www.Crossover-agm.de GRAVESTONE: Victim Of Chains
von rls

GRAVESTONE: Victim Of Chains   (Karthago Records)

Der Bandname Gravestone wäre eigentlich typisch für eine Metalband der 80er Jahre - aber Pustekuchen, denn Gravestone formierten sich bereits irgendwann in den Siebzigern und brachten mit "Doomsday" anno 1979 und "War" anno 1980 zwei Scheiben heraus, die in der metallischen Welt kaum große Beachtung fanden, so daß selbst bei eigentlich ausgewiesenen Kennern bisweilen die Meinung herrscht, "Victim Of Chains" von 1984 sei das Debüt der Band gewesen. Diese Wissenslücke kann man seit einiger Zeit schließen, da die beiden ersten Alben als CD wiederveröffentlicht worden sind - und man wird darauf nicht unbedingt Metal finden, sondern eher Seventies-Progrock. Wer nicht glaubt, davon eine komplette CD durchzuhalten, aber trotzdem mal schnuppern will, kann sich alternativ auch den nun vorliegenden Re-Release von "Victim Of Chains" zulegen, denn der fährt nach den neun regulären Songs, die nach knapp 35 Minuten schon durch die Zielgerade gehen, noch drei weitere Songs auf, die es zusammen auf nochmal 15 Minuten bringen. "War" dürfte dabei logischerweise der Titeltrack des Zweitwerkes sein (ob es sich um eine Alternativversion handelt oder um die reguläre Albumversion, kann ich nicht mit letzter Gewißheit sagen, da ich die beiden ersten Alben bisher auch nur aus einem Stapel Reviews kenne - vom Sound her ist aber eher ein Proberaummitschnitt o.ä. zu diagnostizieren, denn wenn das reguläre Album so geklungen hätte, dann wäre am Verstand des Produzenten zu zweifeln gewesen), "Hope" kommt in einer Liveversion (zu vermuten ist, daß das zugehörige Studiowerk ebenfalls auf einem der beiden ersten Alben zu finden ist), und "Flying" macht auch dem allerletzten Zweifler klar, wes Geistes Kind Gravestone in ihrer Frühphase waren, denn es handelt sich tatsächlich um ein Cover des UFO-Halbstünders aus deren Schwebephase, der hier allerdings spielzeittechnisch auf ein Viertel eingedampft wurde. Vinylfreaks haben diesen Track allerdings eventuell schon in der Sammlung stehen - er war der ebenfalls unlängst erschienenen LP-Neuedition von "Doomsday" beigefügt.
Vom zweiten zum dritten Album machten Gravestone allerdings eine ähnliche Entwicklung durch wie UFO: Sie wurden deutlich kerniger. Das neue Personal könnte daran nicht unschuldig gewesen sein, wenngleich der seinerzeit neu eingestiegene Gitarrist Klaus "Doc" Reinelt im Interview im Booklet angibt, daß er heute gerne Spock's Beard und ähnlichen Kram hört, also doch irgendwie 'n Proggie ist. Dafür kennt man den zweiten, ebenfalls neu hinzugekommenen Gitarristen eher aus geradlinigeren Metalacts - bzw. nicht eher, sondern vielmehr später: Mathias Dieth tauchte noch bei Sinner und U.D.O. auf. Der Sänger auf "Victim Of Chains" war auch neu - und doch wieder nicht: Berti Majdan hatte schon "Doomsday" eingesungen, war auf "War" dann aber durch Dietmar "Oli" Orlitta ersetzt worden. Nun stand er also wieder am Mikro und sollte neben Doc die einzige personelle Konstante der weiteren Bandexistenz bleiben. Im Opener "Fly Like An Eagle" offenbart er jedenfalls gleich mal eine extrem hohe, fast quäkige Stimme, die damals wie heute sicherlich einigen Leuten Nervenschmerzen bereitet(e) - "For A Girl", wie der Opener temposeitig ebenfalls fast am oberen Ende der damals erklommenen Skala siedelnd, beweist allerdings, daß er's auch eine Oktave tiefer kann. Selbiger Song ist auch beinahe der einzige, der mit ein paar überraschenden Wendungen noch so etwas wie progressive Einflüsse aufweist, wohingegen der Rest eher im straighten Teutonenmetal wurzelt, wie etwa das seiner titelgebenden Eigenschaft mehr als entsprechende "Rock And Roll Is Easy", wo man Drummer Dieter Behle (verwandt oder verschwägert mit Jochen "Wo ist" Behle???) vermutlich die Aufgabe gestellt hat, die Anschlagzahl und die Variabilität außerhalb des Schlußeffektes auf ein Minimallevel herunterzufahren - Aufgabe erfüllt, bleibt da nur zu sagen. "The Bells Of Notre Dame" wird durch ein Gewittersample sowie verrückte Gitarreneffekte eingeleitet - zeittypisch, denn heutzutage hätte jedwede Power Metal-Truppe die dunkle Atmosphäre an dieser Stelle mit 'nem Synthie erzeugt, dessen Einsatz 1984 aber noch als "Verrat am Heavy Metal" gegolten hätte (die Planstelle von Andy Müller auf den ersten beiden Alben wurde konsequenterweise nicht wieder besetzt). Nach einem beinahe yngwienieden, allerdings ohne klassisches Element auskommenden Gitarren-Solopart spurtet dann "Blind Rage" los, das Glockenlied folglich im Introstadium belassend, aber immer wieder kurzes Gitarrengepfriemel am Wegrand pflückend und zu einem bunten Strauß bindend. Dieses Songdoppel geht folglich auch als bester Stoff der ganzen Scheibe durch, während beispielsweise "Son Of The Freeway" den test of time nur bei solchen Hörern bestehen dürfte, die an neuzeitlicheren Bands allenfalls Pegazus in ihre Stereoanlage lassen. Zumindest am Soundgewand gibt es in den neun Songs nicht so viel zu meckern, während man den drei Bonüssen natürlich anhört, daß es kein eigentlich zur Veröffentlichung gedachtes Material war. Zumindest "War" und "Flying" dürften aus der Zeit mit Oli am Mikro stammen, denn wenn das Berti sein sollte, dann müßte der sich stimmlich innerhalb kurzer Zeit stark gewandelt haben. In "Flying" singt über einen großen Teil der Spielzeit von 7:14 min allerdings sowieso niemand, und komischerweise kann man weder in diesem Song noch in "War" irgendwo deutlich Keyboards raushören, obwohl die Truppe ja einen Keyboarder hatte. Keine Ahnung, wo der geblieben ist (zumindest in "Flying" hätte er ja reichlich Effekte einstreuen können, wenngleich Gravestone hier mit deutlich größerer Vielfalt arbeiten können als UFO in der Frühzeit, denn die hatten mit Mick Bolton ja nur einen Gitarristen, während auch die Siebziger- und Frühachtziger-Gravestone deren zwei beschäftigten). Zumindest in "Hope" ist der Keyboarder dann aber wieder da (beide Gitarren allerdings auch noch), und nachdem man da offensichtlich erstmal etwas Applaus reingefakt hat (der Openingapplaus klingt nach "Budokan ausverkauft", während im Intro allenfalls noch 10 Nasen mitklatschen), entwickelt sich hier ein rein instrumentaler und recht entspannter Seventiesrocker. Wie gesagt: Mit den regulären neun Songs haben die drei Bonüsse stilistisch wenig zu tun, sie verdeutlichen nur den Werdegang der Band, aber wer wie der Rezensent sowohl mit Seventies(prog)rock als auch mit Achtzigermetal was anfangen kann, der dürfte darin nicht nur kein Problem sehen, sondern das als interessante Kombination begreifen. Wer sich das auf dem Cover (diesmal gibt's das Originalcover, was bei Karthago ja nicht die Regel war) auch visualisierte Kettenopfer in den Schrank oder sonstwohin stellen will, kontakte Stefan Riermaier, Feichtetstraße 41, 82343 Possenhofen, riermaier@aol.com, www.karthagorecords.de

Tracklist:
Fly Like An Eagle
Death And Reality
Son Of The Freeway
So Sad
The Hour
For A Girl
Rock And Roll Is Easy
The Bells Of Notre Dame
Blind Rage
War
Flying
Hope (Live)
 




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