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Grave Digger, Brainstorm,
Tierra Santa 19.01.2002 Glauchau, Alte
Spinnerei
von
rls
Das Jahr 2002 begann für
mich im kulturellen Sinne wenig erbaulich, da ich am 6.1. nicht zur letzten
Aufführung des diesmaligen Dorfchemnitzer Krippenspiels anwesend sein
konnte, wobei mir dieses Ereignis auch Ende 2001 schon nicht vergönnt
gewesen war. Aber das obengenannte Package würde mich schon reichlich
entschädigen und einen guten Auftakt für die 2002er Konzertsaison
darstellen, hoffte ich. Daß ich auch hier teilweise eine herbe Enttäuschung
erleben sollte, hätte ich mir vorher indes nicht träumen lassen.
Doch der Reihe nach. Zunächst
verhänge ich eine kräftige Bastonade über den Menschen,
der für das Zeitmanagement der Grave Digger-Gigs in der Spinnerei
zuständig ist. Spinnerei-Konzerte beginnen normalerweise 21 Uhr (das
ist so normal, daß es nicht mal mehr auf dem Hotline-Band der Spinnerei
durchgesagt wird), und darauf konnte man sich früher (mit den üblichen
kleinen Abweichungen) auch verlassen. Der Grave Digger-Gig an gleicher
Stelle im Januar 2000 hatte planmäßig ebenfalls diese Anfangszeit,
die auch in der Presse verbreitet worden war. Als wir damals gegen 20.30
Uhr die Halle betraten, war die damalige Supportband White
Skull aber schon voll bei der Arbeit und zur geplanten Anstoßzeit
21 Uhr so gut wie fertig mit ihrem Set. Diesmal stand ich 20.20 Uhr vor
der Halle und hörte Tierra Santa drinnen schon beginnen - bis
die Schlange allerdings abgefertigt worden und ich endlich in der Halle
war, zeigte die Uhr 20.50 Uhr an. Zweieinhalb Songs bekam ich so von Tierra
Santa noch mit, die pünktlich um 21 Uhr die Bühne verließen
- also zu der Zeit, wo das Konzert planmäßig erst hätte
beginnen sollen (auf den Eintrittskarten war 21 Uhr aufgedruckt, und ich
gehe jede Wette ein, daß auch in den Presseankündigungen diese
Anfangszeit statuiert war). Sowas ärgert mich ganz einfach - ich habe
keine Zeit, jedesmal auf Verdacht schon anderthalb Stunden vorher zu kommen
und dann bei Eintreten der normalen Verspätung zwei Stunden sinnlos
rumzustehen. Doppelt ärgerlich war's dadurch, daß ich mich gerade
auf Tierra Santa besonders gefreut hatte, da ich die Spanier im Gegensatz
zu den beiden anderen Bands noch nie live gesehen hatte, und dreifaches
Ärgernis kam auf, weil mir Kollege Mario berichtete, daß der
Fünfer einen homogenen Gig auf hohem Niveau gespielt habe (jawoll
– mst). Live klangen Tierra Santa einen Tick deutlicher nach Iron Maiden
als auf Platte, was wohl in der starken Präsenz der melodischen Hooks
in den Gitarren begründet lag, die dank eines glasklaren Sounds in
angenehmer Lautstärke vor keinem Hörerohr haltmachten. Nachdem
ich die aktuelle Platte "Sangre De Reyes"
doch etliche Male hören mußte, um endgültig Zugang zu ihr
zu finden, hätten live selbst diese zweieinhalb Songs genügt,
um mich zum Fan dieser Combo zu stempeln. Auf Hochglanz polierter melodischer
Power Metal vom Feinsten, der leider nicht mehr in eine Ehrenrunde durfte.
Ehrenrunden anderer Art gab's dafür in der hinteren Bar, wo ein kleiner
Fernseher installiert war. Läuft auf einem Metalgig dergestalt eine
Sportübertragung, erwartet man vielleicht Fußball, Boxen oder
Motorradrennen - aber nicht unbedingt Eiskunstlauf. Kult!
Auch Brainstorms neue
Platte "Metus Mortis" hatte etliche Durchläufe
gefordert, bis sie mir eins ihrer Geheimnisse nach dem anderen preiszugeben
begann. Die fünf Schwaben konzentrierten sich erwartungsgemäß
auf diese neue Platte, ließen aber auch "Ambiguity"
nicht außen vor (kann mich gar nicht erinnern, daß sie auf
der King Diamond-Tour "Maharaja Palace" gespielt
hätten, das diesmal fast nahtlos in das neue "Checkmate In Red" überging).
Nach wie vor stehen Brainstorm für eher amerikanisch geprägten,
mitunter leicht thrashlastigen Power Metal, und diesen brachten sie spieltechnisch
erneut in beeindruckender Weise ans begeisterte Publikum, das mit "Meet
Me In The Dark" sogar eine Zugabe erzwang. Sänger Andy B. Franck machte
mit seiner Leistung bei diesem Gig seinen indirekten Vorgänger Henning
Basse in meinem Hinterkopf endgültig vergessen - was dieser Mann aus
seinen Stimmbändern (in allen Stimmlagen bis hin zum Sirenenschrei!)
auch am letzten Tag der Tour noch herausholt, ist aller Ehren wert, und
zudem präsentierte sich der Sänger auch als Entertainer erster
Klasse, der sich ohne Schwierigkeiten als Animateur in jedem Urlaubszentrum
an der sonnigen Küste eines beliebigen südlichen Landes verdingen
könnte, wenn es unter den schwarzen T-Shirts dort nicht immer so warm
werden würde. Ein Problemfaktor des Abends kündigte sich bei
Brainstorm allerdings schon an: Hatten Tierra Santa noch einen glasklaren
Sound gehabt, so klangen Brainstorm zwar insgesamt lauter, aber auch verwaschener
- Drummer Dieter Bernert stand (wie schon bei der King Diamond-Tour) akustisch
stark im Vordergrund und überdeckte einiges von der Riffarbeit Torsten
Ihlenfelds und Milan Loncarics, obwohl's insgesamt gesehen soundlich schon
noch akzeptabel war.
An Grave Digger wäre
es nun gewesen, dem Abend die Krone aufzusetzen - in meinen Augen bzw.
Ohren setzten sie ihren Auftritt aber mit Pauken und Trompeten in den Sand.
Das hatte gleich mehrere Gründe. Da wäre zum Beispiel der bereits
angedeutete Problemfaktor Sound. Wann kapieren Soundmenschen endlich, daß
ein Metal-Gig aus mehr besteht als nur Drums und Gesang und daß Lautstärke
nicht alles ist??? Im Vergleich mit Brainstorm hatte man die Regler noch
ein gutes Stück nach oben gedreht, was zu einem fürchterlichen
Soundbrei führte, sobald Drummer Stefan Arnold die Schlagzahl von
Snare und/oder Bassdrums erhöhte. Am letzten Tag der Tour müßte
der Soundmensch doch eigentlich mal gemerkt haben, daß die Frequenzbereiche
von den angesprochenen Drumfraktionen speziell die Gitarren sehr überlagern
und man deshalb versuchen muß, eine gesunde Balance zu finden. Neu-Gitarrist
Manfred Schmidt war somit akustisch teilweise nicht wahrzunehmen. Böse
Zungen mögen allerdings behaupten, das sei auch gut so gewesen, und
damit kommen wir zum wohl entscheidenden Problemfall, der sich in einem
Satz zusammenfassen läßt: Hier ist zusammengewachsen, was nicht
zusammengehört. Schmidt spielt bekanntlich einen recht deutlich anderen
Stil als sein Vorgänger Uwe Lulis, geht bedeutend mehr rock'n'roll-
und altrockbeeinflußt zu Werke. Das paßt zu den neuen Stücken
der "The Grave Digger"-CD recht gut,
da sie auf Schmidts Spiel entsprechend zugeschnitten wurden, auch zu den
Uraltstücken wie der letzten Zugabe "Heavy Metal Breakdown", die seinerzeit
in den Frühachtzigern noch recht altrockig beeinflußt entstanden
waren - aber in den meisten Lulis-Stücken (positive Ausnahme: das
fast originalgetreu umgesetzte phantastische Solo in "Excalibur") wirkte
diese Gitarrenarbeit wie ein Fremdkörper (das ist ungefähr das
Gleiche, als wenn Mortiis neuer Keyboarder bei Stratovarius oder Ritchie
Blackmore neuer Gitarrist bei Dimmu Borgir werden sollte). Zudem leistete
sich Schmidt, wenn man ihn denn mal zu hören bekam, etliche Fehlgriffe
(das piepsige Solo in "The Dark Of The Sun" zählte genauso dazu wie
das fürchterlich verstimmte Anfangsriff dieses Tracks, und am Ende
von "Morgane LeFay" wurd's vollends nervtötend, als Schmidt und Keyboarder
Vintersorg, äh, Vince Sorg eine halbe Minute lang je einen Ton aushielten,
die in einer gräßlichen Disharmonie zueinander standen) und
brachte allein durch seine Bühnenpräsenz ein hölzern-bäuerisches
Element ein, das Grave Digger nun ganz und gar nicht gut steht (wohingegen
er damit seinerzeit die perfekte Ergänzung zu seinem Ex-Rage-Kollegen
Peavey Wagner abgegeben haben muß - der bösartige Begriff "Bauernmetal"
paßt ja bekanntlich auf Rage wie auf keine zweite Band). Über
die peinlichste Frisur seit Annihilator-Jeffs Topfschnitt in den frühen
Mittneunzigern will ich mich gar nicht groß auslassen, aber irgendwie
paßte sie bei Schmidt ins Bild. Da sich Grave Digger naturgemäß
quer durch ihre Vergangenheit spielten, hatte der Gitarrist also genug
Gelegenheit, diese generelle Stildivergenz deutlich werden zu lassen -
vielleicht war das auch der Grund, warum die neue CD im Set gleich sechsmal
berücksichtigt wurde. Grave Digger schafften es immerhin, den einzigen
Schwachpunkt des phantastischen 2000er Gigs zu eliminieren: Die "Ballad
Of Mary", deren unglaubliche Emotionalität auf der Bühne grundsätzlich
hinter der Studioversion hinterherhinken muß, war gegen die neue
Halbballade "Silence" ausgetauscht worden, welche live bedeutend besser
funktionierte. Chris Boltendahl zeigte sich gut bei (gewohnt rauher) Stimme,
wohingegen sich Drummer Stefan Arnold ins Stammbuch schreiben lassen darf,
das nächste Mal bitteschön seine Drumstickjonglage etwas zugunsten
lückenlosen Spiels zurückzufahren. Da das Zusammenstellen der
Setlist für die altgedienten Teutonenmetaller mit jedem Album schwieriger
wird, war man diesmal auf die Idee eines Medleys verfallen - so hölzern
arrangiert und durcheinanderholpernd will ich so etwas aber auf keinen
Fall wieder hören. Witzig dagegen die Anwandlung, als vorletzten Song
des regulären Sets einen anzukündigen, den alle Anwesenden kennen
würden, dann kurz "Rebellion (The Clans Are Marching)" anzuspielen
und die sofort einsetzenden Chorgesänge a cappella weiterlaufen zu
lassen, um dann aber erstmal "Excalibur" zu intonieren. Überhaupt
zeigte sich das Publikum (der Saal war reichlich gefüllt) in hohem
Maße sanges- und feierfreudig und damit selbstredend auch unkritisch,
so daß es schon ein eigenartiges Gefühl für mich war, inmitten
eines Haufens bangender und jeden Chorus mitsingender (und mitunter minutenlang
neben dem Takt mitklatschender) Fans zu stehen (und auch ich kann mich
guten Gewissens als Grave Digger-Fan bezeichnen), aber anhand des Gebotenen
absolut keinen Grund und keinen Nerv zum Mitmachen zu haben - ich stehe
auch unter den anwesenden Redaktionsmitgliedern mit meiner Meinung relativ
allein da. (Und genau hier muß ich mich mal einklinken: Da ich durch
Deine Anwesenheit von der Pflicht eine Konzertkritik zu schreiben entbunden
war, habe ich mich auch vom Feiern nicht abhalten lassen – hätte aber
wahrscheinlich trotz Verpflichtung auch gefeiert, hehe. Bei den beiden
Vorbands sind wir uns ja einig, speziell Tierra Santa haben mich als neuen
Fan gewonnen. Doch auch Grave Digger habe ich zumindest in angenehmer Erinnerung,
wenn ich auch einige Deiner Kritikpunkte nachvollziehen kann, z.B. Sound,
Mannis Performance ... Aber für mich hat gerade Chris Boltendahl die
Kastanien noch aus dem Feuer geholt, dem man den Spaß an der Sache
einfach anmerkte. Und so habe ich zusammen mit einigen hundert Metal-Heads
´ne gute Party gefeiert. Das nächste Mal feiern wir zusammen
... - mst) Die viel zu routiniert wirkende Version
von "Rebellion", die alles andere als rebellisch wirkte, nagelte dann nur
noch den letzten Stahlstift in den Sarg. Vielleicht bin ich mit zu hohen
Erwartungen angetreten (gerade Gigs bzw. Bands, wo ich vorher hohe Erwartungen
hegte, haben teilweise zu bitteren Enttäuschungen geführt - ich
erinnere mich mit Grausen an J.B.O. anno 2001 in Chemnitz oder gar an das
Metallica-Desaster anno 1996 in Leipzig), und ich gebe Grave Digger auch
gerne die Chance, mich beim nächsten Mal eines Besseren zu überzeugen,
aber in diesem Zustand möchte ich die Boltendahl-Crew nicht wieder
erleben müssen.
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