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Tristania, Asrai, Unsun   15.10.2010   Glauchau, Alte Spinnerei
von rls

Stilprägende Bandmitglieder ersetzen zu müssen ist immer eine immens schwierige Aufgabe. Tristania waren bereits zweimal in dieser Situation, und beide Male betraf es die Sangesfraktion. Morten Veland war als Bandgründer, Songwriter und Gitarrist aber auch noch in anderen Bereichen aktiv und daher schwer ersetzbar - die herrschende Meinung spricht, daß der Verlust auf dem Folgealbum "World Of Glass" mehr als kompensiert werden konnte, die weitere Entwicklung dann aber als schwierig zu bewerten ist. Nach dem 2007er Album "Illumination" nahm dann aber auch noch Vibeke Stene ihren Hut, das optische Aushängeschild der Band, in das jeder vernünftige Gothic Metaller zumindest mal kurzzeitig verliebt war. Kreativ nie sonderlich stark beteiligt, stand also die Aufgabe des Ersetzens einer unvergleichlichen Stimme, die geschickt zwischen kräftigem Sopran und ätherischem Säuseln zu variieren wußte und eine unvergleichliche Aura auf die Bühne zauberte. Die Band hat einige Zeit gebraucht, um sich für eine neue Sängerin zu entscheiden - fündig wurde man nicht etwa im heimischen Norwegen, sondern paradoxerweise auf Sardinien. Das 2010er "Rubicon"-Album ist das erste konservierte gemeinschaftliche Werk der auch noch auf anderen Positionen umbesetzten Band, und ebenjenes sollte nun on the road vorgestellt werden, was an einem herbstlichen Freitagabend erstaunlicherweise nur eine sehr überschaubare Publikumskopfzahl miterleben wollte.
Zunächst galt es UnSun zu überstehen, deren Konservenmaterial sich beim vorherigen Check als durchaus anhörbar gezeigt hatte, wenngleich die vier auf Myspace zu hörenden Songs auch schon ein Problem offenbarten: Das Material klingt schlicht und einfach zu gleichförmig, und dieses Problem wuchs sich in einem dreiviertelstündigen Set natürlich noch deutlicher aus. Hatte man gehofft, ein doomiges Intro wachse sich endlich mal zu etwas Abwechslung aus, wurde man enttäuscht, als der Song alsbald wieder in den gewohnten midtempolastigen und weitgehend ideenfreien Gothic Metal hinüberwechselte, dessen einzige Höhepunkte die gelegentlichen Gitarrensoli von Mauser (ja, der von Vader!) bildeten - phantasievoll, mal schreddernd, mal eher gefühlsbetont. Im insgesamt zu dumpfen Sound (das war er sowohl mit als auch ohne Ohrstöpsel) waren sie auch deutlich herauszuhören, während viel vom Rest (inclusive der im Hintergrund durchlaufenden Samples) in einem einheitlichen Geräusch mündete, das die Vorstellung der Monotonie im Hirn natürlich noch beförderte. Technisch konnte man den drei Herren natürlich nichts vorwerfen (sofern dieser Aspekt bewertbar ist) - immerhin spielt Drummer Vojtek sonst bei den Proggies Indukti, und daß auch Mauser kein Schlechter seines Faches ist, weiß man ja. Aber dann war da noch diese Sängerin (gehüllt übrigens in ein schwarz-rotes Kostüm und mit langen blonden Haaren - ein kurioser Gruß der polnischen Band ans deutsche Publikum?), die das Publikum in eine Liebhaber- und eine Ablehner-Fraktion spaltete, mit nur wenigen Menschen wie dem Rezensenten in der Grauzone dazwischen. Sie kann singen, ja (nicht überragend, aber auch nicht ganz übel, und ganz so dünn, wie es oft heißt, ist ihre Stimme auch nicht) - aber ihre Bühnenpräsenz nervte schnell, die Ansagen tätigte sie in eher schriller Tonfärbung und das auch noch in seltsamer Rhythmik: Dank ans Publikum, noch ehe irgendjemand mit Applaudieren begonnen hatte, Rest der Ansage in den Applaus hinein (damit komplett unverständlich) und dann Schweigen, bis der nächste Song losgeht, was durchaus mal ein Weilchen dauern konnte. Zudem galt sie bei der Technikfraktion als "unmischbar", weil sie ihr Mikrofon vor dem Mund ständig hin und her bewegte, was ein extrem schwankendes Klangbild erzeugte und in diesem Falle wohl nicht als Stilmittel zu verstehen war. Trotz alledem ernteten UnSun, deren Instrumentalisten übrigens alle mit Corpsepaint (!) antraten, bei guten Teilen des Publikums mehr als nur freundlichen Applaus.
Die strukturelle Situation änderte sich bei Asrai um 180 Grad. Anhand der Myspace-Hörproben als eher mäßig interessant befunden, entpuppten sich die Holländer live doch als äußerst anhörbar, unterstützt auch durch einen klareren (wenngleich etwas "distanziert" wirkenden) Sound als bei UnSun und durch ein deutlich stimmigeres Gesamtbild, dem der Altersunterschied in der Band nicht entgegenstand: Der Bassist dürfte das einzige verbliebene Gründungsmitglied von 1985 (!) sein, die anderen vier Mitglieder wären auch als sein Sohn bzw. seine drei Töchter durchgegangen. Der "Sohn" spielte Gitarre (eine schwarze Flying V), was bedeutet, daß eine Frau trommelte, und das hätte man auch bei einem Blindfoldtest herausgefunden, wenn man in den viereinhalb Wochen zuvor eine analoge Konzertpräsenz wie der Rezensent gehabt hätte: Sowohl Indica als auch Lost Psychic haben Frauen hinterm Schlagzeug sitzen, und beide Stuhlinhaberinnen spiel(t)en den gleichen, leicht polterig wirkenden Stil wie die Asrai-Trommlerin. Dazu wußte die Sängerin mit einer voluminösen und vielfältig einsetzbaren Stimme zu punkten, wobei die Mikrofonbewegungen vor dem Mund hier offensichtlich zum musikalischen Konzept gehörten, das auch Rollen wie "Xanthippe" oder "Mama Miracoli" vorsah. Die Keyboarderin ergänzte das Spektrum punktuell noch durch wildes Geschrei, und ähnlich vielschichtig fiel auch die Musik aus, die man mit kaum einer anderen Band direkt vergleichen kann. Eine Mixtur aus The Gathering verschiedener Schaffensperioden und der Spätphase von Phlebotomized trifft den originellen Gothic Metal vielleicht als Beschreibung am besten, und wer auch überlange Songs wie "In Front Of Me" spannend inszenieren kann, der hat auch keine Probleme, das Publikum über mehr als eine Dreiviertelstunde bei guter Laune zu halten.
Dann Tristania: Ein langes Intro ging in "Year Of The Rat" über, laut bisher abgehaltenen Hörproben einer der stärksten Songs des neuen Albums "Rubicon", das der Rezensent bisher nicht vollumfänglich gehört hat und deshalb nicht einordnen kann. Daß die neuen Songs perfekt auf die Stimme der neuen Sängerin abgestimmt sein würden, war zu erwarten (songwriterische Asse haben Tristania ja immer wieder aus dem Ärmel gezaubert), und daß "Rubicon"-Material einen nicht geringen Teil des Sets stellen würde (netto knapp die Hälfte), konnte man sich auch an allen Fingern abzählen. Besonders das hymnische "The Passing" macht eine intensivere Beschäftigung mit der Studiofassung obligatorisch, zumal der Rezensent zu den Personen gehörte, denen Sänger Kjetil das Stück widmete (nämlich allen Tristania-Shirt-Trägern im Publikum - und daß der Rezensent mal ein Shirt der Band trägt, die gerade spielt, ist ein seltener Zufall); ein analoges Verdikt wäre über die mit einigen finsteren Doomparts gespickte Halbballade "Protection" zu fällen. Daß Tristania sich ihrer Vergangenheit aber selbstbewußt stellen, war ebenfalls zu erwarten gewesen - schließlich hatte man lange vor der Fertigstellung von "Rubicon" mit der neuen Sängerin Mariangela bereits live gespielt. So stand denn auch "Beyond The Veil" gleich an zweiter Position der Setlist und machte deutlich, daß die Sardin Vibeke zwar nicht kopiert, ihr in einigen Stimmlagen aber recht nahe kommt, allerdings insbesondere das fragile Säuseln nicht reproduzieren kann oder will. Das störte in vielen Songs, besonders den etwas jüngeren, nicht, aber es machte in Verbindung mit dem hier viel zu dominanten Drumsound das den regulären Set abschließende "Angellore" zum Problemfall - bis man hier im Publikum den gleichen Schwebezustand zu erreichen in den Lage ist wie bei der "alten" Version, wird je nach emotionaler Aufladung des Hörers noch lange bis sehr lange dauern. In abgeschwächter Form gab es das gleiche Problem noch einmal in "Tender Trip On Earth", wo man immer noch Vibeke als Acid Queen vor dem geistigen Auge sieht. Mariangela ist sich diesem Problem freilich auch völlig bewußt, wie sie dem Rezensenten hinterher erzählte, ist sich aber sicher, daß dieser Lernprozeß eines Tages erfolgreich abgeschlossen sein wird. Der Optimismus ist nicht unbegründet - was man von ihr hören konnte (die einen Tick zu lauten Drums verhinderten an mancher Stelle den entsprechenden Erkenntnisprozeß), machte einen sehr vielversprechenden Eindruck. Sänger Kjetil (Nordhus, nicht etwa Ingebrethsen!) machte sich einen Spaß daraus, beim Glauchauer Publikum "landen" zu wollen, etwa mit dem Hinweis, er sei jetzt schon mit der dritten Band hier (Green Carnation und Trail Of Tears als Vorgänger), und es habe ihm hier immer riesige Freude bereitet - das Publikum erzeugt dann entsprechend auch Stimmung für eine mindestens doppelte Kopfzahl. Noch ein Kuriosum: Keyboarder und Gründungsmitglied Einar Moen wird verschiedentlich noch als Bandmitglied aufgeführt, hat auch die neue Platte mit eingespielt, taucht aber auf den aktuellen Bandfotos nicht auf und ist auch live nicht mit von der Partie - und Tristania machen aus der Not eine Tugend, lassen nur hier und da Samples mitlaufen und verzichten über weite Strecken des Sets auf orchestrale oder pianistische Anreicherung. Das sabotiert die Soundfülle nicht, und wenn dann auch mal noch die neue Zweitgitarristin richtig "eingewachsen" ist (die hinterließ an diesem Abend links außen einen etwas verlorenen Eindruck, während der ebenfalls recht neue Bassist auch gleich noch gesanglich eingebunden war und der neue Drummer sich gar lauthals bemerkbar machte), könnte hier eine sehr schlagkräftige Neuinkarnation der Band entstanden sein. Weil nach der zweiten Zugabe die Fans gar keine Ruhe gaben, spielte man schließlich sogar noch auf Zuruf "Libre" und beendete damit einen interessanten Konzertabend.



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