www.Crossover-agm.de GAMMA RAY: Land Of The Free II
von rls

GAMMA RAY: Land Of The Free II   (Steamhammer/SPV)

"Land Of The Free" war keineswegs das stärkste Album der Gamma Ray-Frühphase, sondern sowohl seinem Vorgänger "Insanity And Genius" als auch seinem bis heute die Speerspitze im Schaffen der Band bildenden Nachfolger "Somewhere Out In Space" ein Stück unterlegen, obwohl sich etwa mit "Rebellion In Dreamland" durchaus der eine oder andere Alltime-Classic auf der CD befand. Von daher durfte das Vorhaben, einen zweiten Teil von "Land Of The Free" anzugehen, zunächst mit gewisser Skepsis betrachtet werden, die sich aber beim Durchhören der 65 Minuten als weitgehend unnötig erweist, denn ähnlich ihrer Kollegen Helloween schaffen es auch Kai Hansen und seine seit 1997 personell identischen Mitstreiter, ein frisches und absolut hörenswertes Werk vorzulegen, wenngleich der test of time natürlich in beiden Fällen erst noch bestanden werden muß. Struktureller Unterschied ist allerdings, daß sich Helloween in gewissen Abständen permanent neu erfinden (nämlich immer dann, wenn sie feststellen, sich zu weit von ihren musikalischen Ursprüngen wegbewegt zu haben) und so auch mit "Gambling With The Devil" ein Werk vorgelegt haben, wie es in ihren Frühzeiten noch nicht möglich gewesen wäre (nämlich eines, das auch von den abseitigen Erfahrungen profitiert), während Gamma Ray, von "Sigh No More" mal abgesehen, kaum jemals von ihrer Linie abgewichen sind und "Land Of The Free II" zweifellos auch als Nachfolger des Klassikerdebüts "Heading For Tomorrow" denkbar wäre. Beide Vorgehensweisen haben ihre jeweils ganz eigentümlichen Reize, und "Land Of The Free II" bietet dem Gamma Ray-/Helloween-Experten sogar noch mehr, nämlich die Möglichkeit zum lustigen Ostereiersuchen: Hansen und seine vier Mannen werfen mit Zitaten aus der musikalischen Vergangenheit um sich, von denen einige schon beim ersten Hören auffallen, andere dagegen etwas Sucharbeit bedürfen und in fast jedem Fall ein ausgeprägtes musikalisches Gedächtnis mit vernünftiger Strukturierung voraussetzen - ansonsten geht es einem so wie dem Rezensenten, der immer noch grübelt, woher das Zitat im Gitarrensolo von "From The Ashes" kurz vor Minute 4 stammt. Paradoxon ist allerdings, daß sich die wenigsten Zitate auf "Land Of The Free" beziehen, wie man aufgrund der konzeptualen Zuweisung hätte vermuten können - auch solche sind aber natürlich vorhanden, beispielsweise gen "Fairytale". Helloween-Zitate entdeckt man im gnadenlosen Speedie "To Mother Earth" (einer der besten Songs des Albums!) gleich im Doppelpack, nämlich in der Bridgemelodie (hier scheint "How Many Tears" durch) und mehrfach in der Solostruktur (die es in ähnlicher Form schon in "Eagle Fly Free" zu hören gab). Paradoxerweise sind das allerdings zwei Songs, die im Original gar nicht von Kai Hansen, sondern von Michael Weikath geschrieben wurden, worüber sich der Kenner der Lage seine eigenen Gedanken machen darf. Das "Empress"-Solo lenkt die musikalischen Gedanken dann in eine völlig abseitige Richtung, die man weder von Helloween noch von Gamma Ray gewöhnt ist, denn hier fahren Hansen und seine Mannen eine finnische Polkamelodie auf, die der Fan der Leningrad Cowboys längst in- und auswendig kennen dürfte. Schon im Intro dieses Songs muß man wiederum aufpassen, daß man beim hingebungsvollen Lauschen nicht plötzlich "The princess, the princess, the princess of the dawn" auf das Hauptthema zu singen beginnt (was die dort eingemixten Backingvocals, die real aber "Kiss the princess, empress of the dark" heißen dürften, nahezulegen scheinen, durch die Grundstruktur dieser Passage unterstützt - und im Solo findet sich die Accept-Anwandlung inmitten der Leningrad Cowboys gleich nochmal). Die generell eher positive Ausstrahlung rückt einen Teil des Materials übrigens ein Stück weit in die Richtung von Freedom Call, der Zweitband von Schlagzeuger Daniel Zimmermann - "From The Ashes" etwa hätte auch gut in deren Werkkatalog gepaßt. "When The World" wiederum hat trotz der Textzeile "the number of the beast" am Ende der ersten Strophe nichts mit Iron Maiden zu tun, wenngleich das Hauptriff auch hier eine bekannte Struktur auffährt, die sich herkunftsseitig im Rezensentenhirn nur noch nicht an der richtigen Stelle niedergeschlagen hat. Der Mittelteil wiederum weist eine deutlich größere Eigenständigkeit auf, wenngleich der chorunterstützte Part auch gut auf "Gambling With The Devil" gepaßt hätte und die Solomelodie bei Minute 4:45 so sehr an alte "Keeper"-Zeiten erinnert, daß man sich in einer Zeitmaschine wähnt. Konsequente Modernisten werden selbstredend auch anhand "Land Of The Free II" nicht dem Gamma Ray-Fanclub beitreten wollen, wenngleich sie mit dem siebenminütigen "Opportunity" sogar eine kleine Einladung geliefert bekommen, zumindest in Gestalt des fast numetallisch schleppenden Hauptriffparts in der Einleitung, der mit seinem dann doch leicht angedüsterten Touch im Backkatalog der Band auf "Sigh No More" die einzigen Entsprechungen findet, wenngleich die sich hier aufbauende Spannung schnell wieder aufgelöst wird und der Song diverse Schwenks unternimmt, u.a. in der baßdominierten Passage vor Minute 4 gen Iron Maiden, während auch die Gitarrenmelodie nach Minute 4 wieder ein Zitat bisher ungeklärter Herkunft darstellt. So hangelt man sich bei bester Unterhaltung eine reichliche Stunde lang durchs powermetallische Unterholz, hier und da in Knobeleien verfallend, aber generell hochzufrieden. Will man strukturelle Überlegungen anstellen, fällt auf, daß die Speedsongs bis auf "Hear Me Calling" allesamt in der ersten Hälfte der CD versammelt sind, während sich die abwechslungsreicheren, epischeren und zumeist auch längeren Songs in der zweiten Albumhälfte tummeln - ob das einen storyimmanenten Hintergrund hat, kann ob des Nichtvorliegens des lyrischen Konzeptes nicht näher ausgeführt werden. Das elfeinhalbminütige "Insurrection" schließt "Land Of The Free II" auf sehr hohem Niveau ab (noch ein Zitat: das Outro weckt Erinnerungen an "Armageddon", nur ohne die finale Explosion), wenngleich "Heading For Tomorrow" in der Kategorie "Longtracks" weiterhin unerreicht bleibt (anno 1995 auf der Tour zu "Land Of The Free" Dabeigewesene erinnern sich bestimmt noch mit Tränen in den Augen an die monströs ausgeweitete Version dieses schon original 14minütigen Songs, die leider auf dem Livemitschnitt "Alive '95" nicht mit konserviert worden ist - der Gamma Ray-Gig auf dieser Tour mit Morgana Lefay und Factory Of Art im Leipziger Anker war jedenfalls einer der besten Metalgigs, die der Rezensent jemals gesehen hat). In seiner Gesamtheit stellt "Land Of The Free II" jedenfalls eine der begeisterndsten Scheiben des Metaljahrs 2007 dar, auch wenn im Direktvergleich nach derzeitigem Höreindruck (der sich natürlich bei weiteren Durchläufen noch ändern kann) Helloweens "Gambling With The Devil" noch die Nase ein kleines Stück weit vorn hat.
Kontakt: www.gamma-ray.com, www.spv.de

Tracklist:
Into The Storm
From The Ashes
Rising Again
To Mother Earth
Rain
Leaving Hell
Empress
When The World
Opportunity
Real World
Hear Me Calling
Insurrection



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