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Regionalausscheid Leipzig des NewChance Sachsen 2007   14.09.2007   Leipzig, Werk II
von rls

Von den Nachbarn lernen heißt siegen lernen: Bereits seit einigen Jahren läuft alljährlich in Sachsen der Wettbewerb NewChance für Nachwuchsbands aller Coleur - eine Idee, die ursprünglich aus Sachsen-Anhalt stammt, aber in Sachsen längst Ausmaße angenommen hat, welche die der Ideengeber - mit denen man allerdings nach wie vor gut zusammenarbeitet - überflügelt. 15 Bands hatten 2007 in Sachsen die erste Runde überstanden und waren in die Regionalausscheide eingezogen, deren erster an diesem Freitag im Leipzig-Connewitzer Werk II stattfand. Dabei erwies sich Halle A als einen Tick zu groß, denn ganz so reichlich strömten die Besuchermassen trotz freundlichen Eintrittspreises von 5 Euro und der Tatsache, daß mit Nitrolyt ein Zugpferd dabei war, das die große Tonne der Moritzbastei zum Record-Release-Konzert auch locker alleine füllte, nicht. So ging es denn auch nicht pünktlich los, sondern erst, als sich zumindest der vordere Hallenteil doch etwas gefüllt hatte, was zeitmanagementtechnisch nach hinten heraus noch Folgen haben sollte.
Cutterfly eröffneten den Abend mit sechs Songs und machten einen gewissen Entwicklungsschritt in bezug auf ihren Supportgig bei der Nitrolyt-Record-Release-Party elf Monate zuvor deutlich, der sich besonders in den souveräneren Vocals äußerte, wenngleich der Sänger immer noch das schwächste Glied in dieser mit Wagenladungen voll Potential gesegneten Truppe darstellt, die nur noch ein weiteres Problem hat: Sie muß sich irgendwann mal auf eine Linie in ihren Kompositionen einigen, denn das Pendeln zwischen klassischem Metal und Metalcore hinterläßt an manchen Stellen den Eindruck von Stückwerk - wenn Trommler Max vielleicht den einen oder anderen Breakdown rausnehmen würde, wäre wahrscheinlich schon viel geholfen. Daß der Kerl einer der begnadetsten Musiker Leipzigs ist, hat sich zumindest im Underground ja schon herumgesprochen, und auch was er an diesem Abend trotz Magen-Darm-Grippe und 39 Grad Fieber spielte, ließ einem rein vom technischen Aspekt her die Kinnlade nach unten klappen. Mit den beiden Gitarristen hat er allerdings Könner ähnlichen Kalibers an seiner Seite, nur gingen deren Leads an diesem Abend im Sound weitgehend unter, was den Kompositionen viel von ihren zweifellos vorhandenen Reizen nahm und etwa das Instrumentalstück, in dem zahlreiche Klassikzitate von Mozart, Beethoven und Konsorten verbraten werden, zu patchworkig wirken ließ. Bester, weil stilistisch eindeutigster Song in der Livevariante dieses Abends war der dritte, der eher im Midtempo-Power Metal angesiedelt war, wenngleich auch die wilden Speedparts in anderen Songs zu überzeugen wußten und deutlich machten, daß Cutterfly (mehrere ihrer Mitglieder, das muß dazugesagt werden, sind noch weit von der 20-Jahre-Altersmarke entfernt) ohne Probleme Leipzigs beste Powerspeedband werden könnten, wenn sie denn wollten. So sind sie momentan leider nur eine von 384 Leipziger Metalcorebands - wenn auch eine der besten. Die Zugabeforderungen hatten sie sich trotz der angesprochenen Schwächen (im Schlußakkord waren dann gar keine Gitarren mehr zu hören) redlich verdient, konnten sie aufgrund des Zeitmanagements aber nicht erfüllen.
Nitrolyt traten mit einer Art Notbesetzung an: Sänger Steve ist momentan in Neuseeland, der potentielle Ersatz Matthias hatte aber akute Stimmbandprobleme, so daß Katta von Destroying Today einsprang, die auf der aktuellen CD "Hollywood Death Scene" schon als Gast zu hören ist. Ihre Stärken lagen, so wurde schnell deutlich, vor allem in zwei Arealen, nämlich im herben Gebrüll und im melodischen Gesang - in Teilen des Materials versuchte sie allerdings eine Art Zwischenweg einzuschlagen, was etwas unbeholfen wirkte. Zudem hatten Nitrolyt unter einem sehr schlechten Soundgewand zu leiden, das gute Teile der Gitarrenarbeit ins Nichts stellte und auch relativ wenig Keyboards hörbar beließ. Wenn man dann noch ins Kalkül zog, daß die Truppe eine undefinierbare Form extremen Metals spielt, bei dem es aufgrund ihrer Breaklastigkeit und ihrer Komplexität darauf ankommt, alles genau hören zu können, um den Zusammenhang innerhalb der Kompositionen zu verstehen, wurde schnell klar, daß es für Nitrolyt an diesem Abend nichts zu holen geben würde, denn da bedurfte es nicht mal mehr des einen oder anderen Spielfehlers (von denen speziell im Instrumental "Russian Roulette" manch einer verborgen war, wobei einer sich gar zu einer neuen Idee ausweiten könnte, denn der irrtümlich eingeworfene Gitarrenechoeffekt in der zweiten Wiederkehr des markanten Gitarrenthemas klang an der Stelle richtig cool), um beim Hörer alles andere als den Eindruck irgendeiner kompositorischen Stringenz hervorzurufen. Von den sechs Tracks stammten sechs Songs von "Hollywood Death Scene", zwei allerdings zu einer Art Medley kombiniert, so daß ein Setlistenplatz frei wurde für einen neuen Song, der die Experimentierfreude der Band mit ein paar elektronisch anmutenden Rhythmen noch ein Stück weitertrieb, allerdings (dadurch?) anfangs nicht so richtig in Schwung kommen wollte, sich aber im weiteren Verlaufe deutlich steigerte, so daß es einem um die Zukunft der Band nicht bang sein muß. Keyboardnamensvetter Roland übertrug dem Rezensenten übrigens noch die Aufgabe, einen neuen Arbeitstitel für das Stück zu kreieren. Bitteschön, hier ist er: "Bohrkernentnahmestelle". Detail am Rande: Nitrolyt haben ihren Schleudersitzposten am Baß wieder mal neu besetzt - und zwar mit ebenjenem Max, der bei Cutterfly trommelt, trotz Krankheit an diesem Abend also gleich zweimal hintereinander spielte. Was kann der eigentlich nicht?
Toxic Of Society betraten mit einer seltsamen Mixtur aus gotisch-mittelalterlichem und schottischem Kulturgut die Bühne und erwiesen sich auch musikalisch als Weltenwanderer, indem sie irgendwie Haggard mit den Ramones zu kreuzen versuchten. Letztgenannte erstanden nicht nur in den Frisuren der Saitenfraktion wieder auf, sondern auch in der konsequenten musikalischen Simplifikation, der besonders die Geigenparts unterlagen - wenn man dieses Instrument schon einsetzt, darf man seine Stärken ruhig etwas intensiver ausspielen und es abwechslungsreicher agieren lassen, statt hauptsächlich Tonrepetitionen oder Tonleitern zu spielen. Toxic Of Society fielen auch durch den durchgängigen Einsatz deutscher Texte auf, wobei man unterschiedlich bewerten kann, ob pathostriefende Lyics samt der dazugehörigen Ansagen wie "Gift" oder "Blutdiamanten" noch auf dem Kunstgrat wandeln oder schon die Kitschflanke hinuntergestürzt sind. Wenigstens sah die Sängerin mit ihrer langen blonden Mähne nicht nur hübsch aus, sondern rechtfertigte ihren Frontalplatz auch mit einer guten Gesangsleistung im Noch-Nicht-Klassik-Bereich, wobei bis zur Bundesligareife schon noch ein Stück fehlt. Der musikalische Gehalt läßt sich nur schwer bewerten, denn auch Toxic Of Society hatten unter den Soundverhältnissen zu leiden, die in den ersten drei Songs gleich mal die komplette Snare verschluckten und diese erst in den letzten beiden Songs (der vierte war eine Ballade über die Bibel gewesen, einen starken hymnischen Refrain besitzend) ansatzweise auftauchen ließen. Prinzipiell eine durchaus interessante Combo, aber schon noch mit Verbesserungspotential ausgestattet.
Die ideentechnische Reduktion wurde von Walter konsequent fortgesetzt - nicht etwa ein Volksmusikeinzelkämpfer, wie man vermuten könnte, sondern ein Quartett, das irgendwie an eine professionelle Version der beim 2006er "Courage zeigen"-Wettbewerb zu Recht untergegangenen Black Wings erinnerte. Einen simpleren Poprockunterbau kann man wahrscheinlich nicht mehr erzeugen, und Vermutlich-Nicht-Namenspatron W. Ulbricht hätte beim Hören allen Grund gehabt, seinen berühmten Satz über die Monotonie des YeahYeahYeah auszusprechen. Wie gesagt: Gut umgesetzt war dieses simplifizierte Konzept zweifellos (und der Mixer hatte einen leichten Job, denn viel zu mixen gab es ja nicht), aber es machte halt keinen Spaß beim Zuhören. Den konnte auch der Sänger nicht mehr erzeugen, wenngleich er mit seiner Erscheinung wie mit seinem Gesang an eine weniger hysterische Version von Mike Patton erinnerte, allerdings meilenweit von dessen Klasse entfernt blieb. Bester Moment des Gigs (zu dem noch zu bemerken wäre, daß Walter die einzige Band waren, die mehr als sechs Songs in ihrer halben Stunde Spielzeit unterbrachte) war zweifellos der Schluß, als nach dem letzten Lied der Sänger begann, die Kontaktdatenansage zu singen, was ein Schmunzeln ins Gesicht des Hörers zauberte, der sich zuvor eher gelangweilt hatte. Wenn es eine Band gibt, die den Titel der neuen Status Quo-CD "In Search Of The Fourth Chord" verkörpert, ohne deshalb Punk zu spielen, dann Walter. Und für das Fazit muß noch eine Berühmtheit bemüht werden: "Mein Gott, Walter!"
Yoursort schafften es, den Hörer anfangs komplett auf die falsche Fährte zu führen: Erstens sahen sie aus wie eine Oi- oder Streetrock-Band, und zweitens begannen sie ihren Set auch mit einer Nummer, welche die ideentechnische Reduktionsstrategie Walters konsequent weiterzuführen schien und bis zum zweiten Refrain Simpelrock bot - dann aber zauberte der Fünfer plötzlich ein blitzsauberes Hardrocksolo der alten Schule hervor, bastelte noch unkomplizierte, aber einfach schöne doppelläufige Gitarrenmelodien hinzu, gestaltete in den Folgesongs auch die Strophen- und Refrainparts bei aller erhalten bleibender Geradlinigkeit deutlich gehaltvoller und machte klar, wo seine Wurzeln wirklich liegen: zum einen in den Mittsiebzigern, als Bands wie Wishbone Ash oder Thin Lizzy die Kunst des doppelläufigen Gitarrenspiels kultivierten, zum zweiten in den Frühachtzigern, als nicht wenige NWoBHM-Bands auch die Geradlinigkeit des Punk mit in ihren Metal übernahmen, zum dritten schließlich in den Mittachtzigern, als auf dem europäischen Kontinent eine Metalband nach der anderen aus ihrem Proberaum hervorkroch, wobei die eine oder andere Parallele Yoursorts zu den Belgiern Crossfire sicher nicht nur auf dem Songtitel "See You In Hell" beruhte. Der kleiderschrankartige Sänger verfügte offensichtlich nur über einen begrenzten Stimmumfang, aber den nutzte er äußerst geschickt aus, unterstützt noch von einigen Zweitstimmenparts des Leadgitarristen. Als letzten Song packten die Markranstädter auch noch eine Halbballade namens "Please Welcome" aus, den beiden Kindern des Sängers gewidmet, und machten auch auf diesem schwierigen Terrain eine gute Figur, unterstützt durch einen sauberen Sound. Innovativ zeigten sich Yoursort bei globaler Betrachtung ganz und gar nicht, aber sie schöpften ihre Möglichkeiten offensichtlich voll aus, und daß im Leipziger Raum überhaupt Bands dieser Stilistik agieren, gehört schon mal zu den wichtigen Erkenntnissen dieses Abends - eine positive Überraschung also.
Während die Jury tagte und das Publikum seine Votingzettel abgab (der Endstand kombinierte diese beiden Ergebnisse), spielten noch One Ampere, die anno 2006 den Regionalausscheid in Dresden gewonnen hatten, allerdings leerte sich während ihres Sets die Halle fast völlig. Das lag nicht an der Musik, sondern daran, daß es mittlerweile arg spät geworden war und der Altersdurchschnitt im Publikum nicht sonderlich hoch gelegen hatte. Das Quartett beamte die noch Ausharrenden stilistisch in die Sechziger zurück, reicherte den beatig und surfig angehauchten Sound aber mit den Erfahrungen der seither vergangenen vier Dekaden von Musik an (worunter zu verstehen ist, daß der Gitarrensound nicht mehr wie bei den Beach Boys klingt und der Drummer partiell so saftig trommelte, als säße er hinterm Kit einer Metalband) und schuf so ein lebendiges Konglomerat, das sowohl mit schnellen tanzbaren Nummern als auch mit leicht angemelancholten Halbballaden zu überzeugen wußte. Schade halt nur, daß das aufgrund der vorgerückten Stunde kaum noch jemand mitkriegte ...
Die Wertung ergab einen erwarteten und einen eher nicht erwarteten Platz (weiterkommensrelevant sind die ersten beiden Plätze, der zweite zum mitteldeutschen NewChance-Festival in Halle und der erste zum sächsischen Landesfinale in Dresden). Um Toxic Of Society auf den zweiten Platz zu befördern, mußte man schon ein gehöriges Stück hinter den Vorhang der 30 Minuten dieses Abends linsen, während der Sieg für Cutterfly trotz der oben genannten Kritikpunkte (welche in diesem Falle größtenteils als Jammern auf hohem Niveau durchgehen) zweifellos in Ordnung geht. Wie die anderen Regionalausscheide liefen und was es sonst noch so Aktuelles rund um den Wettbewerb gibt, darüber kann man sich auf www.newchance-sachsen.de auf dem laufenden halten.



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