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Negura Bunget, Black Messiah, Adorned Brood, Nomans Land, Heathen Foray, Dyrathor   09.10.2010   Gera, Sächsischer Bahnhof
von rls

Diese Tour, die gleich einen Stapel Bands bündelt, welche ihr Lager irgendwo in der Nähe der paganmetallischen Gefilde aufgeschlagen haben, erfordert ein relativ striktes Zeitmanagement - sechs Bands, die nicht gerade nur eine Viertelstunde Regelspielzeit auf die Bretter legen, wie das in manchen Hardcorepackages üblich ist, wollen entsprechend verteilt sein (bei einigen Dates der Tour spielt mit Wolfchant gar noch eine siebente Band mit, aber die hat der Rezensent im April an gleicher Stelle schon mal gesehen, war nicht so begeistert und ist über den Fakt, daß sie an diesem Abend nicht im Billing stehen, daher alles andere als böse). Die eigentlich angedachte Anstoßzeit 19 Uhr kann hauptsächlich aus technischen Gründen (der Stammtechniker des Sächsischen Bahnhofs hatte am Vortag einen kleinen Unfall und ist daher nicht hundertprozentig einsatzfähig, so daß der Stammtechniker von Negura Bunget, der die Tour mitfährt, 120% geben muß und eine beeindruckende Improvisationsfähigkeit unter Beweis stellt) nicht gehalten werden, und so bekommt der Rezensent, der auch nicht ganz pünktlich eintrifft, doch noch den kompletten Set von Dyrathor mit. Deren sechs Songs enthalten in den Liveversionen Pagan Metal, wie er typischer nicht sein kann - diese Einschätzung kommt zustande, weil man den Originalitätsfaktor der Band auf der Bühne zwar sieht, aber nicht hört: Die Westfalen haben einen festen Geiger dabei, der nur in Song 4 (gemäß Ansage eine "Ode an die Heimat") mal kurz akustisch vernehmbar ist, als alle anderen Instrumente bis auf die vom Band kommenden, hier harfenartigen Keyboards schweigen, der aber doch in jedem Song irgendwo spielt und der nebenbei auch noch (hörbar) für die Cleanvocals zuständig ist. Ansonsten herrscht musikalisch business as usual, allerdings spielerisch auf einem guten Niveau und mit viel Abwechslung vom akustischen Ruhepol bis zum flotten Waldabholzen. Passend dazu steht rechts hinten als Dekoration ein abgestorbener Baum, das Drumkit hat die Farbe Grün, und der kompetent kreischende bis brüllende Sänger hat seinen rechten Arm mit Binden dekoriert, aus denen Äste (!) wachsen. Keine Ahnung, ob der Drummer ihm deswegen immer wieder in den Ansagen ins Wort fällt, indem er einfach den nächsten Song einleitet. Der Sound ist einen Tick zu laut und einen Tick zu schwankend, auch einige Rückkopplungen dröhnen von der Bühne. Das Publikum applaudiert freundlich, und mancher wird sich vielleicht vorgenommen haben, mal die Studioversionen (mit hörbarer Geige) zu checken.
Heathen Foray dagegen werden empfangen wie verlorene Söhne - der Gig kurz vor Jahresende 2009 ist offensichtlich vielen Anwesenden noch gut in Erinnerung. Aber wie hat sich diese Band doch gesteigert! Aus einem soliden Genrebeitrag ist einer geworden, der selbstbewußt an die Tür der Spitzengruppe klopft, und das hört man dem Gig deutlich an: Die sechs Songs des regulären Sets mixen dreimal Material des Debüts "The Passage" mit dreimal Stoff vom neuen Album "Armored Bards", und diese Mischung erweist sich live als hochgradig explosiv, auch wenn die Österreicher diesmal auf Gimmicks wie eine Doppelhalsgitarre und das Spiel einer Gitarre mit einem Geigenbogen verzichten. Die etwas geradlinigeren alten Tracks geben den extrem spielfreudigen Gitarristen schon genügend Auslauf (und diesmal auch bei fast idealem Sound, nur an wenigen Stellen hätte man sich die Leads des linken Gitarristen noch eine Winzigkeit schärfer abgrenzbar gewünscht), die neuen sind deutlich vielschichtiger ausgefallen, ohne die alten Tugenden (also auch einfach mal nur ohne nachzudenken melodische Hochgeschwindigkeit runterzuhobeln) zu vernachlässigen. "The Blind" muß man sicher mehrfach hören, um beispielsweise den plötzlichen Blastausbruch unter den gemütlichen Akkorden der Gitarristen zu verstehen, auch das mit einem langen epischen Intro ausgestattete "Bifrost" erfordert noch Erschließungsarbeit in der Harmonik und Melodik der getappten Solopassagen, und der sehr schnelle Titeltrack des neuen Albums schließt den regulären Set in hochklassiger und begeisternder Manier ab. Die vehementen Zugabeforderungen aus dem Publikum werden mit "Wolkenbruch" belohnt, und einige Enthusiasten schaffen es sogar, den 2009 eingetrichterten Schlachtruf "Hipphipp - Foray!" ohne Aufforderung zu intonieren.
Die damaligen Tourpartner von Heathen Foray, Nomans Land, stehen als nächste auf den Brettern und intonieren erneut einen hochklassigen Set schon als traditionell zu bezeichnenden Viking Metals, zudem bei gutem, nur in den Gitarren manchmal leicht schwankendem Sound. Ein Speedfeuerwerk wie "Valhalla Calls" schaufelt jedenfalls mächtig Stimmung in die Bude, das gleich anschließende, noch unkonservierte midtempolastige "Land Of The Cold Flame" bringt sie allerdings trotz seiner interessanten Gitarrenarbeit wieder in die Nähe der Erdung. Und irgendwie fällt beim Hören auf, daß sich manche Songs strukturell doch ziemlich ähneln, wenngleich die vier Cowboys aus Leningrad genügend Klasse besitzen, um im richtigen Moment in die richtige Richtung zu schwenken. Beim Nacheinanderhören von "Father North" (Setcloser) und "Storm Of Steel" (Zugabe) wird dieses Phänomen besonders deutlich - zweiterer Song beginnt, wie der erste aufgehört hat, bevor der Stahlsturm dann doch recht stimmungswechselnd zu wehen beginnt und einmalig auch den zweiten Gitarristen in die heroischen Cleanvocals einbezieht, die sonst die Domäne des ersten sind, der diesmal auch alle Ansagen übernimmt (das hatte 2009 der die rauhen Vocals beisteuernde Bassist erledigt) und sich einen Spaß daraus macht, mehrere Songs als "Awtobus" anzusagen. Gute Unterhaltung, zweifellos - aber der Stimmungshöhepunkt kommt erst nach Ende der Zugabe, was nicht ironisch gemeint ist.
Die Frage "Habt Ihr Lust zum Schunkeln?" wäre auf Metalkonzerten noch vor 15 oder 20 Jahren undenkbar gewesen, hat aber mittlerweile durchaus Praxisrelevanz gewonnen (der Rezensent hat 2002 bei einem Gig der Randfichten übrigens experimentell bewiesen, daß man gleichzeitig schunkeln und headbangen kann). Bei Adorned Brood kommt sie jedenfalls mehrfach vor, passend zu den oftmals maritimen Themen der jüngeren Alben, die das Gros der Setlist stellen. Auch die Einspielung eines falschen Intros bringt die Jungs samt Flötistin nicht aus dem Konzept, und mit dem Titeltrack des neuen Albums "Hammerfeste" demonstriert die altgediente Band auch schnell, daß sie keine Gefangenen zu machen gedenkt, was auf verschiedenen Ebenen dann auch klappt, nämlich sowohl bei der metallischen Härte als auch bei der rumseligen Schunkelei. Gerade "7 Tage" entpuppt sich als Partyknüller, aber "Am Grunde des Meeres" oder der reguläre Setcloser "Kaperfahrt" (der u.a. die Gesichtsbehaarung als Mittel der Personalauswahl bei der Bemannung eines Schiffes anführt - da hätten aber nicht alle männlichen Bandmitglieder mitsegeln dürfen ...) stehen dem kaum nach, während die Bandhymne "Adorned Brood" oder die Zugabe "Under Yggdrasil" etwas mehr metallische Attitüde versprühen. Die Flöte hört man aus dem leider einen Tick zu mulmigen Gesamtsound immer strahlend heraus, während die Leads des rechten Gitarristen und die Keyboards oftmals nur zu erahnen sind. Trotzdem ein sehr starker Gig!
Black Messiah bringen eigentlich einige Eigenschaften mit, um sie genüßlich zu verreißen - das beginnt schon beim wenig sympathischen Bandnamen, der zudem stilistisch in eine völlig falsche Richtung weist (man erwartet eigentlich puristisches Schwarzmetallgetrümmer, wird aber zumindest aus heutiger Perspektive völlig getäuscht). Und die Kombination aus einem Fellkostüm und einer in Pop-Art-Manier konzentrisch schwarz-weiß lackierten Gitarre beim linken Gitarristen geht auch überhaupt nicht und entspricht ungefähr der Vorstellung, Joey de Maio mit Emofrisur auf der Bühne zu sehen. Aber der Gig der Band, die der Rezensent akustisch nur von einem Magazinsamplerbeitrag kennt, läßt dann doch die Kinnlade herunterklappen, denn es entfaltet sich ein vielschichtiges Potpourri, das die Grenzen des tanzbaren Pagan Metal zwar nicht sprengt, aber die Landschaft eben bis zu den Grenzen erkundet. Dazu zählt die Violine, die der Sänger in einigen der Songs spielt (und die man hier auch deutlich hört); wenn er das nicht tut, greift er zu einer dritten Gitarre, und die Notwendigkeit dieser Maßnahme bestätigt sich auch nicht zu selten: An etlichen Stellen erklingen gar dreistimmige Leadgitarrenpassagen, die eigentlich noch einen Viertgitarristen erforderlich gemacht hätten (aber der hätte dann endgültig nicht mehr auf die so schon enge Bühne gepaßt) und die man mit etwas Anstrengung auch gut heraushören kann, obwohl das Keyboard den Gesamtsound einen Deut zu sehr dominiert. Zu "Söldnerschwein" (das ist der besagte, offensichtlich weitreichend bekannte Magazinsamplerbeitrag) schwingt fast die gesamte Bahnhofshalle das Tanzbein, und das "Sauflied" wird stürmisch gefordert und natürlich auch gespielt. Dazu kommt u.a. ein neuer Song (der Titel beinhaltet irgendwas mit "Wind") und der Closer "The Battle Of Irgendwas" (jawohl, man versteht manche Ansagen brüllbedingt nicht so richtig) - leider läßt das aus den Fugen geratene Zeitmanagement keine Zugabe mehr zu, und so muß das nichtsdestotrotz gutgelaunte Publikum auf das Dschinghis Khan-Cover "Moskau" (das an dieser Position sicher gespielt worden wäre) verzichten.
1.30 Uhr ist es, als Negura Bunget nach einer überlangen Umbaupause letztlich die Bühne betreten - das dauert so lange, weil eine immense Anzahl von Instrumenten abzumischen ist, und bis auf die riesige Flöte im Intro, die wie ein Alphorn ohne Trichter aussieht und die, sobald die E-Gitarren und die Drums einsetzen, akustisch nichts mehr zu melden hat, fehlt im Gesamtmix letztlich auch nichts. Die drangvolle Enge auf der Bühne wird u.a. dadurch deutlich, daß der zweite Gitarrist, als er im dritten Song an eines der drei Drumkits wechselt, nicht auf der Bühne nach links hinten zu besagtem Instrument gelangen kann, sondern vorn von der Bühne geht, die Bahnhofshalle verläßt und auf dem Weg über den Backstageraum letztlich die Bühne wieder von hinten betritt - ein Weg, den er nach besagtem reinem Trommelinstrumental wieder in umgekehrter Weise geht. Über die enorme Vielschichtigkeit der Kompositionen der Rumänen hat sich Tobias in seiner Rezension zum neuen Album ja schon detailliert ausgelassen; selbiges Album und der Vorgänger "OM" stellen gemäß den Ansagen auch zumindest das Gros des dreiviertelstündigen Sets, der eine beeindruckende Intensität aufweist und (Black) Metal, rumänische Folklore und Pink Floyd in einem interessanten Mischungsverhältnis darbietet. Die knappen Ansagen übernimmt dabei nicht der etatmäßige Sänger (der auch noch mancherlei Blas- und Schlaginstrumente spielt), sondern der erste Gitarrist, der bisweilen eine sehr harsche zweite Stimme einbringt. Schon beeindruckend, welche kompetenten Musiker Schlagzeuger Negru nach der Spaltung der Band anno 2009 für die neue Besetzung heranzuziehen wußte und wie gut eingespielt diese bei dem komplexen Material schon sind. Einige Rückkopplungen stellen einen Bezug zum Beginn des Konzertes her, und kurz nach 2.15 Uhr fällt ohne Zugabe der Vorhang für eine der originellsten Bands der heutigen Metalszene und auch für einen unterhaltsamen Abend.



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