www.Crossover-agm.de RIOT: Rock City
von rls

RIOT: Rock City   (Metal Blade Records)

Daß Riot dereinst zu den größten Pechvögeln der Metalszene gerechnet werden und auf der Skala der Bands, bei denen großes Können und kleiner Erfolg besonders weit auseinanderklafften, einen der Spitzenplätze belegen würden, wie im Review zum 2014er Album "Unleash The Fire" beschrieben, konnte anno 1977 natürlich noch niemand ahnen. In jenem Jahr nämlich erschien das Riot-Debütalbum "Rock City", und auf jenem stand nach dem siebzigerrocktypischen Opener "Desperation" an zweiter Position eine Nummer namens "Warrior", die Mark Reale und seinen Spießgesellen eigentlich einen immerwährenden Eintrag in den Musiklexika hätte sichern müssen: Wir erleben hier hautnah die Geburt eines Stils, den man später als melodischen Speed Metal bezeichnen sollte. Drummer Peter Bitelli legt einen schnellen, aber lockeren Grundbeat hin, Basser Jimmy Iommi paßt sich dem an, die Gitarristen Mark Reale und L.A. Kouvaris überzeugen mit griffigen Riffs wie mit flitzefingerigen, aber hochmelodischen Soli, und Sänger Guy Speranza krönt das Ganze mit seiner relativ hohen, kraftvollen und treffsicheren Stimme. Klar, von Deep Purple oder Rainbow kannte man noch geringfügig schnellere und kernigere Songs (justament im gleichen Jahr erschien "Kill The King" als Studiofassung), aber die Gitarre-Keyboard-Kombination ließ diese Bands fest in den Siebzigern wurzeln, während Riot die Doppelgitarrenstruktur von Wishbone Ash oder Thin Lizzy in einer zukunftsweisenden Manier interpretierten und dieses Stilelement quasi in das, was man später als Heavy Metal bezeichnen sollte, übersetzten. Zwar blieb "Warrior" der einzige konsequent in diese Richtung gehende unter den neun Songs des Debütalbums "Rock City", aber die Bridge in "Overdrive" etwa schlägt einen weiteren Pflock in das neue Territorium ein und das furiose Hauptsolo noch einen, während der Rest des Songs noch in der Siebziger-Gegenwart verhaftet bleibt. Riot zerren in den 33 Minuten an den Ketten, aber sie zu sprengen, das gelang ihnen dann erst später, und so erleben wir hier eine Art prozeßhaftes Staunen, eine Suche, deren Ziel wir heute natürlich kennen, das 1977 aber noch weithin im Unbekannten lag. Man vergegenwärtige sich nur mal das musikalische Umfeld desselbigen Jahres! Von der NWoBHM war noch nichts in Sicht, Motörhead hatten sich gerade erst gegründet, in den USA dominierten Acts wie Kiss oder Sammy Hagar neben den diversen Südstaatenrockern (die ihre Gitarrenarmeen wiederum auf etwas andere Weise einsetzten) die Szenerie, und die einzige Band, die sich mit einer ähnlichen und letztlich noch etwas stärker ausgeprägten Konsequenz wie Riot der Schärfung eines metallischen Profils widmete, waren Judas Priest, die es 1977 bereits auf drei Alben gebracht hatten und auch in den Folgejahren mit einem höheren Plattenausstoß als Riot ihre Vorreiterrolle festigten. Gut möglich, daß die Halford-Truppe zu den Vorbildern Mark Reales zählte, als er anno 1976 in New York Riot ins Leben rief, auch wenn die Parallelen in der Nachbetrachtung vier Dekaden später strukturell deutlicher erscheinen, als sie rein aus musikalischen Gründen eigentlich sind.
Alle, die Riot aus irgendwelchen Gründen bisher verpaßt haben, bekommen nun die Gelegenheit, das Versäumte nachzuholen: Metal Blade legen so gut wie alle Riot-Alben in mehreren Schüben neu auf, im Pappschuber mit Posterbooklet, aber ohne Bonustracks, so daß der Besitzer der Originale nicht ein weiteres Mal zum Zugreifen gezwungen wird, sondern sich auch genüßlich vor seine Sammlung zurückziehen kann und nur eventuelle Lücken noch zu schließen geneigt sein wird. Das Debüt ist dabei als Einstieg für drei Personengruppen zu empfehlen: erstens für die Siebziger-Rock-Freunde (denn es ist diejenige der Riot-Scheiben, die am stärksten nach ebenjener Epoche klingt), zweitens für die Chronologiker (die zwanghaft mit dem Debütalbum anfangen, wenn sie eine Band sammeln) und drittens für alle, die der eingangs genannten musikhistorischen Entwicklung nachspüren wollen. Wer allerdings Riot von späteren Werken her kennt, sollte erstmal etwas vorsichtiger reinhören, ob er mit dieser Frühfassung zurechtkommt, denn obwohl die songwriterische Klasse Mark Reales schon hier deutlich erkennbar ist und man auch auf späteren Riot-Alben bisweilen noch Spuren eines Rückgriffs auf Siebziger-Rock-Elemente fand, so dominiert dieser Stil hier doch noch deutlich und weicht vom "gewohnten" Riot-Sound ab. Warum das so ist, wurde bereits erklärt, und ein musikhistorisch wertvolles Dokument, das man noch dazu ob seiner musikalischen Qualitäten auch Jahrzehnte später bedenkenlos in den Player werfen kann, ist "Rock City" allemal. Freilich begründet die Scheibe auch die Riot-Tradition eher mäßiger Coverartworks, so daß man sich von der Optik nicht abschrecken lassen darf.
Kontakt: www.areyoureadytoriot.com, www.metalblade.de

Tracklist:
Desperation
Warrior
Rock City
Overdrive
Angel
Tokyo Rose
Heart Of Fire
Gypsy Queen
This Is What I Get
 




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