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Nitrolyt, Orphan Hate, Silenter, Cutterfly   14.10.2006   Leipzig, Moritzbastei
von rls und ta

Nitrolyt sind so etwas wie eine Leipziger Institution geworden. In bestimmten Kreisen ihres grenzwertigen Humors wegen mehr berüchtigt als berühmt, in anderen für ihre musikalischen Gaben verehrt, in jedem Falle aber schillernd und auffällig, niemals ein bloßes Schattendasein fristend. Mit "Hollywood Death Scene", dem neuen Album, werden sich die Verhältnisse ändern: Auf einmal geben Nitrolyt sich ernst (etwas ernster zumindest als früher) und musikalisch gereift. Ein Schritt nach vorne und einer zur Seite sozusagen. Aber die Kurskorrektur funktioniert, wie nicht zuletzt die Record Release-Party zu eben "Hollywood Death Scene" zeigte. Soviel darf auch von meiner Seite gesagt sein.
Zum Beginn eines überaus bunten Abends stapfen die Lokalmatadoren Cutterfly auf die Bretter. Das Quintett wird vorweg als "NuMetalCore" angekündigt, was völliger Quark ist, wenn ich meinen Ohren trauen darf. Metalcore gibt's nämlich gar nicht zu hören und Nu Metal fast gar nicht. Stattdessen setzt die Band auf Riffs, die oft nach einer leicht modernisierten Version von Metallica zu "Master ..."-Zeiten tönen, flüssige Arrangements, verspielte Bassläufe und einen sehr metallischen Groove, in dem sich noch am ehesten New Metal-Zitate finden lassen. Für den Groove sorgt die topfitte Rhythmusabteilung und weil die Band um diese Qualitäten weiß, wird ihrem Schlagzeuger an vierter Stelle in der Setlist auch ein eigenes Solo gewährt, das dieser kompetent herunterknüppelt. Ich erinnere: Cutterfly sind die erste Band des Abends. Ich folgere: An Selbstbewusstsein mangelt es diesem Trupp keineswegs. Kein Wunder auch bei der Gitarrenabteilung. Mr. Gitarrerechts und Mr. Gitarrelinks überzeugen als tighte Rhythmus- wie auch als verspielte Soloklampfer und hauen einige Leute komplett aus den Socken. Im coolen Gegeneinander aus am-Bühnenboden-festgenagelt-introvertiert-auf-das-Griffbrett-schauen und immer-mehr-enthemmt-abgehen sind die beiden, besonders Gitarrerechts, die Stars des Abends. Weil Cutterfly das wissen, wird Gitarrerechts etwas Besonderes gegönnt: Ein Frickelfrickel-Solospot nämlich. Ich erinnere erneut: Die erste Band des Abends. Ich folgere erneut: An Selbstbewusstsein mangelt es diesem Trupp keineswegs. Nur mit dem Sänger komme ich nicht so klar. Der singt zwar tatsächlich (ergo: Nix Metalcore), pressknödelt in den höheren Passagen aber sehr rau herum und hat zu allem Überfluss drei Kathedralenchöre Hall auf der Stimme, was nicht nur die balladesken Passagen etwas skurril anmuten lässt. Und das Cover von Metallicas "Welcome Home (Sanitarium)" bestach auch weniger durch vokalistische als instrumentale Ganzleistungen. Was indes nichts an der überaus positiven Gesamtbilanz ändert: Cutterfly sind eine richtig gute Band. Als ich nach dem Gig erfahre, dass das Alter der Bandmitglieder bis hinunter auf 15 Jahre reicht, kippe ich fast aus den Konzertpantoffeln. Erste Band des Abends, jüngste Band des Abends. Ich folgere - und frage mit rls: Wo wollen die denn noch hin, wenn sie 20 sind? (ta)
Nach einem metallischen Freudenfeuer wie dem von Cutterfly auf die Bühne zu müssen ist ein undankbarer Job, zumal Silenter auch noch stilistisch am weitesten vom Schnittmengenmittelpunkt des Billings entfernt anzusiedeln waren. Die Musiker aus der Würstchenstadt Eberswalde versuchten das Beste aus der Situation zu machen und hatten mit ihrem Sänger auch einen fähigen Animateur in den eigenen Reihen, der es verstand, das Publikum aus der Reserve zu locken und zum Mithüpfen zu bewegen. Richtig, zum Mithüpfen, denn das war die Bewegungsform, die der gebotenen Musik wohl am ehesten entsprochen haben dürfte. Als "NuRock" waren Silenter auf den Flyern angekündigt, und irgendwie entsprach das auch den Tatsachen, wenngleich andere Bands wie etwa Nickelback, die man auch gerne mal mit einem solchen Etikett belegt, trotzdem meilenweit entfernt blieben, was übrigens auch qualitativ zutraf, denn Silenter waren prinzipiell nicht schlecht, aber die für eine NuRock-Truppe überlebensnotwendige Hitdichte blieb bei ihnen im mehr als marginalen Bereich, obwohl das Quintett sehr wohl bewies, daß es seine Poplektion gelernt hatte. Man wage einfach mal das Gedankenexperiment, Synthiepop Marke Depeche Mode oder auch Camouflage würde mit Rockinstrumentarium gespielt - das Ergebnis müßte irgendwo in der Nähe von Silenter landen. Der experimentelle Vergleich paßt übrigens auch emotional, denn Silenter brachten fast so etwas wie maschinelle Kälte herüber, und das, obwohl der Schlagwerker keineswegs stoisch trommelte und auch die Bewegungsaktivität auf der Bühne keinesfalls den Kraftwerk-Robotern glich. Auffällig war ferner, daß die Band völlig auf Leads verzichtete, was man wahlweise als positiven Beitrag zur kompakten Inszenierung oder als weiteren Baustein in der Monotonie der Songkonstruktion interpretieren kann. Vielleicht wäre der Verzichtseindruck abgemildert worden, hätte man die Keyboarderin häufiger als nur in zwei Songs tatsächlich mal spielen gehört - ihr Instrument ging im recht blechernen Gesamtsound nämlich völlig unter. Nichtsdestotrotz ernteten Silenter vor allem aufgrund des agilen, wenngleich stimmlich noch nicht zur Spitzengruppe zählenden, da bisweilen noch unsicher wirkenden oder einfach mal neben der Spur liegenden Sängers eine Menge Applaus, eine Zugabeforderung brachte allerdings niemand so lautstark ein, daß sie hätte erfüllt werden müssen. Kenner wollen übrigens im Set ein Korn-Cover entdeckt haben, aber da ich mich mit denen so ganz und gar nicht auskenne, lasse ich das mal unkommentiert im Raum stehen. (rls)
Das Kontrastprogramm zu Silenter folgt mit Orphan Hate bei Fuß. Die Berliner entpuppen sich als die rabiateste Band im Unterhaltungsprogramm des heutigen Abends und treten mächtig Popo. Frontfrau Sina Niklas hat den härtesten Kick von allen drauf, pendelt zwischen tiefem, todesbleihaltigem Brüllen und rauem Gesang der Marke Exilia. Völlig cool, wie auch Bassist Jan Sadler, der nicht nur einen Minipresslufthammer anstelle eines Daumens an der rechten Hand spazieren trägt, sondern auch entsprechend groovt und unter Strom steht. Orphan Hate sind alles, nur nicht eine Bande böser Watze, verschenken am Merchandise-Stand CDs und geben sich die ganze Zeit über locker und sympathisch. Feiner Zug. Und die Songs? Ein Knaller nach dem anderen: "Evil A" und "Homeless" als flottes Startduo, den Demo-Hammer "No Matter What ..." gleich hinterher - so was nennt man einen Einstieg nach Maß. Irgendwo zwischen Death und New Metal wird 40 Minuten lang für dampfende Schweißproduktion gesorgt und spätestens als im zweiten Drittel des Sets eine arschtighte Version des brasilianischen Volksmusikklassikers, ähem, "Roots" aus den Boxen gepustet wird, ist kollektives Austicken angesagt. Strike. (ta)
Setlist Orphan Hate:
1. Evil A
2. Homeless
3. No Matter What ...
4. Passion
5. Circus
6. Roots
7. This Child
8. 115
9. 236

Nitrolyt stellten an dem Abend ihre neue Platte "Hollywood Death Scene" vor und machten sich in puncto Setlist die Sache einfach: Sie spielten erst die neue CD in exakt der konservierten Reihenfolge durch, dann den selbstbetitelten Vorgänger auf gleiche Weise, beendeten dann den offiziellen Set und schoben als (strukturell allerdings etwas unglücklich positionierte, da gar nicht so richtig als solche erkennbare) Zugabe noch Metallicas "For Whom The Bell Tolls" hinterher, indes in einer reichlich skurrilen Variante, die mit diversen schrägen Soundeinwürfen aufgepeppt worden war - selbst vor ein paar monotonen Technobeats war man nicht zurückgeschreckt. Auch die neuen Songs überraschten den Nichtkenner, denn man konnte zumindest hier und da schon deutlich heraushören, daß Disillusion-Vurtox die Scheibe produziert hat und auch das eine oder andere songwriterische Vorbild abgegeben haben mag - bisweilen ließen also die älteren Disillusion freundlich grüßen, ohne daß Nitrolyt nun aber ins Kopistenlager abgewandert wären (was bei der Chamäleonhaftigkeit von Disillusion ja eh nahezu unmöglich ist). Deutlich vertrackter sind die neuen Tracks aber allemal (und das, obwohl Nitrolyt schon früher nicht dafür bekannt waren, stumpf geradeauszuthrashen, sondern immer mal ein schräges Break einstreuten), wenngleich man beim Bangen merkte, daß hinter allen Breaks doch noch ein gerader Viererbeat stand, den man einfach durchhalten konnte. Immer noch nicht eingefallen ist mir, woher ich die spieluhrähnliche Melodie ab Minute eins im Hauptteil des furiosen Instrumentals "Russian Roulette" kenne. Dieses wurde eingerahmt von den beiden wohl zugänglichsten Nitrolyt-Kompositionen, nämlich "The Suffering" (mit auch schauspielerisch untermalten Duettpassagen zwischen Sänger Steve und Katja von Destroying Today als Gast, welchselbige neben einer ansehnlichen Figur auch eine interessante warm-tiefe Stimme zur Schau stellte) und der Halbballade "Alive", welches man per Ansage der anwesenden holden Weiblichkeit widmete. Auf Steves Konto geht übrigens auch der größte Qualitätssprung, denn der Sänger ist im Vergleich mit früher viel souveräner geworden, wenngleich man immer noch das Gefühl hat, er besäße noch ein paar Reserven und könnte wahlweise noch einen Tick sauberer oder auch energischer singen. Im Gesamtsound fiel auf, daß der frühere Zweitgitarrist Roland jetzt komplett an die Keyboards gewechselt ist, wo er allerdings noch nicht omnipräsent beschäftigt ist, was sich mit dem zunehmenden Hineinwachsen in diese Rolle und einem darauf abgestimmten Songwriting sicher ändern wird; Soundlücken auf Gitarrenseite waren jedenfalls in der Livesituation nicht zu beklagen, wenngleich man sich an den veränderten Klang manches nun ununterrifften Solos von Sebastian erst gewöhnen mußte, was mit einer entsprechenden Live-Hörerfahrung von alten Seventiesrockbands, die ja auch fast alle nur einen Gitarristen besaßen, keinerlei Probleme bereitete und angehörs des Gesamtsounds sogar nützlich war, denn nachdem anfangs recht saubere und lautstärkeseitig noch annehmbare Klangverhältnisse geherrscht hatten, brachte es der Soundmensch fertig, nach der Halbballade "Alive" die Regler in den unvorteilhaft lauten Bereich zu schieben, was bei zwei Gitarren noch drastischere Detaileinbußen nach sich gezogen hätte. Apropos Details: Experten stellten in einem der Keyboardintros die Adaption einer Melodie aus Behemoths "Demigod" fest, was ich mangels entsprechender Hintergrundkenntnis ebenfalls mal kommentarlos stehenlasse. Dagegen kann ich was zum Humorgehalt Nitrolyts sagen: Der ist in der Musik nämlich über weite Strecken verschwunden, taucht nur noch in der Gestik, den Bühnenklamotten (diesmal ganz in Weiß), diversen Showelementen oder eben einer verhackstückten Coverversion auf. Spaß haben sie an ihrem von ihnen selbst ModernMetal getauften musikalischen Gebräu überdeutlich nach wie vor, aber sie sind von einem liebenswerten Chaotenhaufen zu einer ernstzunehmenden Band gereift. Bis die sieben neuen Songs die gleichen lautstarken Publikumsreaktionen und intensiven Haarrotationen hervorrufen wie die alten Tracks, wird sicher noch ein wenig Zeit vergehen (wie gesagt: die Neulinge sind deutlich komplizierter als die Alten), aber das wird definitiv eintreffen. Am besagten Abend tobte die vollbesetzte große Tonne der Moritzbastei jedenfalls ganz besonders bei "Commercial Break" (hier kam mit Max Groh, ehemals bei Nuke Eastern Plot und derzeit bei Desert Doom aktiv, ein weiterer Gastsänger zum Einsatz, und der Hüne unterstrich eindrucksvoll sein immens breites stimmliches Spektrum, wenngleich ihm in diesem Fall vor allem die Rolle des Urschreis zufiel) und beim uralten und pfeilschnellen "Commando Metal". Nitrolyt haben offensichtlich das Kunststück geschafft, trotz deutlicher Weiterentwicklung die alten Fans immer noch bei der Stange zu halten (obwohl sicher mancher Anhänger von "Commando Metal" beim Bangen zu "Sign Language" einen Knoten in den Hals bekommt), und ein Nitrolyt-Gig macht einfach Spaß - auch einer der neuen Nitrolyt, auch dieser Release-Gig. Gerade dieser. (rls)

Setlist Nitrolyt:
Sign Language
Soldier
Haunted
The Suffering
Russian Roulette
Alive
Hollywood Death Scene
J.A.A.S.
Incredible Georg
Strange Way
Commercial Break
Commando Metal
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For Whom The Bell Tolls



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