www.Crossover-agm.de GAMMA RAY: Master Of Confusion
von rls

GAMMA RAY: Master Of Confusion   (earMUSIC)

Man kennt das von etlichen Bands: Eine große Tour steht an, aber man hat keinen aktuellen Release vorzuweisen. Gamma Ray ziehen in der ersten Jahreshälfte 2013 weiträumig mit Helloween durch die Lande, aber sie sind mit ihrem neuen Album noch längst nicht fertig - also muß der dritte Zwischendurch-Release nach dem 2010er Studioalbum "To The Metal!" her. Wir erinnern uns: Der erste beinhaltete unter dem Titel "Skeletons & Majesties" einen neuen Song sowie diverse Neueinspielungen aus der Vergangenheit der Band. Diese archäologische Arbeit, so zweifelhaft auch manches ihrer Ergebnisse gewesen sein mag, scheint auf die Songauswahl der 2011er Tour abgefärbt zu haben, wo doch etliche Tracks gespielt wurden, die man schon lange nicht mehr oder noch gar nicht im Liveprogramm der Band fand, unter anderem eben auch die besagten Neueinspielungen der EP. Der Gig am 29.4.2011 in Pratteln wurde mitgeschnitten und unter dem Titel "Live - Skeletons & Majesties" als Livealbum herausgebracht (das ist also der zweite Zwischendurch-Release), und zwar sowohl als Blu-Ray und DVD (mit identischer Tracklist) als auch in Form einer Doppel-CD. Die ersteren beiden enthielten als Bonustracks noch sechs Aufnahmen aus der Bochumer Zeche, die am Vortag mitgeschnitten worden waren, also am 28.4.2011 (daß dieses Review exakt am 28.4.2013 eingetippt wird, ist purer Zufall), und diese sechs Songs bilden nun den hinteren Teil der "Master Of Confusion"-CD, also des dritten Zwischendurch-Releases. Gehen wir diesen aber von der Songchronologie her durch, so finden wir zunächst zwei neue Studiosongs. Wenn die beiden repräsentativ fürs neue Album sein sollten, so haben Gamma Ray den Bombastfaktor von "To The Metal!" wieder ein klein wenig nach unten geschraubt. "Empire Of The Undead" macht zunächst in Hochgeschwindigkeit und mit deutlichem "Painkiller"-Anstrich keinerlei Gefangene und demonstriert über weite Strecken, warum traditioneller melodischer Kraftmetall so mitreißend und begeisternd sein kann (was für Soloduelle sind das!). Das einzige, was diesem Song fehlt, ist ein überzeugender Refrain. Falls er für das nächste Album nochmal eingespielt werden sollte, hat man ja noch ein wenig Zeit, sich über diesen Umstand Gedanken zu machen. Dieses Problem stellt sich bei "Master Of Confusion" nicht: Der Titeltrack, im treibenden Midtempo gehalten und mit einem urtypischen Gamma-Ray-Gitarrensound ausgestattet, besitzt einen nicht unbedingt überragenden, aber merkfähigen Chorus und läßt im witzig-chaotischen Finale auch den Humor der Band mal wieder aufblitzen. Wenn die weiteren neuen Songs ähnliche Qualitäten aufweisen, darf man sich auf das nächste Studioalbum durchaus freuen.
Nächster Programmpunkt sind zwei Coverversionen. "Death Or Glory" stammt von den Schotten Holocaust, die nicht das erste Mal im Dunstkreis von Kai Hansen und seinen Mannen auftauchen. Man erinnere sich an die Tour 1995 mit Morgana Lefay (schon in dieser Form ein Traumpackage, dem sich damals in Leipzig noch die gleichfalls formidablen Factory Of Art hinzugesellten, den Gig im Anker zu einem der besten Metalgigs machend, die der Rezensent je gesehen hat), als "Heavy Metal Mania" in der Setlist auftauchte und auch seinen Weg auf das Livealbum "Alive '95" fand. "Death Or Glory" stammt wie "Heavy Metal Mania" original vom legendären Debüt "The Nightcomers" und findet sich hier in einer enorm massiven Interpretation wieder. Daß Hansen zumindest Teile seiner musikalischen Prägung in den Siebzigern erfahren hat, ist im Gegensatz zu seinen bekannten metallischen Wurzeln hingegen bisher eher apocryph geblieben - hier kommt ein Zeichen dafür: das Cover von "Lost Angels", im Original aus der Feder von The Sweet, in diesem Falle wirklich von den Bandmitgliedern geschrieben und nicht von ihrer "Hitfabrik" Chinn/Chapman. Dieser Song dürfte eine frühpubertäre Hörerfahrung Hansens gewesen sein - er erschien 1976 als Singleauskopplung des 1977 veröffentlichten Albums "Off The Record" und stellte den letzten größeren Chartbuster von The Sweet in Deutschland dar, was Originalveröffentlichungen angeht (er verfehlte die Topposition nur knapp, während alle Folgesingles nur noch mit Mühe oder gar nicht mehr in die Top Ten gelangten). Die hier vorliegende Fassung orientiert sich in einigen Topoi, beispielsweise den quäkenden Backing Vocals, sehr stark am Original, baut dieses aber in einen knackigen Midtempo-Metal-Song um, der einigen Altfans sicherlich Herzrhythmusstörungen bescheren wird, aber im Kontext des Gamma-Ray-Schaffens keineswegs einen Fremdkörper darstellt. Hier trommelt wie auf den Liveaufnahmen übrigens noch Dan Zimmermann, während in den beiden Neukompositionen und dem Holocaust-Cover bereits Neuzugang Michael Ehré zu hören ist.
Damit endet die B-Seite, und es beginnt die C-Seite, wie die Songliste launigerweise verkündet - das sind die sechs bereits erwähnten Livemitschnitte aus Bochum. Es gibt verglichen mit der Pratteln-Aufnahme keine Extrasongs - alle sechs wurden an beiden Abenden gespielt, und so kann der Besitzer beider Aufnahmen lediglich Vergleiche anstellen, was die Band an dem einen Abend ggf. anders gespielt hat als am anderen. Die typische improvisierende Band, die jeden Abend bestimmte Songs anders interpretiert, sind Gamma Ray ja nicht, so daß sich die Unterschiede in Grenzen halten werden - markanteste Neuzutat hätten Michael Kiskes Vocals in "Time To Break Free" sein können, aber der war zumindest bei diesen Gigs in beiden Fällen anwesend. Nur hätte mal jemand sein Mikrofon richtig einstellen sollen - oder hat er wirklich derart dumpf gesungen? (Daß er hier und da auch noch neben der Spur liegt, sollte gleichfalls nicht verschwiegen werden.) Da machen die anderen Songs mehr Hörspaß: Die akustikgitarrendominierte Ausgrabung "The Spirit" war schon auf "No More Tears" einer der besseren Songs gewesen und besitzt auch live ihre Qualitäten, wenngleich sie nicht an die Richter-Meisterleistung "Wings Of Destiny" vom "Powerplant"-Album heranreicht - an den plötzlichen Tempowechsel beim Übergang in die Strophe hat man sich nach dem x-ten Mal Hören durchaus auch gewöhnt. Mit "Gamma Ray" ist auch der Bandnamensgeber an Bord, bekanntlich eine Coverversion von Birth Control, allerdings vermutlich kein frühkindlicher Höreindruck Hansens, hier in einer starken Metalversion, die ein wenig organischer wirkt als die nicht schlechte, aber einen Tick zu bemühte auf "Insanity & Genius". Das original auf dem ersten "Land Of The Free"-Album befindliche "Farewell" wechselt zwischen sanften und druckvolleren Parts und stieß in Bochum hörbar auf besonderes Faninteresse, während das songwriterische Highlight ganz am Ende sowohl des zweiten "Land Of The Free"-Albums als auch am Ende von "Master Of Confusion" (und am Ende des regulären Konzertes) plaziert war/ist: Das zwölfminütige Epos "Insurrection" faßt all das zusammen, wofür der traditionelle Metal stehen kann, und schließt trotz zwischendurch hörbarer Hansenscher Stimmprobleme (er klingt plötzlich ungewollt kratzig, was sich aber nach einiger Zeit wieder legt) die 55 Minuten würdig ab (es sei denn, man ist Japaner - dann darf man sich noch über eine deutschsprachige Fassung von "Send Me A Sign" als Dreingabe freuen).
Die Frage, ob man diesen Zwischendurch-Release haben muß, stellt sich natürlich in gleicher Weise wie bei "Skeletons & Majesties": Der Rezensent hat sein Exemplar zu einem Preis von 7,99 Euro erworben, und trotz der stolzen CD-Spielzeit sollte niemand für "Master Of Confusion" einen vollen Albumpreis bezahlen, wohingegen zu einem fairen EP-Preis ein Erwerb zumindest für den Gamma-Ray-Anhänger auf alle Fälle sinnvoll ist, zumal man diesmal auch ein vollwertiges Booklet bekommt. Eher als Kuriosum dagegen darf das kurz vorm Verglühen stehende würfelzerlegende Covermonster gewertet werden ...
Kontakt: www.gammaray.org, www.ear-music.net

Tracklist:
Empire Of The Undead
Master Of Confusion
Death Or Glory
Lost Angels
The Spirit
Wings Of Destiny
Gamma Ray
Farewell
Time To Break Free
Insurrection



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