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No Silent Backlands Festival 2013   25.-27.07.2013   Weißenfels, Schloßhof
von rls

Das traditionelle Festival gegen rechte Gewalt präsentiert sich anno 2013 ein wenig kompakter: Auf Diskussionsrunden im Vorfeld verzichten die Macher diesmal, und daß das Streetsoccerturnier dieses Jahr nicht im Festivalrahmen stattfindet (es wird mit dem Rippach-Cup zusammengelegt und findet zudem auf Rasen statt), dürfte angesichts tropischer Temperaturen am Festivalfreitag niemanden ernstlich gestört haben. Fast keine Abstriche aber gibt's bei den beiden Konzertabenden, zu denen wieder zehn Bands auf die Bühne steigen und denen diese Berichterstattung hier gehört.
Der Rezensent verspätet sich am Freitagabend etwas und bekommt von Beppo & Chuzpe daher nur noch die letzten vier Songs mit. Hinter dem merkwürdig anmutenden Bandnamen verbirgt sich ein Duo, das auf akustischen bzw. halbakustischen Gitarren Instrumentalstücke spielt, so daß das Mikrofon vor dem glatzköpfigen Bestandteil des Duos zumindest während des hinteren Setteils nur für die Ansagen Verwendung findet. Die beiden spannen den Bogen vom Gypsy-Swing bis hin zu Pop-Adaptionen, haben allerdings einige Schwierigkeiten mit der Koordinierung, was sie selbstironisch auch zugeben - einige etwas merkwürdig anmutende Breaks und Harmonien könnten allerdings auch Absicht gewesen sein. Den stärksten Eindruck hinterlassen die beiden Setcloser. Der erste wird als Schlußsong aus dem Film "Old Boy" angesagt, "wo die auf dem Berg stehen und Schnee rumliegt" - er entpuppt sich als recht ruhig und gefühlvoll. Den furiosen Schlußpunkt setzt "Those Were The Days", vielen sicherlich aus dem Schaffen der Leningrad Cowboys bekannt. Nur leider sind diese vielen nicht anwesend, und so bekommt das Duo nur Höflichkeitsapplaus von den noch wenigen Zuhörern.
Der Rest des Abends, so wird sich am Ende herausstellen, ist diesmal auch stilistisch fokussiert - "Punkrock" heißt die Devise. The Goodfellas sind die ersten, machen melodischen und teilweise recht schnellen Poppunk und haben ein Jahr zuvor schon an gleicher Stelle gespielt. Den damaligen Eindruck, sie seien verkappte Proggies, wischen sie an diesem Abend aber schnell wieder vom Tisch. Die Läufe der Saiteninstrumente in "Terrorist" zeigen zwar noch geringfügig in diese Richtung, aber ansonsten herrscht eher punkiges Chaos, sowohl was den fragmentarischen Eindruck mancher Kompositionen als auch Fertigkeiten wie das Tontreffvermögen beim Singen betrifft. Gleichzeitiges Aufhören am Songende wird sowieso überbewertet, und hier und da scheint sich ein gewisser Hang zum Dadaismus Bahn zu brechen. Da hätte der Musikliebhaber angesichts des 2012er Eindrucks doch etwas anderes erhofft, aber zumindest Teilen des zwischen 21.15 und 21.30 Uhr plötzlich in Scharen eintreffenden Publikums gefällt das Gebotene durchaus, und somit dürfen The Goodfellas sogar noch Johnny Cash als Zugabe verwursten.
Kotzreiz machen schon mit dem selbstbetitelten Setopener klar, daß sie im klassischen Punk siedeln, diesen auch nicht zu verlassen gedenken und auf die thematische wie musikalische Limitierung einen feuchten Kehricht geben. Die meisten Songs handeln entweder vom Saufen, vom Saufen oder vom Saufen, wobei die Berliner allerdings durchaus zeigen, daß sie selbst diesem Thema noch originelle Seiten abgewinnen können, wie "Pfandflaschenwessi" beweist. Und in der Hymne "Der Klügere gibt nach" werden sie nahezu philosophisch. Musikalisch allerdings bleiben die AC/DC-Anklänge in "Alte Männer rosten nicht" das Auffälligste des gesamten Sets, der mit der punktypischen Unvollkommenheit mehr als nur kokettiert. Das Material scheint unter den Anwesenden allerdings durchaus bekannt zu sein, und so setzt das Trio, dessen Gitarrist und Drummer sich den Gesang teilen, häufig auf Mitshoutspielchen und darf sich zudem über einige Pogoaktivitäten freuen.
Feine Sahne Fischfilet heben das musikalische Niveau schlagartig wieder an, obwohl auch sie zweifellos keine Sinfoniker sind. Aber sie gestalten ihren Ska-Punk durchaus interessant und haben zudem den Mut, an den Anfang und ans Ende des Hauptsets jeweils eine Halbballade mit melancholischen Anklängen zu setzen, was für ihr Genre völlig ungewöhnlich ist. Aber dieser fast progressiv zu nennende Ansatz funktioniert, zumal das Instrumentalquartett (zu Gitarrist, Bassist und Drummer gesellt sich ein Trompeter) weiß, was es tut, und auch die Sangesfraktion durchaus Melodiehaltevermögen besitzt. Der zwar ziemlich laute, aber klare Sound ermöglicht das Nachvollziehen der interessanten Strukturen dann auch relativ problemlos, und der kleine Kleiderschrank am Mikrofon punktet zudem durch engagierte Ansagen. Neben der dominierenden deutschen Sprache setzen Feine Sahne Fischfilet gelegentlich auch auf Englisch, entweder in einzelnen Passagen innerhalb eines Songs oder auch in ganzen Kompositionen, etwa der ersten Zugabe "Riot In Our Hearts", das die Band einem russischen Freund widmet, der vor vier Jahren von Neonazis erstochen wurde. "Disteln im Beton" beschließt nicht nur einen interessanten Set, sondern auch den ersten Festivalkonzertabend.
Der zweite Abend zeichnet sich durch eine kuriose Regionalhäufung aus, denn er beginnt mit gleich drei Bands aus Leipzig. Arranged Chaos sind die ersten und sehen so aus, als ob sie gerade vom nächsten Baggersee kämen. Drei Mitglieder spielen oben ohne, einige tragen Bermudashorts, und zwei agieren barfuß, darunter der Bassist, der im klassischer Rockstarpose gern seinen Fuß auf die Monitorbox setzt, was barfüßig dann doch reichlich merkwürdig aussieht. Musikalisch agiert das Quintett im klassischen Metalcore der melodischen Schule und ist damit völlig unoriginell, aber zumindest einigermaßen unterhaltsam und zudem hörbar fit an den Instrumenten, wenngleich man die Gitarrenleads und die zweistimmigen Göteborg-Passagen gern noch etwas deutlicher aus dem Gesamtmix hätte herausfiltern können. Allerdings leiden auch Arranged Chaos unter der alten Metalcorekrankheit, alle Stilmittel in einem Song unterbringen zu wollen und daher austauschbar zu wirken, wenngleich sie mit ausgeprägten doomigen Passagen zumindest etwas gegenzusteuern versuchen. In "Like A Cowboy" muß der Bassist (bei der Hitze!) noch einen Pferdekopf aufsetzen, darf aber dafür auch seine Tappingkenntnisse unter Beweis stellen. Nach dem Closer "One Direction" stellen Arranged Chaos fest, daß sie eigentlich noch Spielzeit für eine Zugabe übrig haben, und da keiner der spärlichen Anwesenden etwas dagegen hat, spielen sie noch eine mit dem klassischen Motiv "Ihaargh Of Uaaaaah Destruction" angesagte Coverversion.
Die Stadtgenossen The Sleeper verlegen das zu beackernde Feld danach nicht in den totalen Doom, wie man vielleicht anhand des Bandnamens hätte mutmaßen können, sondern in den neuzeitlichen Deathcore. Spieltechnisch wissen sie offensichtlich durchaus, was sie tun, aber so etwas wie eine eigene Linie geht ihnen völlig ab, wenngleich das in diesem Genre naturgemäß recht schwer ist. So bleibt die Erinnerung an einen durchaus engagierten Sänger, gelegentlich mit clean angehauchten Backings eines der Gitarristen unterstützt, und wie gesagt einer rein technisch durchaus beeindruckenden Darbietung von nur 20 Minuten Dauer, in die sich einige ungeplante Regentropfen mischen.
Der Regen wird in der nächsten Pause zum waschechten Gewitter (solche waren eigentlich nur für den äußersten Westen und Norden Sachsen-Anhalts vorhergesagt worden, aber nicht für den Südosten), was die Technikfraktion zu diversen Schutzaktivitäten zwingt und dazu führt, daß Coldburn erst mit gehöriger Verspätung antreten können. Zu hören gibt es eine halbe Stunde New School Hardcore, also die metalangereicherte Variante der Neunziger, die im Falle von "Catcher In The Rye", einem älteren Song der Band, aber auch mit latent numetallischen Anklängen spielt. Ein Werk wie "Down To Earth" hinterläßt dabei eher einen fragmentarischen Eindruck, anderes wirkt allerdings durchaus stringenter, wenngleich natürlich keinen Funken originell, was allerdings auch nicht das Ziel dieser Leipziger ist. Der Energietransport klappt jedenfalls, die Leute kriechen bereitwillig aus den Regenunterschlupfen hervor, und der Sänger springt wie ein Flummi über die Bühne. Seine Ansage zur unvorsichtigen Verwendung von Haßvokabular im Hardcore und Metal, gepaart mit einem Statement zu Anders Breivik, sollte sich mancher Kollege jedenfalls hinter die Ohren schreiben.
Tenside sind doppelte Außenseiter im Billing: Sie kommen als einzige der sechs Bands aus den alten Bundesländern, nämlich aus Bayern, und sie sind die mit Abstand metallischste der Bands, was allein schon optisch deutlich wird: Der Drummer hat eine Emofrisur, und vor ihm werkeln drei Langhaarige, mehr als in allen anderen Bands des Festivals zusammen. Tenside haben am Tag zuvor ihr fünftes Album "Nova" veröffentlicht, und selbiges stellt natürlich einige Beiträge für die Setlist, darunter "Reborn", das längere Zeit straighten Thrash bietet, irgendwann aber wie die anderen Tracks auch in eine eklektizistische moderne Metal-Mischung übergeht, wie man sie heutzutage nicht selten zu hören bekommt - The Sorrow seien mal als Anhaltspunkt genannt. Dazu kommen einige Sepultura-Gedächtnisriffs und diverse melodische Einschübe, die akustisch deutlich wahrnehmbar sind, während man sich einige der Gitarrenleads etwas hervortretender gewünscht hätte (die Band hat übrigens als einzige ihren eigenen Techniker dabei). Der Energietransport stimmt allerdings auch hier, und nachdem der Sänger kapiert hat, daß seine Animationsversuche an diesem Abend wohl wenig fruchten werden, nimmt er sich diesbezüglich etwas zurück, bevor es bemüht wirkt. Der Rahmen der reichlich halbstündigen Show stiftet allerdings etwas Verwirrung. Zunächst erklingt nämlich fast komplett ausgespielt "Rebel Yell" von Billy Idol (das gehörte schon zur Show und nicht mehr zur Pausenmusik!), das dann plötzlich abgebrochen wird und einem langen bombastischen Orchesterintro Platz macht, das in dieser Form auch von Nightwish hätte kommen können - und ein klassisches Outro gibt es auch noch. Das Publikum applaudiert zwar mehr als nur höflich, aber große Begeisterung will irgendwie nicht aufkommen.
Mit Final Prayer beginnt dann der Berlin-Block des Abends. Eine reichliche halbe Stunde lang herrscht wieder New School mit viel Energie, aber wieder mal nicht genügend scharf abgemischten Gitarren. Der straighte Highspeed des Openers "Annihilation" bleibt nicht lange erhalten, sondern wird bald abgestoppt, und dann geht es tempotechnisch quer durch den Gemüsegarten, wobei das Quintett sich von den schnellen Bereichen im Verlaufe des Sets eher fernhält. Der Sänger wird im Wechsel durch alle drei Saitenbediener unterstützt, kurz vor Setende mischt noch ein Gastsänger mit, und da viele der Songs im Publikum bekannt sind, darf auch die erste Reihe fleißig mitsingen, wenn sie nicht gerade einen Circle Pit anzettelt. Die Stimmung ist also für die überschaubare Kopfzahl auf dem Schloßhof wirklich gut, und für einige dürften Final Prayer gar den heimlichen Headliner abgegeben haben.
Denn: Was ab Mitternacht mit War From A Harlots Mouth noch folgt, ist zwar zweifellos beeindruckend, aber auch ein bißchen Spartenprogramm - viele schauen sich noch zwei, drei Songs der Jazzcore-Institution an, verlassen dann aber das Gelände, während aber immer noch etliche ausharren und einige sogar versuchen, sich zu diesen wüsten Rhythmen im Takt zu bewegen. Der Drummer spielt also mehr Rhythmuswechsel als alle fünf Kollegen des Abends zusammen (und die hatten schon nicht gerade geradlinig agiert!), aber die Berliner schaffen es kurioserweise, die Songs trotzdem wie solche wirken zu lassen, mit wiedererkennbaren Motiven auszustatten und trotz natürlich vorhandener Zurschaustellung der eigenen Fähigkeiten am Instrument das Songwriting nicht ganz zu vergessen. So sind War From A Harlots Mouth im Direktvergleich auch eher Schostakowitsch als die ganzen Würfler aus Darmstadt, und sie setzen passenderweise auch cellolastige Kammermusikwerke zwischen einige der Songs, die allerdings vom Band kommen. Dafür schrauben sie an diesem Abend die Zahl der atmosphärischen Parts aus livehaftiger Erzeugung etwas herunter. Ein recht klares Soundgewand ermöglicht das problemlose Nachvollziehen der Ideen des Quintetts, und die sind sicherlich nichts für jedermann und für jede Lebenslage, aber prinzipiell aller Ehren wert. Nur sollte der Sänger nochmal über die Stringenz seiner Argumentationskette gegen die Nazis nachdenken - schon anno 2011 war er da durch eine gewisse Unbeholfenheit aufgefallen. Eine Zugabe fordert am Ende niemand mehr ein, und so endet mitten in der Geisterstunde ein wichtiges Festival, das für zukünftige Ausgaben wieder einen deutlich stärkeren Besuch verdient. www.jugend-wsf.de hält den Interessenten über alles Wichtige auf dem laufenden.



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