www.Crossover-agm.de TORTURE SLAVE: Metal Fairytale
von rls

TORTURE SLAVE: Metal Fairytale   (Karthago Records)

Hinter einem Bandnamen wie Torture Slave würde man heute natürlich ungleich heftigere Klangzeugnisse erwarten als 1984, im Gründungsjahr dieses Quintetts. Torture Slave kamen aus dem Westteil Berlins und hatten mit diversen metallischen Kollegen ihrer Stadt eins gemeinsam: Sie konnten sich lokal einen durchaus guten Ruf erspielen, aber überregional wenig bis nichts reißen, wozu natürlich der Logistikfaktor sein Scherflein beitrug - immerhin war man vom antifaschistischen Schutzwall umgeben, mußte also für alle Aktivitäten im Bundesgebiet erstmal die DDR durchqueren (es sei denn, man nutzte das Flugzeug - aber welche kleine Metalband der Achtziger konnte sich das schon leisten?). So bildete ein Gig mit Victory in Bremen im Herbst 1986 schon das nichtberlinerische Highlight des drei Jahre währenden Schaffens von Torture Slave. Während dieser drei Jahre wurden insgesamt 10 Songs in vier verschiedenen Kontexten aufgenommen, und diese bilden nun zusammengefaßt den zweiten Teil der Demo-Classics-CD-Serie von Karthago Records.
Angeordnet sind sie allerdings nicht chronologisch, sondern bunt durcheinander, was es etwas schwierig macht, die musikalische Entwicklung des Quintetts nachzuvollziehen, die durchaus mit derjenigen diverser Kollegen aus dem damaligen Bundesgebiet parallel lief - als Exempel seien hier die Achtziger-Werke von Gravestone genannt: Man konzentrierte sich zunächst auf klassischen Metal (wobei Gravestone noch eine Siebziger-Vorgeschichte hatten, während Torture Slave eine Neugründung darstellten), der aber schrittweise "kommerzieller" wurde und letztlich in einer Umfirmierung mündete. Das erste Demo hieß wie die Band "Torture Slave" und bestand aus der gleichnamigen Bandhymne, "She's The Ghost" und das soundlich leider arg polterig-dröhnende "Master Of Hell", die alle drei typischen Mittachtziger-Metal boten, hier und da noch mit ein paar Effekten aufgepeppt, gut gespielt und von einem durchaus fähigen Vokalisten namens Michael Cloud eingesungen, der allerdings kein festes Bandmitglied war, sondern lediglich gasthalber aushalf. Durchaus gleichwertig war allerdings sein Nachfolger, der zugleich sein Vorgänger gewesen war: Eberhard "Ebo" Günther hatte 1984 den ersten Gig Torture Slaves mit bestritten, sich danach allerdings erstmal auf Lawless konzentriert, bevor er abermals bei Torture Slave einstieg und bis zum Ende der Bandaktivitäten unter diesem Namen dabeiblieb. Das nächste Demo "Seed Of Insanity" zeigte mit seinen vier Tracks schon einen gewissen Willen zur Veränderung, so im flotten "We're Gonna Rock You", dem außer einer künstlichen Liveatmosphäre Marke "ausverkauftes Großfestival" ein halbakustischer Mittelteil eingepflanzt worden ist, oder im Titeltrack, wo erstmals im größeren Stil die hohen, fast quäkig anmutenden, wenngleich noch nicht nervigen Backing Vocals eingesetzt werden (auf "Master Of Hell" gab es sie auch schon mal kurz), die man in ähnlicher Form dann auch gleich noch auf der B-Seite der Kassette in "Bad Girls" zu hören bekam, wobei dieser nach hinten hinaus etwas zu langatmig ausfasernde Song ein achtzigertypisches Gitarrenheldensolo enthält und schon "Seed Of Insanity" mit seinen Gitarrenharmonien ahnen lassen hat, daß Iron Maiden den Berlinern keine Unbekannten waren. Erster Track dieser B-Seite war allerdings die Ballade "Thoughts", mit Glockenschlägen eingeleitet und insgesamt ebenfalls als zeittypisch durchgehend - nach reichlich drei Minuten zieht dann das Tempo an, und es entspinnt sich abermals ein zweistimmiger Leadgitarrenpart, wie er seinerzeit zum guten Ton gehörte. Otger Jeske gefiel dieser Song damals nicht, wie seine Rezension im Iron Pages (die im Booklet neben Liner Notes, Lyrics und haufenweise alten Fotos abgedruckt ist) deutlich macht, und "Bad Girls" sagte ihm auch nicht zu - hier sei zuviel herumgefeilt worden, meinte er. Die Feilungsaktivitäten setzten sich allerdings in den finalen Tonzeugnissen fort: Das schon sehr US-Westküsten-lastige "Scream For Love" (Ratt lassen grüßen) wurde für einen Berlin-Metal-Sampler eingespielt, der aber nie realisiert wurde, und das Zwei-Track-Demo "Metal Fairytale" mischte im Titeltrack ein durchaus feistes Eröffnungsriff und das Grieg-Thema von "In der Halle des Bergkönigs" (man merke auf: ein Jahr vor Savatages "Hall Of The Mountain King"!) mit deutlich amerikanisierteren Klängen im Hauptteil, während "Shout" insgesamt noch etwas rauher daherkommt. Aber die Zeichen der Zeit standen auf Umpolung, ein Keyboarder stieß zur Band, der Sänger und der Drummer stiegen aus, und die neue Bandkonstellation machte als Hardrockformation unter dem Namen Marilynn weiter (so wie auch Gravestone letztlich in 48 Crash mündeten), die sich nach vier Jahren gleichfalls auflösten, aber mittlerweile wieder zusammengefunden und 2012 tatsächlich ihr Debütalbum veröffentlicht haben. Den Namen des Bassisten Michael Dobbertin (der 1986 übrigens in der gleichen Straße wohnte wie Lexikonautor Matthias Herr anno 1991, sogar im Nachbarhaus) kennt der Berlin-Metal-Experte von Metal Law, auch andere Mitglieder blieben musikalisch aktiv, und der nun vorliegende Nachlaß von Torture Slave bildet trotz der erwähnten Dischronologie einen interessanten Szeneeinblick in die Mittachtziger (auch optisch: die Fotos, die Fotos ...), den man sich trotz kleinerer soundlicher Mängel als Freund dieser Epoche bedenkenlos in die Sammlung stellen kann. Notiz am Rande: Zwei Tage vor Torture Slaves Bremer Gig anno 1986 hatten bereits andere Berliner in der gleichen Location, der Kesselhalle, gastiert - allerdings DDR-Bürger und als Headliner: Pankow ...
Kontakt: www.karthagorecords.de

Tracklist:
Torture Slave
Seed Of Insanity
Scream For Love
She's The Ghost
Shout
We're Gonna Rock You
Bad Girls
Thoughts
Master Of Hell
Metal Fairytale



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