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Dragonforce, Akrea   30.10.2009   Leipzig, Hellraiser
von rls

Power Metal galt in Leipzig jahrelang als praktisch tot, und fast alle größeren Acts dieses Genres umfuhren die westsächsische Metropole weiträumig. Eine aktive Nachwuchsszene dieses Genres gibt es in der Messestadt auch heute noch nicht, aber seit es bei Metalcoregitarristen zum Pflichtprogramm gehört, Maiden-Platten auswendig zu kennen, ist quasi für einen Nebenstrom an Interessenten gesorgt, so daß sich für 2010 sogar Manowar wieder mal angesagt haben. Von dieser günstigen Lage profitiert auch der Headliner dieses Freitagabends: Noch vor einigen Jahren hätten Dragonforce selbst mit dem heutigen Status von vier Alben in der Hinterhand deutlich kleinere Brötchen backen müssen, diesmal füllen sie den Hellraiser recht ordentlich und augenscheinlich sogar stärker als etwa Paradise Lost zwei Jahre zuvor.
Nutznießer des guten Publikumszuspruchs sind Akrea, die pünktlich 21 Uhr starten und sich nach ihrer Dreiviertelstunde sicherlich einige neue Anhänger erspielt haben. Die Gebrüder Panzer und ihr Spürtrupp gehen dabei sogar als originell durch: Deutsche Lyrics sind zwar im Pagan Metal mittlerweile sehr verbreitet, aber im melodischen Death Metal stehen Akrea so ziemlich allein auf weiter Flur, wobei man sich freilich etwas Mühe geben muß, um herauszuhören, daß der singende Panzer-Bruder sich in Deutsch artikuliert, obwohl der Gesamtsound eigentlich nicht schlecht ist. Aber ein bißchen mehr Leadgesang und auch Leadgitarre hätte es im Mix schon sein dürfen. Dann wäre vielleicht auch der Wiedererkennungswert einzelner Kompositionen etwas höher ausgefallen, denn obwohl das alles sehr gefällig von der Bühne schallt, bleibt es doch auf den ersten Hör kaum im Ohr hängen. Dafür erinnert man sich an die Optik: Die Panzer-Brüder sind auf dem besten Weg, die ZZ Top des melodischen Death Metal zu werden, und Einstellungsvoraussetzung bei der bayrischen Truppe scheint eine gewisse Mindesthaarlänge gewesen zu sein. Welche Metalband hat heute wirklich noch fünf Langhaarige in der Besetzung? Früher wäre man für eine solche Frage belächelt worden, aber heute ist das ja bekanntermaßen alles anders. Das Quintett bangt auf der Bühne dann auch fleißig, wenngleich etwas unkoordiniert. Das Tempo hält man recht vielschichtig zwischen mittel und schnell, wobei der Drummer nur sehr selten mal einen Blast einwirft. Children Of Bodom ohne Keyboards und ohne überbordernde Virtuosität? Moaning Wind treffen mittlere Dark Tranquillity und werfen deren Keyboard in die Ostsee? Amon Amarth siedeln nach Göteborg um? Irgendwie alles nicht ganz falsch als Umschreibung, aber vielleicht läßt sich das nach Durchhören des dem Rezensenten bislang apocryphen Debütalbums "Lebenslinie" auch noch einmal ganz anders an.
Was Dragonforce dann allerdings abziehen, ist mit Worten kaum noch zu beschreiben. Bekanntlich spielt die Band so etwas wie Italospeed zum Quadrat, und man weiß ja schon, wie schwer Italospeed abzumischen ist, ohne einen Soundbrei zu erzeugen. Die Problemlösung dieses Abends ist denkbar einfach: Der Soundmensch dreht die Anlage nicht so weit auf, und in Verbindung mit einer guten Einstellung und Reaktionsvermögen kommt es so zu einem hervorragenden Soundgewand, in dem einzig die Keyboards manchmal ein wenig zu weit im Hintergrund stehen. Aber dieses Problem verschmerzt man angesichts der Tatsache, wie es auch hätte kommen können (und man kennt das Phänomen überlaut beschallter und daher im Klangbrei endender Metalgigs ja leider nur zu gut), relativ leicht. Zeit zur Trübsal gibt es auch nicht, denn das Sextett auf der Bühne fegt mit einer frischen Brise durch den Hellraiser und transportiert derart viel positive Energie, daß man davon noch das ganze Wochenende zehren kann. In einem Song spielen Dragonforce immerhin so viele Noten wie manche Doomband während ihrer ganzen Existenz (und wenn sie Jahrzehnte dauert) nicht, und speziell die Gitarristen Herman Li und Sam Totman treten in einen freundschaftlichen Wettstreit, wer als erster die hunderttausendste Note für sich verbuchen kann (den Li wegen seines höheren Leadanteils knapp gewinnt). Dazu packt das Sextett (jawoll: auch hier lauter Langhaarige!) aber auch noch eine wilde Bühnenshow mit akrobatischen Sprüngen, laufenden Positionswechseln, kleinen Duellen und anderen Showelementen, so daß man sich nur noch wundert, daß bei den zahlreichen Passagen, wo Backing Vocals gebraucht werden, trotzdem immer rechtzeitig jemand vor den Mikros links und rechts steht. Bassist Frederic Leclerq macht nur zu gerne mit (wobei er gesangstechnisch einige rauhe Passagen einzuwerfen hat), und gelegentlich gesellt sich selbst Keyboarder Vadim Pruzhanov mit ins lustige Treiben auf der vorderen Bühnenhälfte, dann bewaffnet mit einem Umhängekeyboard, das in der Summe übrigens dominanter abgemischt ist als sein stationäres Hauptinstrument links hinten. Ruhepole gibt es nur in der einzigen Halbballade im Set und in einigen wenigen getragenen Einleitungen, ansonsten regiert melodischer Höchstgeschwindigkeitsmetal in technisch perfekter Vollendung, was auch auf ZP Thearts kompetenten Leadgesang zutrifft. Übrigens ist die Band ein lebender Beweis, daß Multikulti allen Unkenrufen zum Trotz funktionieren kann: Das Bandhauptquartier steht in London, aber nur der Drummer (der früher bei Bal-Sagoth war - daher die Temponeigung?) und der eine der Gitarristen sind Briten (wobei letzterer sein halbes Leben in Neuseeland verbracht hat). Der Keyboarder kommt aus der Ukraine, der Bassist ist Franzose, der andere Gitarrist stammt aus Hongkong, und mit dem Sänger schließlich ist auch noch ein Südafrikaner dabei. Diese explosive Mischung knallt live wirklich am laufenden Band, und niemand stört sich etwa an der Überlänge der Songs - keine der Bandkompositionen mit Ausnahme eines Japanbonustracks kommt vor der Fünfminutengrenze ins Ziel, und so schaffen Dragonforce mit gerade mal acht Songs im Hauptteil und zwei Zugabesongs trotzdem einen anderthalbstündigen Headlinerset. "Operation Ground And Pound" und besonders der Closer des Hauptteils, der Titeltrack des ersten Albums "Valley Of The Damned", fahren die besten Publikumsreaktionen ein, aber auch der Rest wird frenetisch gefeiert, und trotz grundlegend anderer stilistischer Herangehensweise ist die Partystimmung ähnlich ausgelassen wie einen Abend zuvor bei Status Quo. Falls man jemals vergessen sollte, was man am melodischen Speed Metal so liebt, so braucht man nur zu einem Dragonforce-Gig zu gehen, und es fällt einem alles wieder ein.



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