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Standing On A Rock   25.09.2010   Mölbis, Pfarrgarten
von rls

Fünfmal in Folge hatten Andreas Bergmann und seine Mitstreiter den nach dem Volksglauben für die Wetterzuteilung zuständigen Petrus auf ihrer Seite - sonniges und warmes Altweibersommerwetter ist am letzten Septemberwochenende schließlich nicht unbedingt die Regel. Der Festivalname, den man auch auf den Zuständigen zurückgeführt interpretieren könnte (auch wenn real der biblische Background in Matthäus 7 und nicht in Matthäus 16 zu finden ist), hatte selbigen offensichtlich immer gnädig gestimmt, aber einmal mußte es dann doch schiefgehen - am 24.09.2010 endete die Schönwetterperiode mit dem Durchzug einer Kaltfront, und für den Folgetag hieß das: bedeckter Himmel und anhaltender, wenn auch von der Intensität her eher mäßiger Niederschlag. Für das Publikum hatte man einen Pavillon links und rechts neben dem Mischpult aufgebaut, und gegen die zu Festivalbeginn gerade mal noch elf Grad über Null, die sich zum Festivalende dann auf 9,5 eingepegelt hatten, konnte man sich ja per Zwiebelschalenprinzip wappnen. Allerdings hatte der Blick aus dem Fenster vermutlich zumindest einen gewissen Teil der Zielgruppe vom Besuch des 6. Standing On A Rock-Festivals abgehalten. Was alle Nichtdagewesenen verpaßt haben, soll in den folgenden Zeilen notiert werden, die wie immer zum größten Teil "backstage" im Mölbiser Pfarrhaus in den Umbaupausen verfaßt wurden - ein Livereview also im wahrsten Sinne des Wortes. Let's go:
Lost Psychic hatten sich gegenüber dem letzten Auftritt, den der Rezensent gesehen hatte (16 Monate zuvor in Deutzen), doch gehörig weiterentwickelt, und zwar in der richtigen Richtung, nämlich gen Professionalität. Die eher ungewollt wirkenden Punkanklänge waren spurlos verschwunden und einer recht vielschichtigen Sorte Rockmusik gewichen, die im zweiten der englischsprachigen Songs (ansonsten artikulierte man sich in Deutsch) durchaus mal am Metal kratzte, allerdings ihre Vorlieben ansonsten eher in grungigen Gefilden fand. Allerdings überzeugten gerade die härteren Passagen besonders, während ansonsten noch nicht jede Idee zündete, wobei die eher selten eingeflochtenen atmosphärischen Passagen auch ihre Qualitäten hatten. Der neue Bassist, den man optisch eher in eine technische Death Metal-Band gesteckt hätte, hat dem Sextett jedenfalls sehr gut getan und legte mit der schon damals als kompetent aufgefallenen Schlagzeugerin einen brauchbaren Teppich, auf dem sich die Saiten- und Tastenfraktion gern noch ein wenig mehr trauen darf. Arbeiten müssen Lost Psychic auf jeden Fall auch noch an der Überzeugungskraft der Gesangsmelodien - vor allem die Leadsängerin hinterließ beispielsweise gleich im Opener einen arg nöligen, unsicheren und linienseitig vom Unterbau völlig losgelösten Eindruck, der sich im Laufe des Gigs nur unwesentlich besserte. Aber die Band ist auf dem richtigen Weg - wenn der erst vor 14 Tagen geschriebene und an diesem Abend premierte Song "Ich bin zurück" als Marschrichtung interpretiert werden kann, dann darf einem um die Zukunft der Espenhainer Truppe durchaus nicht bange sein müssen, die das interessierte Publikum auch noch in ihren Proberaum einlud - donnerstags und freitags ab 17 Uhr im Gewerbegebiet ...
Lost Psychic unterbrachen vor dem letzten Song ihren Gig, um einer offiziellen Amtshandlung Platz zu machen, nämlich der Einführung von Martina Hergt als Kirchenmusikerin für den Popularmusikbereich im Kirchenbezirk Leipziger Land. Auch wenn es nur eine 30-Prozent-Stelle ist - das Symbol darf als Schritt in die richtige Richtung angesehen werden. Eine spontan zusammengestellte Band aus Kirchenbezirksfunktionären mit Martina am Keyboard legte dazu noch eine anhörbare Version des Songs "Bankett der Hoffenden" hin, ohne jemals zuvor geprobt zu haben, und an diesem Abend dürfte zum ersten Mal in einer Predigt eines Superintendenten der EKD das Wort "Emocore" vorgekommen sein.
Was Lost Psychic noch gebrauchen könnten (per interner Entwicklung oder auf dem Transfermarkt), wäre ein phantasievoller Leadgitarrist. Audiofuzz, die als nächste Band spielten, verfügten über einen solchen, einen sehr höflichen, fast schüchtern wirkenden (der sogar den Soundmenschen siezte), der aber in seinen Solospots vom wilden Gefrickel bis zum blueslastigen Lick eine Menge guter Ideen unterbrachte, wenngleich noch nicht alle derselben ideal auf den Songrest abgestimmt waren. Das Quartett spielte eine seltsame Form alternativ angehauchter Rockmusik: Einige Songs kamen relativ geradlinig zum Ziel, andere unternahmen teils bizarre Ausflüge in andere Stilistika bis hin zum Reggae, und noch nicht jede Idee erschloß sich bereits nach einmaligem Anhören - aber einer der Vielschichter wurde als Zugabe wiederholt, und siehe da, man begann sich schon vertrauter mit ihm zu fühlen. Noch nicht in jeder Sekunde souverän wirkte der Leadgesang des Rhythmusgitarristen, aber die Richtung stimmt auch hier zweifellos, und einen recht engagierten Frontmann hat das Quartett in ihm auch noch. Für den letzten Song gab er das Mikro allerdings an den Schlagzeuger ab, und der legte in diesem Cover der englischen Originalfassung von Cindy & Berts "Der Hund von Baskerville" eine relativ rauhe Röhre an den Tag, was durchaus keinen schlechten Eindruck hinterließ, während dem schwammigen Riffing, das in den Eigenkompositionen durchaus zur Musik paßte, hier etwas mehr Schärfe zu wünschen gewesen wäre.
Zur anschließenden Feuershow kann der Rezensent mangels Anwesenheit nichts sagen, aber feurig ging es auch mit Endless Fire weiter. Der Sänger kam im Norwegerpulli auf die Bühne, aber ungeschminkt - also durfte man nicht mit norwegischem Black Metal rechnen. Statt dessen hatten andere Norweger ihre Spuren im Bandsound hinterlassen, nämlich diese eigentümliche, nur leicht modern angehauchte Hardrockfraktion um Audrey Horne, der man zwar die Beeinflussung durch Black Sabbath und Led Zeppelin deutlich anmerkt, die aber diese Elemente nicht in Richtung eines grungigen Sounds ausbauen. Soll heißen: Knochentrockener Hardrock der alten Schule mit leicht modernem Anstrich, dazu ein unverkennbarer Siebziger-Appeal - fertig war eine auch technisch sehr gut umgesetzte Mixur, die jede Menge Hörspaß machte. Fähige Instrumentalisten besonders an den Gitarren braucht es für diese Sorte Musik schon, aber zwei klasse Gitarristen hatten Endless Fire tatsächlich im Line-up - und dann da noch dieser Sänger! Meine Güte, wie der sich in den letzten neun Jahren (so lange ist es her, daß ihn der Rezensent zum letzten Mal auf einer Bühne singen hörte) entwickelt hat! Zwar waren die Parallelen zu Robert Plant weniger deutlich ausgeprägt, als ein Mitglied der Kirchenfunktionärsspontiband äußerte, doch eine relativ hohe, klare und durchdringende, nicht aber in italometallische Gefilde abgleitende Stimme konnte er ins Feld führen, und wer noch in der Zugabe derart lange Schreie sauber hinbekommt, der hat definitiv Ahnung von dem, was er tut. "Blues In A Minor" und einige weitere Songs arbeiteten auch mit ruhigeren, teils halbakustischen, teils doomigen Passagen, das Gros des Materials bewegte sich im Midtempo, wobei die eine oder andere Tempoherunterschaltung noch nicht hundertprozentig überzeugen konnte. Geniestreiche wie der in "Late", wo man die Songaussage (über den Sänger und seine Neigung zum Zuspätkommen) so umsetzte, daß das Eingangsriff zweigeteilt und der zweite Teil so arrangiert worden war, daß er so wirkte, als ob er zu spät käme, machten die kleinen Problemchen locker wieder wett. Zeichen der Professionalität war auch, daß Zweitgitarrist, Bassistin und Drummer spontan eine als "Das war jetzt unser aktuellster Song, für den es noch gar keinen Text gibt" abmoderierte Jamsession einlegten, als dem Erstgitarristen vor dem letzten Song des regulären Sets eine Saite riß und daher etwas Reparaturzeit überbrückt werden mußte. Beim Abschlußcover blieb man kurzerhand bei der von Audiofuzz bekannten Herkunft und intonierte "War Pigs" in einer eindringlichen Form mit zwei Gitarren, aber auch noch ein paar Abstimmungsproblemen bezüglich der Einsätze nach den zahlreichen Generalpausen. Das hinderte das begeisterte Publikum aber nicht an der Einforderung einer Zugabe, eines druckvollen Songs namens "Devil's Guitar", dessen eingängigen Refrain "Blood masses ..." man noch danach hier und da auf dem Gelände erschallen hörte. Das Feuerwerk vom Nachbargrundstück, das am Ende des regulären Sets gezündet wurde, gehörte allerdings nicht zum Set ...
Das nächste Feuerwerk zündeten Kurfürst, allerdings wiederum nur ein rein musikalisches. Die Chemnitzer brachten einen äußerst professionellen Set moderner Rockmusik auf die Bühne und reihten sich damit problemlos in die Spitzengruppe der gottesfürchtigen sächsischen Szene ein - anhand der "Es ist angerichtet"-CD konnte man ja schon ahnen, was da für ein Diamant herangewachsen ist, und der Liveeindruck bestätigte den der Konserve eindrucksvoll. Drei druckvolle Rocker eröffneten den Gig, dessen Material natürlich weitgehend von der aktuellen CD stammte. Markante Ausnahme: "Alarmsignal", ein ganz neuer und noch unkonservierter Song, der die stilistische Linie der Band, anspruchsvolle, aber tanzbare Rockmusik mit deutschen Texten zu erschaffen, kompromißlos weiterverfolgte und in dem lediglich der eine oder andere Rhythmuswechsel, der das Publikum beim Tanzen mächtig ins Stolpern brachte, noch ein wenig ausgefeilt werden sollte. "Freund" wiederum ist der beste Worship-Reggae-Rocker, den man in letzter Zeit gehört hat, und eine ganze Menge Beine im Publikum wurden in mehr oder weniger wilde Tanzbewegungen versetzt. Daß auch die zwölf Beine auf der Bühne entsprechend nicht stillstanden, wurde sogar anhand von Schrittzählern bewiesen, und zwar im Coversong "Gott ist gut" (eine wilde angepunkte Version, die selige Snubnose-Zeiten ins Gedächtnis der älteren Teile des Publikums rief). Die zugehörige Wertung verlor der Bassist, der sich dafür im nächsten Song allein bewegen mußte, während der Rest der Band stillstand wie die Ölgötzen. Das dürfte besonders dem äußerst aktiven Sänger (der folgerichtig die Bewegungswertung gewonnen hatte) schwergefallen sein; eine saubere Gesangsleistung legte er "nebenher" aber auch noch auf die Bretter, leicht ausgebremst lediglich in der zweiten Sethälfte, als sein Mikro plötzlich im Gesamtmix etwas an Durchsetzungskraft verloren hatte. Die Showeinlage mit dem Gitarristen als "Kurfürst" hätte man auch noch etwas ausgestalten und stringenter einbasteln können. "Der gute Gärtner" entpuppte sich als perfekte Hymne für den Setschluß, aber auch hier forderte das Publikum in geschmackssicherer Weise von den sechs Chemnitzern eine Zugabe ein: "Party mit Jesus" brachte die Grundhaltung der Band in perfekter Weise auf den Punkt, stellte inhaltlich allerdings auch eine witzige Verkörperlichung des Terminus "Mathcore" dar. Wenn sich für Kurfürst ein strukturell starker Partner findet, ist das Level einer Band wie d:projekt durchaus in Reichweite.
Lightguide stellten anschließend sowas wie die Lightversion von Kurfürst dar - prinzipiell ähnlicher Stil, aber ohne Keyboards und nur mit einer Gitarre, keine Showeinlagen, musikalisch dazu auch arrangementseitig etwas ausgedünnt. Dennoch schafften es die Dresdner, die noch verbliebenen Getreuen im Publikum (es war mittlerweile schon nach Mitternacht) gut zu unterhalten und sie zu diversen wärmeerzeugenden Bewegungen, vor allem in Hüpfgestalt, zu animieren. Passenderweise wirkten einige der Songs wie Relikte aus dem letzten Jahrtausend, als Bands wie Such A Surge im Zenit ihrer Popularität standen, wobei der Sänger mehr Überzeugungskraft entwickelte, wenn er nicht rappte, sondern sang (was dankenswerterweise die überwiegende Spielzeit ausmachte). Zumeist artikulierte er sich dabei in englischer Sprache, zweimal allerdings auch in deutscher, und das waren dann auch die eindringlichsten Songs des Sets (wobei "Tausendmal" kein "Du" dahintergesetzt bekam - keine Coverversion der Münchener Freiheit also). Der Bassist unterstützte seinen Vokalisten mit diversen, bis zu wildem Gebrüll reichenden Backings, der Gitarrist war etwas zu schwankend abgemischt, und ohne eine Zugabe ließen die letzten Getreuen auch hier nicht locker.
Danach zog man noch in die gleich nebenan befindliche Mölbiser Kirche um, wo es laut Andreas' Ansage trocken, warm und windstill war - ein hübsches Wortspiel mit dem Namen der letzten Band: Windstill aus Mutzschen saßen in geschlechtsparitätischer Besetzung im Altarraum und spielten so etwas wie erweiterte Singer-Songwriter-Musik mit zwei Akustikgitarren, Cello, Cajón und weiblicher Leadstimme, gelegentlich noch männlich flankiert. Die weibliche Stimme gehörte der bereits standingonarockerfahrenen Lea Olschowsky, die auch auf dem Cajón saß und in den Ansagen das Paradoxon fertigbrachte, zwar den Inhalt des jeweils folgenden Songs zu nennen, nicht aber dessen Titel. Mit zwei Ausnahmen blieb der Gesang der deutschen Sprache treu - einmal gab es einen Ausflug ins Englische, der zweite Abweichler war spanisch betextet und erinnerte in einigen Elementen etwas an Reinhard Meys "Über den Wolken" (daß der Rezensent nach dem Konzert auf seinem Weg zum Auto die Zeile "In den Pfützen schwimmt Benzin" nicht mehr aus dem Kopf bekam, hatte somit keinen realen Hintergrund auf der Straße). Das Mikrofon erzeugte einige Probleme in Gestalt ungeplanter Dröhneffekte, die Cellistin legte einige wunderbar weiche Teppiche unter die Saitenkunst der Gitarristen, das Cajón war einen Tick zu vordergründig abgemischt, und über Leas Stimme noch Lobesworte zu verlieren hieße Bier nach Bayern zu exportieren, was auch den Aspekt, daß nicht jeder Text ein Meisterwerk der Dichtkunst darstellte (ein Problem, vor dem auch die meisten anderen Protagonisten des Abends standen), mildern half. Trotz auf 2 Uhr vorrückender Stunde ließ das Publikum auch hier die Band nicht ohne Zugabe ziehen - aufgrund des mit dem Hauptset erschöpften Repertoires fand das spanische Lied eine Wiederholung, womit auch strukturell elegant der Bogen zur ersten Band geschlagen worden war.
Anzumerken wäre noch, daß einzelnen Personen noch der Fakt beizubringen ist, daß Bierflaschen weder in die Kirche noch in deren direktes Umfeld gehören. Die Aufräumarbeiten am nächsten Tag gestalteten sich ob des völlig aufgeweichten Bodens sowieso schwierig: Diverse Fahrzeuge, die Teile des Equipments laden sollten, blieben stecken, und hinterher sah der Pfarrgarten aus wie Woodstock ... Aber vielleicht ist bis zum Festival 2011 neues Gras gewachsen und dann wieder eine Schönwetterperiode anhängig ...
Bildergalerien und weitere Infos unter: www.standing-on-a-rock.de



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