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No Silent Backlands Festival   25.-28.07.2012   Weißenfels, Schloßhof
von rls

Erneut schafft es die rührige Jugendinitiative Weißenfels, das traditionelle No Silent Backlands-Festival auf die Beine zu stellen und so mit vielfältigen Aktivitäten ein Zeichen gegen den nationalsozialistischen Untergrund und dessen Helfershelfer zu setzen. Diesmal beginnt das Festival bereits am Mittwoch mit einer Diskussionsrunde über die aktuelle Lage des Rechtsextremismus im Burgenlandkreis - da ist der Rezensent aber noch in Tbilissi unterwegs, so daß sich die Berichterstattung in bekannter Weise auf die Open-Air-Konzerte an den beiden letzten Festivaltagen beschränkt.
Der Freitag gehört wieder den regionalen Bands, und Return Of The Momma scheinen sich zu Festivalstammgästen zu entwickeln: Nach 2009 und 2011 spielt das Quintett schon zum dritten Mal innerhalb von vier Jahrgängen auf der diesmal um 90 Grad gedrehten Bühne. Die neun Songs bewegen sich wie gewohnt im Stoner-Bereich, wobei anfangs ein paar spieltechnische Unsicherheiten zu konstatieren sind, die sich aber alsbald legen. Im dramaturgischen Sinne wackelt auch der Übergang vom Intro in den Opener, während beispielsweise der Mittelteil des zweiten Songs "Mission" ein paar abstrus wirkende, aber doch brillante Wendungen enthält. Der Sound läßt noch etwas Power zu wünschen übrig, speziell die Rhythmusgitarren sind zu leise, wohingegen man den Sänger deutlich hört. Und der Mensch hat hörbar an sich gearbeitet (auch sichtbar an der Abrundung seiner Körperform, ähem), wechselt gekonnt zwischen kratziger Artikulation, wenigen elektronisch verzerrten Einwürfen und viel gut umgesetztem Ozzy-Pathos hin und her. Songs wie "Warlord" bilden offenbar Standards in der Setlist, das im Abgang schnelle Stakkati auffahrende "Break The Chains" und das ausladende Schlußepos "Desert Lords" mit seinen originellen Drumfiguren überzeugen an diesem Abend aber am meisten. Leider sind nur wenige Besucher anwesend, und so besteht die erste Reihe hauptsächlich aus Freunden und Verwandten der Band, darunter einer sehr ansehnlichen Cousine des Sängers, die diesen mit Bier versorgt, und seiner Mutter, die gemäß des Bandnamens in der Danksagung besonders hervorgehoben wird.
The Goodfellas spielen nach Eigendefinition Poppunk, wobei sie ebenfalls nach Eigendefinition früher Skatepunk gespielt haben sollen. Freilich ist das so eine Sache, wie man Pop definiert - nach dem Eindruck dieses Abends verbergen sich hinter The Goodfellas nämlich eher Proggies, die mehr können, als sie zeigen. Da überbrückt der Bassist eine technische Panne bei den Gitarristen mal eben mit Queens "Another One Bites The Dust"-Baßlauf, da spielt einer der singenden Gitarristen mal eben eine Rockfassung von Scatman John an, da intonieren alle drei Saitenartisten leadspielend das fast jazzige Intro des vorletzten Songs "That's What You Call Liberation" (sollte das ein Cover gewesen sein?), da enthält "Dirty Dancing" (keine Coverversion) einige aberwitzige Schlagzeugfiguren ... Ebenjener Schlagzeuger poltert aber auch gerne punkig geradeaus, und die Band legt eine songwriterische Fuck-off-Attitüde an den Tag, die sie dazu führt, einen Song auch schon mal mitten in einem vom Hörer vielleicht als größer und länger gedachten Hauptsolo zu beenden. Dazu kommen die Stimmen der beiden Gitarristen - beide keine großen Sänger, aber fürs Punkige definitiv geeignet. Witzige Ansagen runden einen sehr unterhaltsamen Gig ab: "Michael Jackson und Amy Winehouse machen jetzt 'ne Split-Scheibe, auf der sie sich gegenseitig covern - produziert von Nirvana." Nuff said.
Nerdschool überraschen mit ihrer Besetzung - ein Sänger/Gitarrist und ein Schlagzeuger, mehr nicht. Das ist in der jüngeren Rockgeschichte zwar kein absoluter Einzelfall mehr, aber immer noch selten genug, um besondere Aufmerksamkeit zu finden, was die Analyse betrifft, wie man mit dem Fehlen eines nach ursprünglicher Definition für Rockmusik zwingend notwendigen dritten Instrumentalisten umgeht. Das Ergebnis ist bei Nerdschool widersprüchlich: Einesteils finden sich nicht selten Passagen, in denen man nichts Fehlendes wahrzunehmen geneigt ist, andere Momente wiederum wirken dann doch etwas fragmentarisch. Das Duo spielt dabei moderneren Metal mit gewisser Punkschlagseite und rauhen Vocals, hat etliche gute Songideen, gönnt sich sogar Anflüge von Gitarrensoli und schaltet mit einem Wechsel der Gitarre auf Baßlagen sogar in grungige Gefilde herunter. Ansonsten fühlt man sich gelegentlich im Riffing an Black Sabbath erinnert, aber als Gesamteindruck bleibt doch einer, der sich beim Rezensenten und bei Festivalkopf Steffen deckt, wie ein Plausch am nächsten Tag ergibt: Nerdschool sind sowas wie Danko Jones ohne Bassist - und das ist sicherlich kein schlechter Vergleich.
Dann kommen We Will Fly und blasen den Rezensenten völlig um. Sie rotieren auf der Bühne, machen enorm Tempo, singen alle vier Leads (die drei Mikros in der Frontreihe, die die drei Saitenartisten wechselseitig besetzen, sind daher alle gleich laut eingestellt) und koppeln ihren Melodypunk mit obskuren Epicmetalpassagen, maidenkompatibler Melodik, einer handfesten Speed-Metal-Kante, Reggaerhythmen und Anflügen von Satzgesängen zu einem hochgradig begeisternden Gebräu, das allerdings das zahlenmäßig mittlerweile etwas gewachsene Publikum überwiegend überfordert. Zwar muß das offenbar irgendwie mit The Goodfellas verbandelte Quartett (auch hier gibt es übrigens einen Song namens "Dirty Dancing") zwei Songs zweimal beginnen, aber das tut dem Prädikat, hier würde hohe Spielkultur geboten, keinen Abbruch. Wenn We Will Fly so weitermachen, können sie quasi die Dragonforce des Punk werden - an diesem Abend reicht's zumindest für eine Zugabe, wonach der Soundmensch als Eröffnung der Konservenmusik in dieser lauen Nacht das uhrzeitmäßig leicht flunkernde "Two Minutes To Midnight" von Maiden in den Player legt.
Das Samstagsprogramm eröffnen Crazy Today mit sieben Songs klassischen Hardcores, dem nur eine leichte Metalkante beigemischt wird, so daß eine Legierung aus viel Achtzigern und etwas Neunzigern entsteht. Das augenfälligste Zitat stammt allerdings aus den Siebzigern: In "Empty Hands" verarbeitet das Quartett den eröffnenden Gitarrenlauf aus Black Sabbaths "Paranoid". Der Sound läßt an Klarheit noch etwas zu wünschen übrig, aber die entstehende Gitarren-Baß-Wand ist in diesen 20 Minuten noch kein existentielles Problem, und den klassischen Bellgesang des Sängers hört man auch so deutlich genug. Selbiger Mensch rennt fleißig über die Bühne und spickt die Ansagen mit Widmungen - auch hier die klassische Schule also. Die Reaktionen des Publikums sind für einen weitgehend unbekannten Opener in Ordnung, es herrscht schon etwas Bewegung, obwohl die Kopfzahl des Auditoriums noch eher gering ist, was sich erst später entscheidend ändern soll.
Zunächst sind aber Loco Anus dran, deren Fanclub für Action vor der Bühne sorgt, gekleidet in Bademäntel oder auch Fleischerschürzen. Dazu gibt es Grindcore, allerdings nicht aus der Funecke, wenngleich nicht alles vom Textgut so hundertprozentig ernstzunehmen sein dürfte. Aber das Quartett vergißt nicht, die eine oder andere engagierte Message unterzubringen und mit dem bandeigenen Humor zu koppeln. Der bricht sich auch musikalisch Bahn, etwa wenn im mit den Worten "Viel besser als Jihad: Der Krieg im heiligen Stand der Ehe" angesagten Song der Sänger und der ebenfalls singende Gitarrist wunderbare Vokalduelle grunzender und keifender Sorte inszenieren und damit wahre Bilderlandschaften vor dem Auge vorbeiziehen lassen. Ansonsten entpuppt sich die Band aber als recht puristisch veranlagt - einige Blueseinflüsse sind das Einzige, womit sie ihren klassischen Grind anreichern. Die Songs dauern allesamt länger als eine Minute, einige sind für Grindverhältnisse sogar recht ausladend, nur der Sound wird mit zunehmender Spielzeit schwammiger, was freilich auch hier nicht entscheidend stört. Interessant übrigens: Als einer der wenigen Genrevertreter haben Loco Anus eine Frau in der Besetzung, in diesem Fall Baß spielend.
Scarred By Beauty wirken danach, als wären sie aus einer anderen Zeit herausgefallen - ihr melodischer Metalcore erinnert stark an die Zeiten um die Jahrtausendwende, als im Untergrund, u.a. bei I Scream Records, der spätere diesbezügliche Trend geboren wurde, und nur die stark progressiv-verbreakte Kante scheint aus späteren Zeiten zu stammen. In diesem Subgenre ist freilich musikalisch mittlerweile alles gesagt, und so können sich die Dänen nur noch als Mitbewerber, aber nicht mehr als Innovatoren positionieren, wenngleich dieser Sound mittlerweile wieder so weit in den Untergrund zurückgewichen ist, daß nur noch ein paar große Bands wie As I Lay Dying noch an der Oberfläche zu schwimmen scheinen. Allerdings: Der prinzipiellen Qualität der Musik Scarred By Beautys tut das keinen Abbruch, zumal auch der Sound etwas transparenter als bei den bisherigen Bands gerät, wenngleich einige der Gitarrenmelodien mehr zu erahnen als zu hören sind. Das bessert sich im Verlaufe des Gigs aber deutlich. Die Nordlichter halten ihre Musik dabei oftmals in eher schleppenden Tempi, nur gegen Ende hin ("Top Of The Morning") basteln sie verstärkt schnellere Passagen ein. Dazu kommt ein rauher Sänger, der sich von Cleaneinlagen völlig fernhält und einen engagierten, aber nicht aufdringlichen Eindruck hinterläßt, wobei er zusätzlich mit seinen Deutschkenntnissen punkten kann. Außerdem vollführen die drei Saitenartisten gelegentlich ballettartige Tanzeinlagen, die einen interessanten Gig abrunden. Nebenbei bemerkt hat die Truppe auch abseits des eigenen Schaffens einen guten Geschmack, indem der eine Gitarrist beim Soundcheck Black Sabbaths "Iron Man" spielt.
Von den nördlichen zu den südlichen Nachbarn: Show Your Teeth stellen sich mit den Worten "Wir beißen nicht, wir reden nur komisches Deutsch" vor und walzen dann eine große Portion 90er-Metalcore, also die Variante, die noch Slayer-Riffs statt Maiden-Melodien verarbeitete, über das Publikum, garniert mit etwas Hüpfcore aus der gleichen Zeit und ausstaffiert mit einigen mehr oder weniger seltsamen, soundbedingt nicht bis ins Letzte entschlüsselbaren Effekten. Der Energietransport in Richtung Publikum klappt, aber von dort aus kommt dem Sänger offenbar zu wenig zurück, weshalb er nach dem zweiten Song von der Bühne springt und für den Rest des Gigs vorn im Auditorium Animationsversuche betreibt. Bester Song des knapp halbstündigen Sets ist der Closer "Shipwrecked", der in geschickter Weise geradlinige Passagen mit einigen Breaks und ganz kurzen melodischen Anflügen koppelt, während die Ösis zuvor obskurerweise auch mal Amy Winehouse gecovert haben. Das alles ergibt eine solide, aber nicht weltbewegende Show, was wohl auch das Publikum so sieht, den Sänger damit immer wieder zu seinem Lieblingsstoßseufzer "Wacht endlich auf!" animierend.
Zu Awaken Demons bleibt im Prinzip nicht allzuviel zu sagen. Das US-Quartett spielt klassischen 90er-Hardcore ohne Überraschungen, mit wenig Metalgehalt, aber trotzdem ordentlicher Power. Von Gitarre und Baß hört man leider oftmals nur eine Wand, aber daß der bullige Drummer durchaus elegant zu spielen weiß, entgeht dem Ohr nicht. Als geradezu archetypisch für den Sound des Quartetts geht die Quasi-Bandhymne durch: schneller, straighter Beginn, dann ein Konglomerat von Breakdowns unterschiedlicher Intensität. Das ist alles nicht schlecht gemacht, aber haut die Besucher auch nicht gerade vom Hocker, so daß die Reaktionen eher mäßig bleiben.
Von den vier Ausgaben des No Silent Backlands-Festivals, die der Rezensent bisher besucht hat, geht 2012 mit einer Komponente in die Geschichte ein: Noch nie zuvor sah er so viele Menschen in Shirts des Headliners gehüllt - und das bei der mit Abstand härtesten und kompromißlosesten Headlinerband in der Geschichte des Festivals. Die skurrilste Kombination trägt eine weibliche Person: blondierte Haare, Nasenring, rosa Fingernägel, schwefelgelbgrüne Regenjacke, rosa Minirock, Netzstrümpfe mit Giraffenmuster, türkisfarbige Stoffschuhe - und dazu eben ein schwarzes Napalm-Death-Shirt. Der Rezensent sieht die legendären Briten und Amis (in paritätischer Besetzung) an diesem Abend zum ersten Mal (1994 hatte er das erste With Full Force-Festival, damals noch in Glauchau, verpaßt, wo Napalm Death u.a. mit Mortification spielten) und konstatiert zunächst mal eine Änderung der Soundverhältnisse, was die Lautstärke angeht: Die Anlage gibt auf einmal viel mehr Power her. Nachteil der immensen Lautstärke: Mitch Harris' Gitarre und Shane Emburys Baß fließen dadurch klanglich noch stärker ineinander, als das sowieso schon zu befürchten war, wenngleich etwa der Japan-Livemitschnitt aus den 90ern unter Beweis stellt, daß ein relativ transparentes Soundgewand bei den Grind-Königen sogar in der Quintettbesetzung möglich war. Erstklassig herauszuhören und zu analysieren sind dagegen die Drums und die Vocals, wobei sich Harris nicht nur mit wildem Gekeife an letzteren beteiligt, sondern einmal sogar epischen Klargesang erzeugt (man mache dem Mann ein Power-Metal-Seitenprojekt schmackhaft!). Von der Setlist her stellt das Quartett natürlich sein neues Album "Utilitarian" in den Mittelpunkt, versucht aber trotzdem auch einen Überblick über die 31 (!) Jahre Bandgeschichte zu geben, wozu freilich auch ein ganzer Sack alter Klassiker gehört, denen logischerweise aufgrund der nicht endlos ausdehnbaren Spielzeit manch interessanter Track der Zwischenzeit zum Opfer fällt. Aber wer will schon meckern, wenn er "Scum" und nicht "Greed Killing" zu hören bekommt? Eben. Barney Greenway tobt über die Bühne, sofern ihm die Stagediver Platz dazu lassen - einigen von denen sollte man allerdings die goldenen Regeln des Stagedivens einbleuen, zu denen u.a. "Am Songende noch auf der Bühne stehen ist uncool", "Den Bassisten auf der Bühne umarmen ist uncool" und "Von der Bühne aus ein Handyvideo zu drehen ist uncool" gehören. Die Band macht gute Miene zum bösen Spiel, intoniert fast ausschließlich schnelle bis sehr schnelle Songs ("Suffer The Children" und die fast bluesige erste Hälfte von "Scum" sind die mit Abstand langsamsten Passagen des Sets) und verzichtet natürlich nicht auf zwei legendäre Momente: zum einen das prima zum Festivalmotto passende Dead-Kennedys-Cover "Nazi Punks Fuck Off" (auch wenn dessen Text eigentlich etwas anders gemeint und eher auf den optischen Modefaschismus in Punkkreisen gemünzt war), zum anderen als vorletzter Song das einsekündige (!) Gewitter "You Suffer". Mit "Instinct Of Survival" endet dann ein denkwürdiger Grindcore-Gig, dessen enthusiastische Publikumsreaktionen den Veranstaltern Recht geben, eine derart extreme Band als Headliner verpflichtet zu haben, was ja durchaus ein gewisses Risiko darstellt, da man immer Gefahr läuft, gewisse Publikumsschichten, deren Härtetoleranz weiter unten liegt, zu verprellen. Diese Klippe wurde 2012 erfolgreich umschifft, und was den Veranstaltern für 2013 so eingefallen ist, darüber informiert zu gegebener Zeit www.jugend-wsf.de



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