhaupt, die Säulenkakteen neben meiner linken Box stoßen mittlerweile ans Oberlicht des Fensters, und eine zufällig in einem zwischen den Boxen stehenden Peperomien-Topf aufgegangene Petunie gedieh so prächtig wie keine ihrer Artgenossinnen draußen im Garten (dies ist besonders wichtig, weil das Experiment angeblich u.a. mit Petunien durchgeführt wurde). Banols Fazit auf S. 49: "Wie dem auch sei, eines ist sicher: Wenn Ihr Sohn übermäßig Rock konsumiert, können Sie ihn im Interesse Ihrer Pflanzen ohne Gewissensbisse an einen anderen Ort schicken." Kommentar überflüssig ...
Diverse fachliche Ungenauigkeiten zu erwähnen kann man sich angesichts der sonstigen Leistungen Banols fast sparen. Also nur kurz: Die Band Black Dark Arkansas heißt in Wirklichkeit Black Oak Arkansas (S. 56), Ozzy Osbourne spielt keinen Punkrock (S. 60), der Blitz im AC/DC-Logo ist kein "satanisches S", sondern allenfalls 'ne altgermanische Rune (S. 102), und auf S. 101 wird ein Textauszug aus einem Black Sabbath-Song namens "Hinter der Wand der Traum" gebracht - erstens heißt der titelübersetzte Song "Behind The Wall Of Sleep", und zweitens stammt das angeführte Textzitat gar nicht aus diesem Song, sondern aus "N.I.B.". Schon auf S. 71 geht's so genau zu - bei den dort angeführten Textzitaten wird lediglich der Bandname, aber nicht der Songtitel genannt. Leider bleibt auch der Tip auf S. 72 ungenau: Die "Welch Witches Society" (natürlich eine okkulte Vereinigung) würde massiv Rockmusik unterstützen, heißt es dort - zu dumm, daß keine Kontaktadresse angegeben war, denn potente Sponsoren kann die Kultur heute dringender denn je gebrauchen.
Ein bißchen medizinisch muß Banol auch noch werden. Seine Erkenntnisse zu diesem Thema, verstreut im ganzen Buch, können wir unter der Kapitelüberschrift "Rock ist die AIDS-Krankheit der gegenwärtigen Musik" (S. 95) zusammenfassen. Ein paar Exempel: Schlagzeug und Baßgitarre bringen die Hypophyse aus dem Gleichgewicht (S. 63), die auf S. 65/66 angeführten 10 psychologischen Auswirkungen der Rockmusik reichen von ernsthaften Gedächtnisstörungen bis zur Verwüstung nach Konzerten, Langzeitwirkungen der Rockmusik (S. 51) sind hingegen Taubheit, Entpersonifizierung und Geisteskrankheiten, wohingegen Prof. Reznikokh von der Universität Nanterre in Frankreich festgestellt haben soll, daß wiederholtes Hören von Rockmusik sofort nachweisbare psychologische Schäden hinterläßt (S. 90). Tröstlich: Es gibt eine Gegenarznei für Rockmusikgeschädigte und damit in den Bannkreis des Okkulten Geratene (S. 117 ff.), nämlich New Age-Musik. Merkwürdig nur: Empfohlen werden "Musica Zodiacal" (Tierkreismusik) von Guillermo Cazenave (die ist also offenbar nicht okkult-astrologisch ...) sowie Werke der Bands Herzog und Popol Vuh, z.B. "Hosianna Mantra" und "Tantric Songs", die Ritualgesänge des tantrischen tibetanischen Buddhismus und moderne kosmische Musik enthalten (welche offenbar auch nicht okkult angehaucht sind ...).
Den größten Unsinn, welchen Banol verzapft hat, habe ich mir bewußt bis zum Schluß aufgehoben. Als da wären:
1.) "Das Bekenntnis des Johnny Todd" (S. 81 ff.), eine ultraschwurbelige Geschichte, angefangen von der Behauptung, ALLE in den USA produzierten Masterbänder würden den satanischen Dämonen Rija und Colban geweiht, bevor die Vervielfältigung beginnt, und endend beim Wortlaut einer Pressekonferenz von Kiss, der nur auf drei verschiedene Arten entstanden sein kann: Er wurde verfälscht, ganz erfunden - oder Kiss haben sämtliche Anwesenden gründlich verarscht.
2.) Ein aus einer nicht genannten Rockmusikzeitschrift übernommener Artikel über "Terror Metal" (S. 109 ff.) - eine der kultigsten Satiren über Metal überhaupt. Banol hat sie entweder völlig für bare Münze genommen oder aber in ganz böswilliger Weise durch eine Kürzung versucht, den satirischen Charakter aufzuheben (was ihm nicht gelungen ist, denn der abgedruckte Text ist aussagekräftig genug, um ihn als Satire zu identifizieren; es fehlt indes die Schlußpointe, und darauf gründet sich mein Verdacht der Kürzung - ich kenne das Original leider nicht).
3.) Die einfach so dahingeworfene Bemerkung, der satanische Geist stecke auch in afrikanischer und lateinamerikanischer Musik, in der Folklore und im Jazz (S. 106), entbehrt natürlich jeden Beweises. Wieso sind die o.g. Pflanzen beim "satanischen Jazz" eigentlich besser gewachsen und nicht eingegangen?
4.) Der Oberhammer schließlich steht schon auf Seite 34: "Der Mensch sollte selbst Herr über seine Handlungen sein und sich nicht blind durch andere führen lassen ...". Damit entzieht Banol Leuten wie Johannes Paul II., Gerhard Schröder oder Jesus Christus mit sofortiger Wirkung ihre Existenzberechtigung. Bevor es jedoch so weit kommt, spreche ich lieber einen klassischen Satz des Herrn Reich-Ranicki aus: "Freunde, das reicht, wir müssen weiter!"

Der absolute Klassiker der "Rockmusik = Okkultismus"-Literatur ist "Wir wollen nur deine Seele - Hardrock: Daten, Fakten, Hintergründe" von Ulrich Bäumer, erstmalig erschienen 1984 beim Christliche Literaturverbreitung e.V. zu Bielefeld. Scheint ein recht rühriger Verein zu sein, denn nach Bettina Roccor ("Heavy Metal - Die Bands. Die Fans. Die Gegner." - Review hier) gab's das Buch in den Mittneunzigern schon in der 10. Auflage, und es wird teilweise kostenlos an Schulen verteilt (sollte man aber eher mit den Roccor-Büchern machen). Man muß Bäumer zugute halten, daß er bedeutend anspruchsvoller und genauer zu Werke geht als sein Kollege Banol, aber grundsätzliche Ungereimtheiten gibt es auch bei ihm mehr als genug, und dafür, daß er selbst jahrelang Rockfan war (S. 7), kennt auch er sich nicht sonderlich gut in der Szene aus. Ganz lustig wird’s mitunter, wenn er sich auf dünnes theologisches Eis begibt, doch dazu mehr weiter unten. Auf den ersten Blick fällt auf, daß Zitate und Quellen recht akribisch belegt werden - aber eben nur "recht", denn auf den zweiten Blick entdeckt man, daß diverse Kernzitate (z.B. auf S. 51 ein Bericht von Christen, die einer Exorziation beiwohnten - die ausgetriebenen Dämonen "... machten dieselben Geräusche wie viele Rockmusiker") doch unbelegt bleiben oder daß im Rolling Stone vom 26. Oktober 1972 Jimi Hendrix zugegeben haben soll, "... Visionen zu haben und mit Geistern zu verkehren und daß er beim Woodstock-Festival im August 1969 den Himmel voller UFOs gesehen habe ..." - zum Zeitpunkt des Drucks war Hendrix schon über zwei Jahre tot, was die Authenzität dieser Quelle erheblich beeinträchtigt. Auch die BRAVO wird von Bäumer als wahrheitsgetreue Quelle benutzt - wer diese "BILD-Zeitung für Jugendliche" kennt, weiß, was er davon zu halten hat. Vom logischen Aufbau seines Materials her ist Bäumer besser als Banol, was aber auch ihn nicht daran hindert, streckenweise beliebig austauschbare Argumentationsketten zu produzieren.
Aber nehmen wir auch dieses Buch der Reihe nach auseinander: Mangelndes Geschichtsbewußtsein zeigt Bäumer schon auf S. 9, indem er die Geburt des Okkultrock ins Jahr 1969 verlegt (Black Sabbath) - auf S. 30 ff. widerspricht er sich dann selbst, indem er behauptet, die Stones hätten sich nach Altamont (auch 1969) vom Okkultismus abgewandt (sie waren aber vorher keine Okkultrocker, oder wie?!), was wiederum S. 29 widerspricht, wo auf den Stones-Platten "Get Yer Ya-Ya’s Out" (1970) und "Goat’s Head Soup" (1973) okkulte Zusammenhänge festgestellt werden. Schön undurchdringlich, dieses Aussagengeflecht. Also wieder zurück zu Black Sabbath. Ein ziemlich schauerlich klingender Promotext vom Backcover der LP "Reflection - Black Sabbath" findet sich auf S. 12 - die Scheibe ist mir allerdings nicht bekannt und wird auch in keinem meiner Nachschlagewerke aufgeführt; wenn sie überhaupt existiert, dann handelt es sich um irgend eine illegale Pressung, mit der die Band selbst oder ihre reguläre Plattenfirma gar nichts zu tun hat. Auf S. 14/15 stellt Bäumer die Sabbath-Texte "Lord Of This World" und "After Forever" (beide Songs stehen auf "Master Of Reality" von 1971) gegenüber; beide sind ein Appell an eine atheistische Seele, erstgenannter aus satanischer, letzterer aus christlicher Sicht - und Bäumer tut "After Forever" einfach als "Tarnung" und "Betrug" ab, ohne sich auch nur einen Gedanken über den Hintergrund dieser philosophisch hochinteressanten Antigonie gemacht zu haben. Ein Backward Masking-Kapitel hat Bäumer selbstverständlich auch - wir finden es auf S. 26 ff. Es könnte allerdings sein, daß es in späteren Auflagen fehlt, denn in seinem Buch "Rock - Musikrevolution des 20. Jahrhunderts" (Bielefeld 1988) äußert er Zweifel an den Backward Masking-Vorwürfen. (Falls in einer der neueren Auflagen wesentliche neue Standpunkte von Bäumer zum Tragen kommen sollten, werde ich in einer späteren Folge von "Haarus Longus Satanas?" noch einmal darauf eingehen. Man sollte ja nie die Möglichkeit einer positiven Weiterentwicklung außer acht lassen.)
Nun aber wie versprochen ein Blick in die theologischen Areale, in die sich Bäumer vorwagt. Gar erstaunliche Erkenntnisse kommen da zum Vorschein. Auf die Frage, wie Gott zu erkennen sei, zitiert Bäumer auf S. 38 Römer 1, 20 (Revidierte Elberfelder Übersetzung): "... unsichtbares Wesen, sowohl seine ewige Kraft als auch seine Göttlichkeit, wird von Erschaffung der Welt an in dem Gemachten wahrgenommen (oder erkannt, mit dem Verstand ergriffen) und geschaut." Vier Seiten weiter indes heißt es: "Das gegenwärtige Weltsystem ... ist sein Werk ..." Subjekt des vorausgegangenen Satzes ist allerdings Satan. Wenn wir die heutige Welt anblicken, erkennen wir also nicht Gott, sondern Satan? Ist ja garstig ... Übrigens: Inwieweit man die Quellen und Zitate Bäumers ernstnehmen kann, wird auch an dieser Stelle kräftig in Zweifel gezogen, denn Bäumer beweist auf S. 85, daß er nicht mal richtig aus der Bibel zitieren kann: "Sie (die Hölle - Anm. rls) ist der Feuerofen, wo Heulen und Zähneklappern sein wird (Matth. 13, 43.50)." Zähneklappern? Mit diesem Bild assoziiert man ja eigentlich Kälte und keinen Feuerofen. Also Bibel zur Hand genommen, festgestellt, daß die erste Zitatangabe nicht stimmt (ist Vers 42; kann ja auch 'n Druckfehler gewesen sein) - und es ist überall von Zähneknirschen die Rede, sowohl in der von Bäumer benutzten Elberfelder als auch bei Luther und in der Guten Nachricht. Woran lag's? Vielleicht an den negativen Einflüssen aus der Rockmusik, denen Bäumer sich jahrelang aussetzte (er war ja selbst jahrelang Rockfan)? Man findet - mit einer entsprechenden Lupe ausgestattet und unter der Prämisse, das, was Bäumer schreibt, sei alles wahr - eine Reihe von Passagen, die belegen, daß Bäumer beim Schreiben dieses Buches vom Satan geführt worden sein muß. Beispiel: S. 53, Kreativität sei ein Attribut der Magie, und Bäumer war sehr kreativ, als er dieses Buch schrieb. Oder S. 90, "Satan nimmt okkulte 'Spielereien' ernst. Mit Schrecken muß man immer wieder feststellen, daß er jede Hand, die sich ihm entgegenstreckt, früher oder später in einen stählernen Griff nimmt und nicht wieder losläßt." Dafür haben die paar Jahre Rockmusikhören von Bäumer sicher gereicht. SATAN, GEH WEG VON MIR! Schließlich noch S. 117, wo aus Walter Kohli, "Rock-Musik und christliche Lebenshaltung", zitiert wird: "Man kann sich nicht absichtlich und fortwährend gottlosen Einflüssen aussetzen und daneben lebendige Gemeinschaft mit Gott pflegen." Möchte mal wissen, was die Sektenbeauftragten der Kirche dazu sagen würden ... Gut, Polemik beiseite, aber man sieht: Mit Argumentationsketten vom Stile Bäumers kann man eigentlich alles beweisen, was man möchte und wie es einem gerade in den Kram paßt. Mitunter reißt die Beweiskette aber auch entzwei, so auf S. 83 f., wo Bäumer zeigt, daß Bon Scott ein Jahr nach "Highway To Hell" sterben mußte, weil er in diesem Song mit dem Satan zu spielen versuchte. Warum starb Brian Johnson aber dann nicht ein Jahr nach "Hells Bells", sondern erfreut sich noch heute bester Gesundheit?
Ein weiterer Teil von Bäumers Beweisen wird durch die mangelhafte Druckqualität der mir vorgelegen habenden 1. Auflage torpediert. Auf S. 66 heißt es: "Auf dem Bild (es zeigt das Plattencover von Kiss’ "Love Gun" - Anm. rls) ist rechts zu erkennen, daß Gene Simmons einen satanischen Gruß zeigt." Die Bildqualität ist indes so schlecht, daß man sich arg anstrengen muß, um zu erkennen, daß die Gestalt rechts überhaupt Gene Simmons ist - etwaige Gesten gehen völlig im Schwarz der Abbildung unter. Auch auf den ab S. 69 abgebildeten Plattencovern, u.a. von Nazareth und Uriah Heep, ist nahezu nichts zu erkennen. Ich denke aber, daß zumindest dieses Manko in den neueren Auflagen abgestellt worden ist.
Vielleicht war sich Bäumer der Mangelhaftigkeit seiner Arbeit selber bewußt. Jedenfalls setzt er auf S. 87 zu einem Erklärungsversuch an: "Bei Nachforschungen, die den finsteren Bereich des Okkultismus in der Rockszene betreffen, stößt man regelmäßig auf folgende drei Probleme:" Das erste sei Verschwiegenheit und Geheimhaltung. Warum gibt es "Highway To Hell" dann aber millionenfach auf Tonträger? Das zweite sei die skrupellose Werbung mit allem. Dies stimmt zwar, aber erstens erhöht das ja sogar die Publizität, und zweitens zieht Bäumer eine Reihe seiner Argumente und Beweise aus der von ihm selbst als solche erkannten "sensationslüsternen Rockpresse". Das dritte schließlich sei Neugierde oder die Hoffnung auf den Erfolg. Hier weigert sich mein Gehirn, irgend einen Kausalzusammenhang zu erkennen, daß dieser Faktor die o.g. Nachforschungen behindere.
Abschließend noch ein paar Worte von Kapazitäten, die Bäumer zu Rate zieht. Ein erfahrener (aber natürlich nicht namentlich genannter) Seelsorger kommt auf S. 90 zu Wort: "Deine Chancen stehen günstiger, eine Klapperschlange als Haustier zu halten, als dich mit okkulten Praktiken einzulassen." Mal ganz davon abgesehen, daß es sehr wohl Terrarianer gibt, die Klapperschlangen pflegen, kommt mit diesem Ausdruck eine ganz andere als die ursprünglich wohl beabsichtigte Aussage heraus. Auf S. 69 macht Bäumer einen Ausflug in die englische Kunstmalerszene. Bei einer Erfassung dieser sollen sich 57 (von wie vielen eigentlich?) als "spiritistische Maler" entpuppt haben, die sich auf Wiedergabe von Geistern und Gespenstern in englischen Schlössern spezialisiert haben. Das ist für Bäumer dann der Beweis, daß sie mit dämonischen Kontrollgeistern arbeiten müssen. Der Höhepunkt folgt indes wie üblich zum Schluß: Der Arzt Dr. E. Knaul äußert auf S. 102: "Die Kontrolle über die Körperfunktionen geht (auf einem Rockkonzert - Anm. rls) verloren. Ein Zustand der Verzückung mit epilepsieartigen Gliederzuckungen, Heulen, Beißen, Lachen, Einnässen und Zerreißen der Kleider wird als Glücks- und Lusterlebnis empfunden." Mich würde interessieren, auf welchem Konzert Dr. Knaul das festgestellt hat. Ich formuliere an dieser Stelle jedenfalls die Theorie, daß die Einnäßrate bei einem Auftritt von Achim Mentzel in einem Altersheim bedeutend höher liegt als die bei einem Black Sabbath-Konzert. Beweise das, wer will ...

Nun aber weiter zu "Das Schaf im Wolfspelz. Rock aus der Sicht eines Christen" von Steve Lawhead, erschienen 1983 im coprint-Verlag zu Wiesbaden. Bettina Roccor nennt im Literaturverzeichnis von “Heavy Metal - Kunst. Kommerz. Ketzerei” Lawheads Buch nicht - entweder kannte sie es nicht, wußte nichts damit anzufangen oder erachtete es für nur am Rande wichtig. Ich kann mich leider nicht mehr erinnern, welcher der glorreichen "Rockmusik=Okkultismus"-Autoren ein oder mehrere Male aus Lawhead zitiert hat - jedenfalls war das in diesen Zitaten zu Lesende realitätsfremd genug, um Lawheads Buch auf meine "Giftliste" zu setzen. Bei der Lektüre merkte ich aber schnell, daß ich ihm damit unrecht getan hatte: Lawhead gibt zwar ebenfalls eine Reihe von streitbaren Statements von sich, und einige Positionen sind bei Lichte betrachtet so nicht haltbar, aber über weite Strecken urteilt er gerecht, abwägend und aus einer nachvollziehbaren christlichen Perspektive heraus.
Wo kommen aber nun die o.g. üblen Zitate her? Im Aufbau des Buches liegt der Hase im Pfeffer. Lawhead beginnt die meisten Kapitel mit einer (durch Kursivdruck abgehobenen) Problemstellung, die in bester Banol- oder Bäumer-Art formuliert ist. Diese wird dann im Kapitel selbst widerlegt oder relativiert. Der letzte Absatz eines Kapitels ist dann der (nicht besonders hervorgehobenen!) Beschreibung eines Banol-Bäumerschen Vorurteils (an dieser Stelle sei angemerkt, daß Lawheads Buch vor Bäumer und Banol erschien; "The God Of Rock" des Amerikaners Michael K. Haynes stammt indes bereits von 1982, ist in dem Stil, den Bäumer und Banol später ebenfalls pflegen sollten, gehalten und könnte Lawhead als stilistisches Vorbild für diese Passagen gedient haben) gewidmet, das dann im nächsten Kapitel behandelt und am Anfang in eine Problemstellung nach o.g. Muster umgewandelt wird. Zitiert man nun nur diese letzten Absätze eines Kapitels (und genau das dürfte erfolgt sein), entsteht schnell der Eindruck, das ganze Buch sei in diesem Stil gehalten.
Lawhead war übrigens sogar aktiver Rockmusiker bei einer Band namens Mother Rush, die sich - so heißt's auf S. 12 - Chicago zum Vorbild genommen hatte; man verzeihe mir, daß ich M. R. nicht kenne. Die ersten sechs Kapitel des Buches könnten mit einem Zitat von S. 84 überschrieben worden sein: "Ich habe lediglich versucht ... zu zeigen, daß an Rock als Musikstil eigentlich nichts auszusetzen ist." Das tut er in einer Art und Weise, die es auch einem Ulrich Bäumer hätte logisch erscheinen müssen und die Herrn Banol, sollte er Lawheads Buch gelesen haben, hätte deutlich gemacht haben müssen, wie wertvoll doch der von ihm angeführte Pflanzenbeschallungstest war (S. 59/60). Etwas überbetont hat Lawhead meiner Meinung nach das Image der Rockmusiker, obwohl ein Passus wie "Künstler machen sich sehr oft selbst etwas vor. Nicht alles, was sie sagen, sollte ohne weiteres geschluckt werden" natürlich seine vollste Gültigkeit behält. Aber mit der Infragestellung des Rebellionsaspektes im Rock’n’Roll ab S. 24 begibt sich Lawhead auf arg dünnes Eis - gerade dieser Aspekt wurde zu einem tragenden der Rockmusikgeschichte und flackerte hier und da auch nach der ökonomischen Vereinnahmung der einzelnen sich ausbildenden Stile noch auf (man lese hierzu bei Bettina Roccor nach - sie widmet diesem Aspekt zwar kein gesondertes Kapitel, aber in verschiedenen Themenkomplexen tauchen derartige Fragestellungen auf). Daß es natürlich auch Image-Rebellen gibt, steht völlig außer Frage. Mit einem prächtigen Beispiel illustriert Lawhead diese: "Angenommen, eine Gruppe von vier Gitarrenklimperern in silbernen Anzügen behauptet: 'Die Zeit für eine gewalttätige Revolution ist gekommen. Wir werden die Welt mit unseren Gitarren erobern.' ... Käme diese Aussage von einem Hitler, würde man ihr wahrscheinlich viel Bedeutung beimessen. Kommt sie aber von einer Gruppe unreifer, geltungsbedürftiger Rockmusiker, kann sie als Unsinn abgetan werden. Und dennoch haben Gruppen lächerliche Behauptungen wie diese (und schlimmere) in die Welt gesetzt, und manche, denen nicht bewußt war, daß sie einer Illusion zum Opfer gefallen waren, reagierten, als hätte Hitler selbst zu ihnen gesprochen."
Diverse zweifelhafte Thesen tauchen auf den Folgeseiten zwar selten, aber doch ab und an mal auf. Beispiel: Ein Zitat von S. 32 lautet "Da Rockmusik einem schnell wechselnden Trend unterliegt, heißt es, sofort zuzugreifen und zu kaufen", ein zweites "Rock als Artikel wird schön verpackt angeboten, und die Musik selbst kommt an zweiter Stelle." Hierzu muß angemerkt werden, daß gerade diese beiden Verhaltensweisen im Rockmusikbereich, speziell in den härteren Gefilden, eher schwach ausgeprägt sind - auf jeden Fall schwächer als in jedem anderen Bereich der U-Musik. Der Satz "'Fanzines' drucken endlose, dick aufgetragene, klebrige Sensationen über das aktuelle Geschehen." erklärt sich wahrscheinlich aus einer kleinen Begriffsverwirrung, denn gerade die im absoluten Underground beheimateten Fanzines tun dies nicht, sondern die großen Hochglanzmagazine, von denen es auch im Rockbereich mittlerweile eine große Anzahl gibt.
Apropos Fachpresse: Der Musical Courier schrieb (zitiert auf S. 67): "Eine Welle vulgärer, schmutziger und suggestiver Musik hat das Land überflutet ... Vom künstlerischen und moralischen Standpunkt aus gesehen ist diese Musik erbärmlich und sollte von Presse und Kirche verboten werden." Schreibtechnisch hat Lawhead dieses suggestive Zitat genial eingebunden - erst ein paar Sätze später erfährt man nämlich, daß es aus dem Jahre 1899 (!) stammt und es sich bei der attackierten Musik um Ragtime handelt! Ich gebe zu, beim Lesen auch erst an einen finsteren Rückfall geglaubt zu haben, konnte aber bei der Auflösung einen Lacher (im ehrwürdigen Lesesaal der Deutschen Bücherei wohlgemerkt) kaum unterdrücken. Auch für die Relativierung der Unmoral in der Rockmusik (S. 72 ff.) hat sich Lawhead ein Lob verdient: Haufenweise heute als Kulturgut ersten Ranges geltende Opern, Literaturwerke oder Theaterstücke (Lawhead nennt u.a. "König Ödipus" und "Die Fledermaus", mir fiel spontan "Hamlet" ein) handeln strenggenommen von achristlicher Unmoral, und zahlreiche Kunstschaffende zeig(t)en analoge achristlich-unmoralische Verhaltensweisen. Hat man aber schon mal von einer Verbrennung von Wagner-Platten gehört, weil der ja Antisemit und nicht gerade monogam war? Eben. Es gibt das schöne Sprichwort vom Glashaus und den Steinen sowie das Bibelwort vom Splitter im Auge des Bruders ... Daß Lawhead auf S. 76 aber alle Probleme der Welt auf den profanen Humanismus und den Nihilismus zurückführt, geht mir dann doch einen Schritt zu weit. Wohldosierte Abwägung hätte hier notgetan.
Die letzten vier Kapitel, gemeinsam überschrieben mit "Musik und ihre Kraft", sind dann aber noch mal qualitativ hochwertig ausgefallen und beweisen allen Skeptikern, welche Evangelisationskraft in christlicher Rockmusik steckt. Richard Stanislaw, Musikprofessor am Bloomsbury State College, lieferte dabei ein alleinstehend noch nichts aussagendes, aber hochinteressantes Statement ab (S. 99): "Rock war zuerst christliche Musik und wurde dann von der populären weltlichen Kultur übernommen. Jahrzehnte bevor die Hitparaden-Radiosender Rhythm & Blues entdeckten, wurde diese Musikform fast ausschließlich für den Gospelgesang verwendet." Die kompletten Argumentationsketten Lawheads können aus Platzgründen hier nicht wiedergegeben werden. Es sei nur auf die einzigen drei Fallstricke aufmerksam gemacht, die mir in diesen Kapiteln aufgefallen sind: Auf S. 105/106 behauptet Lawhead, die meisten Rocklieder hätten ausartende Themen und seien wie ein wildes, häßliches Tier. Auf S. 127 wird das bekräftigt: "Wenn es darum geht, wahre Botschaften mitzuteilen, versagt Rock auf folgenden Gebieten: Materialismus ... Sex ... Hedonismus." Lawhead übersieht zwei Dinge: Erstens geht es einer Reihe von Rockmusikern gar nicht um den Transport von Botschaften, und zweitens sind Rocktexte oft Situationsbeschreibungen, die, wenn die Situationen entsprechend im Eimer sind, leider nicht unwahrer werden. Auf S. 151 schließlich erleidet Lawhead einen ganz bitteren Rückfall in Banol-Tugenden, als er einfach so hinwirft, die Mitglieder von Alice Coopers erster Band seien alle homosexuell gewesen, was schlicht und einfach unwahr ist. Um dieses Kapitel aber positiv abzuschließen (was es verdient hat - viel Spaß bei der Suche nach diesem lesenswerten Buch!), sei ein Satz von S. 108 zitiert, den sich alle Bäumers und Banols dieser Welt hinter die Löffel schreiben sollten: "Musik, in jeglicher Form, ist von Gott gegeben ... Etwas von Gott geschaffenes 'teuflisch' zu nennen ... verringert Gottes höchste Gewalt. Das ist Gotteslästerung." Amen.

Ob auch der vierte hier abgehandelte Autor Ex-Rockfan oder gar Musiker war, ist mir leider nicht bekannt - Günther Klempnauer ist auf jeden Fall Pastor und Religionslehrer. In seinem Buch "Ich will raus. Jugend und Rockmusik der 50er bis 80er Jahre - Interviews und Reportagen", erschienen 1986 im R. Brockhaus Verlag Wuppertal (nicht zu verwechseln mit dem Lexikonverlag) präsentiert er sich auf jeden Fall als klassischer Fall des Jekyll/Hyde-Syndroms: Auf der einen Seite pickt er sich einzelne Biographien von bekannten Künstlern der Rock- und Popmusikszene heraus und klopft diese auf evangelikale Aspekte ab - auf der anderen Seite stößt auch er ins bekannte "Rockmusik=Okkultismus"-Horn. Wir wollen uns hauptsächlich mit den beiden Kapiteln der letzteren Sorte befassen, vorher aber einen ganz kurzen Blick auf die genannten Biographien werfen.
Peter Maffay bekommt gleich zwei Kapitel. Im ersten versucht Klempnauer, das 84er Maffay-Konzert in der Frankfurter Festhalle tiefenpsychologisch zu deuten - dies gelingt ihm aber nur ansatzweise, zumal in der Atmosphäre einer Konzerthalle vor oder gar nach einem Konzert geäußerte Statements prinzipiell vorsichtig ausgewertet werden müssen, was Klempnauer nicht tut. Hernach folgt ein sehr interessantes Interview mit Maffay selbst. Es stellt sich heraus, daß Maffay an Gott glaubt, mit der Institution Kirche indes nicht viel anfangen kann und streckenweise eigene Denkmodelle entwickelt hat, worüber Klempnauer alles andere als begeistert ist, so daß sich das Interview mitunter wie ein ziemlich penetranter Bekehrungsversuch liest, der letzten Endes auch keinen Erfolg hat, obwohl Maffay recht lange "durchhält", bevor er ein wenig säuerlich reagiert.
Das nächste Kapitel ist Elvis Presley gewidmet und enthält Andeutungen der religiösen Neigungen von Elvis, die allerdings in einen willkürlich zusammengestellten Kontext aus Biographiefetzen gestellt werden. Halbwegs ordentlich ist das folgende, wohl auf einer Rundfunksendung Klempnauers auf e.r.f. junge welle vom 11.2.1981 beruhende Beatles-Kapitel ausgefallen, auch wenn die angebrachte differenzierte Sichtweise des bekannten Lennon-Zitates "Wir sind bald berühmter als Jesus Christus" (immerhin hat er damit recht gehabt ...) Klempnauer selbstverständlich abgeht. Im nächsten Kapitel findet sich eine recht interessante Darstellung der Persönlichkeitsentwicklungsphasen von Bob Dylan, deren faktische Richtigkeit ich allerdings nicht beurteilen kann, da ich mich mit Dylan nicht sonderlich auskenne. Jedenfalls nähern wir uns damit dem positiven Highlight des Buches, dem Kapitel über den Konzertveranstalter Fritz Rau, dessen bisheriger Tourkalender sich wie ein Who Is Who der U-Musik-Szene liest: Peter Maffay, Bob Dylan, die Rolling Stones, Udo Lindenberg, Jimi Hendrix, Harry Belafonte ... Das Interview mit Rau zeitigt hochinteressante Statements eines Atheisten, der zwar von Gott ahnt, aber noch nach seinem Weg zu ihm sucht (und sich selbstverständlich nicht von Klempnauer auf einen Weg zwingen läßt). Falls jemand irgendwo in einer Bibliothek die Biographie "Fritz Rau, Buchhalter der Träume" von Kathrin Brigl aus dem Jahre 1985 entdecken sollte - dahinter dürfte sich interessante Lektüre verbergen; im Buchhandel ist dieses Werk meines Wissens nicht mehr erhältlich.
Herr Lindenberg kommt im nächsten Kapitel zum Zuge - es ist das schwächste der biographisch angehauchten. Klempnauer kürzt zitierte Songtexte willkürlich und sinnentstellend, und ein Hinweis für jüngere Leser, daß Lindenberg-Tracks wie "Sympathie für den Teufel" oder "Born To Be Wild" Coversongs sind, fehlt ganz. Spätestens im anschließenden Interview merkt man, daß Klempnauer die Anliegen von "Uns Udo" überhaupt nicht verstanden hat - Udo indes antwortet selbst auf anmaßendere Fragen in gewohnt intelligenter Weise und läßt den Interviewer äußerst blaß aussehen. Ob die Nachwirkungen dieses Interviews im folgenden Kapitel über Johnny Cash noch zu spüren waren? Denkbar - falls die zeitliche Abfolge entsprechend war - wär's, denn das Kapitel ist knapp, geradezu sachlich-trocken und unstreitbar ausgefallen, obwohl es in Cashs Biographie durchaus Ansätze für kontroverse Thesen gegeben hätte. Hatte Klempnauer die Lust am evangelikalen Feldzug verloren? Auch das letzte biographische Kapitel über Cliff Richard - das paradoxerweise nicht bei den anderen Biographien, sondern zwischen den beiden "Okkultismus"-Kapiteln steht - ist erstaunlich zahm ausgefallen - die Fakten kann ich wieder einmal nicht nachprüfen.
Na gut, so ganz kurz ist der Blick nun doch nicht ausgefallen, aber nötig war er schon. Jetzt aber zu unserem Hauptgebiet. Das erste diesbezügliche Kapitel trägt die Überschrift "Rockmusiker auf Teufel komm raus - Warum Satan, Sex und Gewalt verherrlicht werden" und beginnt auf S. 135 - im Exemplar der Deutschen Bücherei Leipzig, das ich benutzt habe, war genau zwischen S. 134 und 135 der Buchblock zerbrochen. Hätte das Cliff Richard-Kapitel noch mit vorne gestanden, ich hätte mich arg schwergetan, darin einen Zufall zu sehen ... Jedenfalls geht Klempnauer etwas anspruchsvoller zur Sache als Banol und Bäumer, schafft es aber dennoch nicht auf ein voll ernstzunehmendes Niveau. Dies liegt u.a. auch daran, daß er zwar diverses psychologisches Hintergrundwissen besitzt, aber dieses weder zweckdienlich noch treffend einzusetzen vermag. Schon der Versuch der musikhistoriographischen Einordnung Satans (S. 137 ff.) geht völlig in die Hose und gipfelt in Sätzen wie "In der Kunst des 19. Jahrhunderts kann man erkennen, daß sich parallel zur Aufwertung Satans der Verfall der Moral und der Kunst vollzieht." Noch krasser wird es auf S. 138: Klempnauer erkennt Goethes "Faust" als "vom satanischen Geist" beseelt, den damit auch die Vertonung des Stoffes durch Hector Berlioz aufweist. Das hat wiederum Auswirkungen bis in die Jetztzeit, so z.B. zu den 1980er Bundestagswahlen: Das alljährlich stattfindende "Kanzlerfest" mit 6000 geladenen Gästen trug den Titel "Wa(h)lpurgisnacht" und hatte auch ein entsprechendes Rahmenprogramm (in Gestalt von Helmut Schmidt war übrigens damals ein "Roter" Kanzler und gewann die Wahl schließlich auch - wohl dank satanischer Schützenhilfe ...). Hochinteressant ist auch die Interpretation (S. 139), der AC/DC-Klassiker "Let There Be Rock", in dem die Geschichte des Rock'n'Roll seit 1955 dargestellt wird, sei als Persiflage der biblischen Schöpfungsgeschichte gedacht gewesen - wenn jemand bei Gelegenheit Angus Young das mal steckt, wird der sicher vor Lachen eine Schüttellähmung bekommen. Solche (allerdings nicht vor Lachen) soll's laut Klempnauer (S. 141) auch bei Metallica-Gigs gegeben haben, und zwar inclusive mehrminütigem geistigem Wegtreten - werden wohl eher ganz normale Headbanger gewesen sein, die während des Bangens (solche Bewegungen kann der Nichtkundige schnell mal für 'ne Schüttellähmung halten) natürlich nicht daran dachten, mit einem Außenstehenden verbal zu kommunizieren. Daß Heavy Metal prinzipiell gefährlich ist, kommt in folgendem Statement zum Ausdruck: "Während in den 70er Jahren die militanten Heavy Metal-Bands ihre frustrierten Fans bloß in einen musikalischen Rausch versetzten und revolutionäre Stimmung erzeugten, provozierten sie Mitte der 80er Jahre ihre erregten Anhänger teilweise zu Mord und Totschlag." Diese Verallgemeinerung beruht offenbar auf Exodus, deren Ur-Sänger Paul Baloff den Fans die (zugegeben nicht sonderlich intelligente) Aufforderung "If you see a poser on the street, kill him!" entgegenbrüllte, die aber erstens nur unter Beachtung der damaligen Szene-Situation im Westen der USA (Thrash versus Poserrock) richtig verstanden werden kann, zweitens nicht ernst gemeint war und drittens auch - soweit mir bekannt - von keinem Fan ernstgenommen wurde. Dies ist ein klassisches Beispiel für die sehr indifferente Beweisführung Klempnauers - beispielsweise auf S. 153 ff. kommen noch weitere dieser Sorte hinzu (hier geht's darum, daß Rockmusik an der allgemeinen sexuellen Entartung schuld ist).
Die Experten, die Klempnauer zu Rate zieht, sind auch nicht gerade die erste Reihe. Das Kapitel über die geistigen Hintergründe der "satanischen Rockszene" auf S. 156 ff. etwa beruht auf Dokumentationen von Siegfried Schmidt-Joos, der bei mir mit seinen unqualifizierten Äußerungen über alles, was musikalisch härter zur Sache geht als Emerson, Lake & Palmer, im zusammen mit Barry Graves herausgegebenen "Rock-Lexikon" sämtlichen Kredit verspielt hat. Und daß Klempnauers Beitrag von sachlichen Fehlern wimmeln würde, war auch von vornherein abzusehen. Ein paar Exempel: Ein gewisser Duck Walter (S. 142) sei Gitarrist bei AC/DC (die in Wahrheit nie einen Gitarristen hatten, der nicht den Nachnamen Young trug). Ganz bitterlich wird's auf S. 149, wo es heißt: "Leadsänger 'Judas Priest' von der gleichnamigen britischen Band, beschwört seine Fans ...", zehn Zeilen weiter unten indes: "In der Garderobe ... erzählt 'Judas Priest'-Sänger Rob Haldorf dem deutschen Journalisten Sandro Baretta ...", während zeitgleich eine Band namens "Access" spielen würde. Solche Obskuritäten werfen natürlich ein negatives Licht auf die Recherchegenauigkeit des gesamten Beitrages (der genannte Sänger heißt Rob Halford und die gerade musizierende Band Accept - ob der Name des Journalisten wenigstens stimmt, weiß ich nicht). Oder S. 151: "Sein (King Diamonds - Anm. rls) Begleitmusiker Lemmy weiß zu berichten, daß King Diamond jeden Abend die Band um sich versammle und ihnen aus einem kleinen schwarzen Buch 'Neues aus dem Reich der Finsternis' vorlese." Ich habe sofort meine Späher ausgeschickt, um festzustellen, wann Lemmy (ansonsten Bandkopf von Motörhead) bei King Diamond angeheuert hatte - ohne Erfolg. Zum Kringeln ist auch die Übersetzung des Celtic Frost-Songtitels "Necromantical screams" auf S. 156: "Schreie zum Totlachen" soll das angeblich heißen. Hahahahaaaaaaaaaa ...
Was das Unterkapitel über die Bekehrung des US-Protestsängers Barry McGuire, das mit einer mäßigen Überleitung in eine Berichterstattung über das Treiben der Bande von Charles Manson und die spätere Bekehrung zweier Mitglieder an dieser Stelle (S. 158 ff.) soll, ist mir schleierhaft - es paßt überhaupt nicht in den Kontext. Schließen wir die Betrachtung dieses ersten Kapitels daher mit einem Zitat von S. 164 ab: "Man ist erstaunt, wie aufgeschlossen auch einige Rockmusiker mit 'teuflischem Anstrich' für religiöse Fragen sind, wenn man ihnen mit Liebe begegnet" - es folgt ein Interview, das Mitglieder der christlichen US-Hardrocker Resurrection mit AC/DC-Sänger Brian Johnson geführt haben und in dem sich dieser ausgesprochen gottesoffen äußert. Könnte das eventuell daran liegen, daß dieser "teuflische Anstrich" gar nicht vorhanden ist ...?
Die letzten Seiten des Buches gehören einem Interview mit Prof. Dr. Hermann Rauhe, dem Präsidenten der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Hamburg. Rauhe hatte ich aus einem Interview im Beitrag "Mit Musik die Welt zertrümmern" von Gisela Esser, nachzulesen in "Musik gegen Gewalt 2", AG Musik 1993, als vernunftbegabten, sachlich und gerecht argumentierenden Wissenschaftler in Erinnerung. Im mindestens sieben Jahre älteren Interview mit Klempnauer, der permanent versucht, Rauhe die Gefahr der Rockmusik beweisende Statements zu entlocken, zeigen sich diese Eigenschaften über weite Strecken auch schon, aber Rauhe stürzt zwischendurch auch mal in tiefe Löcher, so etwa auf S. 196 ff., als er sich auf biologisches Territorium vorwagt und eine nüchtern gesagt hirnrissige Theorie über die Wirkung von Lautstärke aufstellt. Sehr gefährlich ist auch der Vergleich von Rockkonzerten mit den Nürnberger Parteitagen der NSDAP oder der Goebbels'schen Sportpalastrede von 1943 (S. 198), der zudem argumentativ auf tönernen Füßen steht (Goebbels' sprachtechnischer Redenaufbau - zurückhaltend beginnend und später ekstatisch kulminierend - wird z.B. mit der Aufteilung eines Rockkonzertes - ein oder mehrere Vorbands heizen an, beim Headliner kulminiert die Stimmung - verglichen; eine ebenso sinnvolle Gegenüberstellung wäre die von Adolf Hitler und Gerhard Schröder, weil beide einen Mercedes als Dienstwagen hatten/haben ...).
Die schwerwiegenderen Lapsi unterlaufen allerdings Klempnauer, etwa wenn er auf S. 198 eine Hamburger Rockgruppe namens Led Zeppelin nennt (die essen höchstens Hamburger, sind aber Briten). Das wahre Ich des Autors zeigt sich in einer Passage auf S. 200: Klempnauer befragt Rauhe nach Backward Maskings, woraufhin dieser deren angebliche Wirkung verneint. Klempnauers nächster Satz lautet: "Trotzdem könnte so eine Gruppe Teufelsverehrung betreiben. Wenn man von gotteslästernden Sätzen in ihren Songs weiß (DAVON HAT RAUHE IN SEINER ANTWORT KEIN STERBENSWÖRTCHEN GESAGT - das ist eine suggestive Aussage gemeinster Prägung!!! - Anm. rls), sollte man sich nach meiner Meinung ihrem Einfluß nicht aussetzen, ihre Musik also nicht hören." Erschwerend zum Fakt in der Klammer kommt noch dazu, daß Klempnauer diese seine Worte wie eine wörtliche Rede markiert, obwohl ich mir sicher bin, daß er sie erst beim Abtippen des Interviews dazugesetzt hat, denn es folgt keine Reaktion von Rauhe (und ich gehe jede Wette ein, daß er reagiert hätte, wenn Klempnauer dieses Zitat ihm gegenüber so ausgesprochen hätte), sondern es beginnt ein neues Unterkapitel. Dieses kleine Intermezzo verdirbt einem den Geschmack an Klempnauers Buch - obwohl es, wie dargelegt, vor allem in den biographischen Kapiteln, einige durchaus lesenswerte Passagen enthält - endgültig.

Damit hoffe ich, wieder einige schiefstehende Positionen soweit untergraben zu haben, daß sie gar nicht mehr anders können, als sich wieder richtig gerade hinzustellen. Ein Literaturverzeichnis spare ich mir, weil die im Text genannten bibliographischen Angaben ausreichen dürften, um bei Interesse den einen oder anderen Passus oder eine andere Quelle selbst aufzusuchen und nachzulesen. Schiefstehende Positionen gibt es aber immer noch zuhauf - Stoff für weitere Folgen dieser Reihe ist also reichlich vorhanden.
 

Hier geht's zu "Haarus Longus Satanas? - Teil 5".



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