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Indica   14.09.2010   Leipzig, Moritzbastei
von rls

Eine komplett unbekannte Größe sind Indica in Leipzig nicht - sie haben im Mai schon mal auf dem Wave Gotik Treffen gespielt, ohne bis dato offiziell in Deutschland einen abendfüllenden Tonträger auf dem Markt zu haben. Frontfrau Jonsu fragt dann auch prompt, wer vor vier Monaten schon am Start gewesen war, und bekommt einige Handzeichen bzw. Zurufe. Ansonsten ist es aber bisher nicht gelungen, über die Nightwish-Connection mehr als eine Handvoll potentieller Neu-Anhänger zu rekrutieren: Die große Tonne der Moritzbastei ist eher locker gefüllt, obwohl sogar noch eine größere Ticketverlosungsaktion über Amazon stattgefunden hatte, und anwesend ist überwiegend "Normalo-Publikum" - Leute mit Bandshirts sieht man eher selten und welche mit Nightwish-Shirts überraschenderweise nahezu überhaupt nicht.
Nun sind Indica bekanntlich strukturell mit Nightwish verbandelt, aber musikalisch doch weit von einer Kopie entfernt, und das demonstrieren die fünf Damen in diesem Konzert auch eindrucksvoll. Im Mittelpunkt der Setlist steht natürlich "A Way Away", das einzige der bisher fünf Alben, das englische Texte enthält und das im Juni auch hierzulande regulär veröffentlicht worden ist. Im Mittelpunkt der Show wiederum steht ganz klar Sängerin Jonsu - und das zu Recht, denn sie bildet den Haupttrumpf des im Vergleich zu den Albumsessionfotos deutlich erblondeten Quintetts und dürfte im Zweifel das am schwersten ersetzbare Bandmitglied zu sein, zumal sie auch noch als Alleinkomponistin fungiert. Live greift sie gelegentlich zur Geige (die noch einen Tick deutlicher hätte abgemischt werden dürfen, und auch Gitarre und Baß verschmelzen bisweilen etwas zu stark miteinander - ansonsten ist das Soundgewand maßgeschneidert und vor allem nicht überlaut) und singt noch einen Tick nasaler, als man das von den Studioversionen in Erinnerung hatte, dabei aber besonders in den Höhenlagen manchmal auch so schneidend, daß man sich wundert, hinterher noch alle Biergläser im Publikum unzerstört vorzufinden. Allerdings sitzen auch die von allen Bandmitgliedern beigesteuerten Backing Vocals wie eine Eins - in dieser Hinsicht fühlt man sich im besten Sinne an eine weibliche Version der Münchener Freiheit erinnert. Und poppiges Potential haben viele der Indica-Kompositionen durchaus auch - selbst die nicht vom Longplayer bekannten Songs des Sets gehen überwiegend schnell ins Ohr. Das sind freilich nicht so sehr viele. Der erste steht an Setposition 4, heißt "Nursery Crimes" und ist keine Genesis-Coverversion, denn deren ähnlich betiteltes 71er Album besaß keinen Titeltrack - der Ansage nach müßte der Song auf der Vinylfassung von "A Way Away" zu finden sein und unterscheidet sich nur unwesentlich vom Rest des Sets bzw. des Albums. Eine Coverversion serviert die Band dem begeisterten Publikum aber später doch noch: Man wagt sich an Kate Bushs "Wuthering Heights". Der Rezensent hat das Original nicht in der Sammlung (und nicht gut genug im Ohr), aber er kennt die allgemein gelobte Angra-Coverversion dieses Songs - und dieser Maßstab erweist sich als unproblematisch für Indica, können sie sich doch eine erstklassige Umsetzung dieses aufgrund seiner permanenten Harmoniewechsel schwierig zu spielenden und vor allem zu singenden Songs gutschreiben lassen. Solch Experimentierlust wünscht man der einen oder anderen Eigenkomposition auch, etwa dem direkt vor "Wuthering Heights" plazierten "Scarlett", das von einem der vier Vorgängeralben stammt und demzufolge finnische Lyrics besitzt. Da stellt man im Intro fest, daß sich Jonsu hier mal eben ein Riff von Survivors "Eye Of The Tiger" ausgeliehen und als Grundlage von "Scarlett" verbaut hat - eine Maßnahme, die durchaus funktioniert, aber dann bleiben nach hinten hinaus Wünsche offen. Nach dem zweiten Refrain endet der Song jedenfalls irgendwo auf scheinbar halber Strecke - ein generelles Problem der Band, die durchaus das Zeug hätte, aus bestimmten fixierten Strukturen auch mal auszubrechen, und das hier und da auch schon tut. "Children Of Frost" ist ein schönes Beispiel dafür, übrigens auf eine mit Nr. 3 für eine Halbballade ungewöhnlich frühe Startposition geschoben (die es allerdings auch auf dem Album hat). Apropos Album: Das wird erwartungsgemäß fast durchgespielt, nur der Titeltrack fehlt von Anfang an in der Planung. "Lilja's Lament" dagegen ist offenbar operativ gekippt worden - in Jonsus handgeschriebener Setlist taucht es noch auf, ist aber durchgestrichen und zuerst durch "In Passing" ersetzt worden, das aber dann zwei Positionen nach hinten wandert und dort einen unbekannten Song namens "Outside" ersetzt, so daß der Platz von "Lilja's Lament" letztlich durch "Scarlett" eingenommen wird. Die Setlist enthält übrigens auch einige Notizen zu den Ansagen, die mit einigen deutschen Sätzen garniert worden sind und ansonsten trockenhumorige Passagen enthalten wie "Because we are an extremely positive band, this next song is about the end of the world". Das Ende nicht der Welt, sondern des Sets kommt allerdings erstaunlich früh, nämlich nach gerade mal zehn (zumeist alles andere als überlangen) Songs, und es gibt auch nur noch eine Zugabe, nämlich den Epicrocker "Eerie Eden", dessen erste Hälfte die Band live spielt, während der Schlußteil als Outro von der Konserve eingespielt wird. Danach ist trotz heftig klatschendem Publikum Schluß - nach nicht mal einer Stunde Spielzeit, und das als Headliner ohne Vorband bei einem Abendkassenpreis von 19 Euro (die Moritzbastei-Homepage hat 15 Euro ausgewiesen, aber das Abendkassenschild zeigt eine 19). Sowas kann man sich als noch reichlich unbekannte Band, die darauf angewiesen ist, sich ihre Fans noch zu erspielen, eigentlich nicht leisten - mit noch ein paar der finnischen Songs (die aufgrund weiterer Gigs in Finnland in den Folgewochen eigentlich abrufbares Repertoire sein müßten), den zwei fehlenden des Albums und vielleicht noch einer weiteren Coverversion hätte sich problemlos mehr value for money bieten lassen. Dafür versöhnen erstens die starke musikalische Leistung und zweitens die sehr zivilen Preise am Merchandisestand, was den Vorwurf der simplen Gewinnmaximierungsstrategie wirkungsvoll entkräftet. Mehr davon!



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