www.Crossover-agm.de FORGOTTEN REALM: Power And Glory
von rls

FORGOTTEN REALM: Power And Glory   (Sonic Age Records)

Rhino, temporärer Scott Columbus-Ersatz bei Manowar, sitzt nicht nur bei Joey de Maios neuen Zöglingen HolyHell hinterm Schlagzeug, sondern auch bei Forgotten Realm, deren Debütalbum "Power And Glory" allerdings bei den Griechen Sonic Age Records erschienen ist und nicht bei Joeys Magic Circle-Label. Keine Ahnung, warum Joey nicht zugegriffen hat - vielleicht störte ihn das christliche Bekenntnis der Band, das sich nicht nur in den Dankeslisten von drei Vierteln der Mitglieder manifestiert (übrigens auch bei Rhino), sondern auch im Textgut, wie gleich der Opener "Path To The Fire" deutlich macht, der mit Bildern des katholischen Pandemoniumsverständnisses und der Lösungsmöglichkeit, "that no man can hold", operiert. Jedenfalls wären Forgotten Realm im MC-Labelstall durchaus ein passender Ersatz für Rhapsody Of Fire gewesen, zumal sie auch ein explizit italienisches Stilelement auffahren: Matthew Mills' Leadgitarrenspiel findet sein erklärtes Vorbild in dem von Olaf Thörsen zu dessen Labyrinth- und frühen Vision Divine-Zeiten, nicht selten an eine springlebendige Quelle irgendwo in den südlichen Alpen erinnernd. Im Direktvergleich schreiben Forgotten Realm das Wort Metal aber deutlich größer als das Wort Orchester - Mills übt nur nebenbei auch den Keyboarderjob aus, eine feste Besetzung dieses Instrumentes gibt es nicht, und so dominiert eindeutig die Gitarre, legt das Keyboard nur Teppiche in den Hintergrund, ohne markante Leadaufgaben zu erfüllen oder gar alles zuzukleistern. Wenn letztgenannte Funktion mal erforderlich wird wie im Refrain von "Mountain Of Dreams", dann liegen halt ein paar mehr Gitarrenspuren da und erfüllen den gleichen Zweck. So ganz ohne Bedeutung ist das Keyboard dann aber auch wieder nicht, wie man an zwei Stellen im gleichen Song feststellen kann. Zum einen sollte man die atmosphärische Wirkung nicht geringschätzen, die der zarte Tastenteppich hinter dem schönen Gitarrensolo entfaltet, zum anderen markiert ein Teppichsolobreak nach zwei Dritteln des Songs einen überraschenden Umschwung des Tempomanagements, wird der bisher recht schleppende Song doch plötzlich von einem Speedpart aufgebrochen, der sich auch bis ans Songende zieht. Aber wie gesagt: Generell kommt die Führungsrolle der Gitarre zu, und somit stellen Forgotten Realm eine perfekte Ersatzdroge für all diejenigen dar, die zwar generell den typisch europäischen melodischen Speed Metal mit Klassikeinfluß schätzen, aber den mit letzterem üblicherweise verbundenen Keyboard- oder gar Realorchestereinsatz nicht zu vertragen glauben. So verbleibt der Klassikeinfluß der vorliegenden 56 Minuten auch im wesentlichen im Gitarrenspiel, das sich natürlich auf den Großmeister dieser Disziplin, Yngwie Malmsteen, und hier und da auch auf dessen großes Vorbild Ritchie Blackmore beruft. Und in diesem Fahrwasser machen die vier US-Amerikaner (allein aus musikalischen Gesichtspunkten heraus hätte man die Heimat der Band sonstwo vermutet, nur nicht dort) durchaus eine gute Figur, auch wenn die abschließende Coverversion von Rainbows "Man On The Silver Mountain" vielleicht nicht unbedingt nötig gewesen wäre, denn wie auch schon Armed Forces vor anderthalb Dekaden scheitern Forgotten Realm trotz anderer Herangehensweise am Versuch, dem Silberberg auch einen musikalischen metallischen Mantel umzuhängen - die eingefügten Gitarrenheldenpassagen wirken eher wie ein Zuviel als wie ein organischer Bestandteil. Zudem kann Sänger David Fefolt einem Vergleich mit Ronnie James Dio (R.I.P.!) leider nicht standhalten, wenngleich man sich an seine Stimme im Kontext der Eigenkompositionen mit jedem Hördurchlauf mehr und mehr zu gewöhnen beginnt und letztlich gar nichts anderes mehr hören will. Der erste Durchlauf nämlich läßt einen verzweifelt "Bitte nicht Kenziner, Part II" seufzen, bevor man dann aber positiv überrascht Feinheiten in Defolts Stimme zu erkennen beginnt, was bei Stephen Frederick seinerzeit nicht gelang. Überhaupt taugen Kenziner als durchaus passender musikalischer Vergleich, wenngleich das finnisch-amerikanische Gemeinschaftsprojekt stärker auf das Keyboard setzte. Aber einige der Kompositionen, die drei Viertel der Forgotten Realm-Mitglieder gemeinschaftlich erschaffen haben (ohne Rhino - aber er ist nicht als Gastmusiker aufgeführt, sondern zumindest anhand des Booklets nicht von einem vollwertigen Bandmitglied zu unterscheiden), hätte sicherlich auch Jarno Keskinen mit Kußhand übernommen, und damit wären Kenziner durchaus nicht schlecht gefahren. Forgotten Realm schaffen es zwar, in prinzipiell fast jedem Song einen flotten Speedpart unterzubringen, sofern nicht gleich die ganze Komposition der melodischen Geschwindigkeitsüberschreitung anheimfällt, aber sie halten das nicht nach Schema F durch, sondern wissen mit einer Vielzahl kompositorischer Einfälle zu begeistern, was auch nicht durch die Tatsache, daß manche Einfälle gleich in mehreren Songs in leicht unterschiedlicher Herangehensweise verbraten wurden, beeinträchtigt wird. Und wer Rhino nur von Manowar her kennt (wobei ja die Theorie, auf "The Triumph Of Steel" habe an seiner Stelle ein Computer getrommelt, durchaus Anhänger besitzt), wird staunen, zu welch vielfältigem und auch in Hochgeschwindigkeitspassagen lockerem Schlagzeugspiel der Mann in der Lage ist. Einzig das etwas balladesk angehauchte "On Wings Like The Eagles" fällt etwas aus dem Rahmen, denn das zentrale Gitarrenbreak ist doch etwas arg an eine gleichgeartete Passage in Stratovarius' "Season Of Change" angelehnt, wobei der dortige Speedausbruch, mit dem man auch hier jeden Moment rechnet, ausbleibt, woraus sich das Wort "fast" im obenstehenden Satz über das Tempomanagement erklärt. Aber Speedausbrüche in Halbballaden müssen ja auch nicht zwingend sein, und so kann man diesen Song hervorragend in allen Trennungssituationen zwischen geliebten Menschen praktisch anwenden. Neben dem Opener, der Coverversion, dem zupackenden Speedie "Freedom Calls" (in dem allerdings das Gitarrensolo einen seltsam "eingeklebten" Eindruck hinterläßt, was sonst im Material dankenswerterweise nicht der Fall ist) und der siebenminütigen, sehr vielschichtig angelegten, aber auch etliche Hördurchläufe zur Erschließung verlangenden Bandhymne "Forgotten Realm" ist er auch der markanteste Song dieser 56 insgesamt zweifellos hochklassigen, wenngleich nicht zwingend originell zu nennenden Minuten, die man hierzulande u.a. via www.karthagorecords.de beschaffen kann.
Kontakt: www.sonicagerecords.com

Tracklist:
Path To The Fire
Time
Heart Turned To Stone
Mountain Of Dreams
Eyes Of My Soul
Shattered Horizon
Forgotten Realm
On Wings Like The Eagles
Forged In Steel
Freedom Calls
Man On The Silver Mountain



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver