www.Crossover-agm.de HAKEN: Affinity
von rls

HAKEN: Affinity   (Inside Out)

Redaktionsinterner Haken-Spezialist ist eigentlich Kollege CSB, der die Truppe auch schon (mindestens) zweimal live gesehen hat, während für den hier tippenden Rezensenten "Affinity" die erste Begegnung mit der Band über eine länger als Einzelsongs währende Distanz darstellt. Das mit der Länge der Einzelsongs ist freilich so eine Sache: Beim von CSB rezensierten Supportgig für Between The Buried And Me anno 2015 brachten Haken in 50 Minuten Spielzeit gerade mal fünf Songs unter - also ein Zehnminutenschnitt, der auf der neuen CD, Hakens vierter, zwar unterboten wird, aber unter Subtraktion des kurzen Elektronikintros "affinity.exe" bleibt für die restlichen acht Nummern immer noch ein knapper Achtminutenschnitt übrig, und das enthebt die Band jeden Verdachtes, etwa "kommerziell" geworden zu sein. Interessanterweise könnten sie theoretisch durchaus radiotaugliche Dreieinhalbminüter produzieren, wenn sie das denn wollten - das etwas an eine gitarrenlastigere Version von Saga erinnernde Eingangsthema von "1985" etwa hätte durchaus zu so einer Nummer ausgebaut werden können, aber Haken machen statt dessen halt einen neunminütigen Progmetalhit draus, mit einem geradezu unverschämt eingängigen Refrain und in den Strophen gelegentlich leicht angezerrtem Gesang von Ross Jennings, wie man ihn zur titelgebenden Zeit durchaus öfter zu hören bekam (nur damals halt nicht im sich gerade entwickelnden Neoprog). Besagte Zeit, also die Mittachtziger, hat in der ganzen Albumgestaltung ihre Spuren hinterlassen, denn die erinnert an einen Mix aus klassischer Schriftgrafik vergangener Jahrzehnte und MS-DOS-Eingabefeldern, und daß im Booklet, wo neben jeder Lyrics-Seite eine Grafikseite angeordnet ist, neben dem "1985"-Text ausgerechnet ein Rubik-Zauberwürfel (wenn auch in abweichender Farbgestaltung) zu sehen ist, dürfte alles andere als ein Zufall sein. Haken bringen allerdings musikalisch das Kunststück fertig, bestimmte Tugenden des Achtziger-Songwritings zu adaptieren, jedoch trotzdem nicht vorgestrig zu klingen, sich andererseits aber auch vom "Anything goes"-Zeitgeist der Jetztzeit abzusetzen und sich vom krampfhaften Experimentieren fernzuhalten. Das ist natürlich alles andere als progressiv im Sinne von fortschrittlich, auch wenn Blastbeateinwürfe wie in "The Architect" im Progmetal nach wie vor Seltenheitswert besitzen (und man dort einige Durchläufe braucht, um sich an sie zu gewöhnen). Haken sind per geltender Definition trotzdem definitiv im Progmetal einzuordnen, wenngleich sie hier und da durchaus nach "unten" in Richtung Progrock schielen und Ross Jennings für Metal eigentlich eine völlig ungeeignete Stimme besitzt, sondern butterweich croont wie a-has Morton Harket zu seinen besten Zeiten (aber der ging noch ein bißchen höher zu Werke). Damit lauern als passender Vergleich auf alle Fälle Harkets Landsleute Leprous, allerdings weisen Haken weder deren gelegentliche psychedelische Neigungen noch die zu gewissen Andüsterungen auf. Toxic Smile wären eine weitere vergleichbare Band, und zwar zu den Zeiten, als sie sich vom Grat zwischen Progrock und Progmetal ein wenig auf die Seite des letzteren zu schlagen begonnen hatten, wobei Larry B. allerdings doch ziemlich anders singt als Jennings und Haken auch instrumententechnisch bei der klassischen Besetzung aus zwei Gitarren, Keyboards, Baß und Drums bleiben, Marek Arnolds Gebläse hier also keine Entsprechung findet. Will man auf der britischen Insel bleiben, so bietet sich ein Vergleich zu Threshold an, und obwohl die in der Gesamtbetrachtung einen Tick geradliniger zu Werke gehen, könnten die Anhänger der einen auch die anderen mögen - und etwa das Gitarrensolo nach Minute 10 von "The Architect" hätte auch dem Hirn von Karl Groom entsprungen sein können. Aber der hätte dann vermutlich nicht Einar Solberg rangeholt, der das Solo in Grund und Boden brüllt und gleich noch einen dieser raren Blasteinwürfe Ray Hearnes an die Seite gestellt bekommt, womit besagte Nummer nicht nur tracklisttechnisch, sondern auch musikalisch das hervorgehobene Herzstück von "Affinity" bildet. Zudem demonstrieren Haken hier die große Kunst, einen Song eigentlich scheinbar schon abzuschließen, ihm dann aber doch noch weitere Parts anzuhängen und dem Grundthema damit noch zusätzliche Facetten abzugewinnen, so daß es nicht so wirkt, als sei hier einfach Einfallslosigkeit am Werk gewesen. Interessanterweise endet "The Architect" dann nach fünfzehneinhalb Minuten relativ unvermittelt, obwohl man das Gefühl hat, trotz dieser enormen Spielzeit wäre durchaus noch mehr herauszuholen gewesen. Aber das ist ein Luxusproblem, und Haken-Kenner dürfen sich jetzt auch fleißig die Köpfe zerbrechen, ob, nachdem CSB "Crystallized" das Potential zugesprochen hatte, "Visions" als DEN Haken-Song schlechthin abzulösen, "The Architect" daraus jetzt einen Dreikampf macht und wer letztlich als Sieger hervorgeht. Aber das ist eigentlich auch nicht so wichtig, und zu entdecken gibt es in der reichlichen Stunde Spielzeit von "Affinity" definitiv eine ganze Menge. Man nehme nur mal "Earthrise" her - eine Art Progpopnummer, die nicht mal die Fünfminutengrenze erreicht, wieder so einen, ähem, Hakenrefrain besitzt, Marillion- und Saga-Erinnerungen aufkommen läßt, im Solo Diego Tejeida aber Orchesterbombasttürme aufbauen läßt, während die flirrenden Gitarrenläufe etwas im Hintergrund stehen und entdeckt werden wollen. Und vom Drumrhythmus des ansonsten recht harmlos anmutenden "Red Giant" könnte der nervöse Hörer Herzrhythmusstörungen davontragen, die er dann erst wieder im schnellen und geradlinigen, fast indierockige Züge tragenden Mittelteil loswird, sofern er dessen relativ plötzliches Losbrechen überlebt haben sollte. Im Direktvergleich mit dem, was heutzutage an Mathcore oder technischem Death Metal auf die Menschheit losgelassen wird, sind Haken natürlich völlig harmlos, und die mehrfach erwähnte Kunst, eingängige Melodien und Refrains zu schreiben, erleichtert auch dem Nicht-Prog-Experten das Hineinarbeiten in das Material, und wer sanfte, entspannte, aber auch mit einigen spacigen Effekten ausstaffierte Klanglandschaften mag, bekommt z.B. die entrückte Halbballade "Bound By Gravity" ganz am Ende der Scheibe geboten - auch hier sind die nach einer Weile einsetzenden Drums wieder mal ein Stück vom gängigen Viererbeat entfernt, aber so weit in den Hintergrund gemischt, daß sie die warm-vertraute Stimmung dieser Nummer nicht stören, die später auch noch ein etwas auf "alt" getrimmtes Klavier auffährt und "Affinity" mit einer zwar auch in den anderen Songs gelegentlich schon vorhanden gewesenen, aber hier in der Geballtheit ungewöhnlich anmutenden Tonalität beenden würde, wenn, ja, wenn es nicht nach Minute 6 doch nochmal eine große Steigerung gäbe, so daß der "typische" Haken-Progmetal doch gewinnt und lediglich noch durch ein dem Intro ähnelndes elektronisches Outro ergänzt wird. Eine erstklassige Progscheibe, die Anhängern der im Text erwähnten Bands mindestens einen Hörtest wert sein sollte. Vielleicht findet man sie ob des ungewöhnlichen, abgesehen vom Inside-Out-Logo keinerlei Hinweis auf den Musikstil zulassenden Covers aber auch schon bald in der Grabbelkiste (was schade wäre) ...
Kontakt: www.hakenmusic.com, www.insideout.de

Tracklist:
affinity.exe
Initiation
1985
Lapse
The Architect
Earthrise
The Giant
The Endless Knot
Bound By Gravity



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