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HAARUS LONGUS SATANAS? - Teil 9: ... DIE REIHEN FEST GESCHLOSSEN ...
von rls

Es gibt bestimmte Klischees, die sich aufgrund von jahrelanger Berieselung mit denselben auf Dauer im Hinterkopf großer Bevölkerungsschichten festzusetzen vermögen, so daß es eine Sisyphusarbeit ist, wenigstens in einigen Fällen differenziertere Denkstrukturen zu implizieren. Die Connections zwischen Rockmusik und Faschismus sind ein solches klischeebeladenes Feld, wo nicht nur politische Ausrichtung an der Länge der Haare festgemacht wird (was zwar nicht in allen, aber doch in einer ganzen Anzahl von Fällen an denselben herbeigezogen ist), sondern sich alte FeindBILDer, die in der nicht selten etwas einseitig zu nennenden BILDung breiter Kreise der Bevölkerung einen dankbaren Nährboden vorfinden und nicht selten auf gnadenlosen Verallgemeinerungen von Einzelfällen beruhen, tummeln, als wär's die normalste Sache der Welt. Ansätze zu besagter differenzierter Betrachtung gibt es schon länger, aber sie sind meistenteils sehr verstreut publiziert (sieht man mal von dem auf diesen Seiten rezensierten Buch "Rock von Rechts II" ab, das vor allem im Farinschen Geschichtskapitel wichtige Fakten über rechtsorientierte Rockmusik bündelt), was auch für die verschiedenartigen Exempel gilt, wann sich welche Band wo und aus welchem Anlaß als "etwas deutscher als normal" geoutet hat. Ich möchte im folgenden versuchen, eine überblicksartige Gesamtschau zu geben, wie es auf dem Feld der Verbindungen von Rockmusik und rechtslastigem Gedankengut aussieht. Dabei beruhen viele Einschätzungen auf Einzelfallbeobachtungen, wobei Diskrepanzen zwischen meinen Ausführungen und der Realität durchaus vorkommen können, da es leider eine Unsitte mancher Journalisten ist, Interviewäußerungen ihrer Gesprächspartner aus dem Zusammenhang zu reißen oder ihrer Meinung nach ins böse Bild passende Statements einfach zu erfinden und ihren Gesprächspartnern unterzujubeln, obwohl die kein Sterbenswörtchen in der Richtung von sich gegeben haben. Nichtsdestotrotz ist es nötig, auch mal zusammenfassend ein paar Namen zu nennen. Daß die CrossOver-Leserschaft intelligent genug ist, um sich nicht ausgerechnet nach den genannten Bandnamen ihre Plattensammlung aufzubauen, setze ich voraus. Falls einer der Leser im Internet doch danach handelt, sei ihm an dieser Stelle ein herzliches "Fuck off!" hinterhergerufen.

Zuvor jedoch noch ein paar allgemeinere Worte. Wenn man mal den ursprünglichen Sinngehalt von Rockmusik hernimmt, nämlich die kritische Reflexion (um nicht gleich von Ablehnung zu sprechen) von zumindest teilweise auf Dogmatismus und blindem Gehorsam beruhenden Verhaltensweisen oder Systemen, dann dürfte es per definitionem keinen Rechtsrock geben, denn Nationalsozialismus, Faschismus, Rassismus usw. fallen eindeutig unter besagte Ablehnungskategorie. (Der Einfachheit halber fasse ich Nationalsozialismus und Faschismus in dieser Abhandlung zusammen, da die kultur- und politwissenschaftlichen Unterschiede zwischen beiden für uns an dieser Stelle nicht von Belang sind.) Allerdings dürfte es dann beispielsweise auch keine christliche Rockmusik geben. Die Vergangenheit hat jedoch mehr als einmal gezeigt, daß Kunst (und damit auch Musik) schnell für gewisse Ziele adaptiert, ge- oder auch mißbraucht werden kann. Dies ist denn auch mit der Rockmusik in rechter Richtung passiert. Natürlich bedarf es für einen solchen Prozeß der geistigen Hinterfütterung und einer gewissen Grundstimmung, und die war im keinesfalls intensiv denazifizierten Deutschland nach dem Krieg zweifellos vorhanden. Farin in o.g. Beitrag, S. 13: "Große Teile des populären deutschen Schlagers und der Volks- (bzw. volkstümelnden) Musik (in den Jahrzehnten der Nachkriegszeit - Anm. rls) strotzten vor nationalistischen und rassisitschen Ideologiefragmenten; auch in den Liederbüchern von christlichen und Pfadfinder-Jugendgruppen, sogar in offiziellen Schulbüchern fanden sich noch in den siebziger Jahren mannigfach rassistische Stereotypen aus Kaiser- und Führer-Zeiten, wurden 'deutsche Lande' besungen, die längst nicht mehr zu Deutschland gehörten. Als sich Mitte der siebziger Jahre die Rockmusik als Transportmittel für rassistische oder revisionistische Inhalte dazugesellte, stellte sie eigentlich nur eines der kleineren Genres der von Rechtsradikalen benutzten Musikpalette dar - und daran hat sich bis heute wenig geändert." Daß die Öffentlichkeit gerade dieses eher kleine Segment intensiv wahrgenommen bekommt (soll heißen, die Wahrnehmung erfolgt meist durch Massenmedien und weniger via eigene Erfahrung), liegt daran, daß Rockmusik allgemein immer noch eine Art "Feindbild" in weiten Bevölkerungsschichten ist, und wenn zu diesem Feindbild ein weiteres kommt (unabhängig davon, wo man selbst politisch steht - auch die Feindbilder werden austauschbar), dann stellt das in der Regel ein sensationsträchtiges Spektakel dar, das man sich als Massenmedium nur ungern entgehen läßt.

Die Entwicklung in der Folgezeit kann ich hier kurz abhandeln (wer's ausführlicher wissen will, greife wiederum zu Farins genanntem Beitrag). Anfang der 80er Jahre begann sich in Deutschland die in England bereits seit den 60ern existente Skinhead-Bewegung auszubreiten, die, obwohl anfangs ein politisches Sammelsurium, bald von rechten Kräften unterwandert wurde, die möglicherweise daraus eine Art "SA der Neuzeit" formen wollten. Dies gelang zwar nicht, aber die Verbreitung nationalistischen bis rechten Gedankenguts in der Skinheadszene nahm stetig zu, was indes nicht heißt, daß heute jeder Skin ein Nazi ist. Beispielsweise gibt es die sogenannten "Red Skins", optisch nicht von jedem anderen Skinhead zu unterscheiden, aber politisch in der linken Ecke anzusiedeln, und ein guter Teil der Skinheadbewegung interessiert sich überhaupt nicht für Politik, sondern huldigt lediglich dem alten hedonistischen, der Skin- wie der personell teilweise identischen Hooligan-Bewegung eigenen Motto "Fußball, Ficken, Alkohol".
Ebenfalls in die 80er Jahre fällt die starke, geradezu rapide zu nennende Entwicklung der Heavy Metal-Szene. Eigentlich nur zu logisch, daß sich auch dort bald einige Bands bildeten, die mit rechtsradikalen Parolen hausieren gingen. Allerdings hatten sie keinen großen Erfolg, und das aus mehreren Gründen. Erstens gehört zum Spielen von Heavy Metal ein bedeutend höheres technisches Spielvermögen, als man für Punk bzw. Oi! (gewissermaßen der "Punk der Skins") braucht, was auch mit den Ansprüchen, die der Großteil der Fans an die Musik stellt, korrespondiert. Damit fielen die meisten der primitiver zu Werke gehenden Bands (natürlich nicht nur die rechten) durchs Qualitätsraster (was sich allerdings in den Neunzigern mit der zunehmenden Vermischung aller möglichen und unmöglichen Musikstile und damit auch der Fanschichten relativiert hat). Zweitens interessiert sich auch ein guter Teil der Metalfans nicht für Politik, aber weniger auf lethargische Weise, wie dies Teile der Skins tun, sondern dahingehend, daß man zwar kaum seinen eigenen politischen Standpunkt bestimmt, aber sich beidseitig von extremistischen Bewegungen absondert. Drittens schließlich ist der Heavy Metal bedeutend internationalistischer als fast alle anderen Musikstile (Weltmusik ausgenommen), was zu einer geringeren Neigung zum Rassismus führt. Wer ein bißchen nachdenken kann und z.B. Sepultura mag, wird sich hüten, Brasilianer pauschal als Kanaken o.ä. abzustempeln, obwohl in Schichten mit niedrigerem Bildungsniveau dann mitunter die paradoxe Konstruktion vorkommt, daß zwar die ausländischen Metalmusiker und -fans als "Brothers In Metal" geschätzt und entsprechend behandelt werden, der Rest der Ausländer aber weiterhin ein diffuses bis negatives Bild aufweist (Bettina Roccor bringt in "Heavy Metal - Kunst. Kommerz. Ketzerei." einige hochinteressante Beispiele dazu).
Eine riesige Chance für die gesamte rechtsradikale Rockszene war die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten. Abgestoßen von der Einheitsorganisation FDJ, pendelten Tausende Jugendliche in die entgegengesetzte Richtung, und die "verordnete Gastfreudschaft" für vietnamesische, kubanische oder chilenische Gastarbeiter schlug teilweise sehr schnell in vehemente Ablehnung um. Ein perfekter Nährboden für Altnazis und Jungrechtsrocker also, und das sind die ostdeutschen Lande mit ihrer Arbeitslosigkeit, ihren Umweltschäden und ihrem Freizeiteinrichtungskahlschlag immer noch, auch wenn bemerkt werden muß, daß die rechten Träume vom "neuen deutschen Reichskernland im Osten" bald wie Seifenblasen zerplatzten, da viele Jugendliche schnell merkten, daß sie in Neonaziorganisationen gewissermaßen vom FDJ-Regen in die FAP-Traufe geraten wären bzw. waren. Ein weiteres Faktum kam hinzu: Seit Anfang der 90er Jahre geriet die rechte Szene mehr und mehr ins Kreuzfeuer der Justiz (was möglicherweise u.a. daran lag, daß aus biologischen Gründen langsam, aber sicher auch die letzten Altnazis und im Geiste der HJ Erzogenen ihre Stellungen als Anwälte und Richter verloren). Es kam zu einer Reihe von Beschlagnahmungen, Prozessen und Verurteilungen, die beim intelligenteren Teil der Szene zu einem "Mimikry", also einer Tarnung führten, die sich in entschärften Texten und entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen bei Konzerten, streckenweise gar in anwaltlicher Vorabprüfung von Texten und Artworks manifestierte, aber natürlich keinesfalls als Zeichen für geistige Wandlung anzusehen ist. Statt dessen begann man Mitte der 90er Jahre, die Möglichkeiten der neuen Technologien intensiv zu nutzen. Marcel Legrums Beitrag in "Rock von Rechts II" zeigt eindrucksvoll auf, wie wichtig das Internet zur Verbreitung rechten Gedankenguts (und damit auch von Rechtsrock) mittlerweile ist, und ein anderes, von Farin in genanntem Beitrag (S. 34) geschildertes Phänomen wäre ohne Handys undenkbar: Da rechtsrockorientierte Konzerte bei öffentlicher Vorankündigung in der Regel verboten werden, bestellen die Organisatoren die "Szene" per Handy zu irgendeinem Treffpunkt, geben dann den nächsten Treffpunkt durch und geben dann, nachdem sie sicher sind, etwaige Außenstehende abgeschüttelt zu haben, was durchaus mehrere solcher Aktionen erfordern kann, den Gigort bekannt, meist irgendein Dorfgasthaus, das von unverdächtig aussehenden Mitgliedern für eine Geburtstagsfeier o.ä. angemietet wurde. Die von den Dörflern im Normalfall alarmierte Polizei beschränkt sich dann in der Regel darauf, linke Gruppen vom Ort des Geschehens fernzuhalten, um Randale zu vermeiden. Im Februar 2000 fand quasi vor meiner Haustür, also in unserem Dorfgasthof, ein solches illegales Konzert statt, nachdem zwei Mitarbeiter eines Tattoo-Studios den Saal für eine Geburtstagsfeier angemietet hatten. Alles verlief friedlich, die Organisatoren waren den jeweiligen Zuständigen gegenüber sehr zuvorkommend, der Saal wurde von ihnen hinterher in Eigenregie besser wieder hergerichtet, als er vorher war - und prompt wurden im Dorfe Stimmen laut, die wären doch ganz okay und richtig ordentlich; gute deutsche Tugend halt ...
Halten wir kurz inne und speichern ab: Es gibt in nahezu allen Stilrichtungen der Musik rechtsorientierte Bands oder Interpreten, also auch in der Rockmusik und ihren Subgenres. Der Prozentsatz dieser (entsprechend organisierten) Bands ist allerdings relativ gering, und da man die Platten in normalen Läden nicht bekommt und Konzerte auf geschilderte Durchführungsschwierigkeiten stoßen, muß man schon ein gewisses Stück in der rechten Szene involviert sein, um überhaupt an solches Material heranzukommen. Darüber hinaus gibt es natürlich auch Bands, in denen rechtsorientierte Musiker spielen, bei denen sich aber die Gesinnung nicht in ihrem künstlerischen Schaffen widerspiegelt. Solche Leute sind meist nur anhand von Interviews oder Liveansagen als rechts zu erkennen (wenn überhaupt) und stellen daher ein ziemlich problematisch zu beackerndes Feld dar, vor allem, wenn man den Musiker nicht persönlich und den Interviewer nicht als absolut vertrauenswürdig kennt bzw. nicht selbst bei einem solchen Konzert anwesend war. Es soll durchaus schon vorgekommen sein, daß Showgesten wie das Emporrecken der Faust von einzelnen Anwesenden plötzlich als Hitler- oder Kühnen-Gruß ge- bzw. mißdeutet wurden.

Im folgenden sollen diverse Bands, die in rechtsradikale oder ähnliche Zusammenhänge gestellt wurden, genauer abgeklopft werden. Mitunter sind die zustandegekommenen Bilder relativ uneindeutig, was den Leser also nicht von der Aufgabe entbindet, sich selber seine Gedanken zu machen.

Als Prototyp einer rechten Band galten jahrelang die Böhsen Onkelz aus Frankfurt/M., und gerade über sie kursieren sehr viele Gerüchte und Halbwahrheiten, denen in den folgenden Zeilen, die die Quintessenz aus Dutzenden Onkelz-Interviews und -Artikeln darstellen, ein paar Fakten entgegengestellt werden sollen. Selbst Farin handelt m.E. die Onkelz in seinem bereits des öfteren zitierten Beitrag etwas zu kritisch ab. Wer tiefergehende Informationen haben möchte, lese das Buch "Danke für nichts" von Edmund Hartsch, das quasi eine inoffizielle Onkelz-Biographie ist. Gewisse Vorsicht ist natürlich auch bei einem solchen Buch geboten. Es dürfte sicher noch bei diversen Metal-Mailordern erhältlich sein.
Die Bösen Onkels (das Dehnungs-h und das z am Ende waren in den Anfangstagen wechselndem Gebrauch unterworfen) waren in ihrer Embryonalzeit Anfang der 80er Jahre eine Punkband, wie es Tausende andere auch gab. Als die Punkszene immer mehr linkes Gedankengut in sich aufnahm, distanzierten sich die Onkelz von ihr, da sie damit nichts zu tun haben wollten, und wechselten in die damals noch recht unpolitisch eingestellte Skinhead-Szene über, mit der sie auch die o.g. Interessen "Fußball usw." teilten. Mit der zunehmenden Unterwanderung dieser Szene durch rechte bis rechtsradikale Elemente konnten sich die recht patriotisch, aber mitnichten nationalistisch denkenden Onkelz allerdings auch nicht anfreunden, grenzten sich (u.a. auch optisch durch Haarelangwachsenlassen) wiederum ab und lavierten seither irgendwo im harten Rockspektrum herum. Soweit, so gut. Diverse Knackpunkte in dieser Entwicklung sorgten allerdings dafür, daß reichlich Gesprächsstoff aufkam.
Das Gerücht, die erste Onkelz-Platte "Der nette Mann" sei wegen rechter Tendenzen indiziert worden, läßt sich mit einem Blick in die Begründung der Bundesprüfstelle für jugendgefährdendes Schrifttum leicht entkräften (nachzulesen u.a. ebenfalls bei Farin). Stein des Anstoßes war hauptsächlich der Titelsong, der sich mit dem Phänomen "Pädophile Verhaltensweisen bei ansonsten völlig unauffälligen Menschen" auseinandersetzt, natürlich nicht in Wissenschaftssprache, sondern in sarkastischer Gossenlyrik, was selbst Alice Schwarzer so sieht, die BPS indes nicht (die interpretierte eine "Aufforderung zur Pädophilie" hinein). Für Aufregung bei der BPS sorgte auch "Frankreich '84", ein klassischer Hooligan-Song über die Fußball-EM anno 1984 in Frankreich, der laut BPS zum zwischennationalen Haß auffordere, in der Onkelz-Lesart aber lediglich die anderen Nationen (und deren Anhänger) als sportliche Gegner thematisiert.
Problematischer ist die Tatsache, daß die ersten Onkelz-Platten auf dem Label Rock O' Rama erschienen, das lange Jahre, vor allem Ende der Achtziger / Anfang der Neunziger, gewissermaßen Kultstatus in der rechten Szene genoß und diverse wichtige rechte Platten veröffentlichte (und immer noch veröffentlicht). Rock O' Rama war ein klassisches Kind der Skinhead-Szene, der ja auch die Onkelz eine Zeitlang angehörten, und hatte Anfang der Achtziger sowohl diverse Punk- als auch Oi!- (also Skinhead-) Scheiben veröffentlicht. Onkelz-Kopf Stephan Weidner behauptet, daß dieses unpolitische Programm auch 1984 noch so gelagert war, als das Onkelz-Debüt "Der nette Mann" bei Rock O' Rama erschien. Allerdings nahm das Label bald auch explizit rechtsgerichtete Bands ins Programm (so debütierten Endstufe anno 1987 mit "Der Clou"), während einige mittlerweile ebenfalls indizierte Platten der Frühachtziger (z.B. von Body Checks oder OHL) nach Farin kein rechtes Gedankengut, sondern lediglich das Bekenntnis zum Skinheaddasein enthalten. Jedenfalls, so Weidner weiter, behagten den Onkelz die neuen Labelkollegen nicht sonderlich, so daß sie ihren Vertrag erfüllten und sich dann ein anderes Label suchten, wobei allerdings auch finanzielle Differenzen mit Rock O' Rama eine Rolle gespielt haben sollen (so steht's bei Matthias Herr in "Heavy Metal Lexikon Vol. 4").
Ausschlag für die Abkehr der Onkelz von der Skinhead-Szene soll, ebenfalls laut zahlreichen Äußerungen von Weidner, die bereits erwähnte zunehmende rechte Unterwanderung gewesen sein. Ein Song wie "Deutschland" vom Debüt ist zweifellos patriotisch ausgerichtet, erteilt aber mit der Zeile "Auch zwölf dunkle Jahre in deiner Geschichte machen unsere Verbundenheit zu dir nicht zunichte" allen Revisionisten eine Abfuhr, die diese offenbar völlig überhört haben müssen. Jedenfalls feierte die rechte Szene die Onkelz plötzlich zu "nationalen Hoffnungsträgern" hoch und versuchte, sie vor ihren Karren zu spannen, was die Onkelz konsequenterweise mit einer kompletten Abkehr von dieser Szene quittierten, da sie sich nicht institutionalisieren lassen wollten. Fortan galten die Onkelz bei den Rechten als "linke Verräter", während sie von der Gegenseite ungebrochen als "Nazis" gebrandmarkt wurden, was sich noch jahrelang, in vielen Fällen bis heute, hinzog. Beispielsweise drohten (nach Herr, a.a.O.) u.a. Peter Maffay und Udo Lindenberg, beim "Rock gegen Rechts"-Festival 1993 in Frankfurt/M. nicht aufzutreten, wenn die ebenfalls eingeplanten Onkelz teilnehmen würden, so daß man diese wieder auslud. Die Onkelz fanden die einzig richtige Antwort auf diese Anmaßung: Sie organisierten selbst diverse Festivals unter dem gleichen Motto.
Ganz ohne Hintergrund sind die Nazi-Vorwürfe gegen die Onkelz nicht, denn es gibt tatsächlich zwei Songs von ihnen, die rechtsradikale Texte besitzen, nämlich "Türken raus" und "Deutschland den Deutschen". Beide Songs sind in den frühen Achtzigern entstanden, als die Bandmitglieder allesamt noch in der "Sturm und Drang"-Zeit der Pubertät waren, und sollten daher m.E. nicht überbewertet werden. Besonders "Türken raus" erscheint in einer Stadt wie Frankfurt/M. mit einem Ausländeranteil von fast einem Drittel in gewisser Weise verständlich, da es zwangsläufig zu Spannungen zwischen den verschiedenen Jugendgangs kommen mußte. Daß beide Texte natürlich trotzdem keine Ausgeburten der Intelligenz sind, steht außer Frage, und das dämmerte den Onkelz auch ziemlich schnell, so daß sie beide Songs seit 1983 nicht mehr live spielten. Auch auf offiziellen Tonträgern tauchten sie nicht auf. Daß diese Songs trotzdem in der rechten Szene (und auch bei Onkelz-Sammlern, aber die sind nicht das Problem) kursieren, liegt daran, daß sie auf den beiden Frühachtziger-Demotapes veröffentlicht wurden ("Türken raus" auf beiden, "Deutschland den Deutschen" nur auf dem zweiten), von denen es eine Handvoll illegaler Pressungen gibt. Illegale Livemitschnitte der Titel existieren ebenfalls. Dafür kann man allerdings nicht die Band verantwortlich machen (nur dafür, daß sie die Songs mal geschrieben und gespielt haben), und diese nutzt auch jede Gelegenheit, um sich von besagten Songs und Aufnahmen zu distanzieren. Diese Haltung wird den Onkelz von verschiedenen Seiten als Deckmäntelchen, unehrlich und was weiß ich noch alles angekreidet, was diese wiederum geschickt nutzen, um sich daraus ein Märtyrerimage zusammenzuschrauben, das sicher zu einem gewissen Teil für die heutigen sechs- bis siebenstelligen Verkaufszahlen der Onkelz-Tonträger mitverantwortlich ist. Verfolgt man aber, wie die Öffentlichkeit, von "BILD" bis zum "Spiegel", jahrelang mit der Band umgesprungen ist (Halb- und Viertelwahrheiten, Gerüchte als bare Münze dargestellt, tendenziöse Berichterstattung in reinster Form, ge- oder verfälschte Interviews usf.), kann man diese Haltung fast verstehen. Für alle, die immer noch nicht begriffen hatten, daß die Onkelz keine Naziband sind, nahmen sie 1993 ein mehr als eindeutiges Bekenntnis gegen Nazis auf und eröffneten ihr "Weißes Album" damit.
Ich bin (auch aus musikalischer Sicht) weder Onkelz-Fan noch -Gegner, aber jede Band, auch die Onkelz, hat Anspruch auf eine faire Berichterstattung, auch und gerade, wenn sie kontroverse Ansichten äußert. Was hingegen im Falle der Onkelz abgelaufen ist, stellt die demokratische Presse (außerhalb der Rockmagazine, die teilweise schon seit den Mittachtzigern differenzierte Ansichten vertreten) in ein ganz schlechtes Licht. Ob man die Onkelz nun künstlerisch mag oder nicht, ist natürlich die Sache eines jeden Einzelnen - aber diese Band als rechtsorientiert hinzustellen, zeugt (zumindest wenn man von der Zeit ab 1986, also der Nach-Rock O' Rama-Zeit, spricht) von akuter Ignoranz und Verbohrtheit.

In "Haarus Longus Satanas?" - Teil 10 geht's an dieser Stelle weiter.



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