ST. ELMO'S FIRE: Desperate Years von rls (Karthago Records)
Nomen est omen: In mehr als zehn verzweifelten Jahren versuchten St. Elmo's Fire, aus der zweiten metallischen Reihe in die erste vorzudringen, aber Erfolg war ihnen bei allen vier Albenversuchen nicht beschieden, auch nicht mit dem letzten, das ebenjenen programmatischen Titel trug und im Jahr 1992 herauskam, also ein Jahr nach "Nevermind" einer gewissen Truppe namens Nirvana, wonach die Zeiten für traditionellen Metal noch schwerer wurden, als sie während der Polarisierung zwischen Thrashern und Posern in den mittleren bis späten Achtzigern sowieso schon waren. Wie der Vorgänger "Powerdrive" erschien "Desperate Years" bei Black Dragon Records in Frankreich und hatte abermals einen neuen Bassisten vorzuweisen, während der Rest der Truppe seit dem ersten Album konstant geblieben war. Nicht ganz konstant geblieben war der Musikstil: Zwar zeigte sich das US-Quartett grundsätzlich im Traditionsmetal verwurzelt, aber zum einen bewegte man sich schrittweise auf den Hollywood-Haarspray-Metal zu, während man zum anderen auch noch ganz andere Stilistika einfließen ließ. Der Opener von "Desperate Years", "Chain Around My Heart", präsentiert sich dabei sogar etwas seiner Zeit voraus und läßt ahnen, wie Alice Cooper auf "The Last Temptation" zu Werke gehen würde, zumal auch Sänger Zane Lazar hier ein klein wenig an Herrn Furnier erinnert. Die Slidegitarrenanklänge weisen zudem ein wenig in Richtung Cinderella. Das zweitplazierte "On Fire" wiederum pendelt zwischen harten und akustischen Parts hin und her, was St. Elmo's Fire offenbar so gut fanden, daß sie es für den nachfolgenden Titeltrack, der zu den besten Nummern der Scheibe gehört, gleich nochmal realisierten. Überraschung allerdings: "Desperate Years" stammt aus der Feder von Bandkopf/Gitarrist Jeff Jones, der bisher praktisch auch Alleinsongwriter gewesen war - "On Fire" und später auch noch "Here And Beyond" hat aber Zane Lazar geschrieben. An "Part Of My Life" und "This Time" wiederum war Ur-Sänger Tim Allwein songwriterisch beteiligt, aber es sind nirgendwo Hinweise zu finden, ob es sich um alte Kompositionen aus seiner Zeit mit der Band (die von 1980 bis 1985 währte), die erst jetzt den Weg auf einen Tonträger gefunden haben, handelt oder um eine späte neuerliche Zusammenarbeit Allweins mit der Band. Stilistisch unterscheiden sich die beiden Nummern schon etwas vom neuen Hauptsound des Quartetts (man höre alleine mal das kernige Hauptriff von "Part Of My Life" und den stampfenden Polterrhythmus), der die eine oder andere Parallele zu den Stryper der Jahrzehntwende aufweist - allerdings ohne deren Hang zu opulenten Chorarrangements. Im Gegensatz zu früheren Alben setzen St. Elmo's Fire an einigen Stellen Keyboards ein, allerdings nicht zur Kommerzialisierung ihres Sounds, sondern zur gezielten Stimmungserzeugung, wie es im Titeltrack besonders gut gelingt. Sie kommen allerdings auch gut ohne diese Zutat aus, wie etwa der zeitlos gute Partymetaltrack "Hot Time" unter Beweis stellt, in dem Jones auch solotechnisch alles gibt, um den kopulationsorientierten Text zum Höhepunkt zu führen. Daß Beziehungen auch Kummer erzeugen können, hat bereits zuvor die Ballade "Without You" unter Beweis gestellt, und auch die später besungene "Michelle" ist nicht mehr an der Seite des Protagonisten. Besagte Nummer und auch "Other Nights To Cry" kennzeichnet die Tracklist im Booklet übrigens mit einem Sternchen, das allerdings nirgendwo erklärt wird, während die Tracklist auf dem Backcover "Summertime Girls" und "Really In Love" mit einem Sternchen versieht, das dort die Bezeichnung "Bonustrack" hat und die beiden dem vorliegenden Re-Release in der "Heavy Metal Classics"-Serie des Karthago-Labels hinzugefügten Nummern bezeichnet. Möglicherweise sind "Michelle" und "Other Nights To Cry" die Bonustracks der ursprünglichen CD-Version gegenüber der LP - 1992 war das ja durchaus noch gängige Praxis, und die 12 Nummern der originalen CD-Version wären für eine einfache LP schon ziemlich lang. Apropos Länge: Längste Nummer des Albums ist "Rivethead Jam", ein achtminütiges Instrumentalstück, das offensichtlich einer Jamsession entsprungen ist (man hört hier auch wirklich nur drei Musiker - wenn Jones soliert, gibt es keine Rhythmusgitarre) und in struktureller Hinsicht ziemlich aus dem Rahmen des von dieser Band Gewohnten fällt. Aber das tut ein Akustikrocker wie "Where Were You" auch - auf dem selbstbetitelten Debütalbum hätte man sich den noch nicht vorstellen können. Freilich liegen da eben sechs Jahre und musikgeschichtliche Umwälzungen dazwischen, und Lazars markante (und abermals richtig gute!) Stimme hält das Ganze zusätzlich zusammen. Trotzdem verwundern die immensen Soundunterschiede etwa zwischen "Where Were You" und "Michelle", was möglicherweise doch eine andere Bedeutung des Sternchens assoziieren könnte. So entsteht irgendwie ein unentschlossener Eindruck, noch unentschlossener als auf "Powerdrive", und obwohl "Desperate Years" in einem Jahrzehnt erschien, das die musikstilistische Inhomogenität förmlich zum Stilmittel erhob, so erwartete ebensolche doch niemand von einer melodischen Metalband, die zudem immer noch zu ihren traditionellen Wurzeln stand, wenngleich ursprünglicher kerniger Metal auf dem regulären Albumteil durchaus Seltenheitswert hat, wenngleich er nicht völlig verschwunden ist. Aber die schwierige strukturelle Lage verbesserte sich mit einer Mexikotour noch im Veröffentlichungsjahr nicht, und so löste sich die Band am Jahresende 1992 auf. Die 2012 wieder aufgenommenen Aktivitäten von Jeff Jones und Drummer Kris Gustofson haben bisher noch kein neues Material hervorgebracht, so daß sich alle Interessenten zunächst mit den Wiederveröffentlichungen der vier alten Alben bescheiden müssen, deren Serie mit dem wie beschrieben etwas seltsamen und orientierungslosen, aber trotzdem etliche interessante Songs beinhaltenden "Desperate Years" nun komplett ist.
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