www.Crossover-agm.de
Party.San Open Air 2010   12.-14.08.2010   Bad Berka
von ta

Nein, einfach war das Party.San dieses Jahr nicht. Wie angesichts diverser Prognosen zu befürchten, regnete es bereits Donnerstag und dann eigentlich bis Sonntag mindestens den halben Tag. Ergebnis: Das Campinggelände glich von Anfang an einer Schlammwüste. Die einzigen grünen Flecken waren unter den parkenden Autos zu finden und an vielfrequentierten Stellen wie dem kompletten Weg von der Brücke zum Einlass des Konzertgeländes oder in einem 15-Meter-Radius um das Partyzelt herum sank man knöcheltief ein.
Nun darf der Besucher eines Metal-Festivals keine Bedingungen wie im eigenen Wohnzimmer erwarten, und wer gute Klamotten mit aufs Party.San gebracht hat oder sich wegen des bescheidenen Wetters kaum aus dem Zelt bewegte, ist am Ende selbst schuld. Aber das Wetter zeitigte doch auch diverse objektive Probleme.
- Auf dem Konzertgelände gab es viel zu wenige Sitzmöglichkeiten, so dass man, wollte man möglichst viele Bands sehen, den ganzen Tag am Stehen war. Selbst im Partyzelt stand regulär nur eine einzige Bank.
- Der Campingplatz liegt auf einer alten Kuhweide und durch den Regen wurde die ganze Gülle der Weide nach oben gespült. Was heißt, dass es - mal direkt gesagt - überall nach Scheiße stank. Die Zelte stinken nach Scheiße. Die Klamotten stinken nach Scheiße. Deine Hände stinken nach Scheiße. Ich habe noch nie nach einem Festival derart viele stehengelassene Zelte gesehen - wer will den Mief schon im Keller haben?
- Durch die Schlammwüste dauert jeder Weg dreimal so lang wie normal.
- Autos blieben permanent im Schlamm stecken.
Die Veranstalter reagierten natürlich auf die schwierigen Umstände. Traktoren zogen permanent Autos aus dem Schlamm und auch die Security zeigte sich hilfsbereit. Daumen hoch dafür! An wichtigen Stellen des Konzertgeländes wurde Rindenmulch gestreut und über das Campinggelände fuhr ab und an ein Schaufelbagger und plättete den Schlamm hier und da etwas (was einen eher willkürlichen Eindruck hinterließ). Darin erschöpfte sich allerdings der für uns sichtbare Kampf gegen den Schlamm, zumindest was Konzert- und Campinggelände betraf. Zur Stellungnahme des PSOA-Teams diesbezüglich geht es hier lang.
Alles in allem keine optimale Lösung, aber die gab es in der Situation wohl nicht. Diverse positive Seiten hatte der Matsch ja auch:
- Beim Headbangen hatte man immer einen festen Stand, weil man 10 cm eingesunken war.
- Die Teilnahme an oder Beobachtung von freiwilligen Schlammbädern war möglich.
- Das Gartencenter im Ort machte ein super Geschäft mit Gummistiefeln.
Und damit zum Eigentlichen, der Musik. Die ist 2010 mal wieder speziell, denn mit bspw. Ofermod, Sarke, Lock Up und Autopsy sind ein paar Bands im Gepäck, die man hierzulande nur selten zu sehen die Gelegenheit hat. Aber beginnen wir von vorne.

Donnerstag, 12.08.2010

Aufgrund einer späten Anreise verpasse ich leider KETZER und MERRIMACK, bin allerdings zu DEVOURMENT am Start. Die spielen brutalen, midtempo-lastigen US-Death mit an Grind grenzendem Geröchel, tiefschürfenden Titeln wie "Baby Killer", "Postmortal Coprophagia" und "Fucked To Death" und werden mit einem amtlichen Pit belohnt. Besonders Bassist Chris Andrews sticht durch einen beeindruckenden Bewegungsradius und Eselsmaske auf dem Schädel hervor. Ziemlich cool.
MONSTROSITY sind Veteranen und Vollprofis. Sie spielen sautight, fehlerfrei und bewegen sich auch viel, insbesondere Mike Hrubovcak am Mikro, der permanent einen auf Weirdo macht. Der zwischen mittelschnell und flott pendelnde, konservative Florida-Death der Mannen bietet messerscharfe Gitarren, ist weder schlecht noch eine Offenbarung und sticht nur wirklich hervor, wenn es mal wirklich langsam wird. So gerät das treibende "Remnants Of Divination" für mich zum Höhepunkt des Aufspiels. Die Band beendet ihr Set bereits nach 35 Minuten, wird allerdings noch mal um eine Zugabe auf die Bühne gebeten. Etwas billiges Kalkül, aber Profis dürfen das wohl.
Nun fängt es an nach Eingeweiden zu müffeln. THE DEVIL'S BLOOD betreten die Bühne und machen schon mal optisch was her. Die Hälfte der Band ist blutbeschmiert und schädelt sich einen ab, die Lichtshow besteht beinahe nur aus rotem Licht, in der Mitte der Bühne steht Farida Lemouchi den ganzen Gig über wie angewurzelt hinter dem Mikro, unterstützt von einem Chor aus drei Gastsängern im Hintergrund. Der Sound ist bereits zum Opener "Come, Reap" exzellent, erst recht angesichts der Tatsache, dass auf der Bühne eine halbe Armada an Musikern steht. Musikalisch sind die Deibelslobpreiser mit ihrem hochmelodiösen, teils folkig angehauchten Psychedelic/Hard Rock die Ausnahmeerscheinung des Festivals und haben entsprechend mit einem eher bescheidenen Publikum zu kämpfen. Das indes ist sichtbar erfreut und sieht streckenweise ernsthaft gerührt aus. Kürzt man den Kontext des Extremmetalfestivals weg, bleibt eine solide 70er-Hardrockband mit einem Berg metaphysischem Firlefanz drumherum. Nicht übel, aber übertrieben gehypt. Hoffen wir, dass die Band den Trubel unbeschadet übersteht.
Apropos Hype: Meine Güte, was sind WATAIN doch groß geworden! Die zweite Stinkeband des Abends ist an einem Wendepunkt ihrer Karriere angelangt. Der Kontrast zwischen dem asozialen Geholze vom Debüt "Rabid Death's Curse" und dem melodiösen, abwechslungsreichen High Class Black Metal des aktuellen Albums "Lawless Darkness" ist ebenso augenfällig wie das optische Gesamtpaket, vergleicht man bspw. den Auftritt 2006 an gleicher Stelle mit dem diesjährigen Gig. Die Bühne ist voll mit irgendwelchem Krempel, darunter aufgespannte Flaggen, mehrere Petruskreuze und kerzenständerförmige Fackeln. Die Lightshow ist austaxiert bis ins Detail und die zwei Feuersäulen am Bühnenrand laufen in Dauerbetrieb. Die Musiker sind der hohen anderweitigen Schauwerte wegen nur ein optisches Element von vielen, was die Fraktion der Trvenaten mit ungläubigem Kopfschütteln zur Kenntnis nimmt, den umfangreicheren Rest des Auditoriums jedoch sichtbar beglückt. Die neueren Songs von Watain sind mir etwas zu breaklastig, rifftechnisch bieten die Schweden jedoch viel erstklassigen Stoff und die Stimme von Erik "Ich-befinde-mich-gerade-in-einem-erleuchtenden-Stadium-zwischen-Leben-und-Tod" Danielsson ist auch mit einer Erkältung wie heute einen Hör wert. Zu hören sind "Malfeitor", "I Am The Earth", "Reaping Death", "Stellarvore Watain", "Black Salvation", "Four Thrones", "Sworn To The Dark" (Ohrwurm des Abends!) und "Legions Of The Black Light". Da Watain sich gerne zum Anlass verärgerter Kommentare machen, wird der Auftritt dem vor exakt vier Jahren freiwillig aus dem Leben getretenen Antikosmiker und Dissection-Mastermind Jon Nödtveidt gewidmet, dessen "The Somberlain" denn auch tadellos gespielt erklingt und für Jubel und Gänsehaut zugleich sorgt. Der Viertelstünder "Waters Of Ain" mit Selim Lemouchi von The Devil's Blood an der dritten Gitarre markiert schließlich den Abschluss des Sets. Insgesamt ein würdiger Donnerstags-Headliner.

Freitag, 13.08.2010

Der Tag beginnt mit den Schweden ONHEIL, die eigentlich Niederländer sind. ONHEIL mögen den typischen Sverige-Dunkelstahl a la Dissection, Naglfar, Sacramentum, Lord Belial etc., reichern ihn um traditionelle Heavy-Metal-Riffs an und fiedelgniedeln Double-Leads ohne Ende. So richtig böse ist das am Ende nicht und ein Song wie "The Fallen Kingdom" versprüht phasenweise sogar Black'n'Roll-Feeling, aber das ist für die Uhrzeit genau das Richtige und passt zudem perfekt zum sympathischen Auftreten des Quintetts. Musikalisch nicht mein Fall, aber sehr souverän.
Die Ziegenfans MILKING THE GOATMACHINE bollern und grooven sich durch 40 Minuten Death/Grind mit allerlei Unfug zwischendurch: Ein "Heidi"-Sample, ein Kerl, der im Wolfskostüm über die Bühne rennt, allerlei aufblasbare Gummiutensilien für den Badeurlaub und natürlich akustische Impressionen von der örtlichen Goateborger Weide, darunter die ziemlich coole Sacred-Reich-Adaption "Surf Nicaragua", die jetzt natürlich "Surf Goataragua" heißt, das derb groovende "Born, Lost, Captured", das gut integrierte Nailbomb-Cover "Wasting Away" und mehrere noch unveröffentlichte Neulinge, von denen einer "Here Comes Uncle Wulf" heißt. Die Band steht komplett mit Ziegenmasken auf der Bühne und Goatleeb Udder gelingt die Doppelbelastung aus Drums und Gegrunze tadellos. Musikalisch können MTG keine echten Ausrufezeichen setzen, aber sympathisch ist das Quartett allemal, unterhaltsam auch, und als zweite Band des Tages derart viele Leute vor die Bühne und ins Pit zu ziehen, muss einem auch erst mal gelingen. Top!
LIVIDITY mochte ich noch nie, schaue sie mir dennoch an und muss neidlos zugestehen, dass die Porn-Grinder mit Pig Squeals, Chauvi-Gequatsche, Titeln wie "My Cock It Bleeds" und einem recht agilen Dave Kibler an der zweiten Gitarre trotz des Scheißwetters einige Leute ins Circle Pit locken können.
Zu den SUICIDAL ANGELS ist aber alles wieder vergessen. Die Griechen sind die ultimativen Sympathieträger: Sie sind kommunikativ und jedes einzelne Bandmitglied sucht permanent durch Blicke und Gesten den Publikumskontakt, sie bangen sich die Rüben ab und zocken dabei ohne Spielfehler kompromisslosen High-Speed-80er-Thrash zwischen Exodus und Ruhrpott, komplett innovations- und überhaupt modernefrei. Als hätte es weder die 90er noch 00er je gegeben, völlig geil! Musik, Texte, Ansagen und Band-Shirts strotzen nur so vor Klischees, aber am Ende passt das alles so perfekt zusammen, dass man es einfach mögen muss.
ORIGIN enttäuschen. Ultraschnelles Gitarrengewichse, Blastbeats nonstop und dreißig Rhythmuswechsel pro Song machen musikalisch nur Sinn, wenn man auch was davon hört, und das ist hier und heute nicht der Fall. Bassist Mike Flores spielt atemberaubende Tappings, aber was zu vernehmen ist, ist immer derselbe Ton; die Gitarren liefern nur Matsch und das extremst breakdurchsetzte Dauergeblaste von John Longstreth ist zwar optisch beeindruckend, kommt über die Lärmwand aber auch nicht hinaus. Sänger und Neuzugang Mica Meneke setzt sich ebenfalls nur bei den hohen Schreien durch. Ergebnis: 45 Minuten Krach. Auch showtechnisch ist der Auftritt nur lala. Während Longstreth und der mir namentlich und optisch nicht bekannte Gitarrist (Jeremy Turner?) eher lustlos wirken, zeigt sich Flores immerhin bemüht; Meneke entpuppt sich als einziger wirklicher Aktivposten, rennt viel rum, zieht Grimassen und lässt die Rübe kreisen, zusammen mit schätzungsweise einer Handvoll Verrückter vor der Bühne. Der Rest belässt es bei wahlweise aus Staunen oder Langeweile offen stehender Gusche. Wenigstens die Tracklist entpuppt sich als perfekter Streifzug durch das bisherige Schaffen der Band: "The Aftermath", "Finite" und "Antithesis" vom gleichnamigen und jüngsten Album; "Reciprocal" und "Debased Humanity" von "Echoes Of Decimation"; "Vomit You Out" und "Origin" vom Debüt; "Larvae Of The Lie" und natürlich das unvermeidliche "Portal" von dem nach wie vor besten und musikalischsten Origin-Rundling "Informis Infinitas Inhumanitas". Insgesamt schade, hier wäre mehr drin gewesen.
Zu DEMONICAL will ich dann mal wieder sitzen und verschwinde ins Zelt. Anschließend zocken sich die kürzlich wiedervereinigten THE CROWN etwas statisch durch die Death/Thrash-Geschütze "Deathexplosion", "Under The Whip", "Black Lightning", "Blitzkrieg Witchcraft", "Executioner", "Back From The Grave", "Crowned In Terror" und "Total Satan", und als Bonus gibt es mit "Doomsday King" einen Vorgeschmack auf das kommende Album, der mit einem lupenreinen Doom-Riff überrascht, stilistisch aber ansonsten nahtlos an die letzte, immerhin schon sieben Jahre zurück liegende Scheibe "Possessed 13" anschließt. Der neue Sänger Jonas Stålhammar unterscheidet sich stimmlich nicht übermäßig von seinem Vorgänger Johan Lindstrand, setzt aber optisch durch die große Brille einen neuen Akzent.
Anschließend OFERMOD. Es gibt ja derzeit einige Black-Metal-Bands, die gerade deswegen so abgefeiert werden, weil sie Show, Texte etc. irgendwie ernster zu meinen beanspruchen als überdrehte Gimmick-Truppen wie Dark Funeral oder Endstille. Also Truppen, bei denen einem permanent versichert wird, dass sie ganz sicher nur aus authentischen Satanisten bestünden: Watain etwa, die fabelhaften Ondskapt oder eben OFERMOD. Man muss diese angebliche Authentizität aber auch auf einem Festival inszenieren können. Wenn Watain auf der Bühne alles anfackeln, was nicht bei drei auf der Bühne ist, fühle ich mich auch bestens unterhalten, wenn ich nicht an antikosmische Kräfte, etwas Erstrebenswertes an Chaos oder Zahnfeen im Auftrag des Gehörnten glaube. OFERMOD dagegen sind nicht unterhaltsam, sondern einfach nur peinlich. Für das Intro tritt eine Pappnase in schwarzer Robe auf die Bühne, die sich für einen Prediger mit Direktdraht zu Seth hält, labert einem erst mal ungelogen zehn Minuten lang mit Beschwörungsformeln vom Notenständer das Ohr ab und fuchtelt dazu mit einem Stab herum. Gottlob begibt sich irgendwann Gitarrist Michayah an sein Instrument und die Musik beginnt zu sprechen. Die ist bei OFERMOD alles andere als schlecht: Dunkel, heavy und abwechslungsreich ertönen "Tiamatü"-Tracks wie "Death Cantata" und "Khabs Am Pekht". Da wäre das alberne Drumherum völlig unnötig - teilweise schreitet der Priester des Bösen mit gefalteten Händen und geneigtem Kopf über die Bühne und hofft offenbar, damit auch noch ernst genommen zu werden. Ich kenne nur einen Metal-Musiker, bei dem diese religiöse Theatralik gut kommt, weil die Musik auch entsprechend sakral klingt, und das ist Eric Clayton (Saviour Machine). Nach gefühlten zehn Minuten Spielzeit netto kackt dann konsequenterweise die Gitarre ab und es gibt noch mal ein viel zu langes Outro-Ritual. Was für ein Schabernack!
Wenn man Samstag- oder Sonntagvormittag vor dem Getränkemarkt im Bad Berka rumlungerte, konnte es leicht passieren, dass plötzlich Martin van Drunen vor einem steht. Der Mann sieht inzwischen aus, als wäre er selbst vor kurzem etwa dreihundert geworden, aber seine Band ASPHYX hat nur schlappe dreiundzwanzig Jährchen auf dem Buckel, sich 2007 auf dem Party.San wiedervereinigt, ist auch 2010 wieder dabei und spielt mal eben einen der Top-Auftritte des Festivals. Ultraheavy und bei bestem Sound werden Simpel-Deather wie "Vermin", "Scorbutics", "M.S. Bismarck", "Death … The Brutal Way", "Wastelands Of Terror" und "Asphyx" über ein wahres Meer an Headbangern ausgewälzt. Van Drunen plaudert mal wieder ohne Unterlass und bedankt sich bei der halben Welt für die Loyalität, das tolle Festival, Blumentöpfe von Bloom und überhaupt, übertreibt die Verbrüderungsszenen mit seinen Bandkollegen etwas und brüllkeucht ansonsten in unverkennbarer Manier alles in Grund und Boden. Paul Baayens und Neuzugang Alwin Zuur an Gitarre und Bass sind permanent in Bewegung, Bob Bagchus hinter dem Schlagwerk drückt und drückt und drückt. Nach dem abschließenden "The Rack" kann man abgeschraubte Köpfe en masse vom Boden auflesen.
DYING FETUS sind genauso unverwechselbar wie Asphyx. Es braucht nur wenige Sekunden an Harmonizer-Geröchel, Drums oder Riffing und man erkennt sofort den typischen Sound der Truppe. Bei perfektem Klang und auf den Punkt groovedreschen sich die inzwischen zum Trio geschrumpften Death-Grinder durch "One Shot, One Kill", "Destroy The Opposition", "Justifiable Homicide", "Grotesque Impalement" und natürlich "Praise The Lord". Bei besserem Wetter und nicht so eingezwängt zwischen Legenden wie Asphyx und Autopsy hätte dieser Auftritt ein echter Triumphzug werden können.
Anschließend begehe ich eine Dummheit. Ich verzichte bei bestem Wissen und Gewissen auf SARKE, gönne meinen Ohren etwas Ruhe im Zelt und beiße mir dafür noch Tage später in den Arsch. Wann hat man schon sonst die Chance, Nocturno Culto mal auf einer Bühne zu sehen?
Und wann hat man schon mal die Chance, AUTOPSY mal auf einer Bühne zu sehen? AUTOPSY tun 2010 auf dem Party.San das, was Chris Reifert jahrelang in jedem Interview kategorisch verneint hatte, und stellen sich 15 Jahre nach dem letzten regulären Album "Shitfun" zusammen auf die Bretter. In klassischer Besetzung Reifert/Cutler/Coralles und um Tausendsassa Danny Lilker am Bass ergänzt ziehen die Kalifornier mehr Leute als jede andere Band des Festivals - etliche Leute sind nur dieses Auftritts wegen angereist und der Bühnenrand ist bevölkert mit Musikern anderer Combos. Und sie werden nicht enttäuscht. Der Einstieg mit "Twisted Mass Of Burnt Decay" ist keine Täuschung und es folgen pausenlos Classics der ersten zwei Alben: "In The Grip Of Winter", "Severed Survival", "Pagan Saviour", "Disembowel" etc. pp. "Human Genocide" ist angeblich der erste Autopsy-Song überhaupt und "Gasping For Air" kündigt Fleischmütze Reifert mit den Worten an: "Guess what? Another old song!" Sehr nostalgisch, das Ganze, aber das war zu erwarten. Irgendein Song der neuen EP "The Tomb Within" war angeblich auch dabei.
Reifert verliert zwischendurch mal 'nen Stick, seine Vocals sitzen aber ebenso wie sein Drumming. Nicht schlecht! Cutler und Coralles wirken so alt, wie sie eben sind, aber agil genug, dass zumindest Lust an dem Auftritt rüberkommt. Basslegende Lilker hat wieder etwas mehr Fleisch auf den Rippen und sieht nicht mehr wie das abgewrackte Drogenopfer aus, der er zeitweilig war. Und mehr gibt es eigentlich nicht zu sagen; warten wir auf die neue EP! Eine Anknüpfung an die doomigen Elemente von 1991, d.h. "Mental Funeral" und die "Retibution ..."-EP, fände ich sinnvoller als ein Wiederbeleben des flotten Geschrotes von "Severed Survival", aber so ganz prinzipiell glaube ich mal nicht, dass die Welt überhaupt ein neues Album von AUTOPSY braucht.

Samstag, 14.08.2010

Während der Opener UNDER THAT SPELL spielt, hängen wir noch im Ort fest. Sorry dafür! So werden TRIBULATION für mich zum Samstags-Weckruf. Deren Black-Thrash erinnert an Merciless, Witchery und Necrophobic und kommt live richtig gut, zumindest wenn man auf diesen doch etwas ursprünglichen Stil abfährt. Optische Ausrufezeichen setzt die Band, besonders Gitarrist Adam Zaars, mit tuntiger Kajal-Optik, akustisch bleibt bei mir lediglich das flotte "Beyond The Horror" hängen.
Neben The Devil's Blood sind GHOST BRIGADE die zweite musikalische Ausnahmeerscheinung des Festivals. Die spielen eine Art Post Rock mit Katatonia-Schlagseite und Opeth-artigen Death-Metal-Versatzstücken. Sehr melancholisch, das Ganze, und sehr introvertiert. Gitarrist Wille Naukkarinen ist zumindest der einzige, der Kontakt zum Publikum sucht. Die tiefe Singstimme von Manne Ikonen kommt live kraftvoll und sicher, Zusammenspiel und Atmosphäre sitzen, so dass alle Songs inklusive dem repetitiven Instrumental "22:22 - Nihil" für schwelgende Blicke sorgen. Prozentual gesehen haben GHOST BRIGADE den höchsten Frauenanteil, im Vergleich mit Lividity an gleicher Position am Vortag jedoch auch das deutlich kleinere Publikum. Doch die Finnen ziehen konsequent ihr Ding durch und die ruhige Gangart ist auf diesem anstrengenden, verschlammten Festival auch mal angenehm.
Tormentor, der bei DESASTER den Drumhocker besetzt, hat heute Geburtstag. Das heißt erst mal, dass er ein schräges Ständchen aus ein paar tausend Kehlen spendiert bekommt: "Happy birthday, lieber Tormentor, happy birthday to you" klingt schon irgendwie kultig. Es heißt aber auch, dass die komplette Band alkoholbedingt etwas wacklig auf den Beinen ist. Das gilt zuvorderst für das Geburtstagskind selbst, das ein paar mehr Schnitzer und Timing-Fehler einbaut, als man es ohnehin von DESASTER kennt. Egal, Schwamm bzw. Schlamm drüber, denn der Auftritt hat ansonsten typische DESASTER-Qualität. Sataniac hat sich wieder mal zwei Oberschenkel dahin genäht, wo normale Menschen ihre Oberarme spazieren tragen, Infernal post 80s-mäßig rum, Bassist Odin post angemalt rum - das übliche Programm eben, natürlich auch musikalisch: "Satan Soldiers Syndicate", "Metalized Blood", "Teutonic Steel", "Tyrants Of The Netherworld" und "Infernal" ertönen, und die Zugabe-Rufe des Publikums werden mit "Cross Me Fool" von Razor belohnt.
VARG spielen einen der grässlichsten Metal-Stile überhaupt, fröhlichen Folk Black Metal. Fiedelmelodien, Schunkelrhythmen und dämliche Texte, dazu rot angeschmierte Musiker, die in Bärenfellen über die Bühne rennen, sind meine Sache nicht. Aber was soll ich sagen, die Truppe macht permanent Stimmung. Philipp "Freki" Seiler ist ein klasse Fronter, feuert ohne Unterlass den besoffenen Pulk im Matsch an, rennt über die Bühne und lässt die blonde Matte kreisen; seine Band ist gut in Bewegung und die Feuersäulen werden im Akkord gezündet. Die Querelen um die politische Ausrichtung des Fronters hat die Band nicht nur gut überstanden, sie haben sicher den einen oder anderen vor die Bühne getrieben, der nur der Musik wegen sicher nicht gekommen wäre. Es ist jedenfalls gerammelt voll.
Zu MANEGARM muss ich leider pausieren, um das anschließend folgende Sperrfeuer unbeschadet überstehen zu können. NECROPHAGIST, die 2005 bereits Gast auf dem Party.San waren, zählen zu den Highlights des Festivals. Auf Platte ist der Frickel-Death der Musikstudenten bereits ziemlich gut, ballert aber seiner hohen Melodielastigkeit wegen nicht so derb, wie man es bei Todesstahl gerne hätte. Live bekommt man von den Melodien weniger mit und die rhythmische Komponente der Songs sowie der Gesang treten mehr in den Vordergrund. Heißt im Klartext: Die Band ist live brutal as fuck. Muhammed Suiçmez, der sich inzwischen eine etwas metallischere Optik in Form einer ordentlichen Matte zugelegt hat, grunzt wie ein Weltmeister, und Romain Goulon zerlegt sein Drumkit in alle Einzelteile. Was für ein mörderisches Blastgewitter! Unnötig zu erwähnen, dass das Zusammenspiel der Band absolut perfekt ist, jedes Lick, jede Pause, jedes Solo sitzt und in einer Sekunde gefühlte zwanzig Töne erklingen. Die Konzentration liegt auf der "Epitaph"-Scheibe, die beinahe komplett durchgespielt wird, angereichert um einige Tracks des schwächeren Debüts, darunter "Extreme Unction" und "Fermented Offal Discharge", sowie ein kurzes (und eher unoriginelles) Prokofjew-Zitat, den "Tanz der Ritter" nämlich. Keine Frage, Necrophagist gehören zur Techno-Todesblei-Elite. Aber bitte auf dem nächsten Party.San mit einem neuen Album!
Zu NAPALM DEATH muss man im Prinzip nicht viel sagen. Die Grind-Legende hat live immer ein schwindelerregend hohes Niveau: Perfektes Zusammenspiel, blindes Verständnis, viel Bewegung und maßlose Energie treffen aufeinander. Zentrum der Show ist Barney Greenway, der wie von der Tarantel gestochen über die Bretter zappelt und sich die Seele aus dem Leib brüllt, egal ob er seine Botschaften in Uraltklassikern wie "Suffer The Children", "Nazi Punks Fuck Off", "You Suffer" und "Unchallenged Hate" unterbringt oder neues und nicht minder gutes Material vorstellt, darunter das in ICE-Tempo runtergeballerte "Strong Arm" (als Opener), "The Silence Is Deafening", "Life And Limb" und "On The Brink Of Extinction". Wenn NAPALM DEATH jetzt noch beginnen würden, die Groove-Granate "Twist The Knife (Slowly)" mal wieder ins Programm einzubauen, wäre ich wunschlos glücklich. Sympathisch wirken die Versuche des Fronters, seine Ansagen in Deutsch vorzutragen. Was auf diesem Festival besonders auffällt, ist hierbei die Menge an Messages, die Barney ablässt; zwischen all den Truppen, die kein vernünftiges Wort über die Lippen bringen, honorieren die Massen vor der Bühne spürbar, dass jemand auf der Bühne steht, der etwas zu sagen hat. Es wird gegen Verschleppung und Folter gewettert, allen Religionen inklusive Satanismus eine klare Absage erteilt und auch die Kollegen von der braunen Front bekommen ins Stammbuch geschrieben, wo sie hin- bzw. nicht hingehören (auf Deutsch): "Nazis - Nein Danke!" Top! In dieser Verfassung sind Napalm Death state of the (grind) art. Warum sie dennoch nach nur 35 Minuten die Bühne verlassen, verstehe, wer will.
SUFFOCATION halten das hohe Niveau problemlos. Frank Mullen redet zwar einiges an Käse zurecht, gehört aber nach wie vor zu den besten Grunzern dieses Universums und hat mit seinem Handwackelbanging auch ein Markenzeichen entwickelt, das schräg und cool zugleich ist. Derek Boyer bearbeitet seinen Bass perfekt und bangt dabei in derart zusammengestauchter Haltung, dass er inzwischen die Oberschenkel eines Fußballers und einen völlig demolierten Rücken haben muss. Hobbs und Marchais hauen göttliche Death-Metal-Riffs im Akkord raus und hinter dem Kit ballert und groovt Blast-Erfinder Mike Smith, dass es eine Pracht ist. Was mir immer mehr auffällt: Die Setlist auf einem Gig von Suffocation ist immer geil, da live einfach jeder Suffo-Song knallt wie Sau. Die Klassiker "Thrones Of Blood", "Liege Of Inveracity", "Pierced From Within" sind natürlich dabei. Vom neuen Album gibt es die Single "Cataclysmic Purification" und überraschend den doch etwas sperrigen Titeltrack "Blood Oath" zu hören, den Mullen mit einer kultigen United-we-stand-Rede einleitet, in der sogar "Hair Metal" seine Erwähnung findet. Zu "Entrails Of You" von "Suffocation" braucht es mal langsam eine neue Ansage, die Ankündigung als "Love song for the ladies" wird langsam fad. Der absolute Oberhammer steht an vorletzter Stelle der Setlist, nennt sich "Funeral Inception", stammt von der 1998er "Despise The Sun"-EP und ist nach wie vor einer der drei besten Suffo-Songs ever. An dieser ultrabrutalen Eruption stimmt einfach alles, jedes Riff, jedes Break, jeder Bassgroove, jeder Growler und bei dem "God forbid"-Mittelteil reiße ich mir beinahe den Kopf ab vor Begeisterung. Krass, einfach nur krass. Nach dem abschließenden "Infecting The Crypts" ist klar, dass Cannibal Corpse diese Urgewalt niemals werden toppen können.
Vorher gibt es aber eh noch LOCK UP um die Ohren. Die haben gerade mal zwei Alben auf dem Buckel, von denen das jüngste auch schon wieder acht Jahre alt ist, und sind daher zwischen drei Legenden wie Napalm Death, Suffocation und Cannibal Corpse recht mutig positioniert. Der hohe Platz im Billing resultiert natürlich aus der All-Star-Besetzung um Shane Embury (Napalm Death), Tompa Lindberg (At The Gates) und Nick Barker (jede Band dieses Planeten), für den 2006 verstorbenen Jesse Pintado (Terrorizer) übernimmt Anton Reisenegger die Gitarre, der sonst bei Criminal zockt. Erstgenanntem werden die Terrorizer-Cover "Storm Of Stress" und "Fear Of Napalm" gewidmet, der Rest des Sets speist sich aus den Death/Grind-Granaten der eigenen Veröffentlichungen. Fragt nicht nach Songs, ich weiß nur eins: Es war laut, es war ultraschnell und es war fordernd. Tompa schreit nach wie vor hochintensiv und was Barker tight wie ein Uhrwerk zurechtprügelt, ist ohnehin nicht von dieser Welt. Demnächst steht übrigens eine Split mit Brutal Truth an.
CANNIBAL CORPSE wären ohne George "Corpsegrinder" Fisher nicht halb so gut. Der Mann ist in jeder seiner Funktionen doppelt so viel wert wie die meisten Death-Metal-Fronter dieser Welt: Seine Stimme ist höllisch brutal und extrem belastbar, er sieht aus wie jemand, dem man auf der Straße nach 22.00 Uhr auf jeden Fall nicht ohne zwei Kalaschnikows unterm Arm begegnen möchte und er macht sich bei jedem Auftritt völlig kaputt: Sein Propellertempo in den Gesangspausen ist jedenfalls rekordverdächtig und dürfte bei etwa drei Umdrehungen pro Sekunde liegen. "Try to keep up with me - you will fail" lautet denn auch eine Ansage, und sie ist mit Sicherheit wahr geblieben. Die unvergleichliche Brutalo-Show des Sängers täuscht zudem darüber hinweg, dass ins Kannibalen-Camp inzwischen live ein gewisses Routine-Feeling eingekehrt ist: Webster, O'Brien, Barrett und Mazurkiewicz fallen gar nicht richtig auf, spielen und bangen halt überraschungsfrei ihr Programm runter, interagieren abgesehen von Webster kaum mit dem Publikum und wirken auch nicht unbedingt so, als würden sie von diesem Abend viel erwarten. Anders Corpsegrinder, der sich mehrfach beschwert, dass zu wenig Bewegung vor der Bühne sei. Aber Samstagnacht dreht der Pulk nicht nochmal auf, nicht in dieser Schlammwüste und nach dieser heftigen Vorarbeit. Musikalisch bleibt der Gig ebenso überraschungsarm wie solide. Geschmacksklassiker der Marke "I Cum Blood", "Fucked With A Knife", "Sentenced To Burn", "I Will Kill You" und "Staring Through The Eyes Of The Dead" werden ergänzt um neueres Material wie "Priests Of Sodom", "Scalding Hail", "Death Walking Terror", "Make Them Suffer" und "Time To Kill Is Now". Einzige Überraschung: "Hammer Smashed Face" ist nicht der letzte Song des Sets, sondern das langsame "Stripped, Raped And Strangled". Persönlicher Höhepunkt: "Gallery Of Suicide" mit seinem atmosphärischen Leitriff.
Nächstes Jahr wieder? Keine Frage.



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver