www.Crossover-agm.de RAINBOW: Live In Munich 1977 (CD)
von rls

RAINBOW: Live In Munich 1977 (CD)   (Eagle Records)

Rainbow spielten in der Musiksozialisation des Rezensenten eine nicht unmaßgebliche Rolle. Natürlich nicht aufgrund von eigenen Liveerlebnissen - dazu ist er mit seinem Geburtsjahr 1976 ganz einfach zu jung und wuchs außerdem auch auf der falschen Seite des Antifaschistischen Schutzwalls auf. Aber nachdem sein Interesse zunächst hauptsächlich dem Achtziger-Metal gegolten hatte, zeichnete ein älterer Cousin dafür verantwortlich, ihm auch den Siebziger-Hardrock nahezubringen, und da stand neben Led Zeppelin und Black Sabbath (sowie in zweiter Reihe noch Deep Purple, Whitesnake, Uriah Heep und später Wishbone Ash) eine Band ganz vorn: Ritchie Blackmore's Rainbow, späterhin nur noch Rainbow genannt. Drei Alben standen in der Sammlung des besagten Cousins, nämlich die Studiowerke "Rising" (1976) und "Long Live Rock'n'Roll" (1977) sowie das Doppel-Live-Album "On Stage" (mitgeschnitten 1976, veröffentlicht 1977). Ersteres und letzteres kopierte sich der heutige Rezensent damals auf Kassette und hörte sie fortan rauf und runter, während er "Long Live Rock'n'Roll" preiswert in einem Second-Hand-Laden als LP entdeckte, diese mitnahm und ebenfalls regelmäßig auf seinem Plattenteller rotieren ließ. Daß er mit diesen drei Werken die Speerspitze des Rainbow-Schaffens kannte und liebte, wurde ihm erst später bewußt, als er sich auch noch das selbstbetitelte Debütalbum, "Down To Earth" als erstes Album nach Ronnie James Dios Demission sowie einige Zeugnisse des Spätwerkes zulegte - allesamt zwar durchaus gute Alben, aber nicht mit der umwerfenden Attitüde dieser drei genannten Einstiegswerke. Klar, daß man da hellhörig wird, wenn Livematerial aus besagter Epoche 1976/77 zur Veröffentlichung ansteht: "Live In Germany 1976" hieß bereits vor Jahren ein Doppelalbum, das wie "On Stage" auf der Tour zu "Rising" mitgeschnitten worden war, allerdings diverse Songs ungekürzt enthielt und zudem mit "Stargazer" aufwartete, das auf "On Stage" nicht berücksichtigt worden war. Die Tour zu "Long Live Rock'n'Roll" wiederum wurde gleichfalls mit etlichen Livemitschnitten aus diversen deutschen Städten auf einer ganzen CD-Serie dokumentiert, und von denen liegt nun "Live In Munich 1977" als Wiederveröffentlichung und parallel als DVD vor. Zu letztgenannter hat sich Stefan an anderer Stelle bereits geäußert, bezüglich der Doppel-CD ist zunächst festzuhalten, daß die Musik der Erstveröffentlichung gleicht, so daß Besitzer derselben also nicht zwingend ein zweites Mal zugreifen müssen, nur weil vielleicht das Booklet anders gestaltet ist.
Muß man nun aber zugreifen, wenn man "On Stage" bzw. "Live In Germany 1976" schon besitzt? Diese Frage ist wiederum uneingeschränkt zu bejahen, wenngleich sich die Setlist erstaunlicherweise nur in einem einzigen Punkt von "Live In Germany 1976" unterscheidet und dieser Punkt auch noch dazu führt, daß ausgerechnet das grandiose "Stargazer" 1977 nicht gespielt worden ist. Aber sein Ersatz ist mit dem Titeltrack des "Long Live Rock'n'Roll"-Albums zumindest auch nicht von schlechten Eltern. "Kill The King" war bereits 1976 als Touropener gespielt worden (und das, obwohl es damals noch nicht mal als Studiofassung veröffentlicht worden war!) und stellt im 1977er Set den zweiten Beitrag des neuen Albums - dabei bleibt es allerdings erstaunlicherweise auch (wobei selbige Scheibe zumindest in Deutschland zu selbigem Zeitpunkt allerdings noch gar nicht veröffentlicht worden war, was die geringe Zahl ihrer Setbeiträge zumindest ansatzweise verständlich macht), und "Rising" stellt neben dem wie schon 1976 in den Mittelteil von "Man On The Silver Mountain" eingeflochtenen Part von "Starstruck" gar nur die Zugabe "Do You Close Your Eyes", einen guten, aber keineswegs den besten Song dieser Scheibe. Dagegen gibt es neben dem Deep-Purple-Cover "Mistreated", das Dio so sehr zu seinem eigenen Song machte, daß er es auch mit seiner Soloband regelmäßig spielte, obwohl keines ihrer Mitglieder an der Komposition beteiligt gewesen war, gleich vier Songs vom Debütalbum. Wir erinnern uns: ein gutes, aber nicht weltbewegendes Werk. Was diese begnadete Band allerdings live aus den Vorlagen machte, das konnte man bereits auf den früheren Livezeugnissen in eindrucksvoller Weise sehen, und das kann man auf "Live In Munich 1977" natürlich auch. Da sind die Songs drei- oder viermal so lang wie die Studiofassungen, da wird soliert und improvisiert, da sitzt mit Cozy Powell auch ein Könner am Schlagzeug, der den nicht schlechten, aber unauffällig agierenden Debütschlagzeuger Gary Driscoll locker vergessen macht (selbst wenn, wie Simon Robinson in den Liner Notes schreibt, selbst seine Kondition 1976 nicht ausgereicht haben soll, um auf der Amerikatour eine gigantische Kombination aus "Stargazer" und "A Light In The Black" zu spielen, so daß letzteres wieder gestrichen wurde - verzweifelte Frage an die Bootlegger: Hat jemand diese Doppelfassung mal mitgeschnitten?) und der sein Drumsolo in "Still I'm Sad" von Orchestersamples unterlegen läßt, lange bevor Mike Terrana auf die gleiche Idee kam, da kommen Themen aus der ganzen Musikgeschichte als Einflechtungen vor, wobei es Beethoven Blackmore offenbar besonders angetan hat, da er (mindestens) zweimal berücksichtigt wird, nämlich im Intro von "Catch The Rainbow" und später nochmal in "Still I'm Sad" (vier Jahre später sollte Blackmores Beethoven-Verehrung dann auch als Studiofassung in "Difficult To Cure" ihre Manifestation erfahren). Und das Schöne ist: Zu 98% funktionieren diese teils urlangen Fassungen auch, und hätte Blackmore nicht vor den Aufnahmen zu "Long Live Rock'n'Roll" Keyboarder Tony Carey entlassen, der sich auf der 1976er Tour als durchaus ebenbürtiger kongenialer Counterpart des Gitarristen erwiesen hatte, eines der letzten zwei Prozent wäre vielleicht auch noch herauszuholen gewesen: David Stone, der Neuling, war gewiß kein schlechter Keyboarder, aber das Selbstbewußtsein seines Vorgängers besaß er offensichtlich nicht und überließ den Platz an der Front Blackmore und Dio, selbst in den Hintergrund tretend und wenig eigene Akzente setzend, zumal er im Gegensatz zu Carey auch keines der Studioalben mit eingespielt hatte. Eine andere musikalische Veränderung, allerdings eine positive, brachte die zweite neue Personalie mit sich: Bob Daisley übernahm den Baß von Jimmy Bain, erwies sich allerdings auch als brauchbarer Sänger und konnte so auf der Bühne Backing Vocals beisteuern, was es in dieser Form zuvor bei Rainbow nicht gegeben hatte - eine Bereicherung, wenngleich nur punktuell eingesetzt und keine staatstragende Wirkung entfaltend.
Das letzte Prozent Qualität können allerdings auch diese Zutaten nicht herausholen: Blackmore bewegt sich auf dem Grat zwischen Genie und Wahnsinn, und nachdem er auf "On Stage" (vielleicht auch wegen der leicht kompakteren Fassungen mancher Songs) stets gekonnt auf der Gratschneide balanciert war, so droht er jetzt, ein Jahr später, hier und da in den Wahnsinn abzustürzen und verliert sich speziell auf den Songs der zweiten CD an einigen Stellen in selbstverliebten Wendungen, anstatt den Song bzw. die Improvisation strukturell nach vorn zu bringen. Selbige CD enthält bei knapp einer Stunde Spielzeit nur drei Songs, wobei die Zeiten auf dem Backcover untertrieben sind - "Still I'm Sad" etwa dauert keineswegs "nur" 19:57 Minuten, sondern weit über 25. Spielfreude hin oder her, aber 1976 wußte Blackmore diese noch punktgenauer zu dosieren, und diese Fähigkeit geht ihm 1977 an einigen wenigen Stellen ab, beginnen ihm die Songs zu entgleiten. Irgendwann hat er das dann offenbar auch selber gemerkt und in der Post-Dio-Ära dann sowieso fast nur noch kompaktere Tracks geschrieben - daß die bis heute letzte Rainbow-Tour anno 1995, bei deren Leipzig-Konzert auch der Rezensent anwesend war, zu einem guten Teil aus Deep-Purple-Material bestand, so daß ein Kommilitone des Rezensenten die treffende Bemerkung machte, daß es ein prima Deep-Purple-Konzert geworden wäre, wenn sie noch "Child In Time" gespielt hätten, spricht diesbezüglich ebenfalls Bände. Apropos Deep Purple: "Man On The Silver Mountain" täuscht im Intro unter anderem die Livefassung von "Smoke On The Water" an und weist damit in einen Teil von Blackmores Vergangenheit, während das lange Intro von "Sixteenth Century Greensleaves" in die Zukunft weist: Sanfte postmittelalterliche Klänge der Gitarre nehmen das vorweg, was seit der letzten Rainbow-Auflösung unter dem Banner Blackmore's Night erschienen ist. So läßt sich in diesen Songs enorm viel entdecken, und wer sich nicht davon abschrecken läßt, daß die 114 Minuten eben nur aus acht Songs plus Intro bestehen, der bekommt hier eine Großpackung feinsten Hardrocks der Siebziger und kann sich genüßlich einem Versionenvergleich mit der 1976er Tour oder gar den anderen Deutschlandmitschnitten von 1977 hingeben. Lohnt sich das? Definitiv ja!
Kontakt: www.eagle-rock.com

Tracklist:
CD 1:
Introduction
Kill The King
Mistreated
Sixteenth Century Greensleaves
Catch The Rainbow
Long Live Rock'n'Roll

CD 2:
Man On The Silver Mountain
Still I'm Sad
Do You Close Your Eyes
 




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