www.Crossover-agm.de THUNDER: All I Want
von rls

THUNDER: All I Want   (Karthago Records)

Anno 1984 brachte die in Stuttgart beheimatete Musiker-Initiative Rock e.V. einen Sampler mit fünf regionalen Metalbands heraus, und kurioserweise trugen gleich drei davon einen Namen, den gleichzeitig oder später andere Formationen zu großer Popularität brachten. Aus den Stuttgarter Vengeance wurde im Gegensatz zu den gleichnamigen Holländern, die justament 1984 ihr selbstbetiteltes Debütalbum vorlegten, nichts, und die Stuttgarter Overkill wurden noch im gleichen Jahr von den New Yorkern überrundet, die mit dem Song "Death Rider" auf dem fünften Teile der damals noch prestigeträchtigen "Metal Massacre"-Samplerreihe vertreten waren und außerdem ihre legendäre selbstbetitelte 4-Track-Mini-LP herausbringen konnten. Dritte im Bunde waren Thunder, deren Schicksal sich in zweierlei Hinsicht von Overkill und Vengeance unterschied: Zum einen traten die unter diesem Namen weitreichend bekanntgewordenen Briten erst in den Endachtzigern in Erscheinung (Danny Bowes und Luke Morley werkelten 1984 noch mit Terraplane herum, ohne größere Erfolge einheimsen zu können), und zum anderen brachten es die Stuttgarter immerhin zu einer eigenen LP, die ihnen regional eine gewisse Popularität sicherte, aber trotz SPV-Vertriebs nicht als Sprungbrett für größere Karriereschritte dienen konnte, so daß die Band im Mai 1989 ihr letztes Konzert spielte, allerdings zehn Jahre später nochmals auf die Bretter stieg. Die Liveaktivitäten der Achtziger beschränkten sich im wesentlichen auf Stuttgart und Umgebung, wie einer Komplettauflistung der Gigs zu entnehmen ist, allerdings findet sich auch eine Ankündigung für einen Gig in Griechenland, und anno 1987 war die Band sogar für das musikalische Rahmenprogramm der Tour de France gebucht, als ebenjene in Stuttgart Station machte. 1985 gewannen Thunder außerdem das Landesrockfestival Baden-Württemberg und damit die Produktion von 300 Singles - was freilich aus jenem Gewinn wurde, darüber schweigt sich das Booklet der nun vorliegenden Wiederveröffentlichung von "All I Want" im Rahmen der "Heavy Metal Classics"-Serie des Karthago-Labels leider aus, und so bleibt es nur Spekulation, daß einige der fünf Thunder-Bonustracks dieses Re-Releases von ebenjener Single (die auch in der Encyclopedia Metallum nicht aufgeführt wird, im Gegensatz zu zwei Demos, von denen merkwürdigerweise auch das 1985, also nach dem Album erschienene mit zweimal Albummaterial bestückt gewesen sein soll) stammen könnten.
Besagte Wiederveröffentlichung beginnt zunächst mit den neun regulären Albumtracks in der originalen Reihenfolge, von denen sich der Opener "Eye Of Thunderstorm" (der anno 1985 mal in einer im Booklet abgebildeten polnischen Metal-Bestenliste landete) als strukturell außergewöhnlich erweist: Wolfgang Schorer singt hier relativ hoch und relativ klar, während er sich in den meisten anderen Songs in relativ rauhen mittleren Lagen aufhält, in "Heavy Metal" auch beides kombiniert, nämlich einen hohen Part im Intro und eher rauhe Lagen in den Strophen, während im Refrain noch hohe klare Backings hinzutreten, die gemäß Besetzungsliste wahrscheinlich von Gitarrist Alex Grohmann stammen, ein Mann übrigens, der sich seine musikalischen Sporen u.a. in der Band von Jürgen Zeltinger verdient hat (rührt daher die karnevaleske Tonfolge am Ende von "Beheaded"?). Das flotte "Heavy Metal" und der stampfende Titeltrack waren die beiden Thunder-Beiträge zum oben genannten Sampler und machen die beiden Eckpunkte des Stils des Quartetts deutlich - nur einmal bricht die Band aus, und zwar in "Turtle's Dyng", wo sie zunächst den Eindruck einer Ballade erwecken, allerdings letztlich so viele verschiedene Elemente aneinanderreihen, daß man fast geneigt wäre, das mit der Vokabel "progressiv" zu belegen (wohlgemerkt befinden wir uns im Jahr 1984, und da war etwa von Fates Warning gerade erst die Debüt-LP erschienen). Auch "Stop - Cry Out" weist mit dem Baßsolo von Ali Schmidt eine eher ungewöhnliche Zutat auf, während sich das Material ansonsten in eher typischen Bahnen irgendwo zwischen AC/DC, Judas Priest und Accept bewegt, wie Labelchef Stefan Riermaier in seinen Liner Notes treffend feststellt. Hinzu tritt ein ganz leichter Rock'n'Roll-Einfluß, der sich von den AC/DC-Anklängen deutlich unterscheiden läßt und etwa im Intro von "The Raven" oder im Albumcloser "The City Geek" durchscheint bzw. letzteren Song so deutlich prägt, daß man das Gefühl hat, einer etwas melodischeren und metallischeren Version von Motörhead zu lauschen - zumindest außerhalb des Hauptsolos, denn da sind wir dann doch wieder typisch im Achtziger-Metal, hier allerdings an die Livesituation mit nur einem Gitarristen angepaßt und Alex und Ali fleißig solieren lassend, wie überhaupt Alex der Haupttrumpf Thunders gewesen zu sein scheint und mit seiner starken Leadarbeit auch den einen oder anderen durchschnittlicheren Song noch aufwertet, während andererseits Wolfgangs markante Stimme als Identifikationsmittel dienen kann. Daß der Mann zeitweise aussah wie ein Doppelgänger von Klaus Lage, wie das bilderreiche Booklet verrät, dürfte Zufall gewesen sein. Vom Schneller-höher-Wettbewerb hielten sich Thunder fern, wenngleich auch sie überwiegend relativ flott unterwegs waren (und wir müssen uns nochmal vergewissern, daß wir uns im Jahr 1984 befinden, als außer Accept und Running Wild die ganze deutsche Speed-Elite noch im Keller probte), und sie schafften es zudem, trotz bewußten Einsatzes diverser Klischees nicht bis zum Erbrechen auf diesen herumzureiten, so daß "All I Want" ein durchaus erfreuliches Zeugnis des frühen deutschen Metals darstellt und allein schon aus diesem Grund eine Wiederentdeckung lohnt.
Als weiterer Anreiz enthält der Re-Release noch zehn Bonustracks und bringt es damit auf knapp 76 Minuten Spielzeit. Die ersten fünf Tracks stammen dabei von Thunder selbst, können herkunftsseitig allerdings wie bereits erwähnt nicht eindeutig zugeordnet werden. Stilistisch gibt es keine großen Abweichungen zu vermelden, qualitativ sind einige Schwankungen zu verzeichnen - so plätschert "Man Of The Crowd" eher harmlos daher, während "Dirty Love" schon eher zu überzeugen weiß und das flotte "Dark Horse" noch stärker wäre, hätte der Produzent Wolfgangs Stimme hier nicht so weit in den Hintergrund gemischt und zugleich mit einem riesigen Raumeffekt versehen, was recht seltsam anmutet (und auch die zwischenzeitliche Quiekeinlage Marke King Diamond ein wenig ihrer Wirkung beraubt). "Innocence" überrascht mit diversen ungewöhnlichen Rhythmuswechseln, und auch "Breakout" macht Laune, in diesem Fall wieder mit den Rock'n'Roll-Elementen, die zwar nicht so richtig in das Bild einer vorwärtsstrebenden Metalband der Mittachtziger paßten, aber bei zeitlos-übergreifender Betrachtung zweifellos als Bereicherung zu werten sind, zumal Wolfgang hier noch einige Heuler einwirft, die man in ähnlicher Form auch von David Coverdale kennt und deren Unterhaltungswert nicht gerade gering einzuschätzen ist.
Nach dem Ende von Thunder sang Wolfgang u.a. bei Heavy Metal Megasauff, bei denen es wohl besser war, daß sie nicht über Demostadium hinausgekommen sind, und bei Fandango, mit denen er im Bandnamenrennen zwar einer Truppe um den Deep-Purple-Urbassisten Nick Simper unterlegen war, aber die waren schon in den Endsiebzigern aktiv und sind längst auf dem Bandfriedhof gelandet. Aktuell singt er bei einer Truppe namens Rolling Bones, und von denen stammen die anderen fünf Bonustracks. Klammert man den Fakt aus, daß die Rock'n'Roll-Elemente noch ein klein wenig mehr Raum einnehmen und der Speed weitgehend verschwunden ist, muten Rolling Bones wie eine Fortsetzung Thunders mit heutigen Produktionsmöglichkeiten (viel Druck, fetter Gitarrensound und vernünftiges, "echt" klingendes Schlagzeug auch als eigenproduzierende Band mit überschaubarem Kontostand) an. Da ist etwa das Intro von "Rockin' To The Bones" von AC/DC praktisch nicht zu unterscheiden, und auch der Rest des Songs atmet instrumentell den Spirit der Aussies, wobei Wolfgangs Stimme trotzdem für eindeutige Unterscheidbarkeit sorgt. Nur das Songende mutet merkwürdig an - ob der "abgeschnittene" Eindruck so geplant war? "Metal Hammer" gerät zum schweren Stampfer mit Hammergeräuscheinsampelungen und wäre instrumentell auch bei Zed Yago oder selbst Manowar nicht aus dem Rahmen gefallen, auch "R&R Doctor" bietet massiven Midtempo-Metal, "Kickin' Ass" erinnert wieder an AC/DC, und nur "It's Your Life" baut noch ein paar Modern-Metal-Elemente ein und fällt ein bißchen aus dem bisher konsequent durchgehaltenen Traditionsmetalgestus heraus. Wen das stört, der programmiert seinen CD-Player halt so, daß er mit Track 18 zu spielen aufhört, alle anderen sehen es als Ergänzung, und der Song selber ist ja auch keineswegs schlecht, nur halt hier ungewöhnlich. Damit endet ein interessanter Re-Release, der wieder 500 Sammlungslücken schließen kann und für Freunde des frühen deutschen Metal vermutlich essentiell ist.
Kontakt: www.karthagorecords.de

Tracklist:
Eye Of Thunderstorm
The Raven
All I Want
Stop - Cry Out
Turtle's Dying
Beheaded
Heavy Metal
Listen To Heavy Metal Thunder
The City Geek
Man Of The Crowd
Dirty Love
Dark Horse
Innocence
Breakout
Metal Hammer
Rockin' To The Bones
R&R Doctor
Kickin' Ass
It's Your Life
 




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