www.Crossover-agm.de ORFEUS: Kincs
von rls

ORFEUS: Kincs   (Nail Records)

"Ich wollte wie Orpheus singen", bekannte einst Reinhard Mey und bezog sich damit auf den griechischen Helden, der mit seinem Gesang der Sage nach selbst wildeste Tiere besänftigen konnte, aber seine geliebte Eurydike trotzdem nicht aus dem Höllenschlund retten konnte, weil diese im entscheidenden Moment einen Fehler beging. Die ungarische Band Orfeus wiederum dürfte froh sein, überhaupt Gelegenheiten zum Singen und Musizieren zu bekommen. In weit über einem Vierteljahrhundert Existenz hat es das Quintett bisher nämlich lediglich auf (mindestens) drei Demos, eine DVD und zwei Studioalben gebracht. "Kincs" ist das jüngere der beiden und offenbart, daß sich in den vielen Jahren seit dem Debüt offenbar einiges an Songmaterial angesammelt hat: Dem kurzen bombastischen Intro folgen 14 Songs und anschließend drei davon noch in einer zweiten Variante, nämlich mit englischen Lyrics statt der ungarischen, in der das Material sonst eingesungen ist (auch "Victory", das trotz des englischen Titels einen ungarischen Text besitzt). Somit kommt "Kincs" auf stolze 73 Minuten Spielzeit, wobei sich daraus ergibt, daß die Ungarn ihre Songs durchaus kompakt inszenieren und der Durchschnitt nur knapp über vier Minuten liegt. Das ist für das gewählte Genre eher ungewöhnlich, findet aber eine Parallele beispielsweise bei den Landsleuten Ossian. Wie diese siedeln Orfeus im traditionellen Metal, allerdings nicht in dessen basischer Sorte, sondern in der neoklassisch angehauchten Variante, und sie haben auch nicht zwei Gitarristen in der Besetzung, sondern einen Gitarristen und einen Keyboarder, was natürlich Auswirkungen auf die Stilistik hat. Zudem liegt die Durchschnittsgeschwindigkeit so hoch, daß man Orfeus durchaus mit dem Etikett "melodischer Speed Metal" versehen kann, auch wenn sie keineswegs auf Speedtempi fixiert sind, sondern durchaus mancherlei reine Midtemposongs wie "Elmegyek" im Gepäck haben und auch in Speedfegern wie "A Veterán" nicht davor zurückschrecken, beispielsweise ein reines Klavierbreak unterzubringen. In der Songwritingvielfalt sind Hauptsongwriter Ferenc Kovács und seine gelegentlichen Helfer also durchaus beschlagen, und sie gehen sogar noch einen Schritt weiter: Sie sammeln förmlich Einflüsse oder gar mehr oder weniger direkte Zitate von anderen Bands. Den orientalischen Einschlag eines Songs wie "Szultán Lánya" kennt man von vielen anderen Genrebands, aber "Szabadság" etwa enthält in den Strophen bzw. im Refrain zwei Passagen, die dem Hörer auffällig bekannt vorkommen und sich als Quasi-Adaptionen von "Azzurro" (!) und etwas, dessen Herkunft dem Rezensenten noch nicht eingefallen ist, entpuppen. Das Outro von "A Bölcs" wiederum ist dem Ausklang von Helloweens "Keeper Of The Seven Keys" nachempfunden, und zwar der Stelle, bevor im Vorbild das Gitarrennachspiel einsetzt. Daß die Gitarren- und Keyboardmelodien historischen, besonders barocken Vorbildern folgen, ist hingegen genreimmanent - schön nachzuhören beispielsweise in "Ikaros". Ob es freilich einen Zufall darstellt, daß in der Tracklist Songs wie "Szabadság" oder "Küldetes" stehen, die teilweise oder komplett Albumtiteln von Ossian gleichen, muß der Kenner der ungarischen Sprache entscheiden. Klassisches Accept-Riffing hingegen ist im Kontext des gewählten Subgenres eher selten, so daß "Fortuna" als gewisser Sonderling im Bestand durchgeht, der sich freilich nicht zu weit vom Grundgedanken des gesamten Materials entfernt. Der typische Wolf-Hoffmann-artige Gitarrensound allerdings zieht sich durch einen guten Teil der Songs, fällt mit dieser Eigenschaft allerdings in den auch kompositorisch an Accept erinnernden Passagen besonders stark auf, während er sonst gedanklich eher im Hintergrund verbleibt. So entsteht hier und da fast der Eindruck einer neoklassischen Variante von HammerFall. Die Stimme von Gery Szöts wiederum bleibt im klaren mittelhohen Bereich mit gewissen Ausflügen nach oben, so daß neben Joacim Cans Männer wie Mark Boals oder Christian Liljegren als vergleichbare Kollegen durchgehen, und überhaupt liegen Orfeus, wenn sie konsequent neoklassisch spielen, relativ nahe bei Narnia, agieren jedoch etwas härter und schneller als diese. Ob es Zufall ist, daß die Durchschnittsgeschwindigkeit der Songs im Verlauf des Albums abnimmt, kann von dieser Warte aus natürlich nicht entschieden werden, und durch die drei englischen Addenda am Albumende kommt sowieso ein anderer Eindruck zustande, als wenn man nur die ungarischen Bestandteile als Album veröffentlicht hätte. So kann man mit "Kincs" fröhlich Einflußraten spielen, aber das Album natürlich auch so als durchaus starkes neoklassisches Metalalbum durchhören, denn ein solches ist es zweifellos geworden. Originalitätsfanatiker freilich kommen hier nicht auf ihre Kosten ...
Kontakt: www.orfeus.hu, www.metalshop.hu

Tracklist:
Intro
Kincs
Szabadság
Victory
A Veterán
Szultán Lánya
Ikaros
Acélglória
Oszi Szél
Leonardo
Fortuna
A Bölcs
Elmegyek
9:11
Küldetes
Treasure
9:11 - Terror
The Veteran
 




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