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HAMMERFALL: Infected
von rls

HAMMERFALL: Infected   (Nuclear Blast)

Album Nummer 8 von HammerFall überrascht schon beim ersten Blick aufs Cover: Das alte Logo ist verschwunden, der hammerschwingende Krieger ist entweder gefallen oder wurde in den Ruhestand geschickt - Indizien für musikalische Veränderungen oder gar Revolutionen? Nach Durchhören der reichlich 51 Minuten ist man schlauer: Kleine Veränderungen ja, alles andere nein. Wobei der Opener "Patient Zero" erstmal noch alle Deutungsoptionen offenläßt - aber letzten Endes entpuppt er sich als der ungewöhnlichste Song der Scheibe und auch als einer der besten. Einer Notfall-Geräuschkulisse als Intro entspringt nämlich ein ungewöhnlich schleppendes, massives Epos, das man erstens nicht unbedingt von HammerFall erwartet hätte und zweitens schon gar nicht als Albumopener. Vom Riffing her fühlt man sich hier schon fast in Candlemass-Regionen versetzt, auch wenn's für eine konsequente Einordnung in diese Sparte dann doch einen kleinen Tick zu schnell ist. Und wenn man sich beim Hören schon gemütlich darauf eingestellt hat, daß das herrlich zähe Midtempogestampfe sich durch den ganzen Song ziehen würde, schießt urplötzlich ein Speedpart mit ekstatischen Soli aus einer Spalte hervor, der dem Song eine völlig unerwartete Wendung gibt, allerdings ebenso plötzlich wieder endet, wie er hervorgebrochen ist - das zähe Midtempo vom Beginn führt den Song dann auch zu Ende. Schon "B.Y.H." an zweiter Setposition macht allerdings klar, daß HammerFall erstens Traditionalisten sind und bleiben und zweitens nicht jedes kleine Experiment funktioniert - zumindest in der Studiofassung nehmen die Generalpausen zu sehr den Fluß aus dem Song, und es bleibt gespannt abzuwarten, wie das in der zu erwartenden Liveumsetzung gelöst wird. Die unerwartete halbakustische Zurückschaltung in der zweiten Strophe fällt allerdings wieder unter die Kategorie "ganz großes Kino". Eher auf Livewirkung berechnet ist hingegen "One More Time" mit seinen titelgebenden Shouts über Stakkatobassdrums, was beim Hören vor den heimischen Boxen auch das eine oder andere Fragezeichen erzeugen dürfte - und der halbballadeske klavierunterstützte Part nach dem Solo gehört wieder zu den ungewöhnlichen wie zündenden Einfällen. Wem das freilich alles zuviel Experiment ist und wer lieber einen geradlinigen Banger hören will, wird zumindest weitgehend mit "The Outlaw" glücklich - er muß allerdings auch dort nach der locker galoppierenden Strophe (meine Güte, was hätte Jesper Strömblad da vor anderthalb Dekaden für eine Gitarrenarbeit drunterkonzipiert ...) mit einer drumseitig "verrührten" Bridge und einem massiven Midtemporefrain leben, wonach sich diese Elemente für den Rest des Songs abwechseln. Die Klammerbemerkung sollte in diesem Fall übrigens als Jammern auf hohem Niveau verstanden werden: Der Song gehört gitarrenseitig zu den anspruchsvolleren der jüngeren HammerFall-Geschichte, nicht zuletzt durch die Idee, zum Schluß über das Riff doch nochmal eine Leadmelodie zu legen. Das nächste Highlight folgt auf dem Fuße: HammerFall hatten von Anfang an ein gutes Händchen für Balladen und ein ebenso gutes für Coverversionen. "Send Me A Sign" verknüpft beide Tugenden - der Song schlägt die meisten anderen Kuschelsongs der Band aus dem Feld, und er ist im Original gar nicht von ihnen, sondern von den legendären Ungarn Pokolgép, wo er unter dem Titel "Hol Van A Szó" auf dem 1991er Album "Adj Új Eröt" steht. Joacim Cans wagt sich also nicht an die originalen ungarischen Lyrics, sondern hat neue englische geschrieben, und er singt einen Tick cleaner als Joe Rudan im Original, während die instrumentelle Komponente nahezu 1:1 übernommen wurde, von den Glocken im kurzen harten Einschub abgesehen, die dem Original noch einen besonders schicksalhaften Touch verleihen. Die HammerFall-Version beweist aber, daß der Song problemlos ohne diesen Zusatz auskommt, und vom Ergriffenheitsfaktor her ist die Umsetzung zweifellos als äußerst gelungen einzustufen. In Wechselbäder der Gefühle stürzt den Hörer anschließend "Dia De Los Muertos" - hier versuchen sich HammerFall nämlich wieder im Einbau von Generalpausen, und wieder führt das zumindest in der Studioversion eher zu Fragezeichen auf der Stirn des Hörers. Schade drum, denn alle (und ich meine alle!) anderen Einfälle des Songs zünden und machen ihn zu einem vielschichtigen metallischen Feuerwerk mit erneut begeisternder Gitarrenarbeit und überraschenden Tempowendungen. Und man höre mal genau hin, wie Drummer Anders Johansson in den Speedparts gefühlt immer schneller wird! Wer als Ausgleich einen Accept-lastigen Midtempostampfer braucht, für den HammerFall ja immer gut sind, der wird gleich im Anschluß mit "I Refuse" bedacht. "666 - The Enemy Within" wiederum überrascht durch sein Orchesterintro, nach dem man durchaus auch eine Italospeedkapelle losdonnern erwarten könnte. Statt dessen entfaltet sich aber ein zwischen mittelschnellen und flotten Parts changierender Melodic Metaller, der irgendwie auch nicht so richtig zur Band passen will, sondern beim Hörer andere Erwartungen weckt - welche das konkret sind, darauf ist der Rezensent bisher noch nicht gekommen. "Immortalized" täuscht wiederum einen Accept-Stampfer an, versucht wenig geglückte Fast-Generalpausen einzubauen und schaltet im scheinbaren Hauptsolo plötzlich wiederum in eine recht flotte, allerdings unter der Speedgrenze liegende Gangart um, wo mit erneut begeisternder Gitarrenarbeit noch ein zweites Solo eingebaut wird, bevor der Song erneut stampfend zu Ende geführt wird. "Let's Get It On" hat gleich im Intro eine nachgestellte Livesituation eingebaut bekommen, dürfte also sicher auch in den aktuellen Livesets auftauchen und dort trotz wieder mal einiger kaum vorhersehbarer Tempowechsel eine sichere Bank darstellen, zumal auch der "Are you ready"-Anfeuerungspart gleich mit eingebaut ist. Haben HammerFall bei ihrem letzten Ungarn-Abstecher einen Plattenladen geplündert und dort neben der erwähnten Pokolgép-Scheibe auch gleich noch Ossians "Tüzkeresztség" abgestaubt, wo eine analoge Konstellation zu finden war? Dem Hörer soll's egal sein. Sollte er so gepolt sein, daß er sich nun aber endlich noch nach einem geradlinigen Banger sehnt, enttäuscht ihn auch der Closer "Redemption", dessen bombastisches Orgelintro in einen polternden Metalpart mit 80er-Synthie-Fanfaren überleitet, der den sich daraus entwickelnden Epic Metal-Track auch weiterhin gliedert, wohingegen sich ansonsten schleppende Doublebassattacken mit großen Doppelleadbögen und einigen balladesken Einschüben abwechseln. So ist "Infected" unterm Strich dann doch ein recht ungewöhnliches HammerFall-Album geworden, nämlich das mit den komplexesten Songstrukturen, für das man eine ganze Weile Einarbeitungszeit braucht und das bei jedem Hören immer weiter wächst - der Meinungsbildungsprozeß ist beim Rezensenten noch keineswegs abgeschlossen, der Rang im Gesamtranking für 2011 noch nicht abzusehen. Hätten es HammerFall geschafft, vor allem die Generalpausen noch spannungsdienlicher einzubauen, wäre die Begeisterung sicherlich noch größer ausgefallen, aber auch so bleibt eine große Portion Respekt für eine gekonnte Weiterentwicklung bei Bewahrung der eigenen Wurzeln, und nach derzeitiger Einschätzung ist "Infected", vom komischen Cover abgesehen (das wie ein Abklatsch von Slayers "World Painted Blood" aussieht - eigentlich sollte ein Biohazard-Zeichen abgebildet werden, aber die Idee mußte verworfen werden, da die Band Biohazard mit rechtlichen Schritten drohte, und das, obwohl auch sie es nur von Dow Chemical übernommen haben), ein starkes bis sehr starkes Album mit einigen Geniestreichen und daher auch für Leute, die der Band bisher eine gewisse Eindimensionalität vorwarfen (hier und da nicht zu Unrecht), zumindest einen Check wert.
Die Digipackversion des Albums, die diesmal so dick ist, daß sie nicht in ein normales CD-Regal mit Einzelfächern paßt, so daß man nach "Steel Meets Steel" schon zum zweiten Mal gezwungen ist, seine HammerFall-Sammlung an verschiedenen Orten aufzubewahren, enthält noch eine DVD namens "All Guts, No Glory" als Bonus. Wie die an ihre FSK 12 gekommen ist, bleibt rätselhaft (sollte tatsächlich das Comicbild mit den Leichen, das zwischendurch mal kurz auftaucht, der Grund gewesen sein?), denn der Inhalt besteht ausschließlich aus den ersten fünf Songs des Albums, die laut Tracklist "live in the studio" dargeboten werden. Für ein Studio haben die Schweden allerdings eine verdammt große Lichtanlage aufgehängt, es gibt ein riesiges Backdrop und sogar Nebel - und es gibt leider nicht etwa Livefassungen der Songs, sondern als Tonspur die Studiofassungen, wie sie auch auf der CD zu hören sind. Der Mehrwert beschränkt sich also darauf, der Band beim Spielen und ggf. Posen zusehen zu können, was allenfalls für den Personenkreis interessant sein könnte, der keine Gelegenheit hatte, die aktuellen Gigs zu sehen und der daher im "Heimkino" eine entsprechende Illusion herstellen möchte. Da bekommt man also das komplette Spektrum vom Drumstickjonglieren über das Gitarristenarmkreisen Marke Rudolf Schenker bis zum klassischen Gitarrensoloduell geboten, und vor allem Oscar Dronjak post wie ein Weltmeister - manchmal auch einen Tick übertrieben. Das wird speziell in "Send Me A Sign" zum Problemfall. Das Gros des Songs bestreiten Cans und Gitarrist Pontus Norgren im Alleingang, und besonders Cans legt eine sehr emotionale Performance hin - im Hintergrund aber sitzen Dronjak und Bassist Fredrik Larsson, albern herum, prosten sich zu, und Dronjak imitiert dann sogar noch den Kontrabaß aus dem Originalvideo von Pokolgép. Das beweist dann leider einen akuten Mangel an Einfühlungsvermögen, und um den großartigen Eindruck, den man ausschließlich anhand der musikalischen Komponente gewonnen hat, nicht zu zerstören, läßt man die DVD am besten in der Digipackhülle oder kauft sich gleich die einfache Version des Albums.
Kontakt: www.hammerfall.net

Tracklist:
CD:
Patient Zero
B.Y.H.
One More Time
The Outlaw
Send Me A Sign
Dia De Los Muertos
I Refuse
666 - The Enemy Within
Immortalized
Let's Get It On
Redemption

DVD:
Patient Zero
B.Y.H.
One More Time
The Outlaw
Send Me A Sign
 




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