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TALON: Neutralized
von rls

TALON: Neutralized   (TopX Music)

Das hier sind nicht die bereits beim CrossOver rezensierten kalifornischen Talon, sondern die schon deutlich früher aktiv gewesenen deutschen bzw., um genau zu sein, fränkischen. Von denen hat der Rezensent den Zweitling "Don't Look Back" schon seit urewigen Zeiten im Vinylschrank stehen, aber auch schon lange nicht mehr gehört, während ihm das Debüt und der Drittling bisher unbekannt waren. Zumindest in bezug auf das Debütalbum "Neutralized" kann diese Lücke nunmehr mit dem vorliegenden Re-Release geschlossen werden. Selbige Scheibe erschien 1984 und paßte prima in die aufstrebende deutsche Metalszene, zumal es das Quartett fertigbrachte, neben "typisch deutschen" Midtemponummern auch das schnelle Spektrum nicht zu vernachlässigen. Gleich die ersten drei Songs stellen das Spektrum prototypisch vor: Dem gemäßigten Midtempo-Opener "Hatred Grows Slowly" folgen der enorm schnelle Titeltrack und das im gehobenen Midtempo zupackende "Victims Of Suicide". Erstgenannter Song wurde zudem als Single ausgekoppelt und auf der B-Seite mit "Time Could Not Heal" ergänzt, einer Halbballade, die auch auf der LP steht und dort die A-Seite abschließt, womit wir den letzten Prototypen für das Talon-Schaffen zu Debützeiten genannt hätten. Die Accept-Anleihen, die auf "Don't Look Back" etwas stärker in den Vordergrund traten, sind auf "Neutralized" noch weit undeutlicher ausgeprägt, und auch den "typisch teutonischen" Touch findet man auf diesem Album kaum. Talon standen spielkulturell schon zu Debützeiten sehr weit oben, obwohl die Mitglieder alle noch blutjung waren, und Chefdenker/Alleinkomponist Uwe Hoffmann, der zudem für den Gesang und eine der Gitarren zuständig war, hatte einen durchaus elegant zu nennenden Kompositionsstil und hob sich auch stimmlich etwas von diversen Kollegen ab - am ehesten ähnelt er einem etwas tiefergelegten Berti Majdan (Gravestone). Interessanterweise waren Talon so etwas wie eine Talenteschmiede, denn zahlreiche Mitglieder blieben der deutschen Metalszene teilweise langjährig erhalten: Gitarrist Henny Wolter und Bassist Ole Hempelmann etwa, die es mit Thunderhead zu einiger Popularität brachten, Drummer Tommy Resch, der später bei Sinner auftauchte, Gitarrist Robby Böbel, der Frontline und Evidence One an den Start brachte, oder schließlich auch Hoffmann selbst, der nach dem Ende von Talon unter dem Pseudonym "Schmuddel" mit Marcel "Schmier" Schirmer und Jörg Michael Headhunter gründete. Auf dem vorliegenden Debütalbum spielte von all den Genannten aber nur Hoffmann, ergänzt um Steve Hohenberger an der zweiten Gitarre, Andy Hammon (der übrigens einen interessanten Hauptberuf hatte: Klavierbauer) am Baß und Ernst "Evert" Fratermann an den Drums, der wiederum kurz nach den Aufnahmen von Hubert "H. Buddha" Wattenbach ersetzt wurde, welcher somit auf den Mitgliederfotos auftaucht und kurioserweise auch der Texter für alle zehn Songs des "Neutralized"-Albums war. Interessanterweise ist die B-Seite im Durchschnitt nochmal ein gutes Stück schneller ausgefallen als die A-Seite, was im Metal des Jahres 1984 als Qualitätsmerkmal bereits ausreichte (auch wenn aus den USA mit Metallica und Slayer längst unerreichbare neue Vorreiter herübergeschwappt waren), und somit hätten Talon bei entsprechender struktureller Unterstützung durchaus das Zeug zu einem größeren Status gehabt. Von Bellaphon, die "Neutralized" veröffentlichten, wechselten sie für "Never Look Back" und "Vicious Games" zu den strukturstärkeren Steamhammer, orientierten sich allerdings auch an neuen, kommerzielleren Vorbildern (die späteren Bandfotos sprechen Bände) und wurden damit für viele der Altfans ungenießbar. "Neutralized" allerdings ist nicht nur als metallisches Zeitdokument erwerbungswürdig, sondern macht auch heute noch etlichen Hörspaß, wenngleich das Album, das interessanterweise mit einer dem Intro der ersten Black-Sabbath-Scheibe ähnelnden Geräuschkulisse endet, sicher kein alles überstrahlendes Highlight darstellt. Der Re-Release bietet mit "Sowing The Dragon's Seed" noch einen 2013 aufgenommenen Bonustrack (mit Mike Müller ist wieder mal ein anderer Drummer am Start), der mit seinem flotten Gestus stilistisch perfekt zum Rest des Albums paßt, auch wenn er einen Tick tiefenlastiger produziert ist und man Hoffmanns ebenfalls "tiefergelegter" Stimme die seit "Neutralized" vergangenen knapp 30 Jahre durchaus anhört, wenn er dann doch mal in die Höhe geht. Spätestens beim schönen doppelstimmigen Hauptsolo ist das aber wieder vergessen, und man freut sich über diese Zugabe, die den Re-Release (der im Booklet die zehn Texte des regulären Albums sowie eine Doppelseite mit historischen Fotos und Dokumenten enthält) auf 41 Minuten Spielzeit bringt und perfekt abrundet. Sollte bei gutsortierten Mailordern wie www.karthagorecords.de auftreibbar sein.
Kontakt: www.topxmusic.de, www.bellaphon.de

Tracklist:
Hatred Grows Slowly
Neutralized
Victims Of Suicide
Backlash
Time Could Not Heal
Overlords Supreme
To The Bitter Dregs
Hotter Than A 1000 Suns
Preacher Of Evil
Gale Warnings
Sowing The Dragon's Seed



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