www.Crossover-agm.de UNICORN: The Legend Returns
von rls

UNICORN: The Legend Returns   (Karthago Records)

Krefeld muß in den Achtzigern ein wirklich guter Nährboden für anspruchsvolle Metalbands gewesen sein, auch wenn letztlich nur Lucifer's Heritage ein dauerhafter Erfolg beschieden war, und das auch erst, nachdem sie ihren Namen in Blind Guardian geändert hatten. Heavenward brachten es zumindest noch auf zwei Alben, Pillow Killz kamen nie richtig von der Stelle, und Headhunter (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen späteren Band von Marcel "Schmier" Schirmer und Drum-Tausendsassa Jörg Michael) spielten nur von 1985 bis 1987. Nachdem Headhunter-Gründungsmitglied Holger Carow die Band noch im Gründungsjahr 1985 wieder verlassen hatte, formierte er eine Band namens Unicorn, in der sich dann später auch alle weiteren Headhunter-Gründungsmitglieder einfanden. Unicorn spielten 1987 eine Vier-Track-EP namens "The Legend Returns" ein, die in weißem Vinyl und in einer 500er Auflage erschien. Da es bei der Begleichung der Studio- und Preßkosten allerdings zu bandinternen Differenzen kam, löste sich das Quintett auf, noch bevor der Tonträger erschien - es gab also keinerlei Promotion, keine Gigs und keine sonstigen Aktivitäten mehr, um den Absatz der Scheibe zu fördern, aber die 500 Exemplare waren irgendwann dann doch mal vergriffen, und das Mini-Album galt fortan als schwer beschaffbare Rarität.
Ergo ein Kandidat für die "Heavy Metal Classics"-Serie des Karthago-Labels? Aber sicher - und "The Legend Returns" bildet nun Teil 3 dieser Serie und erfreut sich sehr großer Beliebtheit, was neben der Seltenheit des Originalvinyls auch rein musikalische Gründe haben kann: "The Legend Returns" ist nämlich nicht nur selten, sondern auch richtig gut und bahnt stilistisch den Weg für das, was Heavenward und Blind Guardian später bzw. partiell auch noch gleichzeitig umsetzen sollten. Chefdenker/Gitarrist Carow schrieb anspruchsvolle und vielschichtige Metalstücke, die ihre Vorbilder nicht verkennen lassen, aber 1987 in Deutschland auch ziemlich einzigartig dastanden. Unter dem Terminus Progressive Metal verstand man damals eine Band wie Fates Warning, und die dürfte Carow genauso intensiv studiert haben wie den anspruchsvolleren Teil der NWoBHM, allen voran Iron Maiden, von deren Tempowechselstrukturen er sich ebenso inspirieren ließ wie von den zweistimmigen Gitarrenleads, die etwa in "Fool Games" geradezu archetypisch ausgeprägt sind. Zusammen mit dem Melodiesinn einer Band wie Helloween, dem äußerst fähigen Sänger Jürgen Henkelmann und der zumindest phasenweise ausbrechenden Energie der frühen melodischen Speed Metaller wie eben Blind Guardian ergab das einen Cocktail, der im Falle günstiger struktureller Rahmenbedingungen für einen Aufstieg in die Metal-Bundesliga hätte ausreichen müssen. Wie wir wissen, kam es anders, und Unicorn blieben eine Randnotiz des deutschen Metals - nahm ein Freund härterer Gitarrenmusik in den Neunzigern oder noch später diesen Bandnamen in den Mund, meinte er im Regelfall die schwedischen Progrocker um Dan Swanö, deren erstes Album allerdings erst 1995 erschien, also zu einem Zeitpunkt, als die deutschen Unicorn schon lange vergessen waren. Auch eine Wiederbelebung in den für traditionellen Metal wieder günstigen Endneunzigern gelang nicht: Carow und Henkelmann gründeten eine neue Band namens Living Daylight und spielten mit wechselnden Mitstreitern drei Alben ein, um diverses bisher unkonserviertes Material festzuhalten, aber im Jahr 2000 war auch diese Aktivitätsphase wieder beendet, und laut Booklet hat Holger Carow seine Gitarre mittlerweile völlig an den Nagel gehängt, was angesichts des hier deutlich zu vernehmenden Talents sowohl am Instrument selbst als auch als Songwriter definitiv schade ist. Aber vielleicht bekommt er durch den relativ rapiden Verkauf des vorliegenden Re-Releases von "The Legend Returns" doch nochmal Appetit ...
Was enthält nun diese CD? Zunächst sind da die vier Originalsongs der EP, die das Spektrum der Band bereits relativ umfassend deutlich machen: Der Opener "The Last Command" gestaltet sich noch relativ geradlinig, aber auch er läßt bereits erkennen, daß Unicorn relativ "unteutonisch" klangen und man sie bei einem Blindfoldtest wohl nicht zwingend als deutsche Band identifiziert hätte. Dann steigert sich die Komplexität über "Eyes On Fire" hin zum knapp siebenminütigen Quasi-Titeltrack "The Return Of The Legend", dessen speedige Passagen relativ deutlich hinüber zu Blind Guardian weisen, jedenfalls für den heutigen Hörer (man mache sich in puncto musikhistorischer Einschätzung klar, auf welcher Entwicklungsstufe sich Kürsch, Olbrich & Co. anno 1987 befanden!), und mit der Halbballade "Children Of Tomorrow" schließt ein weiterer Hochkaräter die EP ab. Für eine Aufnahme in die Karthago-Serie wären diese nicht mal 20 Minuten aber ein wenig zu kurz, und so finden sich danach noch zehn Bonustracks, von denen neun strenggenommen in diesen Fassungen nicht von Unicorn sind, sondern den drei CDs entstammen, die unter dem Living-Daylight-Banner entstanden sind - aber da die beiden Bandköpfe identisch sind und es außerdem zumindest partiell um Songmaterial geht, das bereits zu Unicorn-Zeiten entstanden war, ist diese Wahl natürlich legitim, zumal sich das Material stilistisch auch nur wenig vom alten Unicorn-Stil entfernt, wenngleich durchaus Unterschiede festzustellen sind. Der Eindruck, es würde etwas Power fehlen, kommt wahrscheinlich durch den etwas dünnen Heimstudio-Sound zustande, der vor allem den Baß recht stiefmütterlich behandelt. Dafür ist aber die Vielfalt der verarbeiteten Elemente noch einmal gestiegen: Living Daylight nutzten gelegentlich Keyboards zur Stimmungserzeugung, bauten Melodien mit leicht folkloristischem Touch ein, und im knapp siebenminütigen "Mary Beth" liefert sich eine qualitativ durchaus sehr achtbare Sängerin namens Silvia Voss ein Duett mit Henkelmann, das in puncto Dramatik wenig Wünsche übrigläßt und im Hinblick aufs Pathos durchaus in italometalkompatible Regionen vorstößt und dort keine schlechte Figur macht. Das oben bereits erwähnte "Fool Games" stammt vom "...Late Back"-Album, die Scheibe "The Pleasure And The Pain" stellt gleich fünf Beiträge für den Re-Release (nicht vier, wie das Booklet ausweist, denn das soeben erwähnte "Mary Beth" steht original auch noch auf besagtem Silberling), und "Lost Paradise" gibt noch den etwas aus der Reihe tanzenden, aber keineswegs schlechten Akustikrocker "Stay", das schon aufgrund des Titels auffallende, aber, wenn man den hier etwas zu weit in den Hintergrund gemischten Gesang richtig versteht, nicht in Deutsch betextete "Goetterdaemmerung" und "Cry Of The Jackal" (keine Coverversion der Holländer Jackal, sondern eine Eigenkomposition, eine Akustikballade nämlich, während das Stück der Holländer ein flottes metallisches Instrumental war) hinzu. Wer oben richtig mitgezählt hat, weiß, daß es noch einen zehnten Bonustrack gibt, einen unveröffentlichten und soundlich noch hörbaren, aber natürlich keine Bäume ausreißenden Demotrack mit dem Titel "The Bards Tale - Gelidia". Da horcht der Kundige natürlich auf, wenn er weiß, daß Blind Guardian aus der gleichen Stadt kamen und man 1987 auch mindestens ein Konzert gemeinsam spielte. Das Booklet nennt kein Entstehungsjahr dieser Demoaufnahme, aber wenn sie noch aus der damaligen Aktivitätsphase stammt (und der Titel keinen später hinzugefügten Joke darstellt), ist eine mögliche Quelle für einen Ideentransfer gefunden. Gleiches gilt auch für das Stilelement der folkloristisch angehauchten Melodien, das Blind Guardian damals durchaus bei Unicorn gehört haben könnten, sofern die betreffenden Living-Daylight-Songs schon damals so geklungen haben - und man kennt ja dann die Ausrichtung eines Albums wie "Somewhere Far Beyond". Damit soll Kürsch, Olbrich & Co. keine Abkupferei unterstellt, sondern lediglich eine mögliche Inspirationsquelle benannt werden, von der aufgrund der bisherigen geringen Verbreitung sowohl der Original-EP als auch der Living-Daylight-CDs kaum jemand gewußt haben dürfte. So liegen hier über 70 Minuten interessanter deutscher Metalgeschichte vor, und der Rezensent dürfte nicht der einzige sein, der nach dem Hören mit dem Wunsch zurückgeblieben ist, die Living-Daylight-CDs würden noch einmal in Gänze unter professionellen Soundbedingungen neu eingespielt und veröffentlicht. Bis dahin muß man sich mit den hier zu hörenden Fassungen bescheiden (ein Exemplar der Original-CDs aufzutreiben dürfte relativ aussichtslos sein), und wenn man Glück hat, bekommt man noch ein Exemplar von "The Legend Returns", bevor die abermals auf 500 Exemplare limitierte Pressung vergriffen ist. Letzten Informationen zufolge neigt sich der Bestand schon sehr dem Ende entgegen ... (Randbemerkung: Falls das etwas, ähem, merkwürdige, eine Art Einhorn-Krieger-Chimäre darstellende Coverartwork auch den Original-Titelschriftzug zeigt, hatte der Grafiker damals keine Ahnung von den zwei Arten des Fraktur-s, und wenn's nachgesetzt worden ist, hat sie der heutige nicht ...)
Kontakt: www.karthagorecords.de

Tracklist:
The Last Command
Eyes On Fire
The Return Of The Legend
Children Of Tomorrow
Fool Games
The Bards Tale - Gelidia
Seperation
Goodbye
Your Wildest Dreams
The Hunt
Mary Beth
Stay
Goetterdaemmerung
Cry Of The Jackal
 




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