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GAMMA RAY: Skeletons & Majesties
von rls

GAMMA RAY: Skeletons & Majesties   (Edel)

Mit Neueinspielungen eigenen älteren Liedgutes ist es ja immer so eine Sache. Wer weiland mit den Originalfassungen sozialisiert wurde, steht nicht selten vor Schwierigkeiten bezüglich der Akzeptanz von Neueinspielungen, während der Neueinsteiger damit weniger Probleme haben wird, da ihm die emotionale Bindung an die Originale fehlt und daher andere Komponenten wie neue Ideen, besserer Sound, andere Besetzung oder Umarrangement eventuell mehr Gewicht bekommen. Auch als Rezensent steht man bisweilen vor diesem Dilemma, so etwa bei "Skeletons & Majesties", einem Zwischendurch-Release aus dem Hause Gamma Ray, der als Grundsubstanz vier Neueinspielungen (davon zwei in jeweils zwei Fassungen) und einen neuen Song enthält. Und selbst wenn der Rezensent, zu dessen musikalischer Sozialisation die vier hier neu eingespielten Songs in ihren Urversionen ihr Scherflein beigetragen haben, die emotionale Komponente so weit wie möglich auszublenden versucht, kann ihn die Neueinspielung nur in den seltensten Fällen überzeugen. Schauen wir mal durch:
- "Hold Your Ground" stand in seiner Urversion auf dem Klassikerdebüt "Heading For Tomorrow", das von Ralf Scheepers eingesungen wurde. In der neuen Fassung nun schlägt man sämtliche verfügbaren Hände über dem Kopf zusammen, wenn man Kai Hansens Gesang hört - angestrengt, gepreßt, trotz Tieferlegung absolut nicht überzeugend (auch nicht wegen ihr): Sorry, aber das geht als Studioproduktion gar nicht. Auch die Aufpeppung mit mancherlei Gimmicks hat dem Song als solchem nicht gut getan.
- "Brothers" beendete weiland den Drittling "Insanity & Genius" und damit auch die Ära Scheepers bei Gamma Ray. Hier singt Hansen deutlich besser, treffsicherer, auch leichtfüßiger als in "Hold Your Ground", aber trotzdem kann auch diese Neueinspielung nicht überzeugen. Hansen selbst hatte den Song weiland in Interviews als "stumpf positiv" bezeichnet, und genau dieses rabiate Feeling, das damals mit dem ähnlich gearteten "Your Turn Is Over" einen perfekten Rahmen um das Epos "Heal Me" bildete, fehlt in der Neueinspielung, die einfach nur einen ordentlichen Traditionsmetalsong darstellt, mehr nicht. Auch die Zweitfassung, um eine Minute erweitert, bringt dieses alte Feeling nicht zurück.
- "Send Me A Sign" wurde in ein Akustikrockgewand gehüllt, das zunächst einmal beweist, daß Hansen auch in tieferen Lagen treffsicher singen kann. Bis man den flotten, fast countrykompatiblen Grundrhythmus samt diverser weiterer neuer Zutaten verdaut hat, vergeht zwar einige Zeit, aber langsam verliert sich der Fremdkörperstatus, wenngleich die Originalversion hier schlicht und einfach nicht mehr zu verbessern ist.
- Der einzige Volltreffer bei den neuen Versionen ist "Rebellion In Dreamland": Hier staunt man schon beim ersten Hördurchlauf Bauklötze, wie Hansen und seine Mannschaft die Spannung und die Epik des Originals in die neuneinhalbminütige, teils mit Streichern ausstaffierte (Halb-)Akustikversion hinübertransferieren konnten, ohne daß man beim Hören irgend etwas vermißt. Wenn Neueinspielungen, dann in Zukunft bitte auf diesem schwindelerregend hohen Niveau - daß hier selbst die gleich lange Karaokeversion (zu der es einen Einsingwettbewerb gibt, der am 30. Mai 2011 endet) als eigenständiger Song funktioniert, darf als absolutes Qualitätssignal gelten, und daß Hansens Gesang im Original noch einen Tick spritziger wirkte, sei geschenkt.
- Und dann wäre da noch "Wannabees", ein neuer Song aus der Feder von Drummer Daniel Zimmermann und wohl als Parodie auf die titelgebenden Möchtegerns anzusehen, daher nicht unbedingt mit den gängigen musikalischen Maßstäben zu messen, aber einen unterhaltsamen Modern Metal-Song darstellend, der in dieser Form sicher nicht auf ein reguläres Gamma Ray-Album gepaßt hätte und daher auf einer Sonderveröffentlichung seinen richtigen Platz findet.
Bleibt natürlich trotzdem die Frage, ob man diese Sonderveröffentlichung unbedingt erwerben muß - zwar hat der bookletlose Digipack mit einer reichlichen Dreiviertelstunde Nettospielzeit (den versteckten Mitschnitt von den Gesangsaufnahmen hört man sich einmal an und dann nie wieder) den Rezensenten nur 5,99 Euro gekostet, aber natürlich muß jeder selbst entscheiden, ob ihm ein einziger musikalischer Volltreffer als Kaufargument ausreicht oder ob das Geld lieber in eine Nachwuchsband (ob nun Konserve oder live) zu investieren wäre. Und die eingangs gestellte Frage nach der Sinnhaftigkeit solcher Neueinspielungen muß sowieso jeder für sich selbst beantworten.
Kontakt: www.gammaray.org, www.ear-music.net

Tracklist:
Hold Your Ground
Brothers
Send Me A Sign
Rebellion In Dreamland
Wannabees
Brothers (Extended)
Rebellion In Dreamland (Karaoke)


 



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