www.Crossover-agm.de RAINBOW: Live In Munich 1977 (DVD)
von sk

RAINBOW: Live In Munich 1977 (DVD)   (Eagle Vision)

Es ist der 16.04.2013. Um 23.33 Uhr erreicht mich eine Mail von Roland L. Ihr Inhalt ist brisant, die Frage schreckt mich auf. Ob ich einen Meilenstein rezensieren möchte, einen Meilenstein der Hardrockgeschichte. Ja, ja, ich will! Doch halt! Es gab noch einen Haken:
Ich hatte bis zu dieser Mail von diesem Meilenstein noch gar nichts gehört. Nur: Eingestehen wollte ich das nicht. Wäre ja zu peinlich. Rainbow sagte mir was, in dieser Hinsicht hatte die musikalische Sozialisation zwischen den Amiga-LPs und Tonbandmitschnitten von Sendungen des Bayerischen Rundfunks meines Vaters ihre Früchte getragen. Aber ein ganzes Album von Rainbow, ein ganzes Konzert? Fehlanzeige. Und erst recht nicht München 1977.
Bis zu dieser Mail hat mich dieser Tatbestand auch noch gar nicht geärgert. Irgendwann hatten mich Bob Dylan und Neil Young auf die Folk-Side-Of-Life gezogen und ich hatte mich dort eingerichtet. In der Schulband an der Rhythmusgitarre ein oder zwei Riffs von Deep Purple zum Schulfest geschrubbt, ein Konzert von Deep Purple und eins von Led Zeppelin auf VHS (aus der Stadtbibliothek Klingenthal) bei viel zu viel Bier geschaut - damit ist meine Hardrock-Sozialisation fast zur Gänze beschrieben. Vielleicht ist es also ein Frevel, einen so unbedarften Menschen wie mich an so eine DVD ran zu lassen. Ich möchte ja nix entweihen und irgendwie hätte ich auch ein komisches Gefühl dabei, wenn ein Mensch, der unter Dauerbeschallung von, sagen wir mal: House steht, eine Rezension zu den gesammelten Aufnahmen von Hank Williams schreibt. Also, Freunde des Regenbogens: Da müsst ihr jetzt durch.
Ganz nüchtern betrachtet fällt erst mal auf: Die Bildqualität ist jetzt nicht so der Renner (nur 4:3-Bildformat und auch sonst erinnert es verdächtig an VHS). Aber hey, wir schreiben ja auch 1977 und da gab's noch kein HD. Der Sound ist in Ordnung und fängt die Atmosphäre in der Olympiahalle bestens ein. Aber auch hier sollte man nicht erwarten, dass Bäume ausgerissen werden. Hinsichtlich Ton- und Bildqualität wird diese DVD keine Referenzscheibe werden.
Es ist irre: Die fast zwei Stunden des Konzerts vergehen wie im Flug. Auch wenn Meister Blackmore und seine Mannen es schaffen, Songs wie "Still I'm Sad" auf rund 28 Minuten zu dehnen: Langeweile kommt selten auf. Das mag auch daran liegen, dass das Auge durch die scharfen Klamotten und das abgefahrene Bühnenbild (ein großer leuchtender Regenbogen überspannt die Bühne) genug zu tun hat. Bei letzterem allerdings frage ich mich, ob man im Jahre des Herrn 2013 noch so etwas machen könnte, ohne Assoziationen zum CSD oder ähnlichem zu wecken. Sei's drum. Ronnie James Dio, dem kleinen Energiebündel, zuzuschauen ist dabei mindestens eine ebenso große Freude wie Blackmore auf die Finger zu starren. Und dieser spielt, als hätte er eine Mords-Wut im Bauch und müsste sich an seiner Gitarre Luft verschaffen. In der Tat saß er kurz vor dem Münchner Konzert noch in einem Wiener Knast. Wir haben den österreichischen Gendarmen also indirekt zu danken, vergelt's Gott, die Herrn! Nur: Die anderen Musiker, Cozy Powell, Bob Daisley und David Stone, schaffen es kaum, angesichts der Omnipräsenz von Ritchie Blackmore (und ein klein wenig auch Dio) eigene Akzente zu setzen. Dabei ist Bob Daisley am Bass beim Hinhören schon echt nicht schlecht und Cozy Powell an den Drums mehr als nur ein Routinier. Aber Blackmore wirkt im Zug des Konzerts so selbstverliebt, dass es fast schon ärgerlich ist. Gut und gerne hätte er manche Gitarrenspielerei auch einfach sein lassen können, denn am stärksten sind Rainbow dann, wenn sie Rainbow sind und nicht nur Blackmores Backing-Band. David Stone an den Keyboards ist nicht auch ok (auch wenn manche seiner wenigen Soli schlichtweg zum Gähnen sind), aber wer Blackmore an der Gitarre hört, hört immer Jon Lord (Gott hab ihn selig) mit. Oder möchte ihn gern hören. Denn das frühere, kongeniale Zusammenspiel der beiden Purpler, der Gegenpart zu Blackmore tat dem Gitarristen gut. Ohne Jon Lord hat er zu viel Raum, zu viel Zeit und niemanden, auf den er musikalisch wirklich eingehen müsste.
Ein wenig peinlich wird das Ganze lediglich dann, als Ritchie B. die Ode an die Freude anspielt, um dann unversehens in ein paar Takte der deutschen Nationalhymne überzuwechseln. Irgendwie unpassend.
Mein Fazit also nach dieser DVD: Wer vorher schon wusste, dass es ein Meilenstein ist, dem sei der Silberling zur Anschaffung dringend empfohlen. Reichlich Bonus ist auch vorhanden (drei Promo-Videos, zwei Interviews und some other Stuff). Aber auch alle anderen sollten einen Blick riskieren: Die Energie der Songs, der spür- und sichtbare Zeitgeist und Lieder wie "Mistreated" oder "Kill The King" lohnen die Anschaffung allemal.
Wikipedia schreibt, "Blackmore betrachtete Rainbow als sein eigenes Projekt. Dio kam jedoch nicht mit Blackmores Temperament und Egozentrismus aus und verließ daher 1978 die Band." Und genau das wird an vielen Stellen deutlich und hat zumindest mir oftmals sauer aufgestoßen. Ach ja: Das Zerdreschen der Gitarren am Ende hätte sich Ritchielein auch sparen können. Das wirkt dermaßen routiniert und unfreiwillig komisch wie aus einem Volkshochschul-Lehrvideo für angehende Rockstars. Hätte er mal vorher ein Konzert von The Who angeschaut und sich vom Grandmaster of Kleinholz Pete Townshend etwas abgeguckt ... Drei von Fünf Regenbögen.
Kontakt: www.eagle-rock.com

Tracklist:
1. Introduction
2. Kill The King
3. Mistreated
4. Sixteenth Century Greensleeves
5. Catch The Rainbow
6. Long Live Rock 'n' Roll
7. Man On The Silver Mountain
8. Still I'm Sad
9. Do You Close Your Eyes
Bonus:
Long Live Rock 'n' Roll (Promo Video)
Gates Of Babylon (Promo Video)
L.A. Connection (Promo Video)
Bob Daisley Interview
Colin Hart Interview
Rainbow Over Texas '76
Photogallery
Slide Show With Audio Commentary
 




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