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OSSIAN: Tüzkeresztség
von rls

OSSIAN: Tüzkeresztség   (Hammer Records)

Die Ungarn Ossian hatten es laut den Angaben im Riermaierschen Osteuropa-Metal-Lexikon auf fast allen ihren Releases fertiggebracht, den jeweils stärksten Track zum Titelsong zu ernennen, was beim Antesten die Trefferquote enorm erhöht. Der Rezensent kann diese These anhand der vergangenen Releases mangels Besitzes der anderen Alben lediglich anhand "Femzene" aus dem Jahre 1999 prüfen - dort stimmt sie durchaus, wenngleich selbiges Album ein generell recht homogenes Niveau aufweist. Nun liegt "Tüzkeresztség" aus dem Jahre 2004 im CD-Player und überrascht strukturell - der Titelsong ist diesmal nämlich zweigeteilt worden. Aber das hat keine Auswirkungen auf die praktische Anwendung der genannten Theorie, denn obwohl beide Songs sich stilistisch stark voneinander unterscheiden, bilden sie doch auch diesmal wieder die Highlights eines Albums, das allerdings wie "Femzene" qualitativ relativ homogen ausgefallen ist, im Direktvergleich zum gutklassigen, aber nicht weiter weltbewegenden "Femzene" indes ein bis zwei Qualitätsebenen weiter oben anzusiedeln wäre: "Tüzkeresztség" stellt allein schon aufgrund der ersten Albumhälfte eines der stärksten europäischen Metalalben der jüngeren Vergangenheit dar, und wäre die Platte nicht in Ungarisch eingesungen, was sich beim Mitsingen mangels Sprachkenntnissen so fürchterlich schwer macht, könnte ihr Zutraulichkeitsfaktor für den nichtungarischen Metalfan vielleicht sogar noch einen Tick größer ausfallen (wenngleich die Bevorzugung der Heimatsprache auch wieder einen positiven Einfluß auf den Originalitätsfaktor ausübt und zudem die äußerst kantige ungarische Sprache prinzipiell sehr gut zu Heavy Metal paßt). Schon das Intro, betitelt "Intro (Az Arcvonal Felé)", läßt erahnen, welche Großtaten des urtraditionellen Metals in den insgesamt 54 Minuten erklingen werden - nicht sonderlich kompliziert, aber Größe verkündend und ähnlich einladend wie beispielsweise das legendäre Intro zu Formel Eins' "Live Im Stahlwerk". Danach folgt gleich der erwähnte zweigeteilte Titeltrack, zunächst der erste Teil mit urwüchsigem und mitreißendem Traditionsmetal kurz vor der Speedgrenze, die Ossian generell nur sehr selten überschreiten, danach der zweite Teil mit dem Untertitel "Rock n'Roll, Csak Rock n'Roll", der auch den Refrain durchstrukturiert und den man selbst dann mitsingen kann, wenn man der ungarischen Sprache nicht mächtig ist. Weil Ossian das wissen, haben sie den Song auch als neue Livehymne ausgestaltet und nach dem Solo gleich noch einen Mitsingpart mit klassischer Call-And-Response-Struktur, hier von Lead- und Backinggesang simuliert, vorangelegt; als letzter von drei Bonustracks meiner Pressung (keine Ahnung, wie das strukturiert ist, wer welche hat und welche nicht) findet sich der zweite Teil als "rövid változat" noch einmal wieder, dort ohne den Mitsingpart - Ungarischkundige werden die zwei Worte übersetzen können, der Rezensent begnügt sich mit der Vermutung, daß das die Singleversion sein könnte. Die anderen beiden Bonustracks sind übrigens "Elö Sakkfigurák" und "Rock'n'Roll Démon" in "2004-es felvétel", also vermutlich 2004er Neueinspielungen (vergleiche mit den Originalversionen, wer sie in der Sammlung besitzt, nämlich auf dem 2000er Album "Gyújtópontban" - "Elö Sakkfigurák" heißt übersetzt übrigens "Lebende Schachfiguren", damit keiner auf zweifelhafte Gedanken kommt ...), und dann gibt's auch noch zwei Bonusvideos: ein Livevideo zu "Hangerömü", dessen zugehörige Audioversion ebenfalls nicht auf "Tüzkeresztség" steht, sondern auf dem gleichnamigen Album von 2003, sowie ein Schwarzweißfilmchen zur "rövid változat" von "Tüzkeresztség II" (die Tracklist weist hierfür zwar "Hangerömü II" aus, aber das ist inkorrekt). Zurück in die erste Albumhälfte: "Megkísértés" stellt erneut großartigen Power Metal mit mächtigen und absolut unpeinlichen "Ohoho"-Chören dar, "A Bátrakért" wiederum ist eine erstklassige, arrangementseitig sehr ausgefeilte Halbballade und könnte den Titelsongs Konkurrenz um den albuminternen Thron machen, wenn die Drums in den ruhigen Passagen nicht einen leicht zu klinischen Touch abbekommen hätten und der Schluß nicht so seltsam abgehackt und arrangementseitig fast grob behandelt worden wäre. Thematisch scheint es hier übrigens um den Krieg zu gehen, wie einige Gefechtslärmsamples im Mittelteil nahelegen - ein Vergleich mit Metallicas "One" liegt also nahe, und in diesem sehen die fünf Ungarn alles andere als schlecht aus. Die drei folgenden Songs können das extrem hohe Niveau der ersten fünf nicht ganz erreichen, enthalten aber nichtsdestotrotz guten Power Metal im mittleren Tempobereich - erst "Többet Ér Mindennél" strahlt wieder so hell am Firmament wie die ersten Songs, und das, obwohl es sich hier "nur" um gemäßigten Melodic Rock handelt. Aber was für welchen! Akustische und elektrische Gitarre ergänzen sich in ihrer Wirkung perfekt, Urgesteinsmitglied Endre Paksi brilliert am Gesangsmikrofon, und in einer gerechten Welt wäre das ein Radiohit, der gleichberechtigt neben "The Final Countdown" und "Lady In Black" über den Äther gehen würde. Die Sprachbarriere bei den Lyrics, naja ... aber alle Texte sind im Booklet abgedruckt, so daß man die zumindest schon mal üben könnte. "A Névtelen" markiert die obere Tempogrenze des Albums, wie erwähnt noch nicht als Speed Metal zu klassifizieren, aber trotzdem hochgradig quicklebendig, und es wäre an der Zeit, auch mal die hervorragende Arbeit der Gitarristen Attila Wéber und Richard Rubesics zu würdigen, beide sowohl im Lead- als auch im Rhythmusbereich tätig und gelegentlich auch Hauptkomponist Endre Paksi ideenseitig assistierend, so ein alleiniges Schwimmen im eigenen Saft verhindernd, das einen immens hohen Ausstoß an Alben, wie ihn Ossian seit der Reunion 1998 verzeichnen (selten vergeht ein Jahr ohne neues Album), sonst stets mit der Gefahr des Ausbrennens und Wiederholens von Stereotypien verbindet. Gut, neuartige Experimente sollte man von "Tüzkeresztség" nicht erwarten (der ganz kurze verzerrte Gesangseinsatz in "Létünk A Bizonyíték" stellt den einzigen modernen Anflug dar, und die Drums, besonders die Hihat, besitzen auch in manchen anderen Songs den bereits oben erwähnten, mitunter leicht steril wirkenden Touch), aber was Ossian aus dem von vielen längst totgesagten traditionellen Heavy Metal noch herausholen, verdient eine ausdrücklich positive Würdigung. "Töréken Kép" stellt eine weitere großartige, allerdings eher kompakt inszenierte Halbballade dar, bevor das erwähnte "Létünk A Bizonyíték" den regulären Teil von "Tüzkeresztség" auf gutklassigem Niveau abschließt. Auch die beiden Neuaufnahmen (die fast ineinander übergehen, so daß man beim oberflächlichen Hören erst im Refrain merkt, daß man schon im zweiten Song ist) halten den Mindestqualitätsstandard, ohne aber zu glänzen, und die offenbare Singleversion des zweiten Teils von "Tüzkeresztség" funktioniert auch in der reduzierten Form, wenngleich die Vollversion durch den großen Mitsingpart genau den Pfiff hat, der aus einem guten Song einen Geniestreich macht. Geniestreiche sind auf "Tüzkeresztség" jedenfalls genügend vorhanden, um jedem Freund konsequent traditionellen melodischen, ebenso anspruchsvollen wie eingängigen Heavy Metals den Erwerb dieses hervorragenden Silberlings nahezulegen; Besseres gab es im Jahr 2004 jedenfalls nicht viel, und die Zeitlosigkeit der Musik läßt das Veröffentlichungsjahr auch vollkommen nebensächlich erscheinen.
Kontakt: www.ossian.hu, http://shop.metalindex.hu

Tracklist:
Intro (Az Arcvonal Felé)
Tüzkeresztség
Tüzkeresztség II (Rock n'Roll, Csak Rock n'Roll)
Megkísértés
A Bátrakért
Láthatatlan Háború
Helyzetjelentés
Legyél Több!!!
Többet Ér Mindennél
A Névtelen
Törékeny Kép
Létünk A Bizonyíték
Elö Sakkfigurak (2004-es felvétel)
Rock n'Roll Démon (2004-es felvétel)
Tüzkeresztség II (rövid válzozat)



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