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Paradise Lost, Neurosonic   28.09.2007   Leipzig, Hellraiser
von rls

Englisches Wetter begleitet den Rezensenten auf dem Weg zu diesem Konzert - als er, mal wieder nicht rechtzeitig im Büro losgefahren, mit 20 Minuten Verspätung zum Hellraiser kommt, stellt er allerdings fest, daß dieses Konzert zur im Rockbereich selten gewordenen Sorte der offensichtlich pünktlich beginnenden gehört, denn er bekommt gerade mal noch die letzten beiden Songs der Kanadier Neurosonic mit, die als dritte Band noch mit auf die Tour gerutscht sind. Und das paßt stilistisch durchaus, denn das Quartett macht deutlich, wie Paradise Lost klingen könnten, wenn sie tief im Herzen Glamrocker wären. Auch die Kanadier verzichten nicht auf einige elektronische Zuspiele, aber ansonsten wird in erster Linie gerockt, und das im angedüsterten Midtempobereich, dabei aber immer mit einer gewissen Kante des klassischen Hard- bzw. Glamrocks, die keineswegs nur in den altschuligeren Soli deutlich wird. Trotz prinzipiell ähnlicher Herangehensweise halten sich dabei die Parallelen zu diversen finnischen Bands wie Negative in überschaubaren Grenzen, die dreiköpfige Saitenfraktion hat frisurtechnisch eher die späteren Ramones studiert und erinnert auch irgendwie an eine angedüsterte Fraktion der Traceelords. Natürlich ist es schwer, ein umfassendes Bild anhand von nur zwei gehörten Songs zu zeichnen (auch das Studiomaterial der Band ist dem Rezensenten nicht bekannt), aber mit globalen Abweichungen im Rest des insgesamt wohl halbstündigen Sets (im Falle des pünktlichen Beginns) dürfte vermutlich nicht zu rechnen sein, und nachdem der Frontmann einige Kommunikationsprobleme mit dem Publikum überwunden hat (man jubelt ihm nur äußerst gemäßigt zu, als er fragt, ob man sich denn auf den Gig von Paradise Lost freue), gibt es zum Ende der beiden letzten Songs noch nicht enthusiastischen, aber auch mehr als freundlichen Applaus.
Danach stehen Eyes Of Eden auf dem Plan, die im Sommer ein gutklassiges Gothic Metal-Debüt namens "Faith" vorgelegt haben, nachdem sich die Arbeit daran längere Zeit verzögert hatte: Ur-Sängerin Sandra Schleret (Ex-Dreams Of Sanity) mußte aufgrund gesundheitlicher Probleme nach einiger Zeit aufgeben (wobei sie sich zwischenzeitlich schon wieder so weit erholt hat, daß sie neuen Bandengagements nachgehen kann), so daß Ersatz Franziska Huth die Platte noch einmal einsingen mußte. Aber auch bei Franziska schlägt die Seuche zu, diesmal kurzfristig, so daß sie unmittelbar vor dem Gig ins Krankenhaus eingeliefert werden muß, wie Bandkopf Waldemar Sorychta den wartenden Fans verkünden "darf" - doppelt tragisch dadurch, daß es fürs mitteldeutsche Gewächs Franziska praktisch das "Heimspiel" der Tour gewesen wäre. Nicht nur der Rezensent hatte sich auf den Gig gefreut (zumal mit Spannung erwartet werden durfte, ob sich Eyes Of Eden ausschließlich auf ihr eigenes Songmaterial beschränken würden oder aber der eine oder andere umarrangierte Song von Waldemars Ex-Bands Grip Inc., Voodoocult oder gar Despair den Weg in die Setlist fände), aber es gibt keine Unmutsäußerungen während Waldemars Rede, sondern eher trauriges Verständnis und abschließenden Jubel, daß jetzt gleich die Band kommen würde, wegen der ja die meisten Leute da wären, nämlich Paradise Lost. Schade ist der Ausfall trotzdem, zumal so kurzfristig natürlich auch keine Ersatzband mehr herangekarrt werden kann (man hätte allenfalls in der Moritzbastei anrufen und fragen können, ob A Walk Through Peril mit ihrem Set schon fertig wären oder Misery Speaks bis zu ihrem Setbeginn noch genügend Zeit hätten, um mal fix noch für einen zweiten Gig an einem Abend im nahen Engelsdorf einzuspringen :-)); gute Besserung an Franziska von hier aus!
Paradise Lost haben ebenfalls ein gutes neues Album namens "In Requiem" am Start (wenngleich man schon fragen darf, warum da der Bandname Paradise Lost und nicht der passendere Bandname Amorphis auf dem Cover steht :-)) und scheitern an der Aufgabe, eine halbwegs ausgewogene Setlist zusammenzustellen. Bei elf Alben ist das natürlich auch eine undankbare Sache, aber von insgesamt 16 Songs stammen letztlich ganze drei von den ersten fünf Alben, den Gothic Metal-Klassiker "Icon" spart man gleich mal ganz aus (was die Abwesenheit von eigentlich unverzichtbaren Hits wie "Embers Fire" und "True Belief" bedeutet). Zumindest ehrt es die Band im Hinblick auf die künstlerische Konsequenz, daß sie selbst das allgemein wenig geliebte Album "Host" berücksichtigt - im etwa zur Hälfte gefüllten Hellraiser gibt es auch tatsächlich Menschen, die dieses Album offensichtlich mögen, wie vereinzelte Jubler nach der Ansage von "So Much Is Lost" deutlich machen, wenngleich die Reaktionen auf den folgenden Klassiker "Pity The Sadness" ungleich euphorischer ausfallen. So richtig Stimmung kommt im Publikum allerdings auch erst gegen Setende und im Zugabenteil auf, den Hauptteil des Sets beklatscht man artig, bangt hier und da mit, sieht aber irgendwie keinen Anlaß für eine große Gothic Metal-Party, obwohl dazu zweifellos auch Songs neueren Datums wie der Opener "The Enemy" oder der tempotechnisch ungefähr die Obergrenze des Sets bildende Quasi-Titeltrack des neuen Albums, "Requiem", prinzipiell geeignet sind. Aber irgendwie wirkt die Band, als ob sie Dienst nach Vorschrift machen würde - zu diesem Eindruck trägt beispielsweise die ultraknappe Verabschiedung sowohl nach "One Second" als Closer des regulären Sets als auch nach "Say Just Words" als letztem der vier Zugabensongs bei; das notwendige Spielen nach der exakten Vorlage der eingesampelten elektronischen Unterbauten erstickt jeden Gedanken nach etwaigen Variationen von vornherein, und auf den Gedanken, wegen des Ausfalls von Eyes Of Eden vielleicht etwas länger zu spielen, auch wenn man die Samples dazu nicht parat hat (merke: Es gibt Dutzende von Paradise Lost-Songs, die locker ohne diese Samples auskommen, und es erscheint wenig wahrscheinlich, daß die Band, von der vier Fünftel immerhin seit 20 Jahren zusammenspielen, nicht mehr als die 16 Songs dieses Abends im abrufbaren Repertoire hat), scheint die Band gar nicht erst gekommen zu sein, obwohl ihr Set schon keinesfalls durch Überlänge geglänzt hat. Die nicht übermäßig ausgeprägte Bühnenaktivität dagegen sollte nicht als Negativum verstanden werden, denn von einer Band wie Paradise Lost erwartet man natürlich nicht, daß sie über die Bühne fegt wie eine Hardcoretruppe, selbst wenn gerade Nick Holmes einen arg statischen Eindruck hinterläßt, den er mit seinem schwarzen britischen Humor in einigen Ansagen (etwa zu "As I Die": "Jetzt kommt ein Song, den wir seit 24 Stunden nicht mehr gespielt haben!" oder zu "Over The Madness": "Jetzt kommt ein Death Metal- oder Grindcore-Song!") nicht kompensieren kann. Seinen eigentümlich-nasalen halbhohen bis hohen Cleangesangstil, den er sich auf den letzten Alben mehr und mehr zueigen gemacht hat und mit dem er sich immer mehr an Mittlerweile-Ex-Amorphis-Fronter Pasi Koskinen annäherte, setzt er übrigens auch in den alten Songs ein, die in den Studioversionen noch rauher eingesungen worden waren, was neue und phasenweise nicht uninteressante, aber nicht in jedem Fall überzeugende Klangerlebnisse bietet (Pasi hingegen hatte meist versucht, alle Passagen mehr oder weniger in Originallage zu singen). Der Sound stellt Gregs Leadgitarrenlinien ein wenig zu stark in den Hintergrund und fällt (übrigens auch schon bei Neurosonic) insgesamt nicht schlecht, aber ein gutes Stück zu grell und höhenlastig aus, was gerade für Gothic Metal nun nicht gerade das Nonplusultraklangbild darstellt, wenngleich ein muffiges Geblubber natürlich auch nicht angebracht gewesen wäre. So bleibt letztlich ein zwiespältiger Eindruck: Kein schlechter Gig, das nicht - aber auch kein richtig guter, keiner, der einen richtig packt, wozu das Songmaterial von Paradise Lost, durchaus auch das neuere, zweifellos Gelegenheit geboten hätte. Schade.



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