www.Crossover-agm.de V.A.: Rock Your Life Vol. 1
von rls

V.A.: Rock Your Life Vol. 1   (Noisegate Productions)

Ein Sampler für rockenden Nachwuchs aus den deutschsprachigen Landen Mitteleuropas, welcher in 20facher Ausfertigung mit je einem Song vertreten ist. Natürlich ist es nicht einfach, anhand nur eben eines Songs ein Urteil über eine Band zu fällen, von der man kein weiteres Material kennt (und das trifft bei mir mal eben auf alle 20 Bands zu, von denen mir einige bisher nur vom Namen her und andere überhaupt nicht geläufig waren), da man ja nicht weiß, inwieweit der vertretene Song repräsentativ ist. Ich versuch's trotzdem:
Campbeaver aus Köln eröffnen mit "Ballpen" und erinnern mich phasenweise irgendwie an Faith No More: Sie kombinieren eine eher funkige Strophe mit feistem, manchmal leicht alternativem Metal im Refrain, im Hauptriff und im Solo. Produziert hat diesen Song übrigens Klaus Lemm - sollte das tatsächlich der Sänger der gutklassigen deutschen Mittachtziger-Accept-Nacheiferer Stormwind (nicht mit den heutzutage aktiven Schweden zu verwechseln) sein? Die nachfolgenden Chax aus Coburg ähneln der Herangehensweise Campbeavers etwas, integrieren in "First Attack" aber auch noch ganz leichte Rapeinflüsse sowohl im Gesang als auch mittels des eingesetzten Scratchings. Dagegen sind die Berliner Yellowhouse mehr im traditionellen Rock zu Hause und machen nach einer getragenen Einleitung in "Ahead Of Your Time" relativ geradlinig Tempo. Nur der Sänger gefällt mir hier nicht ganz so gut - er ist nicht schlecht, aber sein alternativ-punkiger Anstrich will irgendwie nicht so recht zum Rest der Musik passen. Hensley kommt auch aus Berlin und heißt mit Vornamen Rick, so daß eventuelle Verwandtschaften mit dem berühmteren Ken nicht verifiziert werden können. "Kiss Me Baby" bietet das, was man anhand des Songtitels schon vermutet, nämlich simplen mitgrölkompatiblen Punk'n'Roll der skandinavischen Schule. Daß die Flüsterparts an "Are You Ready For Some Darkness" von Turbonegro erinnern, wird kaum Zufall sein. Aus der Geburtsstadt von Karl Marx, nämlich Trier, grüßt die "Medusa", kultiviert von den Star-Crossed Lovers. Kann sich jemand vorstellen, daß Ronnie James Dios Band Dio selbst sowie ihren Keyboarder rausschmeißt, erstgenannten durch einen alternativlastigen Sänger ersetzt und anfängt, Indie Rock zu machen? Ja? Gut. Dann weiß derjenige auch, wie sich diese Medusa hier anhört. Mit dem einprägsamen Songtitel "I.W.R.L.C.W.D." warten die Saarländer Avoided auf (das muß sowas Ähnliches wie "Ich Will Roland Ludwigs Computer Weitgehend Deleten" heißen) und haben offensichtlich auch gleich ihren Sängerposten avoided. Zu hören bekommt man guten spacigen Rock irgendwo zwischen Silverbullit, Hawkwind und Monster Magnet (Rock wohlgemerkt, nicht etwa Metal). Monty Burns aus Witten punkrocken sich durch "Bullshit" und gehen dabei nicht so geschliffen wie die Hosen, aber auch nicht so anarchistisch wie diverse Dreiakkordalkoholhelden zu Werke. Mit Frame begeben wir uns nach Österreich, und zwar zu einem Trio, das sich einer Art von fast anachronistischem Rock verschrieben hat. Wer den eher 70er-lastigen Teil des Labelprogramms der kultigen Berliner von Hellhound Records (RIP) zu schätzen wußte, wird auch mit dem doomstonerig angehauchten Frame-Work (welch Wortspiel!) "Distraction" etwas anfangen können. Mit Chaosutra bleiben wir in Österreich, und anhand deren Logogestaltung ist noch vor dem ersten Ton von "Raise Your Voice" klar, daß die Metal spielen müssen. Das tun sie dann auch, und zwar eine relativ eigenwillige Variante: Mittelschneller Thrash ohne Nu-Parts kontrastiert mit atmosphärischen Halbakustikgitarren, nur der Sänger könnte noch ein klein wenig abwechslungsreicher werden (was Menschen, denen beispielsweise Michael Lucarelli bei Sacrosanct gefallen hat, aber kaum stören dürfte). Mit Firegarden bleiben wir im Metal, und zwar in seiner melodisch-schnellen Variante. "Until I Awake" weiß mit Spielfreude und Energie zu begeistern, ein fähiger Sänger tut das Übrige dazu, und nicht mal die Tatsache, daß sich das Schweinfurter Duo um Markus Trunk (Prost!) fürs Schlagzeug Angelo Sasso von Running Wild ausborgen mußte, stört das hervorragende Gesamtbild entscheidend. Mehr davon! Auch Mertyrium sind offenbar Traditionalisten durch und durch, allerdings ist "Fate Of Time" eine Halbballade, so daß ich nicht weiß, wie deren sonstiges Material klingt. Ich tippe mal auf irgendwas zwischen Hardrock und Power Metal, denn die letzte Minute des Songs schraubt das Tempo gehörig nach oben und landet dann zwischen den angesprochenen Genres. Der Sänger dieser Hessebube geht als eine Art melodische Variante von Chris Boltendahl durch. Weiter in Richtung französischer Grenze haben Messenger ihr Lager aufgeschlagen. "Feel The Fire" ist kein Overkill-Cover, aber die Band intoniert trotzdem recht US-lastigen Power Metal der vollprofessionellen Sorte. Hervorzuheben hier der Sänger, der ansatzlos von verhältnismäßig tiefen Mittellagen (schön zu hören im akustischen Mittelpart des Songs) in hohe Schreie übergeht. Bei Divinity hätte man eigentlich vermuten können, daß es sich um Amorphis-Nacheiferer handelt, und "Eve" läßt diese Möglichkeit auch noch bis zum Einsatz des Gesanges offen. Den hat nämlich eine Frau übernommen, und statt der für Amorphis-Nacheiferer zwingend notwendigen Siebziger-Einflüsse beziehen Divinity die ihrigen dann doch eher aus dem Gothic Rock. Wem Flowing Tears gefallen oder wer bei Lacuna Coil auf die männliche Stimme verzichten zu können glaubt, der wird sicher auch mit Divinity glücklich. Crimestop aus Esslingen irritieren mit dem Songtitel "Rock'n'Roll Years" und der Optik auf dem Bandfoto (wo sich gleich zwei der Bandmitglieder einen ZZ Top-Bart aus der Kleiderkammer des örtlichen Theaters geliehen haben), denn sie spielen eher eine Sorte Mittachtziger-L.A.-Rock der glattpolierten Sorte, in den sich nur selten mal richtiger Altrock verirrt. Insgesamt durchaus unterhaltsam, wenn auch mit über fünf Minuten etwas zu lang - vier hätten für die musikalische Substanzverteilung auch gereicht. Eine Schweizer Band ist auch vertreten: Living G lassen sich so gar nicht richtig einsortieren. "Gospel In My Soul" klingt zwar (abgesehen von den leicht verzerrten Gesangspassagen, welche jeweils den zweiten Strophenteil bilden) irgendwie etwas nach dem typischen 80er DDR-Kirchenrock. Sollte man den auch in der Schweiz kennen? Echte Ossis dagegen sind Schimmelreiter, und die singen (als eine von nur zwei Bands dieses Samplers) in "Routine" auch deutsch (nicht sächsisch, wohlgemerkt!). Musikalische Vorbilder dagegen finden sie eher elbabwärts, nämlich in der Hamburger Schule, die sie allerdings geschickt mit eher traditionellem Rock zu verknüpfen wissen, somit nicht allzu tief im weinerlichen Sumpf versinkend. Einer ähnlichen Herangehensweise frönen Music Brackets aus Münster, deren Problem allerdings am Mikro steht und in "Voices In My Head" selbst in den heftiger gemeinten Passagen ("Pressure - too much pressure!") so gelangweilt klingt, als hätte man ihn auf Valium gesetzt. Schade um den guten instrumentalen Unterbau. Vielleicht sollte man als Experiment mal die Backgoundsängerin nach vorne lassen. Zu Schmerz-Patient aus Wittenberge braucht man nicht viel zu sagen: "Halt's Maul und geh!" ist typischer Deutschpunk mit all dessen Stärken und Schwächen, allerdings fällt der phasenweise halbakustische Strophenunterbau ein bißchen aus dem Rahmen. Unter dem Slogan "Power from the Eastside" gehen die Nordossis 4Souls zu Werke. Ein gutes Basisriff reicht allerdings nicht ganz aus, um "Reality" entscheidend nach vorne zu pushen. Mit einer fetteren Produktion (besonders die Drums klingen arg blechern, und im Baßsolopart kippt der ganze Sound um) käme der traditionelle (Hard) Rock vermutlich bedeutend besser zur Geltung, und live auf der Bühne sowieso. Da gehören übrigens auch Outback hin, die mit einem Cover von "Sweet Home Alabama" den Sampler beschließen und dem Original keine Schande machen. Daß man bei einem solchen Bandnamen nur Southern Rock machen kann, versteht sich wohl von selbst.
Alles in allem also ein interessanter Einblick in den rockenden Underground - zwar wird kaum jemand alle 20 Bands gleichermaßen mögen, aber dafür auch fast jeder Rockhörer das eine oder andere Highlight für sich entdecken können. Im Booklet gibt's zu jeder Band das Logo, ein recht briefmarkiges Bandfoto und (löblich, da keineswegs selbstverständlich) die Kontaktmöglichkeiten. Zu ordern ist der Sampler bei Noisegate Productions, Kaiserstraße 170-174, 66386 St. Ingbert, info@rock-your-life.de, www.rock-your-life.de

Tracklist:
Campbeaver: Ballpen
Chax: First Attack
Yellowhouse: Ahead Of Our Time
Hensley: Kiss Me Baby
Star-Crossed Lovers: Medusa
Avoided: I.W.R.L.C.W.D.
Monty Burns: Bullshit
Frame: Distraction
Chaosutra: Raise Your Voice
Firegarden: Until I Awake
Mertyrium: Fate Of Time
Messenger: Feel The Fire
Divinity: Eve
Crimestop: Rock'n'Roll Years
Living G: Gospel In My Soul
Schimmelreiter: Routine
Music Brackets: Voices In My Head
Schmerz-Patient: Halt's Maul und geh!
4Souls: Reality
Outback: Sweet Home Alabama
 




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