www.Crossover-agm.de V.A.: Rock 4 Life International Vol. 19
von rls

V.A.: Rock 4 Life International Vol. 19   (Quickstar Productions)

Ein Mensch aus dem direkten Umfeld von Quickstar Productions leidet an primär sklerosierender Cholangitis, einer seltenen Lebererkrankung, die derzeit nur durch eine Organtransplantation behandelbar ist. Ergo wurde Vol. 19 der Samplerreihe "Rock 4 Life International" zu einem Benefizprojekt deklariert, dessen Reinerlös der Forschung an dieser Krankheit zugute kommt und worüber man sich auf www.pscpartners.org informieren kann. 18 Bands aus dem Rockuntergrund aller Welt stellen sich mit je einem Song vor und füllen die CD fast bis an ihre physische Spielzeitgrenze; von The Ocean Band mal abgesehen kannte der Rezensent vorher keine einzige der Bands (das muß also real underground sein). Allerdings findet sich gleich ein ganzer Sack entdeckungswürdiger Perlen; schauen wir also mal durch:
Misunderstanding aus Arizona eröffnen den Sampler mit einem starken Postgrunge-Track namens "Almost Home", der diversen etablierten Acts dieses Genres in nichts nachsteht und aufgrund einer gewissen melodischen Zugänglichkeit durchaus Chancen auf Erzeugung einer höheren Popularität hat. Ein Auftakt nach Maß!
Paint The Lilies schrauben das Niveau aber locker noch einmal ein bis zwei Stufen nach oben. Was beginnt wie eines der neueren Klangzeugnisse von Anneke van Giersbergen (in reduzierter Form, also Frauenstimme plus Wandergitarre), wandelt sich dann nach einiger Zeit in einen druckvollen Midtempo-Hardrocksong mit einer hervorragenden weiblichen Gesangsleistung, leicht angedüstert und durch den vielseitigen rhythmischen Unterbau auch nicht anachronistisch wirkend, sondern durchaus modern. Käme diese Band nicht gerade aus Indonesien, hätte sie längst einen Deal bei einem großen Label.
Stelios Botonakis ist der erste von gleich fünf griechischen Vertretern auf der CD (keine Ahnung, wie diese Häufung zustandekommt - den zweiten Platz in der Länderwertung belegt übrigens Dänemark mit drei Beiträgen). Sein Akustikrock wird speziell durch die eigentümliche Rhythmusarbeit interessant, und als man eigentlich gar nicht mehr damit rechnet, kommt doch noch ein E-Gitarren-Solo der recht modern-abgedrehten, aber durchaus den Song "Tna Valo Plori" (welche Sprache das auch immer ist - der Rezensent beherrscht Griechisch nicht) nicht zerstörenden Sorte.
Die nächsten Griechen, Purple Enclosure, singen in "Cinnamon" englisch und haben mit diesem Song einen weiteren Oberknaller eingespielt. Was als ruhiger Melodic Rock beginnt, bei dem man sich sogar fragt, ob das Rock-Prädikat gerechtfertigt ist, geht bald in Saga-ähnliche Gefilde über und entwickelt sich schließlich in einen begeisternden atmosphärischen melodischen Progmetal weiter, der allerdings stets in einer entspannten Stimmung verbleibt und Freunden von Bands wie Poverty's No Crime gut gefallen dürfte.
"Let It Go" verkünden Monoplain, die ersten Dänen des Samplers. Vom Sound her hätten sie freilich auch Amerikaner sein können - Wüstenrock klassischer Ausprägung kommt hier zum Tragen, vokalisiert allerdings von einem eher grungekompatiblen Sänger. Der paßt freilich gut genug zum instrumentalen Unterbau, der innerhalb des eigenen Subgenres eher der zugänglicheren Sparte zuzurechnen ist. Die große Intensitätssteigerung während des ausgedehnten Hauptsolos dürfen sich die Dänen als Pluspunkt gutschreiben lassen, und das macht einen an und für sich schon guten Song zu einem weiteren der vielen Highlights des Samplers.
Nachdem man in der ersten Minute noch nicht so richtig ergründen kann, in welche Richtung "A Chuva" von Roney Giah aus Brasilien sich entwickeln wird, glaubt man mit der ersten Strophe schlauer zu sein: Westcoastsound, allerdings mit gesanglicher Doppelspitze in geschlechtsparitätischer Besetzung. Allerdings tauchen in der Folge auch noch weitere männliche Gesangseinwürfe auf, die fast rappig gefärbt sind und etwas an Xavier Naidoo erinnern, nur ohne dessen Weinerlichkeit zu reproduzieren. Und die schrägen E-Gitarren-Riffs vor tuckerndem Sequenzer, die in der ersten Minute maßgeblich zur Verwirrung beigetragen haben, kommen später auch noch mal zurück.
Die Hammondorgel, die nach wenigen Sekunden in "High Shutters Speed" von The Ocean Band auftaucht und auch später vor allem in den Zwischenspielen prägende Wirkung entfaltet, ordnet der Kenner automatisch Uriah Heep zu, aber der Drummer der Combo aus Singapur (das Booklet gibt allerdings Massachusetts an, weil der Produzent der Truppe, der im Studio auch den Baß eingespielt hat, momentan in Boston wohnt) legt einen zumeist recht verbreakt-verschleppten Rhythmus unter die Musik und sorgt damit nachdrücklich für Originalität. In den ausgedehnten Instrumentalsoloparts allerdings spielt er konsequent geradlinig, und der Gitarrist und der Organist lassen dann tatsächlich selige Box-Hensley-Zeiten im Hirn des Hörers aufleben, ohne daß die Band nun als Klon abzustempeln wäre. Einen guten Sänger hat sie aber auch, und Heep-Fans sollten mal genau den kleinen Vokaleinwurf nach Minute 2:30 belauschen ...
Relativ unauffälligen Akustikrock spielen Aze aus Rußland in "Sputniki Satellites", wobei ein relativ flottes Grundtempo in Erinnerung bleibt. Kosmische Soundeffekte gibt es übrigens nicht zu hören, dafür aber russische Lyrics und das ungelöste Rätsel des Bandnamens, der eher als Länderkürzel für Aserbaidshan geläufig ist ...
Im Genre wie im Herkunftsland bleiben Downsteps, deren "Gabrielle" auch auf einem PUR-Tonträger hätte Platz finden können, von Fury In The Slaughterhouse mit Kußhand übernommen worden wäre und selbst von R.E.M. nicht von der Bettkante gestoßen worden wäre. Ein relativ weich, aber treffsicher intonierender Sänger (auch hier sind stimmliche Parallelen besonders zu FITS-Wingenfelder und PUR-Engler unverkennbar) setzt dem Ganzen noch die Krone auf, und nur die zwar angedeutete, aber nicht realisierte Dramatisierung des Songs vor der Stelle, wo man das Hauptsolo erwarten würde (das dann aber nicht kommt, sondern die zum Schluß überleitende Refrainwiederholung), bleibt als unerfüllter Wunsch zurück.
Die einzigen Australier des Samplers sind Fingerprince, und "No Lies (No More)" hinterläßt tatsächlich einen gelungenen Fingerabdruck, vom Stil wie von der Struktur her mit Paint The Lilies vergleichbar, allerdings eine Songwritingklasse niedriger, manchmal ein wenig überhastet klingend (vor allem im Drumming). Die starke weibliche Stimme reißt das aber locker wieder heraus.
"Hypocrite Society" von Domino Effect beginnt mit einem ausgedehnten Klavierintro, und das Piano bleibt auch im Verlauf des Songs das strukturprägende Instrument, wenngleich das gedeckte Gitarrenspiel (oder sollte das eine Baßgitarre in hohen Lagen sein?) bei genauerem Hinhören ebenfalls unverkennbare Reize entfaltet. Nur wenn das Schlagzeug auf hohe Gänge schaltet, wirkt das Resultat hier und da ein bißchen zu polterig, aber ansonsten ein gutklassiger Beitrag aus Luxemburg.
Moderner, elektronisch angehauchter Rock kommt von The Kat - jawohl, ohne Great als mittlerer Namensbestandteil. "My F* Valentine" ist zwar im Unterbau deutlich zu steril ausgefallen, und auch das Gezirpe und Geblubber im Hintergrund sowie die gelegentliche Stimmverzerrung sind nicht für jeden Hörer genießbar, aber Songs schreiben können die Dänen zweifellos, wie der gute Refrain beweist, und auch die Vielschichtigkeit der weiblichen Stimme mag wiederum manchen Hörer beeindrucken. Wer sich die Holländer Asrai in einer etwas elektronischeren Variante vorstellen kann, dürfte hier richtig liegen.
Eher im klassischen, aber gitarrenbetonten Gothic lagert "Drowsy Dogs" von Little Jimmy Reeves - zumindest glaubt man das während der Strophen. Der Refrain interpretiert dann ein bekanntes Harmonieschema neu, und der Drummer lenkt den Song vor allem mit seinem intensiven Beckengeschepper eher in stonerige Gefilde, bevor im Hauptsolo dann auch noch ein wimmernder Gitarrenheld nach vorn tritt. Das paßt erstaunlich gut zusammen, auch wenn Schubladendenker hiervon Magenschmerzen bekommen dürften.
Strukturell kurios geht's weiter: Dimitris Panagopoulos intoniert zunächst, von einer Band namens Aura begleitet, einen klassischen Blues namens "Ridin In The Moonlight", in dem Mundharmonika und Saxophon, also Alt und Neu, durchaus in friedlicher Koexistenz werkeln, wobei der Saxer allerdings den gesamten Song mitspielt und während des Gitarrensolos gar die Stelle der Rhythmusgitarre einnimmt, während der Harmonikaspieler nur an bestimmten Stellen des Songs verfeinernde Tupfer setzt. Der nächste Song sieht Dimitris als Einzelkämpfer mit Mikrofon und Gitarre, heißt aber witzigerweise "Aura", also so wie seine hier pausierende Begleitband. Hier beweist der Sänger, daß er auch vor reduzierterem instrumentalem Background eine gute Figur macht, zudem singt er hier höher und cleaner, demonstriert also auch seine Bandbreite. An zwei Stellen tritt auch hier noch die Mundharmonika hinzu, zweimal wirft er ein Effektgerät an (das ein tiefes, an ein Didgeridoo erinnerndes Geräusch erzeugt), und die Gitarrenbegleitung ist sehr dicht gewoben und durchaus technisch anspruchsvoll.
Technisch höhere Ansprüche lassen sich Dimitris' Landsleute Personality Crisis in "Die And Let Live" nicht nachsagen, aber das müssen sie mit ihrem melodischen Punkrock auch nicht - der macht in mittleren Tempi gute Laune, ist vermutlich auch nach einigen Flaschen Bier noch mitgrölbar und baut immerhin noch ein gegen Ende hin recht flottes Leadgitarrensolo ein. Nichts für die Ewigkeit, aber für den Moment gut unterhaltend.
Für die Ewigkeit gebaut dagegen ist offenbar "You Don't Care" von Yakamashii aus Singapur. Was wie ein großes Metal-Instrumental beginnt, bekommt dann nach einiger Zeit doch noch Gesang, einen ganz eigentümlichen, leicht angerauhten, zugleich diese leicht melancholische Färbung aufweisenden, wie man sie in ähnlicher Form in vielen asiatischen Rockbands findet. Klassischer Metal in Reinkultur, melodisch, powervoll, technisch anspruchsvoll, keyboardfrei, tempovariabel - wenn hier der Refrain noch einen Tick griffiger ausgefallen wäre und die Band nun nicht gerade aus Singapur käme, die Chancen auf höhere Weihen in der Metalwelt stünden gut.
Ashtoreth schließen mit "Falling Down" die fast 80 Minuten ab, und sie tun das nochmal mit einem absoluten Highlight - hier regiert siebeneinhalb Minuten lang klassischer melodischer Metal mit leichtem symphonischem Touch, wobei aber klar die Gitarren dominieren und die Keyboards eher zu einem dezenten Teppichlegen vor allem im Refrain benutzt werden. Wer den Stil von Bands wie Concerto Moon oder Royal Hunt mag, aber deren starke Keyboardlastigkeit nicht so prickelnd findet, sollte mal seine Antenne zu diesen Indonesiern hier ausstrecken, die übrigens einen starken und ganz und gar nicht asiatisch klingenden Sänger haben.
Zu bekommen ist dieser hochgradig empfehlenswerte Sampler (eine ähnlich hohe Trefferdichte findet man nur sehr selten!) via www.quickstarproductions.com; im Booklet finden sich zudem noch die Kontaktdaten aller Bands.

Tracklist:
Misunderstanding: Almost Home
Paint The Lilies: Words
Stelios Botonakis: Tna Valo Plori
Purple Enclosure: Cinnamon
Monoplain: Let It Go
Roney Giah: A Chuva
The Ocean Band: High Shutters Speed
Aze: Sputniki Satellites
Downsteps: Gabrielle
Fingerprince: No Lies (No More)
Domino Effect: Hypocrite Society
The Kat: My F* Valentine
Little Jimmy Reeves: Drowsy Dogs
Dimitris Panagopoulos + Aura: Ridin In The Moonlight
Dimitris Panagopoulos: Aura
Personality Crisis: Die And Let Live
Yakamashii: You Don't Care
Ashtoreth: Falling Down



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