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von rls

MÜNCHENER FREIHEIT: Mehr   (Edel Records)

Mit einer gewissen nervösen Spannung erwartete man das neue Studioalbum der Münchener Freiheit - das erste ohne den langjährigen Kreativkopf Stefan Zauner. Gut, daß die anderen Bandmitglieder songwriterisch auch keine Greenhorns sind, weiß der langjährige Anhänger der Band natürlich, denn einerseits gab es da früher das Songwritinggespann Zauner/Strobel, und zum anderen brachten sich auch die anderen drei Mitglieder immer mal wieder ins Geschehen ein, wobei beispielsweise auf dem "XVII"-Album der imaginäre Preis für den stärksten Song des Albums an Keyboarder Alex Grünwald (für "Hier und überall") ging. Zu den vier Altmitgliedern ist nun Jörg-Tim Wilhelm als neuer Sänger und weiteres kreatives Element hinzugestoßen, so daß man erstmal nicht befürchten mußte, die kreative Triebkraft sei nunmehr versiegt, und die Band ruhe sich wie viele Revivaltruppen jetzt nur noch auf alten Lorbeeren aus. Als weiterer Faktor kam auch noch Produzent Christian Geller hinzu, auf dessen Rolle man ebenfalls mit einer gewissen nervösen Spannung wartete, hatte er doch zuvor u.a. Heinos "Mit freundlichen Grüßen"-Album betreut und den Hörer dort mit einer Mischung aus Begeisterung und verzweifeltem Kopfschütteln (nicht Headbangen) zurückgelassen.
Bleiben wir zunächst bei den harten Fakten zum neuen Album: 13 Songs bringen es auf knappe 50 Minuten, die Special Edition enthält noch eine Bonus-CD mit neu eingespielten Klassikern, die dem Rezensenten aber nicht vorliegt und daher zur Bewertung nicht herangezogen werden kann. Das Cover kehrt zum alten und nur selten, aber beispielsweise auf dem letzten Zauner-Album "Ohne Limit" durchbrochenen Prinzip, die Bandmitglieder zu zeigen, zurück und beweist damit Mut zur Ehrlichkeit gegenüber all jenen, die Zauners Ausscheiden immer noch nicht mitbekommen haben und ein neues Album mit x-beliebigem Cover ohne "Personal" vielleicht blind mitgenommen hätten, um danach vom neuen Sänger kalt erwischt zu werden. Erstaunlicherweise transportiert ein Teil der Innengestaltung anstatt des Mottos "Mehr" eher das Motto "Leer" - die leere Probenhalle unter dem Tray, die Bandmitglieder in einem leeren Theatersaal auf dem Backcover und schließlich die leere Halle auch nochmal als zentrales Motiv der Covergestaltung. Wer darob allerdings auch auf eine Inhaltsleere oder Ideenarmut schließt, befindet sich auf dem Holzweg, selbst wenn die endgültige Stellung von "Mehr" im Kosmos des Gesamtschaffens der Band zum momentanen Zeitpunkt noch nicht einschätzbar ist. Fakt ist: Die Band klingt anders als früher, aber sie verankert sich zumindest im gewohnten Pop-Rock-Areal, wenngleich erstaunlicherweise mit relativ niedrigem Rockfaktor - Arons Gitarre bleibt erstaunlich oft unplugged (oder wird arg weit in den Hintergrund gemischt), und die restlichen Bandmitglieder füllen dieses Vakuum auch nur teilweise aus. Auch hier erweist sich das Motto "Mehr" also als Trugschluß, denn manchmal ist mehr auch tatsächlich mehr, wie die verblichene Leipziger Metalband Nitrolyt es so schön auszudrücken pflegte. Und es gibt eine ganze Menge an Stellen, wo man sich ganz einfach mehr Bombast wünschen würde, vielleicht auch mehr Biß, mehr "Zug zum Tor" sozusagen. Zwar entdeckt man letzteren nach intensiver Hörerschließungsarbeit in der ersten Single "Meergefühl", die bei den ersten Hördurchläufen noch komplett durchrauschte, dann doch, aber im Vergleich mit der wirklich fetzigen Liveversion kann die Studiofassung nicht ganz mithalten, wenngleich sie im Albumkontext nach wie vor die Speerspitze bildet, gefolgt interessanterweise von "Mona Lisa", das aus der Feder von Geller und seinem Studio-Adlatus Fabian Zimmermann stammt. Geller hat übrigens auch noch an "Meergefühl" mitgeschrieben - daß die "bissigsten" Songs auf sein Konto gehen würden, hätte sich vorher sicherlich keiner träumen lassen. Auch Grünwald kann das Steuer diesmal nicht herumreißen, denn sein "Traum vom wilden Leben" bleibt musikalisch auch ein solcher, sobald er aus einem hier mal richtig interessanten und vielversprechenden Songaufbau in den harmlosen Refrain mündet (interessanterweise ist dieser Song viel wärmer produziert als die anderen zwölf, obwohl das Booklet keine andere klangliche Herkunft angibt). Dafür überzeugt die "andere Seite" des Stilspektrums: "Erinnerung" (eine Kunzi-Wilhelm-Komposition) als kuschelige und leicht angeblueste Ballade weiß hoch zu punkten, und das lange Break, das in den härteren Schlußteil überleitet, darf als Lehrbeispiel für solche Übergänge gelten. Daß hier diverse alte MF-Albentitel im Text zitiert werden ("Energie", "Geile Zeit"), dürfte kein Zufall sein, aber daß es den Songtitel schon auf einem früheren MF-Album, nämlich dem Debüt "Umsteiger", gab, wobei die beiden gleichnamigen Songs musikalisch nichts miteinander zu tun haben, bleibt ein Kuriosum, schon das zweite seiner Art übrigens (remember "Tut so gut" auf "Licht" und "XVII"). Ansonsten zeigt sich im Material noch ein weiteres Phänomen, nämlich das der partiellen Überzeugungskraft: Gleich mehrfach gelingen der Band richtig starke hymnische Refrains, die aber in weitgehend unauffällige und teilweise auch austauschbare Hauptsongaufbauten eingebettet sind. Allein in den ersten sechs Songs stellt man diese Diagnose gleich dreimal, bei "Irgendwo da draußen", "All' die Jahre" und "Ich will es nicht glauben", wobei allein "All' die Jahre" mit dem schönen altmodischen Hammondorgelsolo noch einen weiteren Trumpf aus dem Ärmel ziehen kann. Das macht "Mehr" auch in songwriterischer Hinsicht zu einem zwiespältigen Vergnügen, zumal man hier und da auch über Einzelelemente stolpert und verzweifelt den Kopf schüttelt, was sich die Band denn dabei nun wieder gedacht hat, so etwa der völlig verunglückte Backingvocaleinwurf gleich im Opener "Neue Freiheit" mit "Frei sein" bei Minute 2:23, der wie eine Parodie wirkt. Die Wahl dieses Tracks als Albumopener spiegelt übrigens allein vom Titel her das neue Selbstvertrauen der Band, auch wenn er selbst musikalisch so sperrig und unauffällig zugleich ausfällt, daß er in dieser Hinsicht sicherlich nicht der zugänglichste Türöffner für die skeptische Fanfraktion ist. Die sollte "Mehr" vielleicht von hinten hören: Der epische Abschluß "Wieder tun" (mit brillant in Szene gesetzten "Immer wieder"-Mantras), das wie erwähnt zumindest partiell interessante "Traum vom wilden Leben" und das zumindest halbwegs forsche "Magnet" gehören zu den besseren Songs eines merkwürdigen Albums, das seine positiven wie negativen Momente hat, aber zumindest den prinzipiellen Zweck erfüllt, der immer noch zahlreichen Anhängerschar zu beweisen, daß es prinzipiell auch ohne Zauner geht (der übrigens auch in den Danksagungen im Booklet im Gegensatz zu beispielsweise Jupp Heynckes und Uli Hoeneß nicht vorkommt). Nur braucht es noch deutlich mehr Erschließungszeit als die vorherigen Alben, um zumindest in einigen Punkten zu zünden.
Kontakt: www.edel.com, www.muenchenerfreiheit.de

Tracklist:
Neue Freiheit
Meergefühl
Irgendwo da draußen
Bye Bye
All' die Jahre
Ich will es nicht glauben
Mona Lisa
Erinnerung
Liebe verzeiht
Wie der Wind
Magnet
Traum vom wilden Leben
Wieder tun
 




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