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HELLOWEEN: Ride The Sky - The Very Best Of 1985-1998
von rls

HELLOWEEN: Ride The Sky - The Very Best Of 1985-1998   (Noise Records)

Karl-Ulrich Walterbach, durch SPV-Gründer Manfred Schütz von Punk zum Metal "bekehrt", entwickelte Noise Records zu einem der wichtigsten deutschen Metal-Labels der Achtziger, das vor allem mit seinen Signings einheimischer Bands zu punkten wußte: Running Wild, Kreator und eben auch Helloween entwickelten sich zu Zugpferden, von denen die beiden letztgenannten auch international stilprägende Wirkung entfalteten. In den Neunzigern schlingerte das Noise-Schiff allerdings bedenklich und lief letztlich völlig auf Grund. 2016 versuchen Sanctuary Records, die Noise schon vor geraumer Zeit übernommen hatten, nun eine Revitalisierung, startend mit Best-Of-Scheiben alter Zugpferde auf Doppel-CD.
Auch von Helloween gibt es nun eine solche Doppel-CD, die interessanterweise nicht nur Material aus den Noise-Jahren enthält, sondern auch solches aus den Neunzigern, nachdem die Band das Label im Streit verlassen hatte und zwei Scheiben über EMI sowie drei über Castle Communications veröffentlichte. Die insgesamt 29 Songs sind chronologisch sortiert, so daß CD 1 die Noise-Jahre bis einschließlich der beiden ersten "Keeper Of The Seven Keys"-Teile (der dritte erschien bekanntlich erst 2005) abdeckt und CD 2 dann die erwähnten fünf Studioalben der Neunziger; die beiden Livescheiben ("Live In The UK" als Abschluß der Noise-Phase sowie "High Live" anno 1997) bleiben unberücksichtigt. Auch so ist die Aufgabe für den Compiler allerdings noch schwierig genug gewesen, wobei nach Durchhören klar wird, daß Gitarrist Michael Weikath (der als offenbar einziges Bandmitglied an der Auswahl beteiligt war) und der Rezensent bisweilen doch etwas unterschiedlicher Auffassung sind, was auf eine Vey Best Of gehört bzw. vielmehr eigentlich nicht gehört.
Schauen wir also mal der Reihe nach durch. CD 1 beginnt gleich mit zwei der vier Raritäten, die sich unter die 29 Songs gemischt haben, nämlich den beiden Beiträgen vom 1984er "Death Metal"-Sampler, der interessanterweise keinen Ton des heute als Death Metal bezeichneten Genres enthält. Helloween steuerten hier "Oernst Of Life", eine alte Nummer von Powerfool, bei denen Weikath lange vor der Helloween-Gründung spielte, und "Metal Invaders" bei - letzteres wurde später für das "Walls Of Jericho"-Debüt neu eingespielt (ohne die kultig-doofen "Mayhem, Mayhem"-Gangshouts am Songende), ersters blieb in den Archiven und wurde erst ein Vierteljahrhundert später hervorgezerrt, um zusammen mit der "Metal Invaders"-Frühfassung als Bonustrack auf dem Re-Release von "Walls Of Jericho" zu dienen. Noch nicht jeder Tempowechsel läßt die nötige traumwandlerische Sicherheit erkennen, Kai Hansen singt auch noch recht angestrengt, und der polterige Sound erforderte in Kombination mit den genannten Komponenten schon gewissen Weitblick, um Helloweens folgende Weltkarriere vorauszuahnen. Vielleicht bot Walterbach der Band deswegen erst eine EP an - die allerdings verkaufte sich wie geschnitten Brot, da die Band sich um Größenordnungen steigern konnte und unter den fünf Songs keinerlei Ausfälle, sondern ausschließlich Highlights zu finden waren, die erste stilprägende Wirkung für das, was man später Melodic Speed Metal nennen sollte, entfalteten. Insofern wär's egal, welche der Tracks man auf eine Best Of nimmt - die Wahl fiel auf die beiden ersten Songs "Starlight" und "Murderer", wobei "Starlight" klarmacht, daß offenbar keine tontechnische Nachbearbeitung der Aufnahmen stattgefunden hat, da die markante Soundschwankung im Solo exakt so vorhanden ist wie auf der Vorlage. Trotzdem war die EP nur der Vorbote von Größerem, das da zunächst "Walls Of Jericho" hieß. Über die Qualitäten von "Ride The Sky", "Guardians", "How Many Tears" etc. Worte zu verlieren hieße Posaunen nach Jericho zu schaffen (wenngleich die ultimative Version von "How Many Tears" die Liveversion auf "Live In The UK" ist, da der entrückte Mittelteil dort noch ergreifender ausfällt), nur ein Song hält die exorbitant hohe Qualität nicht, und ausgerechnet diesen, den merkwürdigen Stampfer "Gorgar", stellt Weikath hier neben den natürlich pflichtgemäß vorhandenen Opener, der der Best Of zugleich den Titel verlieh (was für ein Solo!). Diese Scharte wetzt er allerdings mit dem Titeltrack der "Judas"-Maxi, einem weiteren frühen Highlight, wieder aus.
Dann holten Helloween mit Michael Kiske einen hauptamtlichen Sänger in die Besetzung und machten sich an ein Großprojekt namens "Keeper Of The Seven Keys", das in zwei Teilen anno 1987 und 1988 erschien. Wenigen Enttäuschten, die die urwüchsige Härte der bisherigen Ära vermißten, standen Heerscharen von Anhängern gegenüber, die die geringfügig geschliffenere Herangehensweise und den quellklaren Gesang Kiskes zu schätzen wußten, und so wurden gerade diese beiden Alben zur Blaupause für Abertausende junge Bands, die weltweit nach ihrem Stil suchten und diesen (oder zumindest eine Basis) in den "Keeper"-Alben fanden. Weikath suchte vom ersten Teil neben dem unverzichtbaren "Future World" noch "I'm Alive" aus - ein weiteres Zeugnis für den Verzicht auf tontechnische Nachbearbeitung: Die klirrigen, fast übersteuert anmutenden Passagen im Hauptsolo entsprechen exakt dem Original (wobei auch dieses Solo zu den absoluten Meisterwerken der Helloween-Gitarrenfraktion zählt). Zugleich wird ein anderes Problem deutlich: Die Intros fehlen. Das hat bei "Ride The Sky" noch funktioniert, bei "I'm Alive" ragen die Klänge des Intros schon abgehackt in den Song hinein, und bei "Eagle Fly Free" wird's später noch schlimmer. Da hätte man doch lieber auf "Gorgar" verzichtet und die freigewordenen reichlich drei Minuten (die CD kratzt an der 80-Minuten-Grenze) für die drei Intros investiert. Aber skurrile Schnitte gibt's noch mehr, nämlich in der dritten Rarität: "Halloween", das dreizehnminütige Epos des ersten "Keeper"-Teils, wurde als fünfminütige Single ausgekoppelt, und ebenjene Fassung steht hier auf der Best Of. Beim Kenner des Originals erzeugen die teils richtiggehend holprigen Schnitte jedenfalls Herzrhythmusstörungen (allein schon mit anhören zu müssen, wie dem geheimnisvollen Openingriff nach hinten die Entwicklung abgeschnitten wird, schmerzt sehr). Immerhin stellte sich das analoge Problem beim zweiten "Keeper"-Teil, der den noch längeren Gesamttiteltrack enthält, nicht, denn von dem existiert keine Singleversion, und so beschließt er in seiner vollen Pracht die erste CD, nachdem zuvor mit "Eagle Fly Free" und "Dr. Stein" die beiden besten Nummern der LP-A-Seite und mit "March Of Time" und "I Want Out" auch die beiden anderen Nummern der B-Seite erklungen waren.
Danach verloren Helloween zunächst Kai Hansen (der Gamma Ray gründete), dann ihren Noise-Deal (wobei sie den loswerden wollten, was einen unangenehmen Rechtsstreit nach sich zog) und schließlich die stilistische Orientierung. Das "Pink Bubbles Go Ape"-Album offenbarte einen selbst für die Verhältnisse der humoristischen Themen nicht abgeneigten Band (man erinnere sich an die Cartoons im Inneren des Klappcovers der ersten "Keeper"-LP!) seltsam anmutenden Humor und enthielt keine wirklich schlechten, aber erstaunlich belanglos wirkende Songs - daß man den wohl besten, nämlich "Shit And Lobster", nur als B-Seite der "Kids Of The Century"-Single verbriet, spricht Bände. Die Best Of enthält die A-Seite der Single und das ungewollt programmatisch betitelte "Back On The Streets" - wie gesagt nicht schlecht, aber keinem Vergleich mit den vorausgegangenen Meisterwerken standhaltend. Danach kam "Chameleon", ein mutiges, aber völlig orientierungslos wirkendes Album, in dem die Band sich den "Anything Goes"-Neunzigern anzupassen versuchte - Blues hier, Flower Power da, viele Balladen unterschiedlicher Qualität und mit "First Time" nur ein schneller Song. "Helloqueen(sryche)!?!?" war eines der damaligen Reviews überschrieben und traf den Nagel zwar nicht mittig auf den Kopf, wußte aber die Tendenz zu beschreiben, einen alten und erfolgreichen Sound gegen einen neuen, vielschichtigeren einzutauschen. Das klappte bei Queensryche schon nicht und bei Helloween erst recht nicht, obwohl viele der Songs auf "Chameleon" neutral betrachtet nicht schlecht waren und sind - nur sind es eben Songs, die man noch schwerer mit dem Namen Helloween in Einklang bringen kann als beispielsweise die von "Eat The Heat" mit Accept. Programmatisch hat Weikath mit "Step Out Of Hell" auch nur einen der regulären Albumsongs auf die Best Of übernommen ("First Time" oder "I Believe" wären freilich auch geeignet gewesen), dazu als vierte Rarität noch "Get Me Out Of Here", weiland B-Seite der "Windmill"-Single: Rock'n'Roll-Tendenzen hatten Helloween schon zwei Jahre zuvor mit dem Cover von "Blue Suede Shoes" auf der B-Seite der "Kids Of The Century"-Single offenbart, und diese gibt es hier nun nochmals - und letztmalig: Im Gegensatz zu Queensryche kehrten Helloween schrittweise zu ihrem alten Sound zurück, wenngleich mit abermals zwei neuen Mitgliedern: Uli Kusch als Drummer für Ingo Schwichtenberg, der 1995 Suizid beging, und Andi Deris als neuer Sänger, der diesen Posten auch noch heute bekleidet und sich zudem als wichtiger Songwriter profilieren konnte, was freilich phasenweise auch auf Kusch zutraf. Erstes Album der runderneuerten und musikalisch zu ihren alten Stärken zurückkehrenden, außerdem mit einem neuen Deal bei Castle Communications versehenen Helloween wurde "Master Of The Rings", das hier drei Songs stellt: "Where The Rain Grows" und "Why?" als offenkundige Zeichen für die Rückkehr in den Schoß des melodischen Power Metals (obwohl gewisse Kreise diesen in den Neunzigern für tot erklärten) sowie das damals als erste Single ausgekoppelte "Mr. Ego (Take Me Down)", das mit seiner groovigen Anlage durchaus für Mißverständnisse bezüglich der Rückbesinnung hätte sorgen können, allerdings auch eventuelle Neuanhänger der experimentellen Phase hätte beruhigen können. Auf letztere nahm das zwei Jahre später erschienene Folgealbum "The Time Of The Oath" dann so gut wie keine Rücksicht mehr: Acht Kracher im alten Melodic-Powerspeed-Stil, dazu zwei tolle Balladen - diese Qualitätsreihe wird von nur zwei mäßigen Songs unterbrochen, aber ausgerechnet einen davon hat Weikath auf die Best Of genommen, nämlich "A Million To One", wo es doch reichlich exzellente Auswahl gab. Über "Steel Tormentor", "Wake Up The Mountain" (geringfügig experimentellere, aber sehr starke Kusch/Deris-Komposition) und "Power" muß freilich nicht diskutiert werden. Abermals zwei Jahre später gingen Helloween mit "Better Than Raw" an die Grenzen des härtetechnisch für sie Sinnvollen und erschufen ein weiteres Meisterwerk mit nur einem Ausfall. Ausgerechnet den hat Weikath natürlich wieder auf die Best Of gepackt: "Time" wirkt wie "Huch, wir brauchen auch noch 'ne Ballade" und unterliegt "Forever And One (Neverland)" und "If I Knew" vom Albumvorgänger deutlich. Auch der Rest der Wahl verwirrt: "Hey Lord!" und "I Can" sind gute Songs, aber für den Stil dieses Albums nicht repräsentativ, wo doch "Push", "Revelation" oder "Midnight Sun" zur Wahl standen - oder das kultige "Laudate Dominum" mit seinem lateinischen Text, das kurioserweise immer noch der Entdeckung durch die christliche Metalszene harrt (und das, obwohl Weikath auf den damaligen Promofotos sogar ein Neues Testament in die Kamera hielt). Irgendwie spiegelt diese Auswahl ganz und gar nicht die damaligen Stärken Helloweens wider (sie überschritten dann erst mit "The Dark Ride" die für sie sinnvolle Härtegrenze), und auch am Platz kann's nicht gelegen haben, daß etwa der Achtminüter "Revelation" fehlt - mit 64 Minuten ist die zweite CD im Gegensatz zur ersten nicht bis zum Rand gefüllt. Und interessanterweise enthält diese zweite CD nur kompaktere Kompositionen, kein einziges Epos, obwohl es mit "Mission Motherland" oder dem erwähnten "Revelation" zwei Kandidaten auf den zugehörigen Alben gab, die den Großtaten der Achtziger auf diesem Sektor in nichts nachstehen (und wie erwähnt wäre selbst "I Believe" noch in Frage gekommen). Okay, eigentlich ist das Vorgebrachte Jammern auf hohem Niveau, denn auch ein mittelmäßiger Helloween-Song schlägt im Regelfall immer noch fast alle Konkurrenz aus dem Feld - aber wenn man Spitzenleistungen vorzuweisen hat, braucht man die bei der Zusammenstellung einer "Very Best Of" eigentlich auch nicht zu verstecken.
Bleibt die Frage zu erörtern, ob man diese im Digipack daherkommende Doppel-CD (das Booklet enthält alte Promofotos und eine Bandgeschichte aus der Feder von Malcolm Dome, mit Weikath-Wortbeiträgen gewürzt) erwerben muß. Die vier Raritäten besitzt derjenige, der sich unlängst die Re-Releases zugelegt hat, natürlich schon, und so kann man beruhigt auf die hoffentlich vollständige Kollektion im Schrank zurückgreifen. Sieht man die Scheibe aber zu einem günstigen Preis und hat jemanden in seinem Umfeld, den man mit Helloween bekanntmachen will, macht man mit dem Erwerb nichts falsch, ebenso in dem Fall, daß man die Originale alle schon hat und daher auf den Kauf der Re-Releases verzichtet hat (die freilich außer den vier Raritäten auch noch diverse weitere enthielten). Und Appetit, die alten Scheiben dieser Melodic-Powerspeed-Institution mal wieder in den Player zu werfen, hat man nach dem Durchhören dieser 144 Minuten definitiv ...
Kontakt: www.helloween.org, www.noiserecords.net

Tracklist:
CD 1
Oernst Of Life
Metal Invaders
Starlight
Murderer
Ride The Sky
Gorgar
Judas
I'm Alive
Future World
Halloween
Eagle Fly Free
Dr. Stein
March Of Time
I Want Out
Keeper Of The Seven Keys

CD 2
Kids Of The Century
Back On The Streets
Step Out Of Hell
Get Me Out Of Here
Where The Rain Grows
Why?
Mr. Ego (Take Me Down)
Steel Tormentor
Wake Up The Mountain
Power
A Million To One
Hey Lord!
Time
I Can


 



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