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Spock's Beard   09.10.2005   Freiburg, Cafè Atlantic
von CSB

Die "Gluttons For Punishment"-Tour ist schon die zweite Liverundreise der Ausnahmeproggies in diesem Jahr, nachdem man bereits im Frühjahr für das aktuelle Studioalbum "Octane" umfangreich durch die Clubs ackerte, die oben genannte Livescheibe aufnahm und als Promo derselben eben gleich noch mal loszog. Dass die letzten Touren so erfolgreich verliefen, war nicht zwingend so zu erwarten, denn nachdem vor knapp drei Jahren mit Neal Morse die überragende Lichtgestalt der Band und zugleich Gründer, Sänger, Hauptkomponist, Texter, Keyboarder, Gitarrist und was weiß ich noch alles seines Glaubens wegen von Bord ging, hat kaum einer noch einen Pfifferling mehr auf das Fortbestehen der Bärte gewettet.
Doch jetzt, nach einem guten ("Feel Euphoria") und einem überragenden Album ("Octane") ohne Morse gehören Spock's Beard dank der bisher zu wenig beachteten Klasse und dem Charisma der verbliebenen Mitglieder wieder zu den wichtigsten und stärksten Progbands dieses Planeten und so freute ich mich nach zigfacher Einfuhr von "Octane" auch wie ein Schneekönig auf den Gig im Freiburger Kultcafè Atlantic.
Wenngleich sich der verräucherte Schuppen trotz Kultfaktor als verhältnismäßig winzig herausstellte, das Gedränge entsprechend groß war und man einen freien Blick auf die kleine, von Ryo Okumotos Keyboard/Synthieturm und den Schlagzeugen von Neusänger D'Virgilio und dessen Vertreter Jimmy Ceagan total vollgestellte Bühne nur mit viel Kampf erhaschen konnte, kam beim Einmarsch der Bärte dank Okumotos Anfeuerungsversuchen schon mächtig Stimmung auf, die sich beim facettenreichen Epos "A Flash Before My Eyes" aber erst mal in andächtige Bewunderung verwandelte, denn es war von der ersten Sekunde an absolut faszinierend, wie perfekt diese fünf Herren auch ohne den ehemaligen Leitwolf Neal Morse musikalisch harmonierten. Ob Countrybombast ("Wouldn't Let It Go"), straighter Hard Rock ("Surfing Down The Avalanche"), balladeskes ("She Is Everything") oder verspielt smoothjazziges Material ("Of The Beauty Of It All"), dieses zeitlose Meisterwerk von "Octane" beinhaltet alles in komprimierter Form, was Spock's Beard auch schon früher auszeichnete, das ganze natürlich auf allerhöchstem musikalischem Niveau mit regelrecht überschäumender Spielfreude dargeboten, in druckvollem Sound und mit einem überraschend klar singenden Nick D'Virgilio, welcher nach Verklingen des letzten Bombastgewitters zu einer seiner vielen herrlich sympathischen, unverkrampften Ansagen ansetzte, dabei aber ständig von dämlichen Kommentaren seiner Bandkollegen, insbesondere von Mr. Okumoto unterbrochen wurde - angesichts der beengten Verhältnisse Wohnzimmeratmosphäre pur! Das folgende furiose "Strange World" zeigte dann eindrucksvoll, dass Spock's Beard auch mit den älteren Hits keinerlei Schwierigkeiten hatten, und zudem einen stimmlich ebenfalls einwandfreien Alan Morse, der zu späterer Stunde noch ein wundervolles Stück seines demnächst erscheinenden Soloalbums darbot und mit seinem technisch erstklassigen aber stets songdienlichen Stil unzweifelhaft klarmachte, dass er fraglos zu den stärksten Gitarristen der Szene gehört. Auch die Drumfraktion bekam natürlich ihr Solo im Mittelteil des Instrumentals "NWC", das sich nach etlichen gemeinsamen Kabinettstückchen schließlich in ein spektakuläres Duell wandelte, bei dem angesichts des überirdischen Niveaus beider Drummer aber kein Sieger ermittelt werden konnte. Die restlichen Bandmitglieder hatten inzwischen die Bühne verlassen und kehrten rechtzeitig zur Überleitung zum brillanten finalen Bombastteil des Uralthits "Go The Way You Go" zurück, mit Ausnahme von Ryo Okumoto, der kurz zuvor mit seinem umgehängten Keyboard durchs Publikum geritten war und erst sehr verspätet wieder erschien. Von Fans und D'Virgilio zur Rede gestellt, tischte er uns eine irrwitzige Story von einem nahe gelegenen "Movietheater" auf, was sich schließlich als Erotikschuppen herausstellte, so weit, so blöd, dem Unterhaltungswert waren seine Einlagen jedenfalls definitiv mehr als zuträglich ...
Auch die zweite Hälfte des Sets enthielt, wie sollte es anders sein, ausschließlich Hochklassiges - zunächst das wirklich fantastische Akustikgitarrenmedley von D'Virgilio und Morse, bestehend aus "Carry On" und "There Was A Time" inklusive einem kleinen Schlänker zu "The Doorway", den man für meinen Geschmack ruhig hätte ausbauen können; dem in voller Länge gespielten und von den meisten Anwesenden mitgesungenen "At The End Of The Day", in dem auch Wunderbasser Dave Meros noch sein - wie erwartet spektakuläres - Solo bekam. Als nicht minder genial erwies sich das erneut überlange "Harm's Way", ein weiterer Song aus der Feder von Neal Morse, welcher in der Vergangenheit eher ein Schattendasein im Backkatalog der Band geführt hatte, diesmal aber mit einer solchen Wucht und Energie dargeboten wurde, dass einem nicht nur wegen des chronischen Sauerstoffmangels im Atlantic fast schwindelig wurde.
Nach dem arschcoolen Rocker "As Long As We Ride" war aber erst mal Schluss, ohne "The Light" wollte aber noch niemand nach Hause gehen. Vorher kam man dank eines Zwischenrufers ("What About The Japanese Joke?" - wenn ich's richtig verstanden hab' ...) noch in den Genuss einer Okumotoeinlage, bei der dieser ein Pianostück auspackte und dazu jämmerlichst sang, hörte sich an wie Draculas Klagegesang und brachte dem durchgeknallten Keyboarder die meisten Lacher des Abends ein. Und schließlich endlich "The Light", der für mich stärkste Song der Beards, der den perfektesten Schlusspunkt eines sensationellen Konzerts setzte, den man sich vorstellen kann. Wahnsinn, was in dieser Göttergabe vom legendären gleichnamigen Debütalbum alles steckt: angefangen bei der ergreifenden Pianoeinleitung über bombastische Proggewitter, perfekt arrangierte Chorpassagen, schwebende Sphärensounds, den unglaublichen "Senior Valasco"-Part, bei dem Alan Morse und Okumoto locker eine komplette Flamencoband ersetzten und schließlich zur ergreifenden finalen Feststellung "This One Will Stands Up - In The Light".
Unzufriedene Gesichter waren auf dem Weg an die ersehnte Frischluft weit und breit nicht auszumachen und auch mir war nach zwei Stunden perfekter musikalischer Unterhaltung mehr als klar: Prädikat legendär!

Setlist (ohne Gewähr)
A Flash Before My Eyes
The Ballet Of The Impact
Wouldn't Let It Go
Surfing Down The Avalanche
She Is Everything
Climbing Up That Hill
Letting Go
Of The Beauty Of It All
Strange World
NWC
Drum Solo
Go The Way You Go (Finale)
Solotune Alan Morse
Akustikmedley: Carry On, The Doorway (angespielt), There Was A Time
Solo Okumoto
At The End Of The Day
Harm's Way
As Long As We Ride
The Light



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