www.Crossover-agm.de RIZON: Masquerade
von rls

RIZON: Masquerade   (Karthago Records)

Die Schweizer Blumenliebhaber mit ihrem nächsten Streich: Hatte "Sudden Life", das Vorgängeralbum, auf dem Cover noch eine Blüte von Viola wittrockiana "Firnengold", also ein gelbes Stiefmütterchen der Sortengruppe Schweizer Riesen, gezeigt, so hält die maskierte Gestalt, hinter der sich, wie man auf der Innenseite der Inlaycard unter dem karthago-untypisch transparenten Tray feststellt, der Tod verbirgt, diesmal eine Blüte von Viola wittrockiana "Alpensee", also auch einer Schweizer-Riesen-Sorte, aber diesmal einer blauen, in der Hand. Könnte zum Konzept werden - Schweizer Riesen gibt es beispielsweise auch in Dunkelrot (Sorte "Abendglut"), also wäre fürs nächste Album durchaus noch eine neue Farbe denkbar, da auf dem Debütalbumcover "Evolution" noch kein Stiefmütterchen zu sehen gewesen war ... Interessanterweise führt das morbide wirkende Cover aber keineswegs dazu, daß Rizon den Düstertouch in ihren Kompositionen weiter ausgebaut hätten - ganz im Gegenteil: Sie rücken in den 13 Songs auf "Masquerade" noch ein gutes Stück weiter in Richtung traditionellen Melodic Rocks bzw. Melodic Metals und schielen nur selten noch gen Finnland, um die dortige Melancholie in ihre Kompositionen einfließen zu lassen, wie sie das auf "Sudden Life" immer mal getan hatten - und das, obwohl sogar Nino Laurenne (Thunderstone, Ex-Antidote) im Sonic-Pump-Studio in Helsinki den Mix der Scheibe erledigt hat. Statt dessen lugen die Schweden Tad Morose zu "Sender Of Thoughts"-Zeiten nun etwas öfter über die Berge, etwa gleich im Opener "High Flyer", während das flotte "Sign From Eternity" an zweiter Position auch im Repertoire der Briten Ten eine glänzende Figur abgegeben hätte und "Out Of Nowhere", mit siebeneinhalb Minuten der längste Song der Scheibe, nicht nur im Intro (aber dort besonders stark) an Stratovarius zu "Dreamspace"-/"Fourth Dimension"-Zeiten erinnert. Mit ihrer vokalen Doppelspitze haben Rizon allerdings immer noch einen Originalitätsfaktor an Bord, und das wissen sie offenbar auch - nach dem Ausstieg von Franziska Germann wurde die siebente Planstelle nicht etwa eingespart, sondern mit Seraina Telli neu besetzt (das Booklet, das übrigens die Namen der aktuellen Bandmitglieder verschweigt und nur in den Dankenslisten die Vornamen anführt, nennt noch Anja Telli, möglicherweise also eine Verwandte Serainas, als Gastsängerin). Und der Neuzugang rechtfertigt das Vertrauen mit einer starken Leistung, die sich hinter den männlichen Vocals von Matthias Götz nicht zu verstecken braucht, sondern selbstbewußt ihren Platz einnimmt, sowohl in den Duettpassagen als auch in solistischen Einsätzen. Aktuell gehört als weiterer Neuzugang Bassist Timo Preller zur Besetzung, sein Vorgänger Jim Dodd hat "Masquerade" aber noch mit eingespielt. Die 72 Minuten, aufgeteilt auf 13 Songs, sind songwriterisch nicht alle neu: "El Dios", mit 4:40 Minuten der zweitkürzeste Song, nur noch unterboten von der schönen Halbballade "Tears Of The Sun", die gerne viel länger hätte dauern können, stand bereits als Bonustrack auf dem "Evolution"-Debüt und kommt hier als Neueinspielung zu Ehren, wobei er sich trotz der hier ungewöhnlicherweise für die Vocals verwendeten spanischen Sprache (nicht unbedingt die naheliegendste Wahl für eine Schweizer Band, bei der man eher Französisch, Italienisch oder gar Rätoromanisch erwarten würde) und der zusätzlichen perkussiven Elemente bestens ins Ensemble der anderen zwölf einfügt. Die sind im Durchschnitt selbst für Genreverhältnisse nicht gerade kurz - nur drei Songs erreichen die Fünfminutenmarke nicht -, was wiederum mit Ten oder Tad Morose korrespondiert, wobei auch Rizon es verstehen, die Songs über ihre ganze Spielzeit hin stets so spannend zu gestalten, daß der Hörer nicht irgendwann in Morpheus' Arme zu gleiten droht, wenngleich es natürlich immer mal wieder ein paar Elemente gibt, die nicht jedem Hörer gleichermaßen gut reinlaufen werden. Beispielsweise enthält "Rise On" ein paar seltsame Rhythmusverschiebungen, über die mancher beim Hören sicherlich stolpern wird, während der Genrefreund die kleinen orientalischen Anflüge in "Same Same" sicherlich eher mit einem zustimmenden Kopfnicken in Richtung der Urmutter orientalisch anmutender Melodiebögen im Hardrock, also Rainbows "Gates Of Babylon", quittieren wird. Überzeugen können Rizon jedenfalls mit griffigen Refrains, die dank häufiger Zweistimmigkeit bisweilen eine Art appellierenden Charakter annehmen, was dem Material bestens steht und auch dem Hörer die Identifikation mit dem Werk erleichtert. Neben den meisten angedüsterten Elementen sind auf "Masquerade" übrigens auch die Merkwürdigkeiten in der Abmischung der Rhythmusgitarre in Solopassagen der Leadgitarre verschwunden, während Keyboarder Marco nach wie vor oft und gern tief im Achtziger-Keyboardsound-Arsenal gräbt und dort reizvolle Entdeckungen macht, sich aber durchaus auch mal auf ganz simples Piano beschränken kann, wenn es dem Song dienlich ist. Auch eine weitere Tradition von "Sudden Life" haben Rizon auf "Masquerade" beibehalten: Im Booklet stehen neben den Texten noch kleine, leider bisweilen kontrastbedingt schwer lesbare Sinnsprüche von Dichtern wie Emily Dickinson, Edgar Allan Poe und einigen weiteren. Und apropos Texte: Da befindet sich doch an 13. Position ein Song namens "Bells", in dem sich der Textdichter mit sogar recht aggressivem Unterton beschwert, daß ihn die Kirchenglocken regelmäßig am Sonntagvormittag aus dem Schlaf reißen, zu dem er gerade erst gefunden hat, weil er wieder die ganze Nacht durchgemacht hat. Da kein Augenzwinkern im Text feststellbar ist, muß davon ausgegangen werden, daß Rizon das ernst meinen, was die Sympathie für sie etwas senken würde, weil man sie dann auf eine Stufe mit solchen unsympathischen Menschen stellen müßte, die sich auf dem Dorf über krähende Hähne beschweren und darüber aufwendigste Gerichtsprozesse führen. Wäre schade, wenn sie sich als solche unangenehme Zeitgenossen entpuppen - ihre musikalische Intelligenz spricht eigentlich ein anderes Wort. Wer an "Sudden Life" nun nicht gerade die düsteren Momente schätzte, kann "Masquerade" jedenfalls bedenkenlos seiner Sammlung zuschanzen.
Kontakt: www.rizon.ch, www.karthagorecords.de

Tracklist:
High Flyer
Sign From Eternity
Masquerade
Tears Of The Sun
Remotion
Same Same
Rise On
El Dios
Out Of Nowhere
Cold Winter's Night
Time After Time
Lost In Silence
Bells
 




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