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Agua De Annique
von kk anno 2011

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Bis 2007 war Anneke Van Giersbergen die Stimme der niederländischen Metalband The Gathering, nun ist sie allein unterwegs. Agua De Annique heißt ihr eigenes Projekt, in dem sie sich als Singer-Songwriterin auslebt. Nebenher leiht Van Giersbergen anderen Bands ihre Stimme, auch extremen Künstlern wie Napalm Death. Kurzum: Die Niederländerin ist eine vielbeschäftigte Frau. Vor ihrem Auftritt in der Leipziger Parkbühne Geyserhaus gab es die Gelegenheit, Van Giersbergen ein paar Fragen zu stellen.

Anneke van Giersbergen

Niederländisch ist eine schöne Sprache. Warum singst du überwiegend auf Englisch? Hast du Angst, dass deine Muttersprache Hörer verschrecken könnte?
Anneke: Darüber denke ich eigentlich nicht nach. Für Bands ist Englisch die Sprache. Aus unerfindlichen Gründen sollten manche Lieder in Englisch sein. Manchmal sitze ich aber auch da und denke in Niederländisch, das geschieht aber seltener. Es ist irgendwie natürlicher, in Englisch zu schreiben. Lieder, die in Niederländisch sein sollten, erzeugen eine andere Atmosphäre. Ich schreibe auch Lieder in Niederländisch, aber es sind noch nicht genug für ein Album, denn in meiner Muttersprache bin ich langsamer. Wenn es genug sind, werde ich darüber nachdenken, wo, wann und mit wem ich sie aufnehmen will. Momentan arbeite ich außerdem noch an einem niederländischen Theaterstück für Kinder. Es basiert auf einem Buch aus den 1940ern: "The Bear That Wasn't". Darin schauspiele, erzähle und singe ich. Das ist ziemlich spannend, weil ich so etwas noch nie gemacht habe.

Es ist interessant, dass du auf Niederländisch langsamer schreibst als auf Englisch.
Anneke: Ja! Vielleicht liegt es daran, woran man gewöhnt ist. Wenn man jung ist, schreibt man in Englisch. Eigentlich glaube ich, die Sprache ist egal. Die Grenzen verfließen gerade viel mehr als früher. Bands wie Sigur Rós haben sich sogar Sprachen ausgedacht, die wir nicht verstehen, und es klingt trotzdem fantastisch.

Es gibt wenig niederländische Musik, die in Deutschland bekannt ist, wie erklärst du dir das?
Anneke: Was in Deutschland funktioniert, ist Metal: Within Temptation, The Gathering, Epica. Niederländischer Mainstream hingegen nicht. Deutschland ist ein großes Land: Alles, was wir haben, habt ihr besser, weil ihr einfach mehr seid. Die Niederlande sind ein kleines Land und dadurch gibt es natürlich weniger Musiker. In Deutschland gibt es übrigens tolle Szenen. Außerdem mag ich das deutsche Publikum: Ihr seid sehr treu, interessiert euch für Kultur und Musik. In den Niederlanden ist das nicht so.

Du hast gerade The Gathering angesprochen. Kannst du kurz erklären, warum du die Band verlassen hast?
Anneke: Der Grund war eigentlich - ich will nicht einfach sagen - aber … natürlich. Ich wollte etwas Neues machen. Ich habe ein Kind und eine Familie, mit der ich mehr zusammen sein wollte. Ich war 14 Jahre lang bei The Gathering und die Band war auch immer noch erfolgreich. Es lief gut! Aber mein Herz sagte mir, dass es Zeit für eine Veränderung sei.

Hat dich The Gathering musikalisch beschränkt?
Anneke: Nicht einmal das! Manchmal ist es schwer zu erklären. Es war Zeit und ich wollte meinen eigenen Weg gehen: meine Ideen, meine Lieder. Die Musik von The Gathering hat mich nie gelangweilt; sie ist sehr facettenreich.

Wie schätzt du die Chancen für eine The-Gathering-Reunion ein?
Anneke: Das ist eine gute Frage. Du weißt nie, was in 20 Jahren ist. Aber jede Band kommt früher oder später wieder zusammen.

Vermisst du die Metal-Szene?
Anneke: Ich bin immer noch mit einem Fuß in der Metal-Szene! Devin Townsend, Moonspell ... Ich arbeite viel mit Metalbands zusammen und habe nicht das Gefühl, dass ich die Szene verlassen habe. Ich mache nur momentan, wonach mir ist. Das ist das Schöne daran, auf sich gestellt zu sein. Ich denke nicht darüber nach, welche Schritte ich als nächstes unternehmen sollte. Ich tue einfach, was sich richtig anfühlt. Gerade ist mir nach einem Pop/Rock-Album.

Kannst du noch einmal einen Überblick über deine vielen Zusammenarbeiten geben?
Anneke: Gerade wurde ein Novembers-Doom-Stück mit mir veröffentlicht, ein sehr schönes Lied einer harten Band, das ihnen viel bedeutet. Darüber hinaus arbeite ich mit Devin Townsend, was mich sehr stolz macht, weil ich seine Arbeiten seit Jahren liebe. Als er "Addicted" veröffentlicht hat, an dem ich mitgearbeitet habe, und ich "In My Room", wurde ich bei Interviews zu beiden gefragt. Ich habe mich ertappt, wie ich bei meiner Zusammenarbeit mit Devin stolzer war als bei meiner eigenen. Etwas Anderes steht gerade nicht an. Nur kleine Konzerte mit verschiedenen niederländischen Musikern.

Du bist musikalisch sehr breit aufgestellt - was deine Musik angeht, aber auch die Künstler, mit denen du zusammenarbeitest. Es macht den Eindruck, als ob dich sehr verschiede Musik beeinflusst hätte.
Anneke: Ja, ich mag vieles. Ich bin mit Black Music aufgewachsen: Diana Ross, Marvin Gaye, Mahalia Jackson. Aber ich habe auch immer die Beatles und die Stones geliebt. Dann bin ich zum Pop gekommen - Madonna, Prince -, später zum Metal. Ich liebe Metal noch immer, vor allem Alternative Metal. All diese Richtungen haben eine Gemeinsamkeit: Wenn es gute Melodien sind, die dich ergreifen, ist es gute Musik. Ich mag zum Beispiel System Of A Down. Das ist eine Band mit Melodie, Emotionen und tollen Stimmen. So etwas berührt mich sehr. Ich mag auch die Energie im Black Metal, könnte aber nie ein komplettes Album hören, weil mir die Melodie fehlt. Singer-Songwriter mag ich nicht ganz so sehr. Ich glaube, es gibt eine Balance in Allem. Deswegen mache ich auch manchmal Pop, manchmal Rock, manchmal Balladen. Manchmal ist man einfach in der Stimmung dazu. Nur Reggae mag ich nicht. Vermutlich Geschmackssache.

Hat die Geburt deines Sohnes etwas daran geändert, wie du Lieder schreibst?
Anneke: Nicht wirklich. Aber ein Kind verstärkt Prozesse. Ich bin mir nun vieler Dinge bewusster als vor der Geburt. Man kann nicht mehr herumspinnen und muss praktisch denken, sich vieler Dinge bewusst sein und Entscheidungen auf Basis des Wohlbefindens der Familie und sich selbst treffen. Ich versuche mehr auf mich Acht zu geben, denn wenn ich fröhlich und gesund bin, bin ich eine gute Mutter. Außerdem muss ich meine Zeit einteilen! Manchmal sind wir wie die CIA zuhause und planen jede Minute, damit Zeit bleibt, sich zu erholen und mit der Familie zusammen zu sein. Ich bin eigentlich gar nicht pragmatisch veranlagt, eher sogar chaotisch! Das ist also eine große Aufgabe für mich.

... zumal dein Ehemann Rob noch sein eigenes Studio betreibt.
Anneke: Das haben wir zu Hause! Das haben wir extra so gemacht, damit wir zu Hause arbeiten können, während unser Kind in der Schule oder im Bett ist. Alles was wir entscheiden, orientiert sich an unserem Wohlbefinden. Das ist sehr erfüllend, aber - verdammt! - ich mache auch oft Fehler [lacht].

Bereust du Fehler?
Anneke: Nein, niemals. Das ist das Schöne daran. Ich mache viele Fehler, bereue aber nie, denn ich tue immer das, was mir zu dem Zeitpunkt am sinnvollsten scheint. Manchmal stelle ich nach einer Sekunde fest, dass es dumm war, manchmal nach einem halben Jahr. Aber ich bereue nicht, denn man lernt und macht's beim nächsten Mal besser. Wir sind nur Menschen. Von Zeit zu Zeit versuche ich die beste Mutter der Welt zu sein, versage fürchterlich und probiere es aufs Neue. So ist das Leben, am Ende stirbt man. Währenddessen sollte man Spaß haben. Ich liebe das Leben, mein Kind, Musik, meinen Mann, meine Fehler.

"Air" ist düster und melancholisch, "In Your Room" positiver und nach vorn gerichtet. Reflektieren die Alben deine Gefühle zu den jeweiligen Zeitpunkten?
Anneke: Ja, sehr! Ich habe mich so gefühlt und ein Album gemacht. Ich bin eine einfache Person.

Du hast offenbar eine Neigung zum Dunklen: The Gathering, deine Zusammenarbeit mit Napalm Death, Devin Townsend, Moonspell usw. Wo ist deine düstere Seite jetzt gerade?
Anneke: Sie ist immer noch da! Ich liebe düstere und melancholische Musik. Ich bin eine von Natur aus fröhliche Person. Es gibt immer zwei Seiten. Meine dunkle Seite ernährt sich von Musik. So muss ich im Alltag nicht traurig sein. Das ist vermutlich therapeutisch. Für fröhliche Musik kann ich mich kaum begeistern, obwohl ich eine fröhliche Person bin. Die macht mich wahnsinnig.

Reggae ist fröhliche Musik - mit viel Dur! Vielleicht magst du das Genre deswegen nicht.
Anneke: Ja! Vielleicht liegt's daran!

Du hast begonnen, für ein neues Album zu schreiben. Auf deinem Blog steht, dass du dich mit dem Portugiesen Daniel Cardoso zusammengetan hast. Habt ihr schon etwas aufgenommen?
Anneke: Ja, wir schreiben und nehmen gleichzeitig auf. Er ist in Portugal, ich in Holland. Wir senden uns viel via E-Mail, was ziemlich gut klappt. Ich war eine Woche bei ihm, habe am Gesang gearbeitet und ein paar Lieder geschafft. Er ist ein Typ, der Melodien, Düsternis und Up-Tempo gut verbinden kann. Ich liebe es, das wird richtig gut, besser als alles, was ich bisher gemacht habe! Viel Up-Tempo, ein paar Balladen, griffiger Pop/Rock, aber auch hart!

Wie klingt für dich das perfekte Lied?
Anneke: Wenn ich das wüsste, würde ich es schreiben (lacht). Ich bin eine okaye Songwriterin. Es gibt Lieder von Bob Dylan oder John Lennon, die perfekt sind: guter Anfang, gutes Crescendo, gute Melodie, guter Text, gute Aufnahme. Ich rede hier natürlich von den besten Liedern der Welt.

Wann bist du zufrieden, wenn du an einem Lied schreibst?
Anneke: Eine gute Frage. Ich weiß es nicht. Es gibt einen Punkt, an dem ist es einfach OK. Ich mag es nicht, zu lang daran zu arbeiten. Ich merke sehr schnell, ob es in die richtige Richtung geht. Kleine Fehler oder ob der Song perfekt ist, sind mir nicht so wichtig. Wenn es sich gut anfühlt, ist es fertig. Ich bin ungern Ewigkeiten im Studio und will auch nicht an einer Snare Drum, einem bestimmten Klang oder einer Gesangslinie arbeiten. Für mich ist das Lied fertig, wenn das Ganze gut klingt und sich gut anfühlt. Um Details kümmere ich mich nicht so sehr. Wenn man zu lang an Liedern arbeitet, verliert man den Blick auf das Ganze. The Gathering ist eine Band, die auf Details achtet: Sie haben Stunden über Stunden im Studio verbracht und über Klänge nachgedacht. Deswegen ist die Musik so facettenreich. Wenn man die Ausdauer und Willenskraft dazu hat, kann man großartige Stücke schreiben. Da ich alleine arbeite, bin ich schnell. Meine Musik ist dann nicht so vielschichtig, aber es fühlt sich nett an.

Vielen Dank für deine Zeit.









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