GAMMA RAY: The Best (Of) von rls (Ear Music)
Braucht man eine Best Of von Gamma Ray? Eigentlich gehört ja sowieso das Gesamtwerk dieser Truppe in den Schrank eines jeden qualitätsbewußten Traditionsmetalanhängers (ja, auch das etwas orientierungslose Zweitwerk "Sigh No More", auf dem nichtsdestotrotz einige interessante Songs stehen), und da sich auf dem vorliegenden Doppeldecker keinerlei unveröffentlichte oder auch nur rare Songs befinden, kann sich der Besitzer des Gesamtwerks den Erwerb auch sparen. Für den Einsteiger bieten die 25 Songs auf zwei jeweils bis in die Nähe der Kapazitätsgrenze vollgepackten CDs allerdings in der Tat einen interessanten Querschnitt durch das Schaffen von Kai Hansen und seiner Gang, und wenn man mal die Durchschnittsspielzeit ausrechnet, fällt auch auf, daß nicht einfach nur die zugänglichsten kürzeren Nummern berücksichtigt wurden. "This Best Of is a cut through all the years of Gamma Ray. It gives a broad overview of the band's songs that are considered to be faves by many." schreibt der Bandkopf sowohl auf dem Backcover als auch nochmals im Booklet, und die Doppeldeutigkeit des zweiten Satzes dürfte sicher kein Zufall und ebenso mit einem Augenzwinkern zu lesen sein wie der Titel, der seine volle Komik erst im Coverartwork entfaltet. Aber für Humor ist die Band ja bekannt - und für ihr Können sowieso. So kann sie es sich auch leisten, die erste CD mit "Armageddon" zu beginnen, ursprünglich das Schlußepos des "Powerplant"-Werkes und mit dem großen Knall endend, also nicht die offensichtlichste Wahl für den Einstieg in eine Best Of und mit seinen neun Minuten Länge auch nicht gerade übermäßig griffig. Daß also ausgerechnet diese Nummer vorn steht und nicht das viel zugänglichere "Heaven Can Wait", ist hier durchaus programmatisch zu werten. In der Folge geht es dann bunt durchs Vierteljahrhundert Bandgeschichte, und das Booklet bietet nicht nur die Lyrics und kurze Hansen-Kommentare zu jedem Song, sondern auch die originalen Besetzungs- und Produktionsdaten. Schade nur, daß diese gleich im zweiten Fall nicht mit dem übereinstimmen, was auf der Scheibe dann zu hören ist - das Booklet verspricht die "Heaven Can Wait"-Fassung vom "Heading For Tomorrow"-Debüt, zu hören ist aber die Neueinspielung von "Blast From The Past", also nicht mehr mit Ralf Scheepers, sondern mit Hansen selbst am Mikrofon. Das mag vielleicht vertragliche oder lizenzrechtliche Gründe haben, aber dann sollte man auch mit offenen Karten spielen. Mit "The Spirit" und "Tribute To The Past" finden sich so nur zwei Originalsongs der Scheepers-Ära. Und das Problem ist, daß viele der Neueinspielungen den Urversionen nicht das Wasser reichen können. "Lust For Life" etwa, der Opener des Debüts, verliert seinen Frischer-Wind-Charme durch eine viel zu routinierte Neufassung, und dessen Titeltrack mag in der Neueinspielung vielleicht tatsächlich moderner klingen und allein aufgrund von Hansens Vocals näher an den heutigen Gamma Ray sein, aber der Siebziger-Epos-Charakter, einzigartig im Schaffen der Band, geht in der "Blast"-Fassung mit seinen teilweise deutlich stärker herausgehobenen Gitarrenparts und den druckvolleren Drums verloren (nur im Mittelteil findet man ihn noch), während zwei, drei Rhythmusverschiebungen in den Minuten 8 und 9 eher bemüht wirken und auch das Break um Minute 11:30 im Original viel organischer anmutet. So sind auch Gamma Ray in die Falle getappt, eine Verbesserung zu einer Verschlimmbesserung werden zu lassen, und wenngleich diese immer noch auf sehr hohem Niveau stattgefunden hat, so ist der Kenner doch darüber leicht unglücklich, denn er weiß, daß es eben noch besser gegangen wäre. Aber wie eingangs analysiert ist er ja sowieso nicht die primäre Zielgruppe dieser Scheibe.
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