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von rls

HEINO: Mit freundlichen Grüßen   (Starwatch Entertainment/Sony)

Ältere Leser erinnern sich möglicherweise an einen Versuch Heinz Georg Kramms, in den Endachtzigern und Frühneunzigern Anschluß an eine jugendkulturelle Bewegung zu finden und damit auch für Leute interessant zu werden, die sich nie freiwillig eines seiner zahlreichen regulären Alben mit Schlagern oder Volksliedern anhören würden. Wer diese Erinnerung erfolgreich aus seinem Gedächtnis gestrichen hat oder von der seinerzeitigen Erfahrung verschont geblieben ist, kann die Acid-Version von "Blau blüht der Enzian", wie sie weiland in der ZDF-Hitparade dargeboten wurde, zum Rezensionszeitpunkt unter folgendem Youtubelink anschauen: http://www.youtube.com/watch?v=0zqJq4avLWg Scharfsinnigen Analytikern wird dort beispielsweise das Phänomen auffallen, daß das Tenorhornsolo ohne Mundstück gespielt wird ... In ähnlicher Manier gab es damals auch noch "Schwarzbraun ist die Haselnuß", bevor der Spuk so schnell wieder von der Bildfläche verschwand, wie er dort hingekommen war - der Zielgruppenspagat erwies sich als auf die Dauer nicht tragfähig, und Heino, wie man Heinz Georg Kramm besser kennt (ist er eigentlich verwandt oder verschwägert mit Das Ichs Bruno Kramm?), kehrte zu dem zurück, was er seit vielen Jahren machte: Schlager und Volksmusik.
Ein knappes Vierteljahrhundert später kommt nun ein ähnlich gelagerter Versuch zum Vorschein, auch wenn die Ausgangslage reziprok ist: Diesmal nimmt Heino kein Liedgut aus seinem eigenen Repertoire und verwandelt dieses in einen jugendgemäßen Stil, sondern er covert Songs aus dem popularmusikalischen Umfeld der letzten zwei Dekaden - allerdings wandelt er diese nicht etwa in Volksmusikversionen um, sondern behilft sich mit Interpretationen in einer Art angeswingtem Pop. Daß der Kopf der Studioband, Richard Hellenthal, Posaunist ist, hört man der streckenweisen Dominanz dieses Instrumentes deutlich an, auch wenn die musikalische Richtung unterm Strich wohl eher auf dem Mist von Produzent Christian Geller gewachsen sein dürfte, der übrigens auch "Mehr", die aktuelle Scheibe der Münchener Freiheit, einzutüten geholfen hat. Einen Bassisten und einen Drummer hat die Studioband übrigens nicht - diese Komponenten holt Geller also offensichtlich aus der Konserve, aber immerhin hat er es fertiggebracht, den Drumcomputer nicht vordergründig wie ein solcher klingen zu lassen. Neben Hellenthal spielt auch Trompeter Rüdiger Baldauf eine relativ zentrale Rolle im Gesamtsound und macht das Bild damit prinzipiell erstmal etwas lebendiger, als von vornherein anhand der personellen Konstellation zu befürchten gewesen wäre. Das etwas zu omnipräsente Glockenspiel nivelliert den Eindruck allerdings bisweilen wieder.
Die zentrale Frage lautet aber anders: Sind Heinos Fassungen der zwölf deutschen Popsongs (im weitesten Sinne) hörbar, oder sollte man den großen Kübel in der Nähe haben? Prinzipiell merkt man auf alle Fälle, daß hier Profis am Werk sind und daher die Grundbedingungen erstmal stimmen. Die Interpretationen selbst zerfallen allerdings in vier Gruppen:
1.) Songs, die den Hörer, so er nicht explizit Fan des Originalkünstlers ist, auch in der Heino-Fassung relativ kaltlassen. Der Rezensent war noch nie sonderlich angetan von Keimzeits "Kling Klang" (von dessen subversivem Potential zu DDR-Zeiten abgesehen) oder Westernhagens Polygamie-Phantasie "Willenlos", und auch Heinos Versionen rauschen hier eher durch, bieten soliden Pseudo-Bigband-Swing ohne Erschütterungen nach unten oder oben. In dieser Kategorie gibt es freilich durchaus qualitative Abstufungen zu konstatieren: "Ein Kompliment" der Sportfreunde Stiller etwa kann man sowohl in der Kallejon- als auch in der Heino-Fassung durchaus gut finden.
2.) Songs, die in der Heino-Fassung bestimmte Elemente verloren haben, welche für die Qualität der Originale von tragender Bedeutung waren und nicht adäquat durch andere Elemente ersetzt werden konnten. Stephan Remmlers "Vogel der Nacht" etwa hat seinen leicht psychedelischen Touch eingebüßt und wird in der Heino-Fassung so zum reinen Schlager, und auch "Augen auf" von Oomph! kann den Verlust des psychotischen Elements nicht kompensieren.
3.) Songs, die Heino bestimmte Dinge abverlangen, welche er einfach nicht kann. Absolute Beginners "Liebes Lied" zwingt ihn zum Rappen, und das wirkt bemüht und damit lächerlich.
4.) Songs, die Heino bestimmte Dinge abverlangen, welche er richtig gut kann, und die damit sogar fast besser als die Originale werden. Das kann durchaus auch auf niedrigem Level passieren: Peter Fox' "Haus am See" wird allein schon durch die Umwandlung in die hier vorherrschende Stilistik und die Addition eines Menschen, der singen kann, einigermaßen hörbar, wenngleich nicht zu einem Highlight. Dieser Status ist zwei anderen Werken vorbehalten. Da wäre zunächst der Opener "Junge" von Den Ärzten. Die Rolle des übermäßig (aber partiell berechtigt!) besorgten Familienvaters (auch Herr Urlaub dürfte mittlerweile gemerkt haben, daß man mit Heerscharen von [aus-]bildungslosen Punk-Schnorrern keine funktionierende Gesellschaft aufbauen kann) spielt Heino ausgezeichnet, wobei seine Behauptung, im Gegensatz zum ironischen Ärzte-Touch meine er das Gesagte ernst, sowohl ehrliche Überzeugung als auch Marketingbehauptung in Richtung seiner Stammhörerschaft sein kann. Der andere Knaller ist Rammsteins "Sonne" - hier bewegt sich die Band etwas in Richtung Bombastrock, um der Vorlage gerecht zu werden, und Heinos markante, hier extra voluminös und tief plazierte Stimme fügt diesem Song noch eine Qualität hinzu, die er mit Till Lindemanns Stimme so nicht hatte. Daß diese Nummer auch vor dem Metal-Publikum in Wacken mit Heinos Stimme bestehen konnte, spricht diesbezüglich Bände.
So bleibt unterm Strich ein zwiespältiger Eindruck. "Mit freundlichen Grüßen" ist über weite Strecken gut durchhörbar, wenn man den besagten swinglastigen Pop als Grundlage der Interpretationen nicht prinzipiell ablehnt, und dann hat die 44minütige CD auch die ganze Marketingkampagne von wegen "Das verbotene Album" (ein entsprechendes Spruchband findet sich auf dem Cover) nicht nötig. Einen Moment lang überlegt man, ob das Bild unter dem Cleartray (ein Totenschädel mit blonden Haaren und Sonnenbrille) ein besseres Cover abgegeben hätte, aber dafür ist die Scheibe beim besten Willen nicht rockig genug. Vielleicht kommt ja irgendwann ein Nachfolger mit Metalsongs - die Rammstein-Nummer hier beweist deutlich, daß Heinos Stimme für eine solche Mixtur exzellent geeignet wäre. Wer sich davon überzeugen will: Die reguläre Edition von "Mit freundlichen Grüßen" dürfte derzeit relativ preiswert zu bekommen sein, weil die Plattenfirma die Kuh noch ein zweites Mal melken will und daher neun Monate nach der Veröffentlichung des Originals eine um sechs weitere Coverversionen erweiterte Fassung herausgebracht - eine Praxis, die man nicht unterstützen sollte.
Kontakt: www.heino.de

Tracklist:
Junge
Haus am See
Ein Kompliment
Augen auf
Sonne
Gewinner
Liebes Lied
Leuchtturm
Vogel der Nacht
MfG
Kling Klang
Willenlos
 




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