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Clawfinger, We, Leningrad Cowboys   09.02.2007   Chemnitz, AJZ Talschock
von rls

Dieser Gig fand im Rahmen der Jägermeister-Rockliga statt, einem Projekt, das Prinzipien des sportlichen Wettbewerbs in den Kulturbetrieb zu implantieren versucht, und zwar nicht auf dem normalen Weg des klassischen Bandwettbewerb-Prinzips, sondern tatsächlich mit einer richtigen Spielbetriebsstruktur. Soll heißen: Es gibt vier Gruppen zu je drei Bands, die an verschiedenen Orten jeweils Gigs spielen und sowohl mittels einer Jurywertung (fürs Torverhältnis) als auch mittels eines Publikumsentscheids (für die Punktvergabe) Zählbares einheimsen können. Über die jeweils aktuellen Tabellenstände und alles Weitere gibt www.jaegermeister.de Auskunft, und der Rezensent schaute sich exemplarisch einen "Spieltag" der Gruppe C (die wohl metallastigste der Gruppen) an, nämlich den in Chemnitz. Jede Band hatte eine knappe Stunde Spielzeit zur Verfügung, zudem gab es einen Moderator, der das Prozedere erklärte (allerdings den Hinweis vergaß, daß das Konzept keine Zugaben zuläßt - so gab es hier und da im Publikum lange Gesichter, wenn selbst stürmische Zugabeforderungen nicht erfüllt wurden).
Da die Backline aller drei Bands schon aufgebaut war, hatten die eröffnenden Leningrad Cowboys den wenigsten Platz auf der Bühne, obwohl sie ihn personell am dringendsten gebraucht hätten. Aber sie machten auch auch beengtem Raum das Beste aus der Situation - immerhin war bei voller Besetzung eine zweistellige Zahl von Personen am Wirken, neben der üblichen Rockbesetzung (mit stolzen drei Gitarristen) natürlich auch wieder die Bläserfraktion an Saxophon oder Posaune, die allerdings aufgrund einer starken Rocklastigkeit des Sets seltener zum Einsatz kam, als man das etwa vom legendären "Live in Prowinzz"-Album kennt. Außerdem hatte man sich hochkarätige Verstärkung mitgebracht, zum einen Elvis Presley höchstpersönlich (der mittlerweile eine wandschrankähnliche Figur besitzt), zum anderen zwei Tänzerinnen, denen man übrigens eine von den männlichen Bandmitgliedern abweichende Frisur zugestanden hatte und bei denen es sich laut Ansage um Miss Moskau 1945 und Miss Wladiwostok aus einem auch schon weiter zurückliegenden Jahr gehandelt hat. Der Humor der Cowboys, die eine Umbenennung in St. Petersburg Cowboys offensichtlich nach wie vor nicht in Betracht ziehen, war also immer noch der gleiche wie anno dazumal, und das zeigte sich selbstredend auch in der Setlist, wo man etwa "Goldfinger" verbriet, Johnny Cashs "Ring Of Fire" in finsteren Doom Metal umwandelte, AC/DCs "Let There Be Rock" zu einer noch fröhlicheren Partyhymne machte, als es im Original schon ist, und auch die Singleauskopplung des neuen Albums intonierte, bei der es sich um einen Song handelt, der ihnen nach eigenem Bekunden von Dieter Bohlen gestohlen worden ist, als der in den Mittachtzigern in Finnland zu Besuch war und dort seiner Liebe zu Ren- und anderen Tieren frönte. Somit erklang an diesem Abend also die "Originalversion" von "You're My Heart, You're My Soul", strophenseitig brachialer Thrash Metal, der mit der Bohlen-Version mehr oder weniger nur noch den Text gemeinsam hatte und somit kaum erkennbar war, refrainseitig dann aber eine richtig große Metalhymne, in der auch noch einige Melodie- und Harmonieparts mit der Bohlen-Version übereinstimmten. Das sorgte für viel gute Laune im Publikum, welchselbiges mit dem Oldie "Those Were The Days" verabschiedet wurde und als Outro noch zum A-Cappella-Singen eines nicht unbekannten Polkamotivs animiert wurde. Für die große Zahl der abzumischenden Instrumente war auch der Sound noch recht ordentlich.
We hatten sich zwei Monate zuvor auf der Tour mit Motörhead schon ausreichend warmgespielt, waren vom Status her im Billing aber trotzdem die Underdogs. Dem versuchten sie mit einer zumeist recht energiegeladenen Show zu begegnen, und der Sänger hatte sich ein Beispiel an den Leningrad Cowboys genommen, indem er in fast jedem Song eine andere Kopfbedeckung aufsetzte, was bis zum Nofretete-artigen Kopfputz reichte. Musikalisch siedelte die Truppe irgendwo im Stonerbereich, baute aber keine staubigen Gitarrenwälle auf, sondern erinnerte manchmal eher an eine modernisierte und instrumentenseitig zurückgefahrene Version von Hawkwind. Man versank über weite Strecken nicht in zähen Sandepen, sondern machte vergleichsweise viel Druck (wenn man das mal vergaß, wie etwa im kaugummiartigen zweiten Part von "Swaggers", drohte schnell eine Gähnattacke), der Gitarrist schnallte sich auch mal die Doppelhälsige um, und der Keyboarder blieb trotz Vorhandenseins nur eines Gitarristen weiter als erwartet im Hintergrund, warf aber nichtsdestotrotz bisweilen hübsches Weltraumgewaber oder ähnliche Effekte ein. Daß der Gitarrist wie eine hypothetische Mischung aus Unleashed-Johnny und Nightwish-Emppu aussah, hatte musikalisch weniger Spuren hinterlassen als die Tatsache, daß der Sänger irgendwie an einen gewissen John Osbourne erinnerte, wenngleich er diesen keineswegs kopierte, sondern das Beherrschen eines sehr breiten Stimmspektrums unter Beweis stellte, was übrigens vorher auch schon sein Cowboys-Kollege getan hatte. Summiert betrachtet machten We durchaus Spaß (auch die ersten Stagediver wurden gesichtet), blieben vom Songmaterial her nach einmaligem Hören (der Rezensent besitzt keines ihrer Alben) aber zu unauffällig, zumal einprägsame Riffs, welche diverse Stonerkollegen auffahren, hier zumeist durch wallartige Konstruktionen ersetzt wurden, die sich nicht so richtig im Ohr festsetzen wollten. Muß man wahrscheinlich öfter hören.
Clawfinger gehörten in den Frühneunzigern zu den szenepolarisierenden Bands. Glaubte die fortschrittsüberzeugte Fraktion in ihrem rapmetallischen Stilgemisch die Rettung der harten Gitarrenmusik erkannt zu haben, wertete die Traditionalistenfraktion die Band als mitverantwortlich für den temporären Tiefschlaf des wahren Metals und erfand entsprechende Antibezeichnungen wie Klofinger. Der Rezensent als Traditionalist hatte zugegeben auch keine Veranlassung gesehen, sich über den Kontakt mit einzelnen Videos via MTVs Headbanger's Ball (those were the days) hinaus noch weiter mit dem Debüt "Deaf Dumb Blind" zu beschäftigen, stellte aber später fest, daß der Zweitling "Use Your Brain" einige richtig starke Stücke und mit "Do What I Say" gar einen Alltimeclassic enthielt, bevor die Band dann aber popularitätsseitig stagnierte, sich in ihrem Stil einnischte und damit für die Fortschrittsüberzeugten an Reiz verlor, aber keine neuen Fanschichten mehr mobilisieren konnte, wenngleich in Abständen immer noch neue Alben erschienen. Der Rezensent hatte die Nordlichter auch zu ihren Hochzeiten nie live gesehen und war daher gespannt, wie sich die Truppe schlagen würde - und er wurde über weite Strecken des Sets förmlich weggeblasen. Clawfinger fuhren zumindest in der ersten Sethälfte ein kompromißloses, bisweilen arg speediges Metalbrett auf, unterbrochen nur durch den Hüpfhit "Nigger" gleich an Setposition 2 (das gut gefüllte AJZ schien diesen Song gut genug zu kennen, um seinen Titel nicht mißzuinterpretieren), dem mit dem epischen "Nothing Going On" aber gleich wieder ein metallisches Sperrfeuer hinterhergeschickt wurde. Das Quintett sorgte darüber hinaus für reichlich Bühnenaction, wobei der Bassist (den man optisch eher in einer Death Metal-Band vermutet hätte) besonders auffiel, indem er nicht nur wild bangte, sondern gleichzeitig auch noch pirouettenartig und in affenartiger Geschwindigkeit um die eigene Achse rotierte. Keyboarder/Zweitsänger/Zweitgitarrist Jocke stapfte, wenn er gerade keine Samples abzurufen hatte (die man sowieso akustisch nicht so deutlich vernahm), wie ein Tanzbär über die Bühne, und Sänger Zak kombinierte hardcoreorientiertes Sprungverhalten mit origineller Mimik und punktete zudem mit sympathischen Ansagen, zudem erinnerte er sich, vor 10 Jahren schon einmal in Chemnitz gespielt zu haben (und dankte den damals schon Dabeigewesenen, daß sie sich noch einmal aufgerafft hätten, um die alten Männer auf der Bühne noch einmal zu sehen), und wußte sogar die Namen der Vorbands noch. Im Mittelteil schaltete die Band dann etwas herunter, erhöhte aber mit "Warfair" und "Truth" die Hitdichte gegen Ende wieder (sich logischerweise bei der begrenzten Spielzeit auf die bekannteren Stücke konzentrierend und nur gelegentlich neueres Material einstreuend). Tja, und als der letzte Song angesagt wurde, war klar, was folgen würde, selbst wenn Jocke erstmal "The Final Countdown" einsampelte: "Do What I Say" erntete die frenetischsten Reaktionen des kompletten Abends, der kinderliedhafte Refrain (der wirkungsvoll mit dem brachialen Umgebauten kontrastiert) wurde bis in die hintersten Reihen mitgesungen und auch nach Abstellen der Instrumente a cappella mantrahaft weiter intoniert. Klar, daß Clawfinger mit einer solchen Leistung den Sieg in der Publikumswertung einheimsten, wohingegen die meisten Jurytore in den bisweilen etwas willkürlich oder marginal anmutenden Kriterien (unter denen sich zudem kein einziges musikalisches befand) an die Leningrad Cowboys gingen, was für gewisse Verwirrung im Publikum sorgte. Das Urteil, hier einem sehr interessanten Konzertabend beigewohnt zu haben, bleibt davon aber ungetrübt.



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