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Amorphis, Lacrimas Profundere   31.10.2003   Glauchau, Alte Spinnerei
von rls

Ein Scherzbold der ganz besonderen Sorte hatte im Tourkalender eines großen deutschen Metalmagazins den Namen der Supportband mit Lacrimosas Profundere angegeben. Falls sich im gut gefüllten Saal durch diesen Umstand bedingt beinharte Wolff-Nurmi-Supporter befunden haben sollten, werden diese ebenso eine Überraschung erlebt haben wie ich, der ich mich noch an ein paar alte CD-Reviews zu erinnern können glaubte, in welchen der Band eine eher elektronisch geprägte Gothic-Variante nachgesagt wurde. Vielleicht hab' ich da aber auch was verwechselt. Jedenfalls rockte die Band schon beim Soundcheck (den ich ausschnittweise miterlebte, da ich in der Halle auf meinen Amorphis-Interviewpartner wartete) phasenweise ordentlich ab und im Konzert selbst natürlich auch. Stilistisch warf man alles in einen Topf, was irgendwie düsterrockig klang und bei drei nicht auf den Bäumen war. Da gab es also Anathema-verdächtige Melodiebögen, HIM-Plakativität, verstonten Rock, viele Finnlandtendenzen aus der Sentenced-Schublade, einige eher aus Progkreisen bekannte Rhythmuswechsel und Breaks und dann doch noch Pathos der Marke Lacrimosa. Im Gegensatz zu Herrn Wolff konnte der LP-Sänger allerdings singen - folglich tat er es auch, zudem noch in großer Variabilität, die auch fieses Gekreisch nicht ausschloß und bei der nur der bisweilen eingesetzte Verzerrer etwas nervte. Die angenehme Lautstärke sorgte dafür, daß man trotz der nicht leicht abzumischenden Besetzung mit zwei Gitarren plus Keyboards ein halbwegs transparentes Klangbild bekam, und auch vom Stageacting her präsentierte sich das Sextett recht engagiert. Nur vom Songmaterial her agierte die Band etwas zu unspektakulär, um bei unbedarfen Anwesenden eine Langzeitwirkung hervorzurufen, und zudem saß sie mit der angesprochenen Mischung irgendwie zwischen allen Stühlen, auch was die Definition der Zieltätigkeit anging: Zum konsequenten Abrocken fehlte etwas der letzte Kick, zum andächtigen Songstrukturennachvollziehen war die Vertracktheit nicht hoch genug, und zum innigen Kuscheln mit der schönen Frau 80 cm weiter rechts genügte der Romantikaspekt den Ansprüchen definitiv nicht. Trotzdem in der Gesamtbetrachtung angesichts meiner genannten Erwartungen eine eher positive Überraschung.
Bei Amorphis stellte sich vorab die Frage, ob die Band mit ihrer Vergangenheit konsequent abgeschlossen hat und sich dementsprechend auf das neue Material konzentrieren würde oder aber eine allumfassende Retrospektive bieten würde. Zur Freude des Rezensenten und wohl auch großer Teile der Anwesenden war zweitgenanntes der Fall. Ich beispielsweise hätte nicht unbedingt damit gerechnet, nach dem Intro gleich mal mit "In The Beginning" (einem der Classics von "Tales From The Thousand Lakes") empfangen zu werden, obwohl dieser Song alleine aufgrund des Namens der ideale Show-Opener ist (da es mein erstes Amorphis-Liveerlebnis war, kann ich nicht sagen, womit die Finnen die Sets ihrer letzten Touren eröffnet haben). Offenbarte der Track noch kleine Startschwierigkeiten, so hatten sich die sechs Söhne Suomis spätestens mit "The Way" und dem brillanten "Against Widows" warmgespielt und zauberten in der Folgezeit ein Highlight nach dem anderen hervor. Stilistisch sind sie mit ihrer Mischung aus 70er Rock, Folk und mal mehr, mal weniger Metal sowieso einzigartig. Zwar war der Sound leicht verwaschen, so daß man manche der feinen Gitarren- und Keyboardmelodien nur deshalb heraushören konnte, weil man den zugehörigen Song eh in- und auswendig kennt, aber das machte unterm Strich auch nichts mehr aus. Sänger Pasi führte mit großer Hingabe durchs Programm und beeindruckte mit einem vokalen Spektrum, das zwischen dem die neuen Tracks dominierenden weichen Cleangesang, dem etwas rauheren Shouten etwa zur "Elegy"-Phase und dem alten, früher von Gitarrist Tomi Koivusaari übernommenen Death Metal-Grunzen mit großer Leichtigkeit hin und her sprang. Einziges kleines unsympathisches Detail (es soll nicht überbewertet, aber auch nicht verschwiegen werden) war Pasis Textabweichung in der letzten Strophe von "On Rich And Poor": Natürlich darf man als Künstler ausdrücken, daß man generell antireligiös eingestellt ist. Wenn man das jedoch tut, indem man aus einem historischen Text (in diesem Falle aus dem Kanteletar) die Passage "... the one son of God" (es geht da um so 'ne Art Schöpfungsmythos der Sonne und des Mondes) in "... the one son of Satan" ändert (in der 96er Studioversion erklingt das Original), dann muß man sich die Frage nach dem Warum dieser Perfidität schon gefallen lassen. Aber weiter im musikalischen Text: In der Setlist tauchten überraschenderweise nur vier Songs der neuen Scheibe "Far From The Sun" auf, der erste zudem erst an siebenter (!) Setposition, nämlich der monströse Hit "Day Of Your Beliefs". Statt dessen gab es mit "Grail's Mysteries" sogar einen Ausflug zum Debüt "The Karelian Isthmus" zu vermelden, welcher die am schnellsten kreisenden Matten im Publikum zur Folge hatte (wer auch noch auf die Wiedergabe von etwa "Misery Path" spekuliert hatte, wurde enttäuscht). In diesem Zusammenhang verdient die Leistung von Drummer Atte Sarkima besondere Erwähnung, denn der vor dem aktuellen Album wieder eingestiegene Originaldrummer Jan Rechberger mußte aufgrund einer Familientragödie schon nach dem ersten Gig der Tour wieder nach Finnland zurückkehren, so daß Atte ihn kurzfristig ersetzte und eine tadelsfreie Performance bot, sich als mit dem Rest der Band hervorragend eingespielt präsentierte. Der reguläre Set endete mit dem "Tales ..."-Klassiker "The Castaway" und dem gegen Songende in einen Spielrausch verfallenden "On Rich And Poor", während man den Zugabenteil ruhig mit der Akustikversion von "My Kantele" eröffnete und nach "Killing Goodness" natürlich noch das unvermeidliche "Black Winter Day" intonierte. Damit endete für den Rezensenten ein schöner Trip in die Vergangenheit (den seine Begleiterin zwar nicht in dem Maße nachvollziehen konnte - schließlich war sie zur Erscheinungszeit von "Tales From The Thousand Lakes" noch im einstelligen Alter -, aber auch ihr gefiel's), und bei einer Band mit einer Klassikerliste, wie Amorphis dies sind, dürften natürlich jedem Anwesenden ein paar Songs im Set gefehlt haben (der Rezensent zählt hier exemplarisch "Into Hiding", "Elegy" und "Grieve Stricken Heart" auf). Aber so hat man gleich wieder einen Grund, auch auf der nächsten Amorphis-Tour wieder vor Ort zu sein.

Setlist Amorphis (ist die vom Gig in Aalen, müßte aber mit der Glauchauer identisch sein, wenn ich mich nicht verhört habe):
In The Beginning
The Way
Against Widows
Divinity
Alone
Tuonela
Day Of Your Beliefs
Evil Inside
Grail's Mysteries
Goddess Of The Sad Man
Mourning Soil
The Castaway
On Rich And Poor
------------------------
My Kantele
Killing Goodness
Black Winter Day



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